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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 21.02.2007
Aktenzeichen: I-16 W 70/06
Rechtsgebiete: ZPO, HGB, BGB


Vorschriften:

ZPO § 138 Abs. 1
ZPO § 574 Abs. 2
ZPO § 574 Abs. 3
HGB § 87a Abs. 2
HGB § 87a Abs. 3
HGB § 87a Abs. 3 Satz 1
HGB § 87a Abs. 3 Satz 2
HGB § 87a Abs. 5
HGB § 92
HGB § 92 Abs. 2
BGB § 162 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 21. März 2006 wird der ihr Prozesskostenhilfe versagende Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 8. März 2006 abgeändert.

Der Beklagten wird, soweit nicht bereits das Landgericht der Beschwerde abgeholfen hat, für die Verteidigung der gegen sie erhobenen Klage in der ersten Instanz ab dem Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B... bewilligt. Eine Ratenzahlung wird ihr nicht auferlegt.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.474,-- Euro festgesetzt.

Gründe:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den ihren PKH-Antrag zurückweisenden Beschluss des Landgerichts vom 8. März 2006 ist zulässig und begründet. Das Landgericht hat der Beschwerde zwar teilweise bereits abgeholfen, im Übrigen jedoch die Darlegungs- und Beweislast der Parteien unzutreffend beurteilt und ist so zu einem falschen Ergebnis seiner Überprüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung der Beklagten gelangt.

I. Die Parteien waren unstreitig durch einen Handelsvertretervertrag miteinander verbunden. Das Vertragsverhältnis ist zum 30. April 2003 beendet worden. Der Beklagten sind Provisionsvorschüsse und eine Ausbildungsbeihilfe gewährt worden, letztere in Form eines Darlehens. Beides fordert die Klägerin nach Vertragsende zurück. Die Beklagte wehrt sich vor allem dagegen, dass der bisherige Sachvortrag der Klägerin und deren Vorlage umfangreicher Unterlagen nicht genüge, um den von ihr errechneten Saldo hinreichend nachvollziehbar darzulegen.

Mit diesem Einwand hat die Beklagte Erfolg. Das Landgericht ist unzutreffend davon ausgegangen, die Beklagte müsse die Provisionsabrechnungen und die weiteren Unterlagen der Klägerin selbst auswerten und darlegen, welche Einzelposition in der Gesamtabrechnung richtig und welche falsch sei (vgl. den angefochtenen Beschluss vom 8. März 2006, die Hinweise des Landgerichts vom 24. Mai 2006 sowie die Nichtabhilfeentscheidung des Landgerichts vom 25. Juli 2006). Mit dieser Einschätzung hat das Landgericht die Darlegungslast der Parteien unzutreffend beurteilt.

1. Inwieweit die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auch Gegenforderungen geltend macht, für welche sie - insbesondere bei einer Geltendmachung im Wege der Aufrechnung - ihrerseits darlegungs- und beweispflichtig wäre, kann für die hier allein zu treffende Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag dahinstehen. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang auf einen etwaigen Ersatzanspruch der Beklagten wegen der Berechnung der Bürokosten von monatlich 300,-- Euro abgestellt hat, kommt es hierauf für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht an, weil die Kritik der Beklagten an der gegnerischen Berechnung der Klageforderung bereits durchgreift (siehe die nachfolgenden Ausführungen). Berechtigt ist die Rüge des Landgerichts am Vorbringen der Beklagten allerdings insoweit, als auch der Senat den Beklagtenvortrag hinsichtlich der Bürokosten als wahrheitswidrig einschätzt. Es ist kaum vorstellbar, dass die Beklagte nach so kurzer Zeit nicht mehr gewusst haben will, für nahezu den gesamten Vertragszeitraum einen Abbuchungsauftrag erteilt zu haben. Dass es nötig war, dass die Klägerin den Abbuchungsauftrag in Kopie zunächst vorlegen muss, um diese Position unstreitig werden zu lassen, macht an dieser Stelle die Ermahnung zu wahrheitsgemäßem Vortrag nach § 138 Abs. 1 ZPO erforderlich.

