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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.09.2007
Aktenzeichen: I-1 U 96/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 287
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 2. März 2006 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht Ersatzansprüche wegen eines Verkehrsunfalls vom 23. Februar 1998 im Raum M. gegen die Beklagten geltend. Der Beklagte zu 1. war am Unfalltag mit seinem bei der Beklagten zu 2. versicherten Pkw von der untergeordneten Straße nach links abgebogen, wo er mit dem bevorrechtigten Pkw , in dem sich die Klägerin als Beifahrerin befand, kollidierte.

Die Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.

Die Klägerin hat behauptet, bei dem Unfall eine Halswirbelsäulen- und eine Lendenwirbelsäulendistorsion sowie eine Bauchprellung und ein intramuskuläres Hämatom am linken Unterbauch erlitten zu haben. Weiter seien als Unfallfolge ein Tinnitus sowie als Dauerschaden eine gering- bis mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit aufgetreten. Sie hat neben einem Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 19.500 €, materiellen Schadenersatz im Zusammenhang mit den behaupteten Verletzungen aufgewendeten Kosten sowie die Feststellung der zukünftigen Ersatzpflicht der Beklagten verlangt. Die Beklagte zu 2. hat im Hinblick auf attestierte Verletzungen im Bereich der Halswirbelsäule und der Bauchprellung ein Schmerzensgeld von 2.000 DM gezahlt, gleichwohl das Vorliegen unfallbedingter Verletzungen bestritten.

Das Landgericht hat zunächst mit Urteil vom 23. November 1999 der Klage weitgehend stattgegeben. Dieses Urteil ist mit der Entscheidung des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben und an das Landgericht zurückverwiesen worden.

Die Klägerin hat dort zuletzt beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, ihr ein Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 21. April 1999 zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt wird,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 1.192,24 € nebst 4 % Zinsen aus 120,66 € seit dem 21. April 1999 und nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.071,58 € seit dem 27. Januar 2004 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr zusätzliches Schmerzensgeld zu zahlen, wenn das aufgrund des Auftretens weiterer Beschwerden als Folge des Unfalls vom 23. Februar 1998 angemessen ist,

4. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihr sämtliche materiellen Schäden, die aus dem Unfall vom 23. Februar 1998 entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat umfangreich Beweis erhoben durch die Einholung technischer und medizinischer Gutachten. Zuletzt hat es den HNO-Arzt Prof. Dr. xxx mündlich angehört. Es hat sodann die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe nicht den Beweis erbracht, dass ihre Gehörbeeinträchtigung unfallbedingt sei. Sie könne deshalb weder die mit der Anschaffung des Hörgeräts verbundenen Kosten noch die Kosten der eingeholten Privatgutachten erstattet bekommen. Ein weitergehendes Schmerzensgeld stehe ihr nicht zu, soweit dieses auf die eingetretene Schwerhörigkeit gestützt werde. Die übrigen unfallbedingten Verletzungen seien jedenfalls durch das gezahlte Schmerzensgeld von 2.000 DM angemessen ausgeglichen. Insoweit bedürfe es keiner Entscheidung darüber, ob die Klägerin überhaupt Unfallverletzungen erlitten habe. Da sich der Feststellungsanspruch hinsichtlich weiterer materieller Schäden erkennbar nur auf die weiteren Kosten beziehe, die mit der Schwerhörigkeit einhergingen, sei auch dieser Anspruch unbegründet.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer zulässigen Berufung. Sie rügt, dass das Landgericht eine völlig unzureichende und fehlerhafte Würdigung der erhobenen Beweise vorgenommen habe. Es habe nicht berücksichtigt, dass vierfach Ärzte aus dem HNO-Bereich zu dem Ergebnis gekommen seien, dass die objektiv gegebene Schwerhörigkeit auf dem Verkehrsunfall beruhte. Die Klägerin habe vor dem Verkehrsunfall keinerlei Hörprobleme gehabt. Nunmehr habe sie eine erhebliche Schwerhörigkeit auf beiden Ohren, die das lebenslange Tragen eines Hörgerätes notwendig mache. Eine alternative Ursache für diese Schwerhörigkeit gebe es nicht. Zudem habe das Landgericht jedenfalls fehlerhaft die Feststellungsanträge abgewiesen. Diese seien auch mit den übrigen Verletzungen begründet worden.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 21.04.1999 zu zahlen, dessen Höhe ausdrücklich in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt wird,

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.192,24 € nebst 4 % Zinsen aus 120,66 € seit dem 21.04.1999 und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.071,58 € seit dem 27.01.2004 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin zusätzliches Schmerzensgeld zu zahlen, wenn das aufgrund des Auftretens weiterer Beschwerden als Folge des Unfalls vom 23.02.1998 angemessen ist,

4. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche materielle Schäden, die aus dem Unfall vom 23.02.1998 entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil.

Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil sowie die in dem Verfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien verwiesen.

Der Senat hat weiteren Beweis erhoben zu der Frage, ob die Gehörbeeinträchtigung der Klägerin (8 Monate anhaltender Tinnitus, Schwerhörigkeit auf beiden Ohren) durch den Verkehrsunfall vom 23. Februar 1998 mitverursacht worden ist, durch ein ergänzendes Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. xxx. Auf dessen Gutachten vom 28.02.2007 (Bl. 663 ff. GA) wird Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Die Klägerin hat auch nach dem Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme nicht den ihr obliegenden Beweis für die Unfallbedingtheit ihrer Schwerhörigkeit erbracht. Sie kann insoweit also weder materiellen Schadensersatz noch ein Schmerzensgeld von den Beklagten verlangen. Auch die Anträge auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten wegen der sich aus den unfallbedingten Verletzungen ergebenden Zukunftsschäden sind unbegründet.

Im einzelnen ist noch folgendes auszuführen:

Die Klägerin trifft die Beweislast für das Vorliegen und die Unfallbedingtheit der von ihr geltend gemachten Verletzungen. Ihr kommt allerdings die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute, wenn feststeht, dass sie eine sogenannte Primärverletzung durch den Unfall erlitten hat und diese Verletzung auch grundsätzlich geeignet ist, die weiter geltend gemachten Verletzungsfolgen auszulösen. In diesem Fall hat sie den Beweis dann geführt, wenn für die Kausalität eine höhere (überwiegende) Wahrscheinlichkeit spricht.

Im vorliegenden Fall ist bereits problematisch, ob die Klägerin infolge des Unfalles überhaupt eine Verletzung, insbesondere in Form einer HWS-Distorsion als Erstverletzung erlitten hat. Fraglich ist auch, ob sich mit einer HWS-Verletzung die geltend gemachte Hörschädigung grundsätzlich erklären läßt (vgl. das Gutachten des Sachverständigen xxx, Bl. 229 ff., 260, 469 ff. GA).

Nach sämtlichen vorliegenden HNO-Fachgutachten ist lediglich davon auszugehen, dass es bei einer Beschleunigung des Kopfes in bestimmter Intensität zu Schädigungen der Innenohrhörorgane mit der weiteren Folge von Hörschädigungen kommen kann. Diese oftmals im Rahmen kollisionsbedingter Geschwindigkeitsänderungen auftretende Einwirkung auf Rumpf und Körper der Insassen, insbesondere bei dem typischen Auffahrunfall, wird allerdings allgemein noch nicht als Primärverletzung angesehen, so dass es bei nicht feststellbarer HWS-Verletzung bei dem Beweismaßstab des § 286 ZPO für die geltend gemachten Verletzungen verbleibt (a.A. Dannert, NZV 1999, 453 ff.; ZfS 2001, 2 ff., wonach die Kopfschleuderbewegung bereits eine Verletzung darstelle, weil sie das körperliche Wohlbefinden fühlbar beeinträchtige).

Die vorstehenden Fragen können hier allerdings dahinstehen, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls auch nach dem Maßstab des § 287 ZPO (überwiegende Wahrscheinlichkeit) nicht festzustellen ist, dass die Schwerhörigkeit durch den Unfall bzw. eine (unterstellte) HWS-Verletzung mitverursacht worden ist.

