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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 27.03.2006
Aktenzeichen: I-1 U 205/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 280 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Düsseldorf

Aktenzeichen: I-1 U 205/05

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 21. Oktober 2005 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 1. vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall vom 15.05.2002 auf der Autobahn A 57, Ortslage Kamp-Lintfort auf Schadensersatz, insbesondere Schmerzensgeld, in Anspruch.

Der Kläger lenkte einen Klein-Lkw Mitsubishi seines Arbeitgebers, der Firma W.B. GmbH, Sonsbeck. Bei einer Geschwindigkeit von etwa 120 km/h gab es plötzlich einen lauten Knall, das Fahrzeug geriet außer Kontrolle, fuhr zunächst auf den zweiten Fahrstreifen, kam ins Schleudern, fuhr rechts gegen die Leitplanken und kippte dann die Böschung herunter, wo es gegen einen Baum prallte und auf dem Dach liegen blieb. Der Kläger wurde aus dem Fahrzeug geschleudert. Er erlitt schwerste Verletzungen, derentwegen er die ersten Tage nach dem Unfall in akuter Lebensgefahr schwebte und die letztlich zu Dauerschäden geführt haben. Wegen der Einzelheiten der Verletzungen sowie deren Folgen wird auf die Klageschrift vom 22.06.2004 (Bl. 3-5 d.A.) Bezug genommen.

Der Klein-Lkw Mitsubishi hatte sich erst am 10.05.2002 zur Inspektion in der Werkstatt der Beklagten zu 1) befunden. Die Inspektion war von dem Beklagten zu 2), einem Mitarbeiter der Beklagten zu 1), durchgeführt worden.

Der Kläger hat behauptet, dass Ursache des Unfalls das völlig unerwartete Platzen des linken hinteren Reifens am Fahrzeug bei voller Fahrt gewesen sei. Der Hinterreifen sei ohne jegliche Fremdeinwirkung geplatzt. Die Bereifung am Fahrzeug sei bereits sieben Jahre alt gewesen und habe teilweise poröse Stellen aufgewiesen. In dem Reifengummi seien feine Risse enthalten und keine glatte Oberfläche mehr gegeben gewesen. Ursache für den Reifenplatzer sei deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der poröse und damit nicht mehr verkehrssichere Reifen gewesen. Am geplatzten Reifen hinten links am Fahrzeug habe sich die Lauffläche mit größeren Teilen der Stahlgürtellagen abgelöst. Hierdurch sei die ungeschützte Karkasse quer zur Umfangsrichtung an mehreren Stellen aufgeplatzt. Dabei sei ein schlagartiger Luftverlust eingetreten, der als Unfallursache angesehen werden müsse. Bei Reifen, die älter als sechs Jahre seien, sei das Ausfallrisiko durch Protektorenablösungen mehr als verzehnfacht.

Bereits bei der Inspektion des Fahrzeugs seien die Reifen teilweise erkennbar porös gewesen und hätten damit eine große Unfallgefahr dargestellt. Im Rahmen der Inspektion hätte der Zustand der Reifen untersucht werden müssen. Einer Fachwerkstatt hätte sich das Alter der Reifen und die Rissigkeit des Materials direkt aufdrängen müssen. Der Beklagte zu 2) hafte, weil er als verantwortlicher Mitarbeiter der Beklagten zu 1) den schadhaften Reifen während der von ihm durchgeführten Inspektion offensichtlich übersehen habe. Daneben hafte die Beklagte zu 1), weil sie die erforderliche Ausgangskontrolle nach der Inspektion nicht ordnungsgemäß vorgenommen und deshalb den schadhaften und porösen Reifen ebenfalls übersehen habe. Hierdurch sei ein entsprechender Hinweis an den Fahrzeughalter unterblieben. Den Beklagten sei somit eine Verletzung der ihnen obliegenden Hinweis- und Aufklärungspflicht vorzuwerfen, die sie - bei einer Mithaftung des Klägers zu 25 % - zur Zahlung von Schadensersatz und eines angemessenen Schmerzensgeldes von 30.000 € verpflichte.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein ange- messenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins seit dem 22.01.2003,