2. Dessen ungeachtet ist jedoch die weitergehende Kritik der Beklagten gegen die Richtigkeit der klägerischen Abrechnung begründet.

Unstreitig sind in der Abrechnung mehrere Stornierungsfälle enthalten, die dazu geführt haben, dass ein Teil der Klageforderung, wenn nicht sogar der gesamte Anspruch auf ihnen beruht. Die Beklagte macht - unter anderem - geltend, dass einige Verträge gar nicht storniert worden seien, andere Verträge wiederum "wieder aufgelebt" und sodann unzutreffend rückgebucht worden seien und im Übrigen die rechtlich erforderliche Nachbearbeitung gefährdeter Verträge nicht vorgenommen worden sei.

Insoweit ist in rechtlicher Hinsicht Folgendes auszuführen:

a. Gemäß § 92 Abs. 2 HGB gelten für das Vertragsverhältnis zwischen Versicherungsvertreter und Versicherer die Vorschriften für das Vertragsverhältnis zwischen dem Handelsvertreter und dem Unternehmer. Danach bestimmen sich die Auswirkungen von Leistungsstörungen auf den Provisionsanspruch des Versicherungsvertreters grundsätzlich nach § 87a Abs. 3 HGB, dessen Grundsatz der Provisionserhaltung Vorrang vor der Regelung des § 87a Abs. 2 HGB hat. Für § 87a Abs. 2 HGB ist bei den unter § 92 HGB fallenden Verträgen kein Raum, da der Provisionsanspruch erst mit der Zahlung der maßgebenden Prämie - unbedingt - entsteht (Ebenroth/Boujong/ Joost-Löwisch, HGB, § 92 Rn 4, 17 und 26).

b. Nach § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB hat der Versicherungsvertreter nur dann keinen Anspruch auf Provision, wenn und soweit der Unternehmer das vermittelte Geschäft aus von ihm nicht zu vertretenden Umständen nicht ausführt. Nach der gesetzlichen Regelung wird also im Regelfall der Provisionsanspruch des Vertreters gewahrt, auch wenn eine Leistungsstörung beim Versicherer auftritt, wobei es unbeachtlich ist, ob dieser einseitig oder im Einvernehmen mit dem Dritten das Geschäft nicht ausführt.

Die Nichtausführung eines Versicherungsvertrags ist vom Unternehmer nur dann nicht zu vertreten, wenn er sich in ausreichender Weise um die Rettung stornogefährdeter Verträge bemüht hat. Dem Versicherer obliegt es, nachdem er aus freien Stücken den ihm angetragenen Vertrag mit dem Kunden abgeschlossen hat, sich im Wege der erforderlichen Nacharbeit um die Rettung des wegen ausbleibender Prämienzahlung auflösungsgefährdeten Vertrags ausreichend zu bemühen, selbst wenn es sich um die ausstehende Erstprämie handelt (BGH NJW-RR 1988, 546; BGH VersR 1983, 371, 372; BAG NJW 1968, 518, 520; Senatsurteil vom 28.11.1997, OLGR 1999, 202, 203; Ebenroth/Boujong/Joost-Löwisch aaO, § 92 Rn 17). Er hat dabei zwar die Wahl, die Nachbearbeitung selbst vorzunehmen oder sie dem Vertreter zu überlassen (OLG Düsseldorf aaO; OLG Frankfurt VersR 1997, 875; OLG Karlsruhe VersR 1989, 511, 512). Unterlässt der Versicherer aber in beider Hinsicht ausreichende Nachbearbeitungsmaßnahmen, muss er sich nach dem Rechtsgedanken des § 87a Abs. 3 Satz 1 HGB und des § 162 Abs. 1 BGB sowie wegen der gegenüber dem Versicherungsvertreter bestehenden Treuepflicht so behandeln lassen, als sei eine erfolgreiche Nachbearbeitung erfolgt und als sei der Provisionsanspruch des Vertreters endgültig entstanden.

