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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 12.11.2008
Aktenzeichen: I-15 U 55/08
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 12. Februar 2008 verkündete zweite Versäumnisurteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schmerzensgeldansprüche nach dem Produkthaftpflichtgesetz geltend.

Am 27. November 2007 hatte das Landgericht gegen die in der mündlichen Verhandlung nicht erschienene Klägerin ein Versäumnisurteil erlassen. Gegen das Versäumnisurteil hat die Klägerin fristgerecht Einspruch eingelegt und diesen gleichzeitig begründet. Die Ladung zu der mündlichen Verhandlung über den Einspruch und zur Sache, die auf den 12. Februar 2008, 9.00 Uhr, angesetzt worden war, wurde der Klägerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 2. Februar 2008 zugestellt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12. Februar 2008 erschien bei Aufruf der Sache niemand für die Klägerin. Daraufhin beantragte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten den Einspruch der Klägerin gegen das Versäumnisurteil vom 27. November 2007 durch zweites Versäumnisurteil zu verwerfen. Das Landgericht hat entsprechend diesem Antrag erkannt.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte mit Schriftsatz vom 11. Februar 2008, eingegangen in der gemeinsamen Briefannahmestelle des Land- und Amtsgerichts Düsseldorf um 15:06 Uhr desselben Tages unter Hinweis auf seine akute Erkrankung um kurzfristige Verlegung des Verhandlungstermins gebeten. Dieser Schriftsatz wurde dem zuständigen Einzelrichter des Landgerichts erst nach Erlass des zweiten Versäumnisurteils um 10:30 Uhr vorgelegt.

Die Klägerin hat gegen das 2. Versäumnisurteil form- und fristgemäß Berufung eingelegt. Zur Begründung, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe, hat die Klägerin vorgetragen, bei ihrem Prozessbevollmächtigten sei in den Mittagsstunden des 11. Februar 2008 ein grippaler Infekt mit Fieber von 39 ° C durchgeschlagen, so dass nach der Beurteilung des behandelnden Hausarztes ihres Prozessbevollmächtigten dessen Reisefähigkeit nicht mehr bestanden habe. Unmittelbar nach Erhalt des ärztlichen Attestes habe ihr Prozessbevollmächtigter versucht, das Gericht zu erreichen. Ein zweimaliger Anruf auf der Geschäftsstelle sei einmal am Besetztzeichen gescheitert, ein anderes Mal habe sich niemand gemeldet. Ein weiterer Anruf über die Telefonzentrale habe erfolglos in einer minutenlangen Warteschleife geendet. Daraufhin habe ihr Prozessbevollmächtigter um 15:07 Uhr des Vortages an das Landgericht einen Schriftsatz mit einem Vertagungsantrag und dem ausdrücklichen Hinweis "Bitte sofort vorlegen! Eilt!" gesendet.

Die Klägerin beantragt,

den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Landgericht Düsseldorf zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, dass die Klägerin nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan habe, um dem Gericht rechtzeitig die Verhinderung ihres Prozessbevollmächtigten mitzuteilen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen (§§ 514 Abs. 2, 522 Abs. 1 ZPO).

Die Zulässigkeit des Rechtsmittels setzt die schlüssige Darlegung voraus, dass kein Fall der schuldhaften Versäumung vorgelegen hat (§ 514 Abs. 2 ZPO). Ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten hat sich die Partei als eigenes Verschulden anrechnen zu lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

Die Klägerin hat nicht hinlänglich dargetan, dass ihren Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt A. kein Verschulden an der Säumnis trifft.

Für die Entscheidung kann unterstellt werden, dass Rechtsanwalt A. am 11./12. Februar 2008 wegen eines Infekts mit einem Noro-Virus - so wie dies von ihm in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 22. Oktober angegeben worden ist - nicht von B. mit dem Pkw oder öffentlichen Verkehrsmitteln zur mündlichen Verhandlung nach Düsseldorf reisen konnte. Eine schuldhafte Säumnis liegt aber auch dann vor, wenn der Prozessbevollmächtigte, der kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist, nicht das ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen (vergl. BGH, Urteil vom 3. November 2005 - I ZR 53/05, NJW 2006, 448-449; vom 19. November 1998 - IX ZR 152/98, NJW 1999, 724; OLG Rostock, Beschluss vom 10. Januar 2002 - 1 U 238/00, MDR 2002, 780 f; vgl. weiter Musielak/Stadler, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 337 Rdnr. 6;.). Dies ist hier der Fall.

Die Klägerin macht nicht geltend, dass ihr Prozessbevollmächtigter so schwer erkrankt gewesen sei, dass er deshalb nicht mehr in der Lage gewesen wäre, das Landgericht rechtzeitig von seiner Verhinderung zu unterrichten. Sie trägt vielmehr vor, er habe alle dazu erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen. Bereits aus dem zeitlichen Ablauf, den die Klägerin dargelegt hat, geht jedoch hervor, dass die Bemühungen von Rechtsanwalt A. unzureichend waren.

Bevor der Prozessbevollmächtigte der Klägerin das Landgericht schriftsätzlich per Fax um 15:06 Uhr von seiner Verhinderung unterrichtete, hat er zunächst versucht, das Gericht telefonisch von seiner Erkrankung zu unterrichten. Allerdings sind insoweit drei erfolglose Versuche kein ausreichendes Bemühen. Bei Landgericht Düsseldorf bestanden zum damaligen Zeitpunkt Sprechzeiten Montag bis Dienstag von 8:30 bis 15:30 Uhr. Bei dem 11. Februar 2008 handelte es sich um einen Montag. Von einem Anwalt, der am Nachmittag vor dem Verhandlungstag einen Vertagungsantrag wegen Erkrankung stellt, kann erwartet werden, dass er bis zum Ende der Sprechzeit am Vortag Bemühungen unternimmt, um das Gericht von seiner Verhinderung zu unterrichten. Er brauchte dies nicht selbst zu tun; es hätte ausgereicht, wenn er seine Sekretärin gebeten hätte, telefonischen Kontakt zum Landgericht aufzunehmen. Ihm war die Telefonnummer der Geschäftsstelle bekannt. Aus dem Umstand, dass beim ersten Telefonversuch ein Besetztzeichen ertönte und beim zweiten Versuch niemand ans Telefon ging, kann nicht geschlossen werden, dass die Geschäftsstelle bis zum Ende der Sprechzeit unbesetzt war und deshalb auf der Geschäftsstelle niemand mehr zu erreichen gewesen wäre, dem am Nachmittag des Vortages noch eine Nachricht von der Erkrankung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin hätte übermittelt werden können.

Die Klägerin durfte nicht darauf vertrauen, dass ihr am Nachmittag des 11. Februar 2008 um 15:06 Uhr versendetes Faxschreiben mit dem Terminsverlegungsantrag noch rechtzeitig vor dem am 12. Februar 2008 um 9:00 Uhr anberaumten Verhandlungstermin dem zuständigen Richter zugeleitet werden würde.

Nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt, der kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist, alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen; nur dann ist er entschuldigt. Dazu gehört auch, dass er in Rechnung stellt, dass angesichts der in Justizkreisen allgemein bekannten angestrengten Personalsituation in der Justiz des Landes NRW ein einzelnes Gericht möglicherweise nicht jederzeit über eine optimale Gerichtsorganisation verfügt. Um sicherzustellen, dass ein am Nachmittag vor Dienstschluss auf der gemeinsamen Briefannahmestelle des Amts- und Landgerichts eingegangenes Fax auch bei einer nicht optimal funktionierenden Gerichtsorganisation noch rechtzeitig vor dem am Folgetag um 9.00 Uhr stattfindenden Verhandlungstermin vorgelegt wird, hätte es sich angeboten, auf diesem Fax statt des Vermerks "Bitte sofort Vorlegen! Eilt!" den Vermerk "Termin 12. Februar 2008, 9.00 Uhr, Bitte sofort vor dem Termin vorlegen" anzubringen. Schon aufgrund dieses Vermerks hätte es sich jedem mit dem Vorgang befassten Wachtmeister oder Geschäftsstellenbeamten aufgedrängt, dass das fragliche Fax von einer herausragenden Wichtigkeit ist und unbedingt vor dem Termin vorgelegt werden muss. Ohne Hinweis auf den Termin erschließt sich diese Bedeutung nicht.

Weiterhin hätte es sich angeboten - wenn nicht sogar aufgedrängt - sich am Morgen vor dem Verhandlungstermin bei der Geschäftstelle nach dem Eingang des gefaxten Vertagungsantrags zu erkundigen und darauf zu drängen, dass der Schriftsatz gegebenenfalls gesucht und dem zuständigen Einzelrichter noch vor dem Verhandlungstermin vorgelegt wird. Da die allgemeine Sprechzeit um 8.30 Uhr beginnt, kann auch davon ausgegangen werden, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin noch rechtzeitig vor dem Termin entweder die Geschäftsstelle oder den zuständigen Richter erreicht hätte, um diesen von seiner Verhinderung zu unterrichten. Diese Bemühungen waren umso mehr geboten, als der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits am 2. Oktober 2007 mit nahezu gleicher Begründung eine Vertagung erreicht hatte und dem daraufhin am 27. November 2007 anberaumten Verhandlungstermin ohne jegliche Vorankündigung ferngeblieben war. Er musste unter diesen Umständen gegenwärtigen, dass das Gericht möglicherweise die Richtigkeit des für den Termin vom 12. Februar 2008 vorgetragenen Vertragungsgrundes bezweifeln und von daher die Notwendigkeit ergänzender telefonischer Erklärungen bestehen könnte; andererseits durfte er nicht damit rechnen, dass das Gericht bei seinem Fernbleiben ein unverschuldetes Hindernis vermuten und vor Erlass eines 2. Versäumnisurteils von sich aus Nachfragen nach seinem Erscheinen unternehmen würde, zumal auch die normalerweise zu erwartende und gewiss leichter zu bewerkstelligende kollegiale Unterrichtung des Anwalts der Gegenseite ausgeblieben ist (BGH, Urteil vom 3. November 2005 - I ZR 53/05, NJW 2006, 448-449), die ebenfalls ein geeignetes Mittel dargestellt hätte, das Gericht auf diesem Wege indirekt von dem Grund des Fernbleibens in Kenntnis zu setzen.

Die Versuche von Rechtsanwalt A., das Gericht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung und vor Erlass des 2. Versäumnisurteils davon in Kenntnis zu setzen, dass er den Termin nicht wahrnehmen könne, waren - wie sich ihm aufdrängen musste - unzureichend. Insbesondere die kollegiale Unterrichtung des Gegenanwalts hätte kaum mehr Aufwand als ein weiteres Faxschreiben oder ein Telefonanruf am Vortag zu einem Zeitpunkt bedeutet, als Rechtsanwalt A. versucht hatte, das Landgericht zu erreichen. Mit den vorstehend aufgezeigten Bemühungen hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aller Erfahrung nach eines der Mitglieder des Landgerichts oder die Geschäftsstelle (gegebenenfalls deren Vertretung) vor Erlass des 2. Versäumnisurteils erreichen können.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Es besteht kein begründeter Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 ZPO).

Streitwert für das Berufungsverfahren: 22.000,00 €

Ende der Entscheidung

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