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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 05.11.2007
Aktenzeichen: I-1 U 64/07
Rechtsgebiete: BGB, GVG


Vorschriften:

BGB § 249
BGB § 249 Abs. 2
BGB § 254 Abs. 2
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Velbert vom 12. Februar 2007 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 204,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 15. Februar 2006 sowie weitere 26,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 15. Februar 2006 (außergerichtliche Anwaltskosten) zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger, ein polnischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Polen, nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Pkw Opel mit dem amtlichen Kennzeichen ME - auf Schadensersatz in Anspruch. Die Haftung steht dem Grunde nach außer Streit. Strittig ist allein die Bemessung des Fahrzeugschadens.

Dem Rechtsstreit zugrunde liegt ein Unfall, der sich am 31. Dezember 2005 in Velbert/Rheinland auf dem Parkplatz eines Supermarktes ereignet hat. Dort hatte Herr W. S., ein Verwandter des Klägers, dessen Pkw, ein älterer Mitsubishi Lancer mit polnischem Kennzeichen, abgestellt. Der Kläger, der zu keinem Zeitpunkt in Deutschland gelebt hat, hatte das Fahrzeug seinem in Velbert wohnenden Verwandten leihweise überlassen. Von November 2005 bis März 2006 befand es sich bei Herrn S..

Nach dem Unfall, bei dem der Wagen des Klägers im Frontbereich beschädigt worden war, beauftragte Herr S. den Sachverständigen U. mit der Erstattung eines Schadensgutachtens. Der Sachverständige schätzte die Reparaturkosten auf 626,44 € brutto. Seine Kalkulation beruht auf den durchschnittlichen ortsüblichen Kosten einer Fachwerkstatt.

Der Kläger bzw. Herr S. ließ das Fahrzeug nicht in einer Werkstatt reparieren. Es wurde in Velbert provisorisch von Herrn S. mit Hilfe eines Bekannten instand gesetzt.

Der Kläger hat den Fahrzeugschaden auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen U. geltend gemacht. Bezugnehmend auf die "herrschende Rechtsprechung" hat die Beklagte die im Schadensgutachten zugrundegelegten Stundensätze von 82,50 € bzw. 84,50 € auf einen Betrag von 35,00 € gekürzt. Der Differenzbetrag von 204,50 € ist Gegenstand des Rechtsstreits.

Der Kläger hat sich gegen die Kürzung bei den Stundenverrechnungssätzen mit folgenden Argumenten zur Wehr gesetzt:

Abzurechnen sei der Schadensfall nach Grund und Höhe nach deutschem Recht. Somit sei auch bei den Reparaturkosten auf die deutschen Verhältnisse abzustellen. Der Wohnsitz des Klägers könne hier keine Rolle spielen.

Demgegenüber hat die Beklagte den bereits vorgerichtlich eingenommenen Standpunkt aufrecht erhalten, dass der Kläger sich auf die deutlich günstigeren Stundensätze in seinem Heimatland verweisen lassen müsse.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen folgendes ausgeführt:

Der Unfallschaden des Klägers sei durch die vorgerichtliche Zahlung der Beklagten in vollem Umfang ausgeglichen. Im Ausgangspunkt sei die Ansicht des Klägers zwar richtig, dass er Ersatz desjenigen Reparaturbetrages verlangen könne, der zur Beseitigung des Schadens in einer örtlichen Fachwerkstatt erforderlich sei. Dieser Betrag stehe selbstverständlich auch einem in Deutschland geschädigten Ausländer zu, sofern die Verkehrssicherheit seines Fahrzeugs nicht mehr gewährleistet sei und er diese zunächst herstellen müsse, um mit dem Fahrzeug in seine Heimat zurück zu gelangen. Eine solche Fallgestaltung sei hier jedoch nicht gegeben. Ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Situation des Klägers hätte das nach dem Unfall noch fahrbereite Fahrzeug in Polen zu den dortigen Bedingungen instandsetzen lassen. Das sei auch ein Gebot des § 254 Abs. 2 BGB.

Mit seiner vom Amtsgericht zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter, indem er zur Maßgeblichkeit der deutschen Lohnkosten ergänzend und vertiefend vorträgt. Die Beklagte hält an ihrem abweichenden Standpunkt fest, den sie mit ihrer Berufungserwiderung vom 18. Juni 2007 weiter begründet.

II.

Die Berufung, über die der Senat gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG zu entscheiden hat, ist zulässig und auch in der Sache erfolgreich.

