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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 12.12.2005
Aktenzeichen: I-1 U 92/05
Rechtsgebiete: StVG, BGB, PflVG, ZPO, StVO
Vorschriften:
StVG § 7 a.F. | |
StVG § 7 Abs. 2 a.F. | |
StVG § 17 a.F. | |
StVG § 17 Abs. 1 a.F. | |
StVG § 18 a.F. | |
StVG § 18 Abs. 3 a.F. | |
BGB § 286 | |
BGB § 288 | |
BGB § 823 | |
PflVG § 3 Nr. 1 | |
PflVG § 3 Nr. 2 | |
ZPO § 286 | |
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1 | |
StVO § 1 Abs. 2 | |
StVO § 8 Abs. 2 | |
StVO § 8 Abs. 2 Satz 2 | |
StVO § 17 Abs. 1 |
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 13. April 2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg unter Zurückweisung der Berufung im übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst :
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.815,74 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.07.2002 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 25% und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 75%. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 36 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 64 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet.
Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagten auf Ersatz von 75 % des ihm aus dem verfahrensgegenständlichen Unfall entstandenen Schadens aus §§ 7, 17, 18 a.F. StVG, 823 BGB, 3 Nr. 1, 2 PflVG zu. Denn während dem Kläger der Vorwurf einer schuldhaften Vorfahrtsverletzung nicht gemacht werden kann, hat der Beklagte zu 1.) den Unfall dadurch verursacht, dass er mit seinem unbeleuchteten Motorroller im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit gefahren ist.
I.
Bei dem Verkehrsunfall handelt es sich weder für den Kläger noch für den Beklagten zu 1.) um ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 a.F. StVG. Steht somit die Haftung beider Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz gemäß §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 3 a.F. StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der hiernach gebotenen Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge sind zu Lasten der Beteiligten nur solche Umstände zu berücksichtigen, die unstreitig oder bewiesen sind. Zudem müssen diese Umstände erwiesenermaßen für den Schaden ursächlich geworden sein. Diese Abwägung führt im vorliegenden Fall zu einer Haftungsquotelung von 1/4 zu 3/4 zum Nachteil der Beklagten.
1.)
a.)
Hinsichtlich der von dem Motorroller Marke Vespa ausgehenden Betriebsgefahr ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1.) nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts zum Zeitpunkt der Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers über eine Blutalkoholkonzentration von 1,32 Promille verfügte. Für die Annahme, dass sich seine hieraus ergebende absolute Fahruntüchtigkeit in dem Unfallgeschehen niedergeschlagen hat, spricht insoweit der Beweis des ersten Anscheins, als davon auszugehen ist, dass die Verkehrssituation durch einen nüchternen Fahrer hätte gemeistert werden können (zum Anscheinsbeweis insoweit Senat, Urteil vom 27.09.2004, Az. 1 U 80/04; BGH a.a.O. mit Hinweis auf BGH VersR 1956, 195, 196 sowie BGH VersR 1965, 81, 82). Denn zum einen lag die Alkoholisierung des Beklagten zu 1.) deutlich über dem Grenzwert für die Annahme der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille, zum anderen stellte sich der Umstand, dass der Beklagte zu 1.) mitten in der Nacht ohne Licht gefahren ist, als Folge einer alkoholbedingten fahrerischen Ausfallerscheinung dar. Dementsprechend sind die Beklagten mit Schriftsatz vom 22.11.2005 der Annahme, dass die Verkehrssituation durch einen nüchternen Fahrer hätte gemeistert werden können, auch nicht mehr entgegengetreten.
b.)
Das Landgericht ist weiterhin für den Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr.1 ZPO bindend und von den Beklagten im Rahmen der Berufungserwiderung nicht angegriffen davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 1.) den Roller vor der Kollision unter Verstoß gegen § 17 Abs. 1 StVO unbeleuchtet geführt hat.
Entgegen der mit Schriftsatz vom 22.11.2005 geäußerten Ansicht der Beklagten ist auch unabhängig davon, ob der Kläger den Beklagten zu 1.) auf seinem Roller trotz fehlender Fahrzeugbeleuchtung wegen der Straßenbeleuchtung hätte rechtzeitig erkennen müssen, prima facie davon auszugehen, dass der Kläger den Beklagten zu 1.) jedenfalls bei ordnungsgemäßer Beleuchtung des Rollers rechtzeitig erkannt und den Zusammenstoß vermieden hätte. Denn es gehört zu den ganz typischen Folgen der Nichtbenutzung notwendiger Beleuchtungseinrichtungen, dass ein Verkehrsteilnehmer zu spät gesehen wird und es ist der offensichtliche Zweck der Vorschriften über die Ausrüstung mit und die Benutzung von Beleuchtungseinrichtungen, die Sichtbarkeit von Zweirädern gerade in der Dämmerung und Dunkelheit zu gewährleisten (BGH NJW 2005, 1351-1354; OLGR Frankfurt 2005, 383 f; KG Berlin, VersR 1983, 839).
c.)
