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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 08.01.2001
Aktenzeichen: 9 U 157/00
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
BGB § 985
BGB § 891
BGB § 139
BGB § 140
BGB § 892
BGB § 912
BGB § 997
BGB § 990 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 8. Januar 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht P, den Richter am Oberlandesgericht G und den Richter am Landgericht M

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 8. Juni 2000 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Den Klägerinnen steht ein Anspruch auf Herausgabe und Räumung der Parzelle 1066 sowie auf Nutzungsentschädigung für den beantragten Zeitraum gegen den Beklagten zu. Die Klägerinnen sind Miteigentümer der Parzelle, der Beklagte hat kein Recht zum Besitz (§§ 985ff., 1011 BGB).

Die Klägerinnen sind Eigentümer der Parzelle 1066. Der Beklagte ist weder als Miteigentümer zum Besitz berechtigt noch folgt ein Recht zum Besitz aus schuldrechtlichen Absprachen mit den Klägerinnen oder dem Gesichtspunkt des Überbaus. Das gilt selbst dann, wenn man die Eigentumsübertragungen der Vergangenheit nachvollzieht, wie sie der Beklagte unbestritten geschildert hat. Sein Miteigentum an einem Streifen der Parzelle 1066, der an seine Parzelle 911 grenzt, hat zwar Veränderungen "überlebt". Das Grundbuch stand insoweit mit der wahren Rechtslage über längere Zeit nicht in Einklang. Spätestens die Klägerinnen haben die Parzelle 1066 aber unbelastet von einem Miteigentumsanteil des Beklagten gutgläubig erworben (§§ 891, 892 BGB).

1. Der Anspruch der Klägerinnen auf Herausgabe und Räumung der Parzelle 1066 folgt aus § 985 BGB. Die Klägerinnen können sich auf die gesetzliche Vermutung des § 891 BGB berufen, wonach der im Grundbuch Eingetragene als gegenwärtiger Rechtsinhaber gilt. Die Eigentumsvermutung des Grundbuchs erstreckt sich auf die Bestandsangaben, so auch auf die katastermäßig erfaßte Bodenfläche (vgl. Palandt-Bassenge, 59. Auflage, § 891 Rdnr. 6; BayObLG 87, 410; Staudinger-Gursky, 13. Aufl. § 891 Rdnr. 19ff.). Danach ist festzustellen, dass die Klägerinnen Eigentümer der Parzellen 1066 (152 qm) und 1067 (767 qm) sind, die aus der Parzelle 976 (919 qm) entstanden sind, und damit auch der Fläche, auf die sich ihr Herausgabeverlangen bezieht. Der Beklagte ist hingegen lediglich Eigentümer der Parzelle 911 (729 qm).

Der Einwand der Berufung, das Landgericht gehe zu Unrecht vom Eigentum der Klägerinnen aus, überzeugt nicht. Das Grundbuch entspricht der wahren Rechtslage. Der Beklagte ist gehalten, die Vermutung durch den vollen Beweis des Gegenteils zu entkräften (vgl. BGH NJW 1980, S. 1047). Das ist ihm nicht gelungen, selbst wenn sich der Beklagte und sein ehemaliger Geschäftspartner Herr P auf einen von der Vermessung abweichenden Grenzverlauf verständigt und nicht bemerkt hatten, dass sie die Ursprungsparzelle in zwei "ungleiche Hälften" aufgeteilt hatten.

a) Allerdings hat der Beklagte sein Miteigentum an einem Teil der jetzigen Parzelle 1066 durch die Übertragungen der Jahre 1976 und 1979 noch nicht verloren: Hierbei handelt es sich um einen 95 qm großen Grundstücksstreifen, der an die Parzelle des Beklagten angrenzt und auf dem sich (teilweise) dessen Halle befindet. Der Beklagte und Herr P haben sich auf eine hälftige Teilung der Ursprungsparzelle 905 (1648 qm) verständigt, die an die Stelle ihrer Miteigentumsanteile an der Gesamtfläche treten sollte. Jeder sollte 824 qm Fläche bekommen. Die unbemerkte Abweichung des gedachten vom tatsächlichen Grenzverlauf ist als Falschbezeichnung unschädlich (falsa demonstratio). Die Aufteilung des Grundstücks in zwei "ungleiche Hälften" haben der Beklagte und Herr P seinerzeit nicht erkannt. Die Vorgeschichte erschließt, dass die Vertragsbeteiligten damals davon ausgegangen sind, dass der Beklagte seine Garage nur geringfügig zu weit auf die Parzelle des Herrn P gebaut hatte (33 qm). Das haben sie schriftlich in einer Bestätigung vom 27.12.1983 niedergelegt. Beide Seiten haben also die Vorstellung gehabt, dass die ansonsten für den Bau der Garage in Anspruch genommene Fläche im Alleineigentum des Beklagten stand. Diese Vorstellung weicht allerdings von der Grundbuchlage ab.