Nachdem die Aktivlegitimation des Klägers nicht länger im Streit ist und auch die Position "außergerichtliche Rechtsanwaltskosten" dem Streit der Parteien entzogen ist, hat der Senat allein noch über die Frage zu entscheiden, ob dem Kläger der vom Amtsgericht verneinte Anspruch auf Ersatz weiterer Reparaturkosten zusteht. Das ist zu bejahen. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Da der Unfall sich in Deutschland ereignet hat, gilt nach dem Tatortgrundsatz (Art. 40 Abs. 1 EGBGB) für Grund und Höhe des Schadensersatzanspruches deutsches Recht. Allerdings kann das deutsche Recht des Unfallorts durch eine andere Anknüpfung verdrängt werden, wenn eine wesentlich engere Verbindung zum Recht eines anderen Staates besteht (vgl. Art. 41 EGBGB). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Eine engere Beziehung zum polnischen Recht wird nicht schon dadurch hergestellt, dass der Kläger sein mit einem polnischen Kennzeichen versehenes Fahrzeug einem polnischen Verwandten leihweise zur Verfügung gestellt hat.

2. Auf den Streitfall deutsches Schadensrecht anzuwenden, bedeutet nicht zwingend, dass der Kläger als polnischer Staatsbürger einem deutschen Geschädigten in jeder Hinsicht gleichzustellen ist. Ob und inwieweit beim Ersatz des Fahrzeugschadens nach § 249 BGB Differenzierungen vorzunehmen sind, ist eine Frage des Einzelfalles.

a) Von Bedeutung ist im vorliegenden Fall zunächst, dass der Kläger die Reparaturkosten nicht konkret (auf Rechnungsbasis), sondern fiktiv auf der Grundlage eines Schadensgutachtens geltend macht. Wäre das Fahrzeug unfallbedingt nicht mehr fahrbereit gewesen und in einer örtlichen Werkstatt repariert worden, hätte die Beklagte, wie sie nicht in Zweifel zieht, die tatsächlich angefallenen Instandsetzungskosten zu ersetzen. Das sieht der Senat nicht anders als das Amtsgericht. Nicht gefolgt werden kann ihm jedoch in der Ansicht, der Kläger müsse sich so behandeln lassen, als habe er eine polnische Werkstatt mit der Reparatur beauftragt. Dabei hat sich der erstinstanzliche Richter von der Überlegung leiten lassen, dass das Fahrzeug nach dem Unfall noch fahrbereit und verkehrssicher war. Fortbestehende Verkehrssicherheit wird im Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig hingestellt. Das entspricht nicht dem Akteninhalt. Denn der linke Scheinwerfer und die Blinkleuchte links waren derart beschädigt, dass sie ausgetauscht werden mussten. Schon allein aufgrund dieser Beschädigungen war der PKW nicht mehr verkehrssicher. Offen bleiben kann, ob die Verkehrssicherheit auch wegen der weiteren Beschädigungen im Bereich des Vorderwagens nicht mehr gegeben war. In dem Schadensgutachten des Sachverständigen U. befindet sich unter der Überschrift "Verkehrssicherheit" die folgende Eintragung: "Das Fahrzeug befindet sich in einem fahrfähigen und einem nach Notreparatur verkehrssicheren Zustand". Auch das spricht dafür, dass der Wagen vor der "Notreperatur" nicht verkehrssicher war.

Wie im zweiten Rechtszug unstreitig geworden ist, ist das Fahrzeug in Deutschland in Eigenregie notdürftig instand gesetzt worden. Sodann hat es dem Verwandten des Klägers, Herrn S., bis März 2006 zur Verfügung gestanden. Auch diesen Umstand, nämlich, dass das Fahrzeug des Klägers nicht von ihm, sondern von einem in Deutschland lebenden Verwandten längere Zeit in Deutschland benutzt wurde, hat das Amtsgericht nicht hinreichend berücksichtigt. Das Fahrzeug des Klägers mag zwar zur Unfallzeit seinen gewöhnlichen Standort im Sinne von Art. 1 Nr. 1 der 5. KH-Richtlinie nicht in Deutschland gehabt haben. Hiernach gilt als gewöhnlicher Standort das Gebiet des Staates, dessen amtliches Kennzeichen das Fahrzeug trägt. Unstreitig trug der Pkw des Klägers ein polnisches Kennzeichen. Schadensrechtlich ist es gleichwohl von wesentlicher Bedeutung, dass der Wagen nicht nur kurzfristig, beispielsweise auf der Durchreise durch Deutschland, in Deutschland gefahren wurde, sondern von November 2005 bis März 2006 einer in Deutschland lebenden Person zur alleinigen Nutzung zur Verfügung gestanden hat. Herr S. war während dieser Zeit nicht nur verantwortlicher Fahrer und Nutzer des Fahrzeugs, er hat sich auch um die Regulierung des Schadens gekümmert und den Wagen durch eine Notreparatur wieder fahrfähig und verkehrssicher gemacht.

b) Unter diesen besonderen Umständen des Streitfalls kann der Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten nicht auf die Stundensätze einer polnischen Werkstatt verwiesen werden. Er ist einem deutschen Geschädigten gleichzustellen. Dieser darf der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, wenn er Reparaturkosten auf Gutachtenbasis, also fiktiv, abrechnet (BGH NJW 2003, 2086). Mit dieser grenzüberschreitenden Gleichbehandlung verstößt der Senat weder gegen das - bei der fiktiven Abrechnung besonders zu beachtende - Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 BGB noch gegen die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze zur Schadensminderungspflicht in Reparaturfällen.