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus Anlass des Unfalls vom 15.05.2002 mit einer Quote von 75 % zu ersetzen, soweit die Schadensersatzansprüche nicht auf Sozialversicher- ungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben eingewendet, dass selbst wenn der linke hintere Reifen am Fahrzeug geplatzt sei, dies auf vielerlei Ursachen zurückgeführt werden könne, üblicherweise auf äußere mechanische Einwirkungen. Ein Unterlassen ihrerseits habe jedenfalls nicht zu dem Verkehrsunfall vom 15.05.2002 geführt. Es werde bestritten, dass der Reifen teilweise poröse Stellen aufgewiesen habe, die äußerlich ohne weiteres hätten auffallen müssen. Ferner werde bestritten, dass der Reifen nicht verkehrssicher gewesen sei und dies bei der Inspektion am 10.05.2002 hätte erkannt werden können. Der Beklagte zu 2) sei seit vielen Jahren bei der Beklagten zu 1) beschäftigt und gelte als ausgesprochen zuverlässig. Er sei in der Lage, Inspektionen selbständig durchzuführen.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von Zeugen. Es hat sodann die Klage als unbegründet abgewiesen, weil es eine Verantwortlichkeit der Beklagten für den Verkehrsunfall vom 15.05.2002 nicht festzustellen vermochte. Es könne bereits nicht festgestellt werden, dass der streitgegenständliche Unfall tatsächlich auf ein plötzliches Platzen des linken hinteren Reifens des Klein-Lkws Mitsubishi zurückzuführen gewesen sei und dieses Platzen durch das Alter und Porosität des Reifens verursacht worden sei. Das Platzen des Reifens könne generell mannigfaltige Ursachen haben. Zwar bestünden keine konkreten Anhaltspunkte für eine irgendwie geartete mechanische Fremdeinwirkung oder einen äußeren Anlass für das Platzen des Reifens. Gleichwohl könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine äußere Einwirkung zu dem Platzen des Reifens geführt habe. Jedenfalls könne aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Bereifung an dem Klein-Lkw, insbesondere der hintere linke Reifen derartig poröse Stellen aufgewiesen habe, dass diese die Verkehrssicherheit beeinträchtigten und dies den Beklagten hätte auffallen müssen. Inwieweit die Bereifung poröse Stellen aufgewiesen habe, sei auch im Rahmen der Beweisaufnahme nicht eindeutig geklärt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landgerichts verwiesen, welches der Kläger soweit es um die Abweisung seiner Ansprüche gegenüber der Beklagten zu 1) geht, mit seiner zulässigen Berufung anficht. Er rügt insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts, aber auch das Übergehen von Beweisantritten. Der Kläger macht geltend, dass allein das Alter des Reifens (7 Jahre) und die Nutzung des Fahrzeuges im Baustellenverkehr mit hoher Beanspruchung zu einer Beseitigung der Verkehrssicherheit geführt habe. Die statistische Wahrscheinlichkeit einer Protektorablösung verzehnfache sich bei Reifen, die älter als 6 Jahre alt seien. Der Zustand der Reifen habe in der Werkstatt der Beklagten im Rahmen der "Großen Inspektion" bei 90.000 km am 10. Mai 2002 untersucht werden müssen, da die von der Firma B. in Auftrag gegebenen Wartungsarbeiten so hätten ausgeführt werden müssen, dass das Fahrzeug für die nächste Zeit (möglichst bis zur nächsten Inspektion) gebrauchsfähig und fahrbereit war. Der entsprechende ausdrückliche Auftrag zur Untersuchung des Reifenzustandes sei nicht erforderlich, da dies vom Inspektionsauftrag umfasst sei. Bei der gebotenen Untersuchung hätte sodann der schlechte Reifenzustand und insbesondere das Alter des Reifens festgestellt werden müssen, da dieses anhand der sogenannten Dot-Nummer für eine Fachwerkstatt sofort erkennbar gewesen sei. Der Kläger als fahrzeugtechnischer Laie habe hingegen weder das verschlüsselt eingestanzte Alter des Reifens noch die Porosität des Materials erkennen können. Im Rahmen seiner vor Antritt der Fahrt für den jeweiligen Fahrer vorgeschriebenen Überprüfung des Fahrzeuges sei es lediglich möglich gewesen, das Profil und den Luftdruck der Reifen zu untersuchen. In dieser Hinsicht seien die Reifen jedoch mängelfrei gewesen.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 22.01.2003 zu zahlen, 2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 15.05.2002 mit einer Quote von 75 % zu erstatten, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf den in dem Berufungsverfahren gewechselten schriftsätzlichen Sachvortrag der Parteien verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

1.

Das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Die in der Berufungsinstanz vorgetragenen Einwendungen des Klägers rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Im Einzelnen ist hierzu noch folgendes auszuführen:

Der grundsätzlich auf §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 831 BGB zu stützende Anspruch des Klägers setzt jedenfalls voraus, dass die Beklagte zu 1. für das als Unfallursache angeführte Platzen des Reifens verantwortlich zu machen ist. Umstände, welche diese Verantwortlichkeit begründen könnten, hat der Kläger jedoch nicht bewiesen. Insbesondere war die Beklagte zu 1. - über ihren Mitarbeiter, den Beklagten zu 2. - allenfalls dann verpflichtet, die Firma W. B. GmbH auf eine Überalterung der Reifen und deren teilweise Porosität hinzuweisen, wenn den Beklagten entweder diese Mängel positiv bekannt waren oder sie diese im Rahmen des übernommenen Inspektionsauftrages hätten erkennen müssen.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagten das Alter der Reifen kannten bzw. um zur Betriebsunsicherheit führende Mängel der Reifen wussten, bestehen jedoch nicht und sind von dem Kläger auch nicht vorgetragen worden.

