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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 23.11.2005
Aktenzeichen: I-15 U 209/04
Rechtsgebiete: ZPO, BauO NW, BGB


Vorschriften:

ZPO § 540
BauO NW § 41 Abs. 5
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 831
BGB § 831 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 12. Oktober 2004 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe: I. Der zum damaligen Zeitpunkt 31-jährige Kläger buchte gemeinsam mit seiner Ehefrau bei der beklagten Reiseveranstalterin eine zweiwöchige Flugpauschalreise in das Hotel Club (Türkei) für die Zeit ab 16. Juni 2003 zum Preis von 899,00 EUR pro Person. Er bezog dort ein im 2. Obergeschoss des Vertragshotels der Beklagten gelegenes Appartement. Am Morgen des 22. Juni 2003 stürzte der Kläger gegen 1.45 Uhr aus dem geöffneten Fenster des von ihm bewohnten Zimmers aus einer Absturzhöhe von 7 bis 8 Metern auf den Boden. Dadurch zog er sich schwerste Verletzungen zu und ist derzeit vom Hals an abwärts querschnittsgelähmt. Seinen erlernten Beruf als Maschinenschlosser kann er nicht mehr ausüben. Mit seiner im Februar 2004 erhobenen Klage begehrt der Kläger den Ersatz seiner materiellen und immateriellen Schäden sowie die Feststellung auch künftiger Ersatzpflicht der Beklagten. Die Parteien streiten darüber, ob der Sturz des Klägers auf eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten zurückzuführen ist. Der Kläger behauptet, dass in dem von ihm bewohnten Zimmer der Abstand zwischen dem Zimmerfußboden und der unteren Fensterkante lediglich 85 cm betragen habe, was nach seiner Meinung ein offenbares Sicherheitsrisiko begründe, weil bei einem durchschnittlich großen Erwachsenen der Körperschwerpunkt oberhalb dieser Brüstungshöhe liege. Zu dem Sturz aus dem Fenster sei es deswegen gekommen, weil er wegen eines Defekts der Klimaanlage nachts mit geöffnetem Fenster geschlafen und nach dem Aufstehen aus dem Bett in Höhe des Fensters plötzlich und unerklärlich das Gleichgewicht verloren habe. Ein Sturz unter Alkoholeinfluss könne ausgeschlossen werden, da eine nach dem Unfall entnommene Blutprobe lediglich eine Blutalkoholkonzentration von 0,2 Promille ergeben habe. Demgegenüber ist die Beklagte der Meinung, dass ihr eine Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht anzulasten sei, weil der Abstand vom Boden bis zum Fenster tatsächlich 90 cm betrage und damit den örtlichen Bauvorschriften entspreche. Der Sturz des Klägers sei in Wahrheit auf dessen Alkoholisierung zurückzuführen; seine Blutalkoholkonzentration habe zum Unfallzeitpunkt mindestens 2 Promille betragen. Einen Defekt der Klimaanlage habe der Kläger nicht gerügt. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung vom 12. Oktober 2004, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 ZPO Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass dem Kläger die von ihm geltend gemachten Ansprüche aus keinem rechtlichen Gesichtpunkt zustünden, da eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte nicht festgestellt werden könne. Zwar sei derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahr für Dritte schaffe und andauern lasse und in der Lage sei ihr abzuhelfen, grundsätzlich verpflichtet, zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung Anderer möglichst abzuwenden. Dazu sei noch nicht einmal erforderlich, dass er selbst zum Entstehen der Gefahr beigetragen habe. Vor diesem Hintergrund treffe auch die Beklagte als Reiseveranstalterin eine Verkehrssicherungspflicht bei Vorbereitung und Durchführung der von ihr veranstalteten Reisen. Insoweit obliege ihr im Rahmen dieser Pflicht auch die Auswahl und Kontrolle des Vertragshotels. Nehme ein Reiseveranstalter ein Hotel unter Vertrag, so müsse er sich zuvor vergewissern, dass es nicht nur den gewünschten oder angebotenen Komfort, sondern auch ausreichenden Sicherheitsstandard biete. Von dem Zustand der Örtlichkeiten dürften mithin keine Gefahren für den Reisenden ausgehen. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze könne der Beklagten bereits nach dem eigenen Vortrag des Klägers kein haftungsbegründendes Fehlverhalten vorgeworfen werden. Aus dem Umstand, dass nach der Behauptung des Klägers in dem von ihm bewohnten Zimmer des Vertragshotels der Abstand zwischen Zimmerboden und Fensterunterkante 85 cm betragen habe, lasse sich objektiv eine nicht hinnehmbare Gefahrenquelle für Reisende nicht herleiten. Bei angeblichen Funktions- bzw. Baumängeln in einer Hotelunterkunft sei unter Berücksichtigung der Erkennbarkeit des (vermeintlichen) Mangels darauf abzustellen, ob ein naheliegendes Sicherheitsrisiko für den Reisenden anzunehmen sei und ob zur Abwendung dieses Risikos Schutzmaßnahmen erforderlich seien. Beachtlich sei dabei aus Sicht des Landgerichts, ob der baurechtliche Zustand des im Ausland gelegenen Hotels dem entspreche, was unter Beachtung inländischer baurechtlicher Vorgaben als genehmigungsfähig angesehen werden könne. So müssten beispielsweise nach § 41 Abs.5 BauO NW Fensterbrüstungen bei einer Absturzhöhe bis zu 12 m nur mindestens 0,80 m hoch sein. Bei dieser Mindesthöhe handele es sich um das Maß von Oberkante Fußboden bis Oberkante Fensterbank. Soweit der Kläger auf die nach seiner Ansicht in der Bundesrepublik ganz überwiegend geforderte Geländerhöhe von mindestens 0,90 m verweise, gehe dies an der hier vorliegenden Problematik vorbei. Bei den für Fensterbrüstungen erforderlichen Höhen - und um solche geht es hier - sei indirekt die psychologische Wirkung der Tiefe der Brüstung (Fensterbank und Sohlbank) mit in Ansatz gebracht worden. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers übersteige aber der hier in Rede stehende Abstand zwischen Boden und Fenster die Vorgaben der BauO NRW nicht unerheblich. Vor diesem Hintergrund trete nach Ansicht des Landgerichts dann auch der Umstand zurück, dass die in dem Hotelobjekt vorhandenen Fenster nicht mit einer klassischen Fensterbank versehen worden seien. Gegen dieses ihm am 18. November 2004 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 16. Dezember 2004 eingelegten Berufung. Der Kläger ist der Meinung, dass das Landgericht in seiner angefochtenen Entscheidung für die Frage, ob eine objektiv nicht hinnehmbare Gefahrenquelle für Reisende bestanden habe, fehlerhaft auf die inländischen baurechtlichen Vorgaben abstelle. Ebenso wenig wie die örtlichen Bauvorschriften, die nach dem von ihm zu Eigen gemachten Sachvortrag der Beklagten bereits eine Brüstungshöhe von 0,90 m vorsähen, allein maßgeblich seien, könne eine Vorschrift der nordrhein-westfälischen Bauordnung zu seinen Lasten herangezogen werden. Wenn aber schon auf die nicht einschlägige Bauordnung NW Bezug genommen werde, so sei zu beachten, dass danach Umwehrungen zur Sicherung von Öffnungen mit einer Abstützhöhe von 1,0 m bis zu 12 m eine Höhe von 0,90 m aufweisen müssen und Umwehrungen von Flächen mit mehr als 12 Metern Absturzhöhe sogar 1,10 m (vgl. § 41 Abs. 4 BauONW). Soweit Fensterbrüstungen bei einer Abstürzhöhe von bis zu 12 Metern mindestens 0,80 m betragen müssen, liege dieser Fall hier deshalb nicht vor, da die Fenster in seinem Zimmer vorschriftswidrig nicht mit einer Kippvorrichtung aufgestattet worden seien. Der Kläger beantragt, 1) die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu verurteilen, an ihn 175.938,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins seit 22. Juni 2003 zu zahlen; 2) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den weitergehenden materiellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Ereignis "Sturz aus einen Fenster des Hotels Club in Antalya (Türkei) am 22. Juni 2003" entstanden ist und noch entstehen wird. Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen. II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Eine Verantwortlichkeit der Beklagten für den bedauerlichen Unfall des Klägers vermag der Senat nicht zu erkennen. Der Kläger kann die Beklagte nicht aus den §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten in Anspruch nehmen. Nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Februar 1988 (VII ZR 348/86, NJW 1988, 1380 ff) schuldet ein Reiseveranstalter nicht nur die sorgfältige Auswahl und Kontrolle des eigenen Personals und der eigenen Transportmittel, sondern auch die sorgfältige Kontrolle der Leistungsträger. Diese erstreckt sich darauf, die Leistungsträger - hier also das Vertragshotel Club - sorgfältig auszusuchen und sich zu vergewissern, dass ein ausreichender Sicherheitsstandard gewährleistet ist. Dabei durfte sich die Beklagte als Reiseveranstalter nicht darauf beschränken, das Hotel lediglich bei Vertragsschluss zu kontrollieren. Vielmehr oblag es ihr, den Zustand regelmäßig durch einen sachkundigen Beauftragten (erfahrenen Reiseleiter oder Beschaffer von Unterkünften) zu besuchen und überprüfen zu lassen sowie sich davon zu überzeugen, dass z.B. von Treppen und Aufzügen, elektrischen Anlagen und sonstigen Einrichtungen des Hotels keine Gefahren für die Reisenden ausgehen. Davon ausgehend ist auch der allgemeine bauliche Zustand eines Hotels, und dazu gehören naturgemäß ebenso die Fensteranlagen, in die pflichtgemäße Kontrolle einzubeziehen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. Dezember 1996 - 18 U 73/96, NJW-RR 1997, 1483). Allerdings brauchte sich die solchermaßen geschuldete Überprüfung der Beklagten nicht darauf zu erstrecken, zunächst Ermittlungen hinsichtlich der nach den türkischen örtlichen Bauvorschriften einzuhaltenden Fensterbrüstungshöhe anzustellen und sodann unter Benutzung eines Zollstocks oder ähnlichem zu überprüfen, ob bei der Fensterbrüstungshöhe in den einzelnen Zimmern des Vertragshotels die geforderte Höhe eingehalten worden war. Denn von dem Reiseveranstalter wird nicht die Suche nach verborgenen Mängeln erwartet, die erst bei eingehender Untersuchung zutage treten, sondern lediglich die Feststellung von Sicherheitsrisiken, die sich bei genaueren Hinsehen jedermann offenbaren (BGH, a.a.O., NJW 1988, 1380, 1382) Die Beklagte durfte sich folglich auf eine - kritische - Sichtprüfung durch ihre vor Ort tätigen Agenten beschränken und diese hatten nur darauf zu achten, ob ihnen dabei Mängel oder Sicherheitsrisiken ins Auge sprangen (OLG Düsseldorf, a.a.O., NJW-RR 1997, 1483, 1484) Dafür, dass bei einer derartigen, der Beklagten allein abzuverlangenden Sichtkontrolle eine von der Fensterbrüstungshöhe ausgehende auffällige Gefahr hätte entdeckt werden können, ist nichts ersichtlich. Wie die vom Kläger vorgelegten Fotos (Hülle Bl. 180 GA), die, wie die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 23. August 2004 vorgelegten Farbkopien (insbesondere Bl, 139 - 141 GA) das Abstutzfenster zeigen, beweisen, hob sich die Fensteranlage schon durch ihren dunklen Rahmen deutlich von der weiß getünchten Wand ab und wies nach dem Vorbringen des Klägers eine Brüstungshöhe von Fußboden bis Fensterunterkante von 0,85 m (wegen der Schrägstellung