Herr P hat seinen 1/2 Miteigentumsanteil an der Parzelle 911 im Jahre 1976 an den Beklagten übertragen. Damit ist der Beklagte alleiniger Eigentümer der Fläche geworden, die mit der Parzelle 911 deckungsgleich ist (§§ 873, 925). Zugestanden hätten dem Beklagten bei einer hälftigen Aufteilung der Ursprungsparzelle aber 824 qm, also auch ein angrenzender Streifen von 95 qm. Die Auflassung ist mithin so auszulegen, dass zusätzlich die angrenzenden 95 qm der Nachbarparzelle - bis zur gedachten Grundstücksgrenze - übertragen werden sollten (§§ 133, 157, 873, 925 BGB). Da Auflassung und Eintragung jedoch nicht deckungsgleich sind, ist Alleineigentum des Beklagten an diesem Streifen nicht entstanden. Ist weniger eingetragen als gewollt, so sind für die Entstehung des Rechts im eingetragenen Umfang §§ 139, 140 BGB maßgeblich (vgl. Palandt/Bassenge, § 873 Rdnr. 13; Baur, Sachenrecht 17. Aufl., B III § 19 Rdnr. 30f.; RGZ 108, S. 146). Danach ist anzunehmen, dass die Beteiligen damals, wenn sie ihren Fehler erkannt hätten, jedenfalls wollten, dass der Beklagte zumindest Alleineigentümer der Parzelle 911 sein sollte.

Die restlichen 95 qm verblieben - unerkannt und abweichend vom im Grundbuch dokumentierten Grenzverlauf - im Miteigentum beider. Daran hat auch die Übertragung des Miteigentumsanteils im Jahre 1979 nichts geändert. Im Jahre 1979 hat der Beklagte seinen 1/2 Anteil an der Parzelle 976 in einer Größe von 919 qm auf Herrn P übertragen, so das Grundbuch. Damit hat der Beklagte seinen Miteigentumsanteil an den in Rede stehenden 95 qm, die in den 919 qm enthalten sind, ebenfalls nicht verloren, da Auflassung und Eintragung nur teilweise miteinander korrespondieren. Da der Beklagte nur 824 qm auf Herrn P übertragen wollte, bezog sich die Auflassung nach dem übereinstimmenden Willen der Beteiligten nicht wirklich auf die gesamte Grundfläche der Parzelle 976 mit 919 qm, sondern auf eine Teilfläche mit 95 qm weniger. Das Recht ist damit nur soweit entstanden, wie es gewollt ist. Ist mehr eingetragen als gewollt, so ist das Recht nur im Umfang der Einigung entstanden (vgl. Palandt-Bassenge, § 873 Rdnr. 13).

b) Der Beklagte hat seinen Miteigentumsanteil an 95 qm der Parzelle 1066 jedoch durch einen gutgläubigen und lastenfreien Erwerb der Klägerinnen verloren.

aa) Es kann dahinstehen, ob der Rechtsvorgänger der Klägerinnen, Herr B, schon 1983 die in Rede stehende Teilfläche der erworbenen Parzelle gutgläubig erworben hat (§§ 891, 892 BGB). Einiges spricht dafür, dass das nicht der Fall ist. Herr B hatte dieselben Vorstellungen vom Grenzverlauf wie Herr P und der Beklagte, nämlich dass der Gründstücksverlauf anders war als die Vermessungsgrenzen. Herr B hat sein Einverständnis zu einer Neuvermessungserklärung im Zuge des Erwerbs der Parzelle erklärt. Es ist auch einige Jahre später zu einer entsprechenden Neuvermessung gekommen. Das alles macht keinen Sinn, wenn Herr B nicht dieselben Vorstellungen vom wahren Grenzverlauf hatte wie der Beklagte und Herr P. Da die Bereinigung der Angelegenheit im Sande verlaufen ist, sind Rechte des Beklagten aber nicht entstanden.

