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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.02.2008
Aktenzeichen: I-18 U 81/07
Rechtsgebiete: HGB, BGB, ZPO


Vorschriften:

HGB § 425
HGB § 425 Abs. 1
HGB § 429 Abs. 3 Satz 2
HGB § 435
HGB § 439 Abs. 1 Satz 2
HGB § 449 Abs. 2
BGB § 254
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 2
BGB § 254 Abs. 2 Satz 1
BGB § 257
BGB § 280
BGB § 280 Abs. 2
BGB § 286
BGB § 286 Abs. 1
BGB § 288 Abs. 1
ZPO § 287
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 05.04.2007 - 31 O 107/05 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt,

1. an die Klägerin zu 1) 14.883,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus 199,24 € seit dem 07.04.2005 sowie aus weiteren 14.683,86 € seit dem 01.04.2005 zu zahlen;

2. an die Klägerin zu 2) 14.883,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus 199,24 € seit dem 07.04.2005 sowie aus weiteren 14.683,86 € seit dem 01.04.2005 zu zahlen;

3. die Klägerinnen zu 1) und 2) von vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten in Höhe von je 285,77 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen werden die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten den Klägerinnen zu 1) und 2) jeweils zu 1/20 und der Beklagten zu 18/20 auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen zu 1) und 2) tragen diese jeweils selbst zu 1/10 und die Beklagte jeweils zu 9/10.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

Die Klägerinnen nehmen als Transportversicherer der Fa. F. GmbH in T. aus abgetretenem und übergegangenem Recht die Beklagte auf Schadensersatz wegen mehrerer Transportschadensfälle in Anspruch. Dabei geht es um elf bei Inlands- und Auslandstransporten eingetretene Schadensfälle aus dem Jahr 2004. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil vom 05.04.2007 Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch das angefochtene Urteil die Beklagte zur Zahlung von 16.496,18 € an die Klägerin zu 1) und von 16.496,17 € an die Klägerin zu 2), jeweils nebst Zinsen, sowie zur Freistellung der Klägerinnen zu 1) und 2) von vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten in Höhe von je 312,91 € verurteilt. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei gemäß Art. 17 CMR (Auslandstransporte in den Schadensfällen 1, 2, 4 und 6 bis 11) bzw. § 425 HGB (Inlandstransporte in den Schadensfällen 3 und 5) zum Ersatz der durch den Verlust von Transportgut entstandenen Schäden verpflichtet. Die Aktivlegitimation der Klägerinnen ergebe sich jedenfalls auf Grund einer in der Überlassung der Schadensunterlagen an sie zu sehenden stillschweigenden Abtretung der Schadensersatzansprüche der Versenderin. Die Kammer sei davon überzeugt, dass die betreffenden Sendungen den von den Klägerinnen behaupteten Inhalt und Wert gehabt hätten. Die Zeugin S. habe im Rahmen ihrer Vernehmung durch das Rechtshilfegericht bestätigt, dass den Sendungen ab August 2004 ein Lieferschein beigefügt gewesen sei. Für den Zeitraum Juni bis Juli 2004 sei dies ebenfalls der Fall gewesen, wie sich aus der im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Aussage der Zeugin S. in dem Rechtsstreit 31 O 76/04 LG Düsseldorf/18 U 22/06 OLG Düsseldorf ergebe. Den damit dafür sprechenden Beweis des ersten Anscheins, dass die streitgegenständlichen Sendungen den von den Klägerinnen behaupteten Inhalt gehabt hätten, habe die Beklagte durch ihr Vorbringen nicht erschüttert. Der Wert der jeweiligen Sendungen ergebe sich entsprechend § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB aus den von den Klägerinnen überreichten Handelsrechnungen. Die Beklagte könne nicht mit Erfolg eine zu ihren Gunsten bestehende Haftungsbeschränkung geltend machen, da sie insoweit ihrer Einlassungsobliegenheit nicht nachgekommen und daher zu unterstellen sei, dass der Verlust der Pakete durch qualifiziertes Verschulden ihrer Leute eingetreten sei. Von ihrer Einlassungsobliegenheit sei die Beklagte auch nicht deshalb entbunden, weil die Versenderin auf Schnittstellenkontrollen verzichtet hätte. Zum einen habe die Versenderin lediglich auf die Dokumentation von Schnittstellenkontrollen verzichtet, zum anderen sei ein Verzicht auf Schnittstellenkontrollen ohnehin wegen eines Verstoßes gegen Art. 41 CMR bzw. § 449 Abs. 2 HGB unwirksam.