des Zollstocks dürften es allenfalls 5 mm weniger sein) auf. Mit Recht weist das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nach den bundesdeutschen Landesbauordnungen (z.B. § 41 BauO NW) die Fensterbrüstungshöhe bei einer Absturzhöhe bis zu 12 Metern nur 0,8 m betragen müsse und damit die Brüstungshöhe in dem hier interessierenden Zimmer des Klägers nach dessen eigenem Vortrag sogar um knapp 5 cm über dieser Normhöhe gelegen habe. Hierbei übersieht der Senat nicht, dass für die Frage, ob die konkrete Fensterbrüstungshöhe in dem türkischen Vertragshotel der Beklagten objektiv betrachtet eine nicht mehr hinnehmbare Gefahrenquelle bedeutete, nicht auf die Vorschriften einer bundesdeutschen Landesbauordnung abzustellen ist. Trotzdem beeinflussen die nach den Landesbauordnungen vorgeschriebenen Fensterbrüstungshöhen die Sachkunde des mit der Sichtkontrolle befassten erfahrenen Reiseleiters in der Türkei. Für einen solchen unbefangenen Beobachter stellte sich mit einer Fensterbrüstungshöhe von 0,85 m die hier interessierende Fensteranlage im Ergebnis so dar, wie sie auch in Hotels und anderen Gebäuden in Deutschland anzutreffen ist und damit nicht als ins Auge springend gefährlich. Zwar mag es sein, dass aufgrund des Umstandes, dass seit einigen Jahren die Körpergröße der Jugendlichen zugenommen hat, es deswegen auf längere S00icht eventuell angezeigt sein könnte, wegen des anderen Schwerpunktes die Fensterbrüstungshöhe entsprechend anzupassen. Dies ändert aber nichts daran, dass einem sachkundigen Reiseleiter, der ebenso wie der in Nordrhein-Westfalen wohnende Kläger mit Fensterbrüstungshöhen von 0,80 m vertraut ist, eine Fensterbrüstungshöhe von 0,85 m nicht als gefährlich niedrig vorkommen musste. Eine andere Beurteilung der Rechtslage ist auch nicht deshalb geboten, wenn man mit dem Kläger davon ausgeht, dass Grund für die abweichende Behandlung der Brüstungshöhe bei Fenstern gegenüber den Mindesthöhen bei Umwehrungen die psychologische Wirkung der Brüstungstiefe ist und demgemäss bei einer Fensteranlage - wie hier - ohne Fensterbank die Fensterkonstruktion dann entsprechend den für Umwehrungen geltenden Mindesthöhen eine Brüstungshöhe von 0,90 m (§ 41 Abs. 4 BauO NW) aufweisen sollte, so wie dies nach dem Vorbringen der Parteien im Übrigen auch den örtlichen türkischen Bauvorschriften entsprechen soll. Denn eine Abweichung von 5 cm auf eine Sollhöhe von 0,90 m ist nach der Rechtsauffassung des Senats nicht so ins Auge springend, als dass dies einem sachkundigen Reiseleiter bei der Begehung der Zimmer als offenkundige Gefahrenquelle hätte auffallen müssen. Der Kläger kann sein Begehren auf Schmerzensgeld und Schadensersatz des Weiteren nicht auf die Vorschrift des § 831 BGB stützen. Denn die Beklagte haftet als Reiseveranstalter nicht für eine etwaige Verkehrssicherungspflichtverletzung des Hotelbetreibers, da der Hotelier wegen seiner mangelnden Weisungsgebundenheit und Abhängigkeit nicht als ihr Verrichtungsgehilfe im Sinne von § 831 Abs. 1 BGB angesehen werden kann. Auch ein Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises (§ 651 e BGB) und Entschädigung (§ 651 f Abs. 2 BGB) besteht nicht. Als erheblicher Mangel der Reise kann nur auf die Kontrollpflicht der Beklagten abgestellt werden, die diese aus den vorstehend erörterten Gründen jedoch nicht verletzt hat. Die Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlage in den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Es besteht kein begründeter Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 ZPO). Streitwert: 185.938,67 EUR

Ende der Entscheidung

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