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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 24.01.2002
Aktenzeichen: 8 U 86/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 847
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 108 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711 Satz 1
Ist die glans penis infolge einer chronischen Entzündung, welche mit einer Salbe nicht erfolgreich behandelt werden konnte, völlig eingeschmolzen und nekrotisch verändert, ist eine vollständige Entfernung des geschädigten Gewebes unumgänglich; andernfalls kann es zu einem Fortschreiten des entzündlichen Prozesses oder zu einer malignen Entartung der betroffenen Strukturen kommen.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 86/01

Verkündet am 24. Januar 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 20. Dezember 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B den Richter am Oberlandesgericht G und die Richterin am Oberlandesgericht S

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 5. April 2001 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 8.000 Euro abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Sicherheiten können auch durch Bürgschaft einer deutschen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Der am 30. Dezember 1926 geborene Kläger begab sich im Oktober 1990 in die Behandlung des Urologen Dr. K weil er nach einer früher durchgeführten Circumcision unter einer Verfärbung der Glans Penis litt. Am 23. März 1998 stellte er sich erstmals mit Problemen bei der Miktion in der Praxis des Beklagten vor. Der Beklagte stellte bei einer klinischen Untersuchung eine "massive Anschwellung des gesamten vorderen Präputialanteiles mit erheblichen entzündlichen Veränderungen, die auch auf das Scrotum übergehen", fest (vgl. Bl. 37 GA); er diagnostizierte eine Balanitis und verordnete eine Salbentherapie. Der Befund besserte sich durch diese Behandlung nur vorübergehend; im April/Mai 1998 hielten die massiven entzündlichen Veränderungen an, so dass der Beklagte, der einen bösartigen Prozess befürchtete, ein chirurgisches Vorgehen empfahl. Der Patient unterzeichnete eine Einverständniserklärung (Bl. 39 GA); sodann führte der Beklagte am 13. Mai 1998 im St. M in O eine Operation durch. In dem diesbezüglichen Bericht (Bl. 40 GA) heißt es:

"Eine eigentliche Glans Penis ist bei genauer Inspektion nicht erkennbar. Da auch der vorgesehene corpuläre Präputialanteil schwerstens oedematös und entzündlich verändert ist, soll dieser Teil komplett entfernt werden, welches wie oben durchgeführt wird. Nach Excision der schmutzig-grauen Narbenplatte, die jetzt im vordersten Teil des Restpenis noch vorhanden ist, erkennt man, dass man im Korpora kavanosa sich befindet und die darunterliegende Urethra jetzt klar zur Darstellung kommt. Eine Glans Penis ist nach wie vor nicht erkennbar."

Die pathologisch-anatomische Begutachtung des Resektats (Bl. 41 f GA) ergab eine "schwere chronische und akute Balanoposthitis mit pseudocarcinomatöser Epidermishyperplasie"; eine regelrecht strukturierte Glans Penis war nicht nachzuweisen; für Malignität bestand kein Anhalt. Der Kläger hatte nach der Teilamputation seines Penis Schwierigkeiten mit der gezielten Miktion; eine Untersuchung ergab, dass die Mündung der Harnröhre bei der Operation in dem Penisstumpf eingezogen war (vgl. Bl. 154, 155 GA); der Patient unterzog sich deshalb im Dezember 1998 einer Revisionsoperation, bei der der Urologe Dr. M eine Verschiebe-Lappen-Plastik anlegte, die die Miktionsprobleme weitgehend beseitigte (vlg. Bl. 177 f GA).

Der Kläger macht Ersatzansprüche geltend. Er hat behauptet, die von dem Beklagten durchgeführte Teilamputation des Penis sei medizinisch nicht indiziert gewesen; sachgerecht wäre es gewesen, das entzündlich veränderte Gewebe entweder nach einer Biopsie oder intraoperativ im Wege einer Schnellschnittuntersuchung prüfen zu lassen; bei einem solchen Vorgehen hätte der von dem Beklagten geäußerte Krebsverdacht ausgeräumt werden können; sodann wäre eine Erweiterung der Circumcision ohne Amputation der Glans Penis ausreichend gewesen. Darüber hinaus habe der Beklagte den Eingriff technisch nicht einwandfrei durchgeführt; ihm seien die postoperativen Miktionsprobleme und die zu deren Beseitigung erforderliche Revisionsoperation anzulasten. Ferner habe der Beklagte die Amputation ohne rechtfertigende Einwilligung vorgenommen; bei den vorbereitenden Gesprächen sei lediglich von einer Entfernung der Vorhaut, nicht aber von einer Resektion des Geschlechtsteils die Rede gewesen. Aufgrund des ärztlichen Fehlverhaltens leide er - der Kläger - unter einem unkontrollierten Urinabfluss und unter der Zerstörung seines zuvor intakten Sexuallebens; die Penisamputation habe zudem zu einer erheblichen Beeinträchtigung seines psychischen Befindens geführt.

Der Kläger, der in der ersten Instanz neben dem Beklagten die Trägerin des St. M in O in Anspruch genommen hat, hat beantragt,

1.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, nicht jedoch unter 80.000 DM, zu zahlen;

2.

festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch für alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden hafteten, die er noch durch die fehlerhafte ärztliche Behandlung erleide.

Die Beklagten haben den Antrag gestellt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen, die Operation sei medizinisch dringend indiziert gewesen; auch habe der Beklagte den Eingriff einwandfrei durchgeführt. Präoperativ habe sich der Patient ausdrücklich mit der eventuell erforderlichen Teilamputation des Penis einverstanden erklärt.

Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg hat durch Vernehmung von Zeugen sowie durch Einholung von Sachverständigengutachten Beweis erhoben und sodann den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 8.000 DM verurteilt; dem Arzt sei lediglich anzulasten, dass zur Behebung der postoperativen Miktionsprobleme ein Revisionseingriff erforderlich gewesen sei; zum Ausgleich der damit verbundenen immateriellen Beeinträchtigungen sei der zuerkannte Betrag angemessen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und macht weiterhin geltend, die Teilamputation sei aus medizinischer Sicht nicht indiziert gewesen; auch habe ihn der Beklagte nicht über die vorhandenen Behandlungsalternativen aufgeklärt.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Duisburg vom 5. April 2001 dem Beklagten zu verurteilen, an ihn ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, jedoch nicht unter 80.000 DM, abzüglich bereits titulierter 8.000 DM, zu zahlen.

Der Beklagte stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Er vertieft seinen bisherigen Sachvortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat dem Beklagten mit Recht nur zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 8.000 DM verurteilt und die weitergehende Klage aus zutreffenden Erwägungen abgewiesen:

I.

Der Kläger kann nach § 847 BGB einen angemessenen Ausgleich für die immateriellen Beeinträchtigungen verlangen, die darauf beruhen, dass das Ergebnis der Operation vom 13. Mai 1998 zunächst unzulänglich war. Das Landgericht ist in der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen, dass der Beklagte bei dem Eingriff die Mündung der Harnröhre zu weit in den verbliebenen Penisstumpf verlegt hat; infolge dieses vermeidbaren Versäumnisses war dem Patienten bis zu der im Dezember 1997 von dem Urologen Dr. M durchgeführten Revisionsoperation eine gezielte Miktion nicht möglich. Die damit verbundenen Unannehmlichkeiten dauerten etwa sieben Monate an; dem Beklagten ist ferner anzulasten, dass sich der Kläger zur Beseitigung der Urinabflussstörung einem zweiten Eingriff unterziehen musste. Zum Ausgleich dieser immateriellen Beeinträchtigungen hat das Landgericht aus zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat anschließt, ein Schmerzensgeld von 8.000 DM für angemessen erachtet.

II.

Eine weitergehende Forderung steht dem Kläger nicht zu. Die in der ersten Instanz durchgeführte Beweisaufnahme hat nicht mit der für eine Haftung erforderlichen Sicherheit ergeben, dass der Beklagte die Teilamputation des Penis unnötigerweise, fehlerhaft oder ohne rechtfertigende Einwilligung des Patienten vorgenommen hat:

1.)