Allerdings hat der Kläger nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1.) mit überhöhter Geschwindigkeit in der Tempo-30 Zone gefahren ist. Denn der Sachverständige S. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass sich unter Berücksichtigung der Vergleichbarkeit der am Fahrzeug des Klägers sowie nach der Darstellung des Beklagten zu 1.) an seinem Roller entstandenen Schäden mit den bei gestellten Zusammenstößen eines Motorrollers mit einem PKW entstandenen Schäden keine Anhaltspunkte für die Annahme ergeben hätten, dass der Beklagte zu 1.) schneller als mit der nach seinen Angaben bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit seines Rollers von 25 km/h gefahren sei. Soweit der Kläger im Rahmen seiner Berufungsbegründung hier "nähere Nachforschungen" des Sachverständigen vermisst, teilt er selbst nicht mit, welcher Art solche Nachforschungen sein könnten.
2.)
a.)
Soweit das Landgericht von einer Vorfahrtsverletzung des Klägers unter Verstoß gegen § 8 Abs. 2 StVO ausgeht, ist der Senat an die dem zugrunde liegenden Feststellung nicht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Denn im vorliegenden Fall spricht weder der Beweis des ersten Anscheins für die Annahme einer schuldhaften Vorfahrtsverletzung durch den Kläger, noch haben die Beklagten eine solche Pflichtverletzung des Klägers im Wege des Vollbeweises bewiesen.
aa.)
Bei der Prüfung, ob ein typischer Geschehensablauf vorliegt, der nach allgemeiner Lebenserfahrung den Schluss auf eine Sorgfaltspflichtverletzung eines der Unfallbeteiligten rechtfertigt, sind sämtliche bekannten, d.h. unstreitigen oder bewiesenen Umstände des Falles in die Bewertung einzubeziehen (BGH NJW 2001, 1140; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., Vor § 284 Rn. 29), das heißt der Sachverhalt ist in seiner ganzen Breite zu betrachten. Zwar beruht im Regelfall der Umstand, dass der Wartepflichtige den Vorfahrtberechtigten mit der Folge der Vorfahrtverletzung nicht gesehen hat, typischerweise auf seiner Unaufmerksamkeit. Dementsprechend gehört, wenn keine Besonderheiten vorliegen, die fehlende Sichtbarkeit des Vorfahrtberechtigten für den Wartepflichtigen im Zeitpunkt seines Entschlusses, anzufahren, zu den von dem Wartepflichtigen darzulegenden und zu beweisenden Umständen, die den gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis erschüttern können (Senat, Urteil vom 26.09.2005, Az. 1 U 15/05). Im vorliegenden Fall ist aber insoweit von einem feststehenden atypischen, die Annahme eines Anscheinsbeweises nicht rechtfertigenden, Geschehensablauf auszugehen, als sich der Unfall bei Dunkelheit ereignet hat und der Roller des vorfahrtberechtigten Beklagten zu 1.) nicht beleuchtet war. Angesichts dieser feststehenden äußeren Umstände des Geschehensablaufs kann aber nicht aufgrund eines Erfahrungssatzes auf ein Aufmerksamkeitsverschulden des Klägers geschlossen werden. Dementsprechend obliegt es den Beklagten, im Rahmen des von ihnen zu führenden Vollbeweises einer Vorfahrtverletzung darzulegen und zu beweisen, dass der Beklagte zu 1.) auf seinem unbeleuchteten Roller für den Kläger in dem Moment, als dieser sich entschloss, anzufahren, um die Mühlenstraße zu kreuzen, sichtbar war.