Auch der Gedanke der subjektiven Schadensbetrachtung, auf den die Beklagte sich besonders in ihrer Berufungserwiderung beruft, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Richtig ist zwar, dass bei der Prüfung, ob sich der Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen hält, eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen ist, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten zu nehmen ist (BGH a.a.O.). So muss sich ein Geschädigter, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, auf diese verweisen lassen.

Dass in Polen zu deutlich günstigeren Preisen repariert werden kann, ist unbestreitbar. Was das vom BGH für Inlandsfälle ohne Auslandsberührung aufgestellte Kriterium der fachlichen Gleichwertigkeit angeht, so kann dahingestellt bleiben, ob bei einer Fallgestaltung der vorliegenden Art schon vom Ansatz her eine andere Beurteilung als im "Normalfall" geboten ist. Zugunsten der Beklagten unterstellt der Senat, dass die am Fahrzeug des Klägers vorhandenen Beschädigungen in einer polnischen Werkstatt in gleichwertiger Weise fachgerecht hätten beseitigt werden können. Es handelt sich um leichtere Beschädigungen, jedenfalls nicht um sog. Strukturschäden. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Wagen des Klägers bereits rund 11 Jahre alt und mehr als 200.000 km gelaufen war.

c) Die deutlich billigere und fachlich gleichwertige Alternativwerkstatt muss außerdem für den Geschädigten mühelos ohne weiteres zugänglich sein, um ihn darauf verweisen zu können. Auch wenn das Amtsgericht diesen Gesichtspunkt nicht ausdrücklich geprüft hat, versteht der Senat das angefochtene Urteil dahin, dass von einer mühelosen Zugänglichkeit ausgegangen wird. Das Amtsgericht weist nämlich darauf hin, dass es in Polen Fachwerkstätten für Fahrzeuge des Herstellers Mitsubishi gäbe und dass das Unfallfahrzeug, ein Mitsubishi Lancer, ohne weiteres in eine solche Werkstatt hätte gebracht werden können.

Diese Erwägungen mögen berechtigt sein, wenn ein polnischer Staatsbürger auf der Heimreise nach Polen oder unmittelbar vor der geplanten Rückkehr in sein Heimatland in Deutschland einen Unfall erleidet und sein Fahrzeug dabei nur so gering beschädigt wird, dass es fahr- und verkehrssicher bleibt. Wer als Ausländer sein Fahrzeug nach einem Unfall in Deutschland unrepariert in sein Heimatland zurückbringt, sei es auf eigener, sei es auf fremder Achse, kann sich unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gefallen lassen müssen, dass bei einer Abrechnung der fiktiven Reparaturkosten auf die günstigeren Preise seines Heimatlandes abgestellt wird (vgl. LG Köln VersR 2005, 1577 - Rumänien). Das muss der Senat nicht entscheiden. Im Streitfall liegen die Dinge anders.

Er ist auch anders gelagert als derjenige Sachverhalt, der der Entscheidung des Amtsgerichts Berlin Mitte zu dem Aktenzeichen 104 C 3009/03 zugrunde liegt. Geschädigter war seinerzeit ein litauischer Staatsbürger. Ob und ggfs. in welchem zeitlichen Umfang und in welcher Häufigkeit er sich in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, hatte in Ermangelung eines entsprechenden Tatsachenvortrags nicht geklärt werden können. Sollte es sich nur um kurzzeitige, besuchsweise Aufenthalte gehandelt haben, so würde das nach Meinung des AG Berlin Mitte an dem Grundsatz nichts ändern, dass ein Ausländer nach einem Unfall in Deutschland sein noch fahrfähig und verkehrssicheres Fahrzeug in seinem Heimatland reparieren lässt. Auf diese Entscheidung kann die Beklagte sich schon aus tatsächlichen Gründen nicht mit Erfolg stützen. Ob ihr in der Sache zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben.

Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles kann eine mühelose Zugänglichkeit einer polnischen Werkstatt nicht angenommen werden. Der Wagen des Klägers konnte und durfte in Deutschland (Velbert) bleiben; einmal aufgrund der Absprache mit Herrn S., zum anderen wegen dessen Eigenreparatur, von der auch die Beklagte profitiert hat (Nutzungsausfall). Schließlich hätten eine Fahrt nach Polen zur Reparatur und die anschließende Rückfahrt nach Velbert Fahrtkosten verursacht, die den Vorteil der polnischen "Billigreparatur" weitgehend aufgezehrt hätten.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Erörterung in der mündlichen Verhandlung hat der Senat erwogen, die Revision zuzulassen. Er sieht dafür aber keinen hinreichenden Grund im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO. Wegen der Besonderheiten im Tatsächlichen hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Zulassungsgründe in § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 204,50 € (die außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 26,39 € bleiben außer Ansatz).

Beschwer für die Beklagte: 204,50 €

Ende der Entscheidung

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