Fest steht, dass der Kläger im März 1998 unter erheblichen entzündlichen Veränderungen im Bereich seines Geschlechtsteils litt; die hartnäckigen Beschwerden konnten durch eine Salbenbehandlung nicht beseitigt werden; letztlich war es aus medizinischer Sicht unumgänglich, das betroffene Gewebe vollständig zu entfernen:

a) Allerdings hat sich der von dem Beklagten ursprünglich geäußerte Verdacht, es könne sich um ein Karzinom handeln, nicht als zutreffend herausgestellt; der mit der Untersuchung des Resektats befasste Pathologe Dr. B hat keine Anhaltspunkte für einen malignen Prozess gefunden, sondern lediglich eine "schwere chronische und akute Balanoposthitis mit pseudocarzinomatöser Epidermishyperplasie" diagnostiziert. Die Richtigkeit dieses Befunds wurde von dem durch das Landgericht beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. M ausdrücklich bestätigt. Dem Kläger ist ferner zuzugeben, dass der Verdacht auf eine bösartige Veränderung des Gewebes vor der Amputation durch eine Biopsie hätte abgeklärt werden können.

b) Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die Teilamputation des Geschlechtsteils unabhängig von der Gutartigkeit der entzündlichen Veränderungen unumgänglich war. Angesichts des Ausmaßes der Gewebeschädigung kam ein anderes therapeutisches Vorgehen nicht in Betracht; insbesondere wäre eine bloße Erweiterung der vorhandenen Circumcision in Verbindung mit einer Regulierung der diabetischen Stoffwechsellage und einer gleichzeitigen antiseptischen Behandlung der befallenen Stellen nicht erfolgversprechend gewesen: Der Sachverständige Prof. Dr. M hat überzeugend ausgeführt, dass die bei dem Eingriff entfernte Glans Penis zum damaligen Zeitpunkt bereits völlig eingeschmolzen und nekrotisch verändert war; diese Einschätzung deckt sich mit dem Befund des Pathologen Dr. B der in dem untersuchten Resektat eine "regelrecht strukturierte Glans Penis" nicht finden konnte. Mit dieser Diagnose stimmt schließlich die Beschreibung in dem Operationsbericht des Beklagten überein, der auch bei genauer Inspektion die eigentliche Glans Penis nicht erkennen konnte. In dieser Situation war nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. M die "Ausschneidung weit im Gesunden" die einzig angebrachte Therapie; andernfalls hätte ein Fortschreiten des entzündlichen Prozesses im Laufe der Zeit das noch intakte Gewebe befallen; auch wäre eine maligne Entartung der nekrotischen Gewebeveränderung möglich gewesen.

2.)

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte bei seinem Eingriff im Übermaß reseziert hat: Weder dem pathologischen Befund noch dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M sind Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass das Geschlechtsteil in geringerem Ausmaß hätte verkürzt werden können.

3.)

Schließlich kann der Kläger seinen Anspruch nicht auf ein Aufklärungsversäumnis stützen. Die - unstreitig von ihm unterzeichnete - Einverständniserklärung erstreckt sich ausdrücklich auch auf eine eventuell erforderliche Teilamputation. Es ist nicht ersichtlich und von dem Kläger zudem nicht unter Beweis gestellt, dass dieser handschriftliche Zusatz nachträglich in das Formular eingefügt wurde. Abgesehen davon gab es nach den Feststellungen des vom Landgericht beauftragten Gutachters zu der Teilamputation letztlich keine Behandlungsalternative; es war unumgänglich, das infolge der ausgedehnten Entzündung nekrotisch veränderte Gewebe der in ihrer normalen Konsistenz nicht mehr vorhandenen Glans Penis vollständig zu entfernen.

B.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Die Beschwer des Klägers liegt über 60.000 DM.

Ende der Entscheidung

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