Zu solchen Bemühungen gehört es, dass der Versicherer, der nicht selbst nachbearbeitet, jedem mit ihm vertraglich verbundenen Handels- oder Untervertreter, dem er die Gesamtprovision oder einen Teil hiervon auszuzahlen hat, Stornogefahrmitteilungen zukommen lässt. Diese Mitteilungen müssen den Vertreter so rechtzeitig von der Nichtzahlung der Prämie und - soweit bekannt - deren Gründen unterrichten, dass dieser sich mit Aussicht auf Erfolg um eine Rettung des Vertrags bemühen kann (BGH VersR 1983, 371, 372; Senat, OLGR 1999, 202, 204). Für den Zugang der Mitteilung bei dem Vertreter ist der Unternehmer verantwortlich. Erst mit der ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Stornogefahrmitteilung erfüllt der Unternehmer seine Verpflichtung nach § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB (Ebenroth/Boujong/Joost-Löwisch aaO, § 92 Rn 19; Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer, HGB, 2. Aufl., § 92 Rn 16).

Übernimmt der Unternehmer hingegen die Nachbearbeitung selbst, muss er alles ihm Zumutbare und objektiv Erforderliche unternehmen, um den Versicherungsnehmer zur Zahlung der Prämie zu veranlassen und dadurch dem Versicherungsvertreter den Provisionsanspruch zu erhalten, bevor er den Versicherungsvertrag vorzeitig auflöst. Der Umfang der Maßnahmen richtet sich zwar nach dem Einzelfall (Heymann/Sonnenschein/Weitemeyer aaO). Im Interesse des Vertreters ist er aber in jedem Fall gehalten, die Gründe für die Nichtzahlung zu erforschen und nach einer Lösung gemeinsam mit dem Prämienschuldner zu suchen. Hierfür werden regelmäßig eine persönliche Rücksprache mit dem Schuldner sowie eine nachdrückliche Zahlungsaufforderung erforderlich sein. Einfache Mahnungen an den Kunden genügen demgegenüber nicht (OLG Karlsruhe VersR 1989, 511, 512; Ebenroth/Boujong/ Joost-Löwisch aaO, § 92 Rn 20).

Entbehrlich ist eine Nachbearbeitung ausnahmsweise nur dann, wenn endgültig und unabänderlich feststeht, dass der Schuldner nicht zahlen wird (Ebenroth/Boujong/ Joost-Löwisch aaO, § 92 Rn 21).

c. Der Versicherer, der sich zur Verteidigung gegen einen Provisionsanspruch auf § 87a Abs. 3 Satz 2 HGB beruft, muss die Voraussetzungen dieser Regelung darlegen und beweisen (BGH VersR 1983, 371, 372; BGH NJW-RR 1988, 546; OLG Koblenz VersR 1980, 623, 625). Dazu gehört die konkrete Darlegung und Beweisführung, dass und mit welchem Inhalt eine ausreichende Nachbearbeitung durchgeführt worden, jedoch erfolglos geblieben ist, oder eine Nachbearbeitung ausnahmsweise entbehrlich gewesen ist, und zwar für jeden einzelnen rückabzuwickelnden Versicherungsvertrag. Dies gilt auch, wenn der Versicherer den Vertreter auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen in Anspruch nimmt, welche dieser im Hinblick auf konkrete Vertragsabschlüsse erhalten hat (Ebenroth/Boujong/Joost-Löwisch aaO, § 92 Rn 28 f.).

3. Danach kann im vorliegenden Fall auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands nicht festgestellt werden, dass die Klageforderung berechtigt ist.