Das Landgericht hat weiter ausgeführt, die Ansprüche der Klägerinnen seien nicht auf Grund eines Mitverschuldens der Versenderin eingeschränkt. Ein anspruchsminderndes Mitverschulden lasse sich nicht daraus herleiten, dass die Beklagte auf Grund einer von der Versenderin unterlassenen Wertdeklaration nicht in die Lage versetzt worden sei, die Paketsendung einem höheren Haftungswert entsprechend zu befördern. Nach der der Kammer auf Grund der Aussage des Zeugen C. in anderen Verfahren bekannten Organisation des Versands wertdeklarierter Pakete bestehe ein gegenüber nicht wertdeklarierten Sendungen zusätzlich gesicherter Bereich nur solange, bis die Pakete im Abholcenter den ersten Scan erhalten hätten; danach würden diese Pakete zusammen mit den nicht wertdeklarierten Paketen befördert. Bei dem hier zur Anwendung gekommenen EDI-Verfahren sei die Erstellung eines sog. Presheets, an Hand dessen die Ankunft eines Pakets im Zustellcenter überprüft werden könne, nicht vorgesehen. Im Ergebnis folge daraus, dass bei der Beförderung von im Eingangscenter gescannten Paketen kein Unterschied mehr zwischen wertdeklarierten und nicht wertdeklarierten Sendungen bestehe, insbesondere eine bessere räumliche und/oder zeitliche Eingrenzung des Verlustorts nicht möglich sei. Dass im vorliegenden Fall eine Scannung im Eingangscenter erfolgt sei, ergebe sich bereits daraus, dass die Beklagte die Übergabe der Sendung nicht bestritten und eine fehlende Erfassung der Pakete in ihrem System nicht behauptet habe. Den Klägerinnen sei auch keine Obliegenheitsverletzung im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB vorzuwerfen, weil die Versenderin einen über 5.000,- € liegenden Sendungswert nicht angegeben habe. Denn ein unterlassener Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens wirke sich nur dann zu Lasten des Versenders aus, wenn die Beklagte im Falle eines solchen Hinweises besondere Maßnahmen ergriffen hätte. Gerade dies sei jedoch nicht der Fall, weil Sendungen bis zu einer Wertangabe von 56.000,- € ohne Weiteres zur Beförderung angenommen würden. Ein Mitverschuldenseinwand ergebe sich auch nicht daraus, dass der Versicherungsnehmerin der Klägerinnen das Unterlassen von Schnittstellenkontrollen durch die Beklagte positiv bekannt gewesen wäre. Denn die Beklagte habe im Rahmen der von ihr zugestandenen Gespräche mit der Versenderin zugesichert, sich um eine Verminderung der Verlustfälle zu bemühen, um die Versenderin als Kundin zu behalten, weshalb diese davon habe ausgehen können, dass auch die Schnittstellenkontrolle ausgeweitet und verbessert würde. Im Übrigen reiche die bloße Kenntnis und Billigung der Transportorganisation der Beklagten für sich allein nicht zur Begründung eines Mitverschuldens aus. Die Ansprüche der Klägerinnen seien auch nicht verjährt, weil die dreijährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 2 HGB bei Einreichung der Klage noch nicht verstrichen gewesen sei.

Bezüglich der ihnen entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten, so das Landgericht weiter, könnten die Klägerinnen zwar mangels bereits eingetretenen Schadens noch keine Zahlung verlangen, weshalb die Klage insoweit unbegründet sei, jedoch schulde die Beklagte gemäß §§ 257, 280 BGB Freistellung, da sie sich im Zeitpunkt der Einschaltung der Rechtsanwälte auf Grund ihrer endgültigen Ablehnung der geltend gemachten Forderung in Verzug befunden habe und deshalb Ersatz des nicht anzurechnenden Teils der Geschäftsgebühr schulde, wobei auf Grund des Gutachtens der Rechtsanwaltskammer M. von einer zu Recht angesetzten 1,3 Geschäftsgebühr auszugehen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten.

Die Beklagte stellt weiterhin in Abrede, dass die angeblich verloren gegangenen Pakete den von der Klägerin behaupteten Inhalt und Wert gehabt hätten, da die Voraussetzungen für den vom Landgericht angenommenen Anscheinsbeweis nicht vorlägen; dieser scheitere daran, dass die Klägerinnen außer im Schadensfall 4) keine Lieferscheine und in den Schadensfällen 1), 2) und 10) nicht einmal Handelsrechnungen vorgelegt habe. Die Aussage der Zeugin S. sei nicht geeignet, den Paketinhalt in allen elf Schadensfällen zu belegen, da sie nur allgemeine Angaben zur Versandorganisation gemacht habe und auch nicht die aus der Aussage der Zeugin gezogene Schlussfolgerung des Landgerichts gerechtfertigt sei, dass den Sendungen Lieferscheine beigefügt gewesen seien. Da somit der Inhalt der verloren gegangenen Pakete nicht nachgewiesen sei, könne auch ihr Wert nicht bestimmt werden, in den Schadensfällen 1), 2) und 10) auch deshalb nicht, weil keine Handelsrechnungen vorgelegt worden seien.

Die Beklagte meint weiter, das Landgericht habe in den Schadensfällen 7) bis 9) und 11) rechtsfehlerhaft ein Mitverschulden der Versenderin wegen unterlassener Angabe des Wertes der Sendung verneint. Die Argