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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 08.11.2006
Aktenzeichen: I-15 U 100/06
Rechtsgebiete: StGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

StGB §§ 185 ff.
StGB § 186
StGB § 194 Abs. 3
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 1004
ZPO § 193
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 26. April 2006 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagten wird bei Meidung eines für jeden Fall der zukünftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,- €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, untersagt, in Presseartikeln folgende Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten:"... X hatte oft die rassistische Praxis der Ausländerbehörde kritisiert."

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 30 % und die Beklagte zu 70 % zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,- €. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beitreibbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Unterlassung der im Artikel vom 04. März 2005 enthaltenen Äußerung über den Integrationsbeauftragten der Klägerin "... X hatte oft die rigide und rassistischer Praxis der Ausländerbehörde kritisiert."

Wegen der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, es handele sich um eine nicht erweislich wahre Tatsachenbehauptung. Es stehe grundsätzlich der Beweis offen, ob der Zeuge X in der Tat oft die rigide und rassistische Praxis der Ausländerbehörde kritisiert habe. Die Beklagte wolle den Grund für das "Unterstellen" Xs unter das Sozialamt und die Degradierung mitteilen. Diese Wiedergabe des Grundes, die Behauptung von etwas tatsächlich Geschehenem, werde auch nicht von der nachfolgenden Bewertung als "rigide und rassistisch", bei der es sich um eine Meinungsäußerung der Zeitung handele, überlagert. Die Äußerung sei geeignet, die Klägerin herabzuwürdigen, da sie als eine Kommune hingestellt werde, die einen ihrer Angestellten degradiere, wenn dieser Kritik äußere. Die Beklagte habe nicht substantiiert vorgetragen, dass ihre Behauptung zutreffend sei. Sie habe weder dargelegt, zu welchen Zeitpunkten der Zeuge X "oft" Kritik geübt habe und was überhaupt der Zeuge X in welchem Kontext konkret geäußert habe. Die Beklagte lege lediglich dar, dass der Zeuge X die Praxis des Ausländeramtes vielfach kritisiert habe, lege aber in keiner Weise dar, was der Zeuge X im Einzelnen gesagt und wann er dies getan habe. Es sei auch nicht gesagt, in welcher Weise er die "Praxis des Ausländeramtes" kritisiert habe. Die Anordnung einer Beweiserhebung würde zu einem Ausforschungsbeweis führen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese die Klageabweisung weiterverfolgt. Ihrer Auffassung nach ist das Urteil überraschend. Das Landgericht wolle gegen den übereinstimmenden Vortrag der Parteien festgestellt haben, dass der Zeuge X die Ausländerbehörde überhaupt nicht kritisiert haben soll. Es sei jedoch in erster Instanz unstreitig gewesen, dass der Zeuge X Mitarbeiter des Ausländeramtes mehrfach öffentlich und massiv und auch als "rigide" kritisiert habe. Zwar sei es erstinstanzlich im Parteienvortrag nicht um die Frage gegangen, ob er sie öffentlich gerügt habe, noch, ob er das kritisierte Verhalten selbst als "rassistische Verhaltensweisen" bezeichnet habe. Dies habe sie auch nicht behauptet. Da das Landgericht zu Unrecht den Antrag der Klägerin dahingehend verdreht habe, sie wolle bestreiten, dass der Zeuge X die Ausländerpolitik der Stadt Ratingen kritisiert habe und kein Hinweis erteilt worden sei, könne sie hierzu weiter vortragen. Der Zeuge X habe in den Fällen U, V und W derartige Kritik geäußert und zwar im Sozialausschuss und teilweise auch im Integrationsrat. Wegen Zeit und Ort der Äußerungen wird auf die Berufungsbegründung Bezug genommen (GA 77 ff.) Sie, die Beklagte, habe die Bewertung der Praxis der Ausländerbehörde als "rassistisch und rigide" vorgenommen und nicht in den Mund des Zeugen X gelegt. Sie habe im Schriftsatz vom 21.03.2006 ausdrücklich ausgeführt, dass von der Klägerin nicht bestritten werde, dass der Zeuge X die Praxis kritisiert habe. Danach gälte ihr, der Beklagten, Vorbringen zur Kritik als zugestanden. Das Begehren der Klägerin habe allein darauf gezielt, ihr zu verbieten, die Ausländerpolitik der Klägerin als rigide und rassisitisch zu bezeichnen. Auch setze sich das Gericht nicht damit auseinander, inwieweit die Klägerin als kommunale Gebietskörperschaft überhaupt privatrechtlich Ehrschutz geltend machen könne. Sie sei nicht in gleicher Weise wie ein Privatmann geschützt und müsse hinnehmen, dass die Presse in Ausübung ihres Wächteramtes auch sehr harte Kritik an dem Gebaren der Klägerin äußere.

Die Klägerin bezieht sich auf das angefochtene Urteil. Sie habe im Rahmen ihres gesamten Vortrags bestritten, dass der Zeuge X jemals der Ausländerbehörde oder Mitarbeitern der Ausländerbehörde eine rassistische und rigide Vorgehensweise vorgeworfen habe und Mitarbeiter des Ausländeramtes wegen rassistischer Verhaltensweisen gerügt habe. Sie meint, substantiiertes Vorbringen wäre der Beklagten mithin auch erstinstanzlich ohne weiteres möglich gewesen. Die gesamten weiteren Sachausführungen der Beklagten würden bestritten. In keinem einzigen Fall habe der Zeuge X die Vorgehensweise als "rassistisch und rigide" bezeichnet. Es handele sich bei der in Rede stehenden Aussage der Beklagten auch nicht um eine Wertung der Beklagten, sondern die Aussage könne nur in dem Sinn verstanden werden, dass der Zeuge X die Praxis der Ausländerbehörde als "rassistisch und rigide" kritisiert habe. Nur so könne sie insbesondere auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Artikels verstanden werden. Insoweit sei bei der rechtlichen Bewertung die Entscheidung des BVerfG zu "IM Sekretär" zu berücksichtigen. Ein Unterlassungsanspruch bestehe hiernach, sofern eine Aussage mehrere Deutungsvarianten zulasse, von denen eine eine Rechtsgutverletzung beinhalte. Sie sei auch als Gebietskörperschaft ohne weiteres befugt, gestützt auf die Straftatbestände der §§ 185, 186 StGB i.V.m. § 823 II BGB zivilrechtliche Unterlassungsansprüche geltend machen. Zudem handele es sich bezüglich des Vorwurfs der rigiden und rassistischen Praxis ihrer Ausländerbehörde nicht nur um eine Wertung, weil damit zugleich die Behauptung aufgestellt werde, sie habe rechtswidrig und nahezu "rechtsbeugend" unter Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, nämlich aus rassistischer Motivation, die Entscheidungen in Ausländerangelegenheiten getroffen.

II. 1.

Die Berufung ist zulässig.

Das Urteil wurde der Beklagten am 15. Mai 2006 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Berufung lief wegen des gesetzlichen Feiertages Fronleichnam gemäß § 193 ZPO nicht am 15. Juni 2006, sondern erst am folgenden Werktag und damit am 16. Juni 2006 ab. Diese Regelung gilt für alle gesetzlichen Feiertage, unabhängig davon, ob sie auf Bundes- oder Landesrecht beruhen (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Auflage 2006, § 193 Rz. 6). Da der Ort, an dem die Berufung einzulegen war, im Geltungsbereich des Feiertages lag, ist die am folgenden Werktag eingelegte Berufung fristgerecht. Der vorsorglich gestellte Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geht damit ins Leere. 2.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Unterlassung der im Artikel vom 04. März 2006 aufgestellten Behauptung im tenorierten Umfang gemäß §§ 1004, 823 II i.V.m. § 186 StGB zu. Denn es handelt sich bei der von der Klägerin beanstandeten Äußerung um eine mehrdeutige Äußerung, die in einer ihrer Deutungsvarianten eine unwahre Tatsachenbehauptung beinhaltet, die geeignet ist, die Ehre der Klägerin zu verletzen (a)). Hingegen hat die Klägerin keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte in diesem Zusammenhang auch die Verwendung des Wortes "rigide" unterlässt, weil insoweit keine der Deutungsmöglichkeiten eine Ehrverletzung der Klägerin enthält (b)).

a) Die Äußerung der Beklagen ist im tenorierten Umfang nicht durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG gedeckt, weil eine mehrdeutige Äußerung vorliegt, die in einer Deutungsvariante eine unwahre, die Ehre der Klägerin verletzende Tatsachenbehauptung enthält.

aa) Die Klage ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht schon deswegen unbegründet, weil es sich bei der Klägerin um eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt. Auch juristische Personen des öffentlichen Rechts können zivilrechtlichen Ehrenschutz gegenüber Angriffen in Anspruch nehmen, durch die ihr Ruf in der Öffentlichkeit in unzulässiger Weise herabgesetzt wird. Zwar haben sie weder eine "persönliche" Ehre noch sind sie Träger des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie genießen jedoch, wie § 194 III StGB zeigt, im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe strafrechtlichen Ehrenschutz, der über §§ 1004, 823 II BGB i.V.m. §§ 185 ff. StGB zivilrechtliche Unterlassungsansprüche begründen kann (BGH, Urt. v. 30. Mai 2000, VI ZR 276/99, www.jurisweb.de Rz. 15 = NJW 2000, 3421; Burkhardt in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage 2003, Kap. 5 Rz. 182).

bb) Die beanstandete Äußerung der Beklagten ist mehrdeutig.

Die Äußerungen in einem Artikel sind entsprechend dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittsempfängers zu interpretieren und zwar unter Berücksichtigung der Gesamtdarstellung wie sie für den Rezipienten erkennbar ist, wobei es auf den Durchschnittsempfänger ankommt, der mit der Materie nicht (speziell) vertraut ist (Burkhardt in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage 2003, Kap. 4 Rz. 4 m.w.N.). Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, lässt die beanstandete Äußerung sowohl die Deutung zu, dass der Zeuge X die Praxis der Ausländerbehörde als rigide und rassistisch bezeichnet hat, als auch die Deutung, dass diese Wortwahl nur die Wertung der Beklagten enthält, wie diese Praxis zu bezeichnen ist.

Der Beklagten ist zwar darin beizupflichten, dass, wäre beabsichtigt gewesen die Wortwahl des Zeugen X wiederzugeben, es richtig hätte etwa heißen müssen: "X hatte oft die Praxis der Ausländerbehörden als rigide und rassistisch kritisiert." Es kommt jedoch nicht darauf an, was ein Sprachwissenschaftler zutreffend aus dem tatsächlich formulierten Satz lesen würde, sondern wie dieser Satz auf den Durchschnittsempfänger wirkt. Aufgrund des Gesamtzusammenhangs ist es jedoch nicht fernliegend, dass der Durchschnittsleser auch die gewählte Formulierung so versteht, als habe der Zeuge X diese Adjektive bei der von ihm geäußerten Kritik verwendet. Denn der Artikel behandelt die als "Degradierung" verstandene Ankündigung der Unterstellung des Integrationsbeauftragten der Stadt Ratingen X unter das Sozialamt. Im Anschluss an die Mitteilung, dass Grüne und Ratinger Linke dies für eine Abstrafungsaktion hielten, findet sich der angegriffene Satz. Der dadurch hergestellte Bezug zwischen der geäußerten Kritik der Praxis der Ausländerbehörden und der Degradierung, lässt es zumindest als möglich erscheinen, dass diese Einschätzung der Praxis und die Wortwahl auf den Zeugen X zurückgeht, der wegen eben dieser Kritik degradiert worden sei.

cc) Da eine der Deutungsvarianten eine Ehrverletzung der Klägerin beihaltet, besteht ein Unterlassungsanspruch.

(1) Die Deutungsvariante, dass der Zeuge X die Praxis der Ausländerbehörden als rassistisch und rigide bezeichnet habe, beinhaltet eine Ehrverletzung der Klägerin soweit er die Praxis als "rassistisch" bezeichnet haben soll. Denn der Zeuge X hat zwar unbestritten die Vorgehensweise (Praxis) der Ausländerbehörde vielfach kritisiert, diese jedoch nie als rassistisch bezeichnet.

Die in dieser Deutungsvariante enthaltene unwahre Tatsachenbehauptung über die Wortwahl des Zeugen X ist geeignet, die Ehre der Klägerin zu verletzen. Denn in diesem Fall wird der falsche Eindruck hervorgerufen, dass der Integrationsbeauftragte der Klägerin aufgrund des mit seinen Aufgaben ebenfalls verbundenen Wächteramtes zu dem Schluss gekommen ist, die Praxis der Ausländerbehörde der Klägerin sei entsprechend zu qualifizieren, d.h. sie sei rechtswidrig, weil Ausländer wegen ihrer Herkunft oder Rasse benachteiligt würden. Da die Einschätzung eines Integrationsbeauftragten aufgrund seiner Stellung und insbesondere der dadurch erworbenen Kenntnisse in der Öffentlichkeit ein hohes Gewicht für die Beurteilung der Ausländerpolitik einer Kommune hat, wird durch die Behauptung, dieser habe die Praxis der Ausländerbehörden als rassistisch bezeichnet, der Ruf der Kommune in der Öffentlichkeit stark herabgesetzt.

(2) Ginge man zugunsten der Beklagten hingegen davon aus, dass die Wortwahl lediglich die Einschätzung der taz wiedergebe, wäre diese Wertung zwar ebenfalls herabsetzend. Da es sich insoweit um eine Meinungsäußerung handeln würde, wäre nach dieser Deutungsvariante ein Unterlassungsanspruch im Ergebnis nicht gegeben.

Auch die in dieser Deutungsvariante geäußerte Meinung der Beklagten, die Praxis der Ausländerbehörde der Klägerin sei rassistisch, setzt zwar den Ruf der Klägerin herab. Eine gemäß § 823 I BGB i.V.m. § 1004 I BGB analog, § 823 II BGB i.V.m. § 185 ff. StGB zu unterlassende rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung stellen Meinungsäußerungen jedoch nur dann dar, wenn die Belange des Betroffenen durch ihren ehrverletzenden Gehalt in einem mit der Ausübung grundgesetzlich garantierter Meinungsfreiheit nicht mehr zu rechtfertigenden Maß tangiert sind (BVerfG NJW 1999, 1322, 1324; Palandt-Thomas, BGB, 65. Auflage 2006, § 823 Rz. 189 b). Werturteile sind demnach von dem Recht zur freien Meinungsäußerung gemäß Art. 5 I 1 GG gedeckt, soweit sie nicht zugleich darauf gerichtet sind, die Persönlichkeit herabzusetzen, zu diffamieren oder sie formal beleidigend sind. Insoweit ist eine Interessenabwägung erforderlich. Eine sachliche Kritik ist nicht widerrechtlich, unzulässig ist aber "Schmähkritik", d.h. Werturteile, die in jeder sachlichen Grundlage entbehrende böswillige oder gehässige Schmähungen übergehen. Dabei macht selbst eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Die Zulässigkeitsgrenze wird vielmehr erst dann überschritten, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen (BVerfG NJW 1995, 3303, 3304; BGH Urt. v. 10.11.1994, I ZR 216/92, www.jurisweb.de S. 6 = NJW-RR 1995, 301 ff; BGH NJW 2000, 1036, 1038; BGH NJW 2005, 279, 283; Prinz/Peters, Medienrecht, Rz. 91; Burkhardt in: Wenzel, a.a.O. Kap. 5 Rz. 97 f).

Nach diesen Grundsätzen liegt Schmähkritik nicht vor, weil sich der Artikel der Beklagten mit der Stellung des Integrationsbeauftragten und seiner angeblichen "Degradierung" und den Gründen hierfür auseinandersetzt und damit Sachbezug hat.

Bei der dann gebotenen Abwägung zwischen dem der Klägerin nur eingeschränkt zustehenden Ehrschutz und der Pressefreiheit der Beklagten fällt die Abwägung zugunsten der Beklagten aus. Denn bei einer Äußerung im öffentlichen Meinungskampf bzw. in der öffentlichen Auseinandersetzung muss auch Kritik hingenommen werden, die in überspitzter und polemischer Form geäußert wird, weil andernfalls die Gefahr einer Lähmung oder Verengung des Meinungsbildungsprozesses droht (BVerfG NJW 1991, 95, 96, = BVerfG Beschl. v. 26.06.1990, 1 BvR 1165/89, www.jurisweb.de). Handelt es sich bei der umstrittenen Äußerung um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, so spricht nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede (vgl. BVerfGE 7, 198, 208, 212 = NJW 1958, 257; BVerfGE 61, 1, 11= NJW 1983, 1415; vgl. auch BGH NJW 1993, 1845, 1846).

Deutet man die Äußerung so, dass die Verwendung der Adjektive nicht die Wortwahl des Zeugen X darstellt, sondern eine Wertung der taz begründet, enthält diese Wertung entgegen der Ansicht der Klägerin nicht versteckt eine unwahre Tatsachenbehauptung. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Ehrschutz nicht nur auf eine Würdigung der offen aufgestellten Behauptungen beschränkt ist sondern sich ebenso auf die Äußerungen erstreckt, die im Gesamtzusammenhang offener Einzelaussagen versteckt zwischen den Zeilen stehen. Dabei sind der Einbeziehung solcher aus dem Gesamtzusammenhang gewonnenen Sinninterpretationen in die negatorische Betrachtung des Persönlichkeits- und Ehrschutzes durch Art. 5 Abs. 1 GG Grenzen jedoch gesetzt, der die freie Äußerung von Kritik insbesondere in Angelegenheiten gewährleistet, die wie hier die Öffentlichkeit in besonderem Maße interessieren müssen. Unzulässig wäre, eine im Interesse des Ehrschutzes vielleicht erwünschte, indessen mit Art. 5 GG nicht zu vereinbarende weite Sinninterpretation, die auf die bloße Möglichkeit abhebt, dass der Leser Zusammenhänge für versteckte Behauptungen herstellt, die der beanstandete Text nicht mit hinreichender Klarheit liefert (BGH NJW 80, 2801 ff und 2807 ff; NJW-RR 1994, 1242 ff; NJW 2000, 656 ff; OLG Köln NJW-RR 1998, 1175 ff; OLG München NJW-RR 1997, 724 ff). Insoweit kann eine einer offenen Behauptung entsprechende verdeckte Behauptung nur dann angenommen werden, wenn der Autor eine solche Schlussfolgerungen versteckt als eigene dem Leser unterbreitet. Dies kann hier nicht angenommen werden, weil die Kennzeichnung einer Praxis als rassistisch keine Schlussfolgerung auf einen konkreten Sachverhalt zulässt, der dem Beweise zugänglich wäre und in dem ein Betroffener allein wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe oder sonstigen ethnischen Gruppierung benachteiligt worden wäre.

cc) Wenn - wie hier - im Ergebnis damit zwei Deutungsvarianten möglich sind, von denen die eine isoliert betrachtet, einen Unterlassungsanspruch begründen könnte, die andere jedoch nicht, ist ein Unterlassungsanspruch gegeben.

aa) Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zu "IM-Sekretär" die sogenannte "Variantenlehre", nach der das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit es gebietet, den Äußerer nur dann zu verurteilen, wenn bei mehreren in Frage kommenden Deutungen alle anderen dem Äußerer günstigeren Deutungen mit (überzeugenden/tragfähigen) Gründen vorher ausgeschlossen worden sind, bezogen auf Unterlassungsansprüche aufgegeben (Helle, "Variantenlehre" und Mehrdeutigkeit der verletzenden Äußerung, AfP 2006, 110, 111). Das BVerfG hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass im Falle einer Äußerung, die mehrere Deutungsvarianten zulässt, kein verfassungsrechtlich tragfähiger Grund besteht, von einer Verurteilung zum Unterlassen abzusehen, wenn der Äußernde nicht bereit sei, der Aussage einen eindeutigen Inhalt zu geben. Dem Äußernden stehe es frei, sich in Zukunft eindeutig zu äußern und - wenn eine persönlichkeitsverletzende Deutungsvariante nicht dem von ihm beabsichtigten Sinn entspricht - klarzustellen, wie er seine Aussage verstehe (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2005, 1 BvR 1696/98, www.jurisweb.de Rz. 35 = AfP 2005, 544).

Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Eine Einschränkung der Pressefreiheit, wie sie die Beklagte anscheinend im Hinblick darauf befürchtet, dass kritische Äußerungen untersagt werden könnten, weil eine vom Redakteur nicht vorhergesehene und nicht intendierte Deutungsvariante eine Ehrverletzung enthalten könnte, ist nicht zu erwarten. Denn zum einen kann eine Mehrdeutigkeit nur angenommen werden, wenn die Aussage nach Anwendung der von der Rechtsprechung aufgestellten allgemeinen Auslegungsgrundsätze unter Ausschluss entfernt liegender Deutungen mehrdeutig bleibt. Zudem kann der sich Äußernde eine auf Unterlassung zielende Verurteilung vermeiden, indem er eine ernsthafte Erklärung abgibt, die mehrdeutige Äußerung nicht oder nur mit geeigneten Klarstellungen zu wiederholen (BVerfG, a.a.O. Rz. 35). Hält er hingegen an der mehrdeutigen Äußerung fest, sei es, dass er die Mehrdeutigkeit nicht als gegeben ansieht, sei es, weil diese Mehrdeutigkeit sogar beabsichtigt war, ist er nicht schutzwürdig.