Diesen Beweis haben die Beklagten aber nicht geführt. Zwar hat der Sachverständige S. in seinem Gutachten vom 27.10.2004 ausgeführt, dass aufgrund der Reflektion des Lichts durch die Fahrbahnoberfläche davon auszugehen sei, dass ein sich nähernder Roller bei Dunkelheit einen auffälligen Kontrast zur Fahrbahnoberfläche darstelle und der Mofaroller des Beklagten zu 1.) dementsprechend für den Kläger während der gesamten Zeit seiner Annäherung sichtbar gewesen sei, wenn man von einer konstanten Annäherungsgeschwindigkeit des Rollers von 25 km/h ausgehe. Von einer solchen Annäherungsgeschwindigkeit kann aber nicht zu Gunsten der Beklagten ausgegangen werden. Zwar hat der Beklagte zu 1.) im Rahmen des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens in der Sitzung des Amtsgerichts Duisburg-Ruhrort vom 31.10.2002 Unterlagen der DEKRA vorgelegt, aus denen sich möglicherweise ergeben hat, dass der Roller zu einem bestimmten Zeitpunkt auf eine Maximalgeschwindigkeit von 25 km/h gedrosselt worden war. Hieraus ergibt sich aber nicht, dass diese Drosselung auch im Zeitpunkt des Unfallgeschehens noch intakt war und der Beklagte zu 1 .) dementsprechend maximal 25 km/h schnell fahren konnte. Eine diesbezügliche Untersuchung des Fahrzeugs des Beklagten zu 1.) war nicht mehr möglich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Sachverständige S. weiterhin ausgeführt hat, es hätten sich auch anhand der Beschädigungen des Rollers sowie des Fahrzeugs des Klägers keine Anhaltspunkte für eine höhere Kollisionsgeschwindigkeit als 25 km/h ergeben. Denn zum einen beruhen die Feststellungen des Sachverständigen zum Beschädigungsbild an dem Roller allein auf den Angaben des Beklagten zu 1.), zum anderen schließt die Annahme einer Kollisionsgeschwindigkeit von etwa 25 km/h nicht die Annahme aus, dass der Beklagte zu 1.) seinen Roller vor der Kollision abgebremst hat und dementsprechend seine Annäherungsgeschwindigkeit deutlich höher lag. Insgesamt kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte zu 1.) für den Kläger in dem Moment, als dieser sich entschloss, die Mühlenstraße zu passieren, (noch) nicht sichtbar war.
bb.)
Unter diesen Umständen haben die Beklagten nicht den vollen Beweis einer Vorfahrtverletzung durch den Kläger gemäß § 286 ZPO geführt.
b.)
Dem Kläger kann weiterhin auch nicht der Vorwurf eines Verstoßes gegen § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO oder gegen § 1 Abs . 2 StVO insoweit gemacht werden, als er während des Kreuzens der Mühlenstraße nicht auf das Herannahen des Beklagte zu 1.) in der Weise reagiert hat, dass er angehalten und ihn vorbei gelassen hat. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte zu 1.) entsprechend der Darstellung des Klägers mit dem rechten Hinterrad des Mercedes kollidiert ist, als der Kläger die Kreuzung bereits annähernd geräumt hatte und sich schon wieder im Bereich der Einmündung der Bergstraße befand. Unter diesen Umständen kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Roller für den Kläger sichtbar geworden ist, als dieser noch verpflichtet war, die Mühlenstraße auf bevorrechtigten Verkehr hin zu beobachten und ihm den Vorrang einzuräumen.
3.)
Bei Abwägung der Verursachungsanteile war danach auf Seiten des Beklagten zu 1.) zu berücksichtigen, dass die Betriebsgefahr des von ihm gesteuerten Rollers erheblich gesteigert war. Dies nicht nur angesichts des Umstandes, dass auch er kurz vor der Kollision beabsichtigte, die aus seiner Sicht von rechts auf die Mühlenstraße treffende und damit ihm gegenüber bevorrechtigte Bergstraße zu kreuzen, sondern vor allem deshalb, weil der Roller entgegen § 17 Abs. 1 StVO unbeleuchtet und der Beklagte zu 1.) zudem mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,32 Promille stark alkoholisiert war. Hinsichtlich der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Klägers war zu berücksichtigen, dass diese durch das Fahrmanöver des Kreuzens der bevorrechtigten Mühlenstraße ("halbe Vorfahrt") sowie im Vergleich zu dem Roller durch seine höhere Masse erhöht war. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hält der Senat eine Haftungsverteilung dahingehend, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger 75 % des ihm unfallbedingt entstandenen Schadens zu ersetzen, für angemessen.
II.
Hinsichtlich des dem Kläger entstandenen Schadens haben die Parteien die Feststellung des Landgerichts, dass dieser wie geltend gemacht mit 6.420,98 Euro zu veranschlagen ist, nicht angegriffen, so dass sich ein Schadensersatzanspruch des Klägers in Höhe von 4.815,74 Euro ergibt.
III.
Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.494,69 Euro festgesetzt.
Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
Ende der Entscheidung
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