a. Dabei ist für die Frage der Prozesskostenhilfebewilligung vollkommen irrelevant, dass die Klageforderung nicht in vollem Umfang mit Stornierungsfällen begründet wird. Entscheidend ist allein, dass die Richtigkeit der Gesamtabrechnung der Klägerin in Frage steht, wenn solche Fälle in diese einfließen. Die Berechtigung der Klageforderung kann bei dieser Sachlage nur dann festgestellt werden, wenn die Klägerin sämtliche Stornierungsfälle mit den damit einhergehenden Rückbelastungen nicht mehr geltend macht oder den aufgezeigten Darlegungs- und Beweisaufwand betreibt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist es nicht die Aufgabe der Beklagten, eine rechnerische Trennung zwischen berechtigten und unberechtigten Positionen der klägerischen Saldierung vorzunehmen. Es wird zu gegebener Zeit - wenn sämtliche Stornierungsfälle (mit welchem Ergebnis auch immer) geklärt sind - zu prüfen sein, welcher Teil der Klageforderung allein auf anderen Umständen als Vertragsstornierungen beruht. Dies kann derzeit nicht festgestellt werden, auch nicht im Hinblick auf die gewährte Ausbildungsbeihilfe von insgesamt 2.800,-- Euro, weil auch diese nur als Einzelposten in die Gesamtabrechnung eingeflossen ist.

b. Unerheblich ist ferner, dass die Klägerin ihrerseits nur Vermittlerin und nicht Versicherer ist. Im Verhältnis zur Beklagten bestand ein Untervertretervertragsverhältnis, in welchem sie wie ein Unternehmer zum Hauptvertreter verpflichtet ist. Soweit sie dazu bestimmte Informationen ihres Produktpartners benötigt, muss sie sich diese beschaffen.

c. Der bisherige Klägervortrag - auch in der Beschwerdeerwiderung und im Schriftsatz vom 19. Mai 2006 - genügt den aufgezeigten Anforderungen nicht, jedenfalls nicht in vollem Umfang. Dabei kann für die Frage der Prozesskostenhilfebewilligung dahinstehen, ob und inwieweit er in bestimmter Hinsicht schlüssig und ausreichend ist. Teilweise ist er jedenfalls unschlüssig, so dass der Beklagten die beantragte PKH zu gewähren ist, um sodann die erforderliche weitere Aufklärung - ggf. durch weitere verfahrensfördernde Hinweise oder Maßnahmen - zu betreiben. Pauschalierungen hinsichtlich des Ergreifens eigener Nachbearbeitungsmaßnahmen, der Benachrichtigung der Beklagten von einer bestehenden Stornogefahr oder der Nutzlosigkeit von Rettungsbemühungen verbieten sich. Erforderlich ist konkreter, unter Beweis stehender Sachvortrag für den jeweiligen Einzelfall. Dies gilt auch für die Zeit nach Beendigung der Vertragsbeziehung der Parteien. Auch wenn dann keine Stornogefahrmitteilungen mehr erforderlich gewesen sind, so musste doch die Klägerin zumindest eigene Nachbearbeitungsmaßnahmen ergreifen.

Im Übrigen ist die Klägerin nicht nur darlegungs-, sondern auch beweispflichtig. In welcher Hinsicht das einfache Bestreiten der Beklagten (teilweise auch mit Nichtwissen) nicht genügen soll, hat das Landgericht bislang nicht festgestellt. Erforderlich ist eine Überprüfung der vorgetragenen Einzelfälle, die nicht vorgenommen worden ist, allerdings bei einer Fallgestaltung der vorliegenden Art, in der es um eine Vielzahl zu klärender Einzelfälle geht, auch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben sollte.

d. Eine wirksame Abbedingung der Rechte des Versicherungsvertreters im Rahmen des hier geschlossenen Vertrags ist auf der Grundlage der eindeutigen Regelung in § 87a Abs. 5 HGB nicht festzustellen.

II. Eine Überprüfung der angegebenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten hat ergeben, dass eine Auferlegung von Ratenzahlungen nicht in Betracht kommt.

Eine Kostenentscheidung ist im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht veranlasst (§ 118 Abs. 1 Satz 4, § 127 Abs. 4 ZPO, Nr. 1811 des Kostenverzeichnisses in der Anlage 1 des GKG; vgl. auch Zöller-Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 118 Rn 24). Der festgesetzte Beschwerdewert entspricht dem nach der Teilabhilfe des Landgerichts verbliebenen Umfang der Klageforderung, gegen welche sich die Beklagte als um Prozesskostenhilfe nachsuchende Partei verteidigt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 und 3 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

Ende der Entscheidung

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