Ausgehend hiervon besteht kein berechtigtes Interesse der Beklagten daran, die inkriminierte Äußerung wiederholen zu dürfen, nur weil eine - grammatikalisch vielleicht näher liegende - Auslegungsvariante einen Unterlassungsanspruch nicht begründen würde. Denn es ist der Beklagten unbenommen, auch in Zukunft mitzuteilen, dass der Zeuge X die Praxis der Ausländerbehörde der Stadt Y vielfach kritisiert hat und in diesem Zusammenhang ihre Meinung zu äußern, dass sie, die Beklagte, die Praxis der Ausländerbehörde für rigide und rassistisch halte. Sie muss jedoch Formulierungen vermeiden, die - wie die angegriffene Formulierung - die Deutung offen lassen, der Zeuge X habe das Wort "rassistisch" bei seiner Kritik verwendet.

Entgegen der im Termin zur mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Beklagten steht der Anwendbarkeit der in der Entscheidung "IM-Sekretär" entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall nicht entgegen, dass es im Fall "IM-Sekretär" um die Ansprüche einer natürlichen Person ging, es sich bei der Klägerin jedoch um eine juristische Person handelt. Denn das BVerfG begründet sein Abrücken von der "Variantenlehre" im Fall mehrdeutiger Äußerungen damit, dass ein gleicher Schutzbedarf für die individuelle Grundrechtsausübung und die Funktionsfähigkeit des Meinungsbildungsprozesses bei gerichtlichen Entscheidungen über die Unterlassung zukünftiger Äußerungen nicht besteht, weil der Äußernde, wie bereits dargelegt, die Möglichkeit hat, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken (BVerfG, a.a.O., Rz. 34). Dies gilt unabhängig davon, ob der von der Äußerung Betroffene eine natürliche Person ist, der unmittelbar die Rechte aus Art. 2 I GG zustehen, oder ob es sich um eine Gebietskörperschaft handelt, die nur im Zusammenhang mit ihren öffentlichen Aufgaben Ehrschutz genießt. Denn in beiden Fällen ist ein berechtigtes Interesse des sich Äußernden, an der mehrdeutigen Äußerung in Kenntnis einer möglichen, ehrverletzenden Deutungsvariante festzuhalten, nicht ersichtlich.

b) Die Klägerin hat gegen die Beklagte hingegen keinen Anspruch darauf, auch die Verwendung des Wortes "rigide" im Zusammenhang mit der von dem Zeugen X geäußerten Kritik zu unterlassen. Wie bereits dargelegt, ist die beanstandete Äußerung zwar mehrdeutig, weil nach einer nicht auszuschließenden Deutungsvariante der Eindruck erweckt wird, der Zeuge X habe im Zusammenhang mit seiner Kritik die Adjektive "rigide" und "rassistisch" verwendet. Insoweit kann jedoch dahinstehen, ob der Zeuge X die Praxis der Ausländerbehörde der Klägerin auch als "rigide" bezeichnet hat. Denn im konkreten Fall läge keine Ehrverletzung der Klägerin vor, wenn diese Behauptung unzutreffend wäre.

Unbestritten hat der Zeuge X in seiner Eigenschaft als Integrationsbeauftragter die Praxis der Ausländerbehörden der Klägerin wiederholt und auch massiv kritisiert. Die angebliche Bezeichnung der Praxis als "rigide" und damit "starr" den Buchstaben des Gesetzes folgend, stellt demgegenüber keine Kritik dar, die schwerwiegender als die tatsächlich durch den Integrationsbeauftragten geäußerte Kritik und deswegen geeignet wäre, das Ansehen der Klägerin in einem weiteren Maße zu beeinträchtigen. Dafür, dass dies letztlich auch die Klägerin so sieht, spricht, dass sie, wie sich aus ihrer gesamten Begründung ergibt, die Ehrverletzung aus der Bezeichnung der Praxis als "rassistisch" ableitet und der Verwendung des Wortes "rigide" keine eigenständige Bedeutung beimisst.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 I ZPO. Dabei war zu berücksichtigen, dass die beanstandete Verwendung des Wortes "rassistisch" ungleich schwerer wiegt, als die nicht zu beanstandende Verwendung des Wortes "rigide".

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

Ein begründeter Anlass, die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben (§ 543 ZPO).

Der Streitwert wird auf 50.000,- € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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