Der Senat kann sich bei dieser Bewertung auf die zuverlässigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. xxx stützen, der sein in erster Instanz gefertigtes Gutachten durch die hier notwendig vorzunehmende Abwägung aller (medizinischen) Umstände, die für bzw. dagegen sprechen, dass die Gehörbeeinträchtigung der Klägerin durch den Unfall bzw. eine hierbei auftretende HWS-Distorsion mitverursacht worden ist, ergänzt hat. Danach spricht für eine Unfallbedingtheit der heute bestehenden Schwerhörigkeit zwar, dass die Klägerin - nach ihren Angaben - sofort nach dem Unfall beidseitige Ohrgeräusche vernommen und am Abend des Unfalltages einen Drehschwindelanfall mit Übelkeit und Erbrechen erlitten habe. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ließen sich diese geschilderten Symptome mit einer Störung des Hör- und Gleichgewichtsorgans vereinbaren. Die Beschwerden seien dann in dem in der Literatur beschriebenen Zeitintervall aufgetreten. Zu Recht hat der Sachverständige in diesem Zusammenhang allerdings als einschränkend darauf verwiesen, dass die Angaben der Klägerin in keinem zeitnahen ärztlichen Befundbericht dokumentiert worden sind. Er hat bereits in seinem erstinstanzlich erstatteten Gutachten (ebenso wie der Sachverständige Dr. xxx, Bl. 270 ff. GA) ausgeführt, dass die Hörschädigungen der Klägerin spätestens einige Tage, wenn nicht sofort nach dem Unfall deutlich hätten bemerkbar sein müssen. Demgegenüber hat sich die Klägerin erstmals am 29. Juni 1998 zur Behandlung ihrer Hörprobleme an Dr. xxx gewandt, also erst gut vier Monate nach dem Unfall. Dass die erheblichen Hörprobleme tatsächlich kurz nach dem Unfall aufgetreten sind, die Klägerin lediglich mit dem Gang zum Arzt gezögert habe, wird von ihr nicht geltend gemacht. Sie will vielmehr erst allmählich - angesprochen durch Familienmitglieder oder Dritte - darauf aufmerksam geworden sein. Dies spricht aber mit den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. xxx eher gegen eine Unfallbedingtheit, weil der Hörverlust schon kurz nach dem Unfall im vollem Umfang wahrnehmbar gewesen sei, wenn er darauf beruhte.

Als weitere für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Schwerhörigkeit sprechenden Umstand hat der Sachverständige die - unbewiesene - leichte Zerrung der HWS aufgeführt. Hierzu hat er ausgeführt, dass in den bisher veröffentlichten Arbeiten über Hör- und Gleichgewichtsstörungen im Rahmen der Distorsion der HWS keine Quanitifzierungen der aufgetretenen Belastungen vorgenommen worden seien und es daher denkbar sei, dass auch eine leichte Zerrung der HWS eine Störung des Hörorgans zur Folge haben könne.

Demgegenüber hat der Sachverständigen jedoch wiederholt deutlich gemacht, dass die Klägerin ihre Hörverschlechterung erst im Laufe der dem Unfallereignis folgenden Wochen registriert habe. Demgegenüber seien die entsprechenden Symptome nach dem heutigen Kenntnisstand entweder sofort oder nach wenigen Stunden vorhanden. Nehme man an, dass die Klägerin bis zum Unfallereignis völlig normal gehört habe, so müsse sich ihr Hörvermögen nach dem Unfall beidseits um ca. 35 bis 40 dB in gesamten Frequenzbereich verschlechtert haben. In der HNO-Sprechstunde stellten sich regelmäßig Patienten mit Hörsturz vor, die eine lediglich einseitige Hörverschlechterung von nur 10 dB und das nur in einem schmalen Frequenzbereich erführen. Dennoch würde eine solche Hörverschlechterung von dem Betroffenen sofort wahrgenommen. Generell gelte für Symptome an Hör- oder Gleichgewichtsorgan im Rahmen einer Distorsion der HWS: "Je länger das beschwerdefreie Intervall nach dem Unfall und je protrahierter der Verlauf mit Ausweitung der Symptomatik später war, desto weniger wahrscheinlich ist, dass der Unfall die alleinige und wesentliche Ursache für das Beschwerdebild ist." Gegen eine Unfallkausalität der Hörbeeinträchtigung spräche zudem, dass die Klägerin im Rahmen der durchgeführten audiologischen Diagnostik eindeutig Aggravationstendenzen aufgewiesen habe. Diese schlössen zwar einen kausalen Zusammenhang zwischen der Hörstörung und dem Unfall nicht aus, beeinträchtigten jedoch die Glaubhaftigkeit der übrigen Angaben der Klägerin. Zudem spricht gegen die Bejahung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine Unfallkausalität, dass für die Schwerhörigkeit der Klägerin eine alternativ denkbare Ursache existiert, nämlich eine bestimmte Form der beidseitigen progredienten Schallempfindungsschwerhörigkeit. Dass diese Alternativursache - zumal bei jungen Erwachsenen - relativ selten auftritt, kann unter den gegebenen Gesamtumständen keine überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass der Unfall die (Mit-)Ursache für die Schwerhörigkeit der Klägerin ist. Vielmehr ist von einer "neutralen" Wahrscheinlichkeit auszugehen. Damit hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis aber auch nach dem Maßstab des § 287 ZPO nicht geführt.

Auch ihre Feststellungsanträge sind insoweit unbegründet. Soweit die Klägerin weitere Verletzungen behauptet hat, sind diese jedenfalls folgenlos verheilt; der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat auf Befragen im Verhandlungstermin angegeben, dass im Hinblick auf die behauptete Halswirbelsäulenverletzung keine Folgenschäden mehr befürchtet würden.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ein Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.734,25 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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