bb) Jedenfalls haben die Klägerinnen (und der zwischenzeitlich verstorbene weitere Kläger) die Teilfläche gutgläubig mit der Folge des Erlöschens des Miteigentums des Beklagten erworben. Die Kläger konnten im guten Glauben auf das Grundbuch erwerben. Der Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass die Klägerinnen die Unrichtigkeit des Grundbuchs positiv kannten (§ 892 BGB). Der Kenntnis können grob fahrlässige Unkenntnis und Zweifel an der Eigentumslage nicht gleichgestellt werden, weil den Eintragungen des Grundbuchs eine besondere Verläßlichtkeitsgewähr zukommt. Bei zweifelhafter Rechtslage ergibt sich die Kenntnis der Unrichtigkeit nicht schon aus der Kenntnis der sie begründenden Tatsachen (Palandt-Bassenge, § 892 Rdnr. 24; vgl. Soergel-Stürner, 12. Aufl. § 892 Rdnr. 30). Allenfalls ist das anders, wenn rechtliche Zweifel aufkommen, die auch dem juristischen Laien klar zeigen, dass der Erwerbsvorgang nicht wirksam sein kann, so in offensichtlichen Fällen der Geschäftsunfähigkeit. Davon kann bei den in Rede stehenden Änderungen der Eigentumsverhältnisse nicht die Rede sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass erst aus dem Gesichtspunkt der falsa demonstratio die Eigentumsverhältnisse "am Grundbuch vorbei" rekonstruiert werden können. Auch wenn die Parteien wußten, dass der Beklagte aus der Vergangenheit "bessere Rechte" als die Klägerinnen hatte und es sich "eigentlich" um sein Grundstück handelte, heißt das nicht, dass die Parteien von einer Unrichtigkeit des Grundbuchs ausgingen.

Aus der Unterzeichnung der Bestätigung des Jahres 1983 seitens der Klägerin zu 2) kann ebenfalls nichts hergeleitet werden, da diese schon 15 Jahre alt und durch spätere Entwicklungen überholt war. Dass die Klägerin zu 1) jahrelang auf dem später erworbenen Grundstück gewohnt hat, besagt ebenfalls nichts. Auch das Telefonat des Beklagten mit dem verstorbenen Kläger, in welchem der Beklagte diesen über das damals wirklich Gewollte ins Bild gesetzt hat, begründet keine positive Kenntnis. Dagegen spricht schon, dass der verstorbene Kläger von den parzellierten Grundstücksgrenzen eine klare Vorstellung hatte und das Grundstück nur in diesen Grenzen erwerben wollte, also davon ausging, dass der Verkäufer B auch Eigentümer der Gesamtfläche war. Allenfalls konnte der Beklagte in dem Telefonat Zweifel säen, eine Gewißheit über die rechtliche Tragweite kann damit unmöglich verbunden gewesen sein. Auch liegen keine Umstände vor, die es den Klägerinnen verböten, sich auf § 892 BGB zu berufen (vgl. Soergel-Stürner, § 892 Rdnr. 31). Solche besonderen Umstände können in einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung liegen, für die keine Anhaltspunkte vorliegen. Auch kann angesichts der verwickelten Eigentumsverhältnisse nicht davon gesprochen werden, dass die Klägerinnen ihr Eigentum unredlich erworben hätten.

2. Das Landgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Beklagten ein Recht zum Besitz aus Überbau im Sinne von § 912 BGB nicht zusteht. Der Beklagte hat nicht von seiner Parzelle aus auf das fremde Grundstück gebaut, sondern umgekehrt. Dass der Beklagte den auf fremdem Boden stehenden Bau nachträglich erweitert und auf sein Grundstück erstreckt hat, ist als "umgekehrter Überbau" nicht mit der von § 912 BGB verbundenen Situation zu vergleichen.

3. Auch können die Klägerinnen verlangen, dass der Beklagte die Halle abreißt. Bei der Errichtung eines Gebäudes auf einem unbebauten Grundstück liegt keine Verwendung vor, die die Klägerinnen zu übernehmen hätten (vgl. BGHZ 41, S. 157; anders Palandt/Bassenge, § 994 Rdnr. 4). Die Klägerinnen müssen das von ihnen nicht gewollte Gebäude nicht übernehmen. Sie müssen sich als gutgläubige Erwerber die Halle nicht aufdrängen lassen. Der Beklagte kann als nicht berechtigter Besitzer auf sein Wegnahmerecht nach § 997 BGB verwiesen werden.

4. Den Klägerinnen steht das eingeklagte Nutzungsentgelt nebst Zinsen aus den vom Landgericht genannten Gründen in zugesprochener Höhe aus § 990 Abs. 2 BGB zu.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Streitwert und die Beschwer des Beklagten betragen 25.850,00 DM.

Ende der Entscheidung

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