In welchem Umfang die Beklagten verpflichtet waren, die Reifen des Fahrzeuges zu überprüfen und hierbei gegebenenfalls Mängel zu erkennen, hängt in erster Linie von dem zugrundeliegenden Auftrag ab. Im Übrigen hatten sich die Beklagten jedenfalls an den eigenen Inspektionsplan zu halten; ergaben sich hierbei Auffälligkeiten war unter Umständen eine darüber hinausgehende Prüfung geboten.

Dass die Beklagten mit einer umfassenden Überprüfung des Reifens, insbesondere auch des Alters der Reifen besonders beauftragt worden sind, hat der Kläger nicht geltend gemacht. Ein schriftlicher Auftrag, der den Inspektionsumfang beschreibt, liegt nicht vor.

Auch aus der Abrechnung vom 13.05.2002 (Bl. 21) geht dies nicht hervor. Danach wurde eine "90.000-km-Inspektion mit Zahnriemenwechsel" durchgeführt und die Wasserpumpe erneuert.

Insofern ist der Pflichtenkreis der Beklagten schriftlich lediglich aus den übergebenen Inspektionsplänen ersichtlich (Bl. 163 ff GA). Danach waren die Reifen (lediglich) auf Profiltiefe, Laufbild und Fülldruck zu überprüfen und damit nicht - zumindest nicht ohne weiteres - auch das Alter der Reifen.

Dass sich hierbei Auffälligkeiten ergeben haben, die zu einer weitergehenden Überprüfung der Reifen Veranlassung geben mussten, hat der Kläger nicht bewiesen. Insbesondere lässt sich nicht feststellen, dass bei der Sichtprüfung in dem im Inspektionsplan beschriebenen Umfang die von dem Zeugen G. beschriebene Porosität auffallen musste, die gegebenenfalls auch Veranlassung dazu geben konnte, das Alter der Reifen zu überprüfen. Der Senat hatte - wie schon das Landgericht - keine Möglichkeit mehr den Zustand der Reifen selbst und durch Sachverständige überprüfen zu lassen, weil die Reifen nicht mehr vorhanden waren.

Das Landgericht hat insoweit die Aussage des Zeugen G. beanstandungsfrei als nicht hinreichend ergiebig betrachtet, insbesondere zu Recht eine Dokumentation vermisst, in welchem Umfang und an welchem Ort die porösen Stellen vorgelegen haben. Denn da sich der von der Beklagten zu 1. geschuldete Prüfungsumfang maßgeblich auf Profiltiefe, Laufbild und Fülldruck bezog, hatte ihr Monteur in der Werkstatt keinen besonderen Grund und insofern auch nicht ohne weiteres die Pflicht, das Alter der gegebenenfalls mit ausreichender Profiltiefe, unauffälligem Laufbild und gutem Fülldruck ausgestatteten Reifen zu überprüfen. Auch sonstige Umstände, welche die Beklagte zu 1. zu einer weitergehenden Untersuchung der Reifen veranlassen musste, etwa eine Kenntnis von einer besonderen Beanspruchung oder Belastung der Reifen, sind von dem Kläger nicht vorgetragen worden.

Da insofern eine (objektive) Pflichtverletzung der Beklagten nicht festzustellen ist, kann dahin stehen, ob die Reifen wegen ihres Alters tatsächlich (erkennbar) betriebsunsicher waren, wovon allerdings zumindest nach dem vorgelegten DEKRA-Gutachten (Bl. 19 GA) auszugehen ist (vgl. zu dieser Thematik auch BGH, NJW 2004, 1032; OLG Düsseldorf, NZV 1997, 190; OLG Nürnberg, NJW-RR 2002, 1248; Landgericht Frankfurt/M., NZV 1992, 194). Auch die - von dem Landgericht verneinte - weitere Frage, ob das Platzen des Reifens Ursache des Unfalls war, braucht daher nicht entschieden werden. Anzumerken ist insoweit nur, dass nach einer Entscheidung des 22. Zivilsenates des OLG Düsseldorf (NZV 1997, 271) der Anscheinsbeweis dafür spricht, dass es wegen des geplatzten Reifens zum Unfall kam, wenn ein Kfz auf freier Autobahnstrecke bei 120 km/h ins Schleudern gerät, ohne dass dafür außer dem Platzen des Reifens ein Grund erkennbar ist. Selbst bei Zugrundelegung dieser Grundsätze bliebe allerdings noch zu klären, ob Ursache für das Platzen des Reifens dessen altersbedingter Zustand war und ob auch insoweit auf Anscheinsbeweisgrundsätze zurück gegriffen werden kann.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Der Streitwert für den Berufungsrechtzug wird auf 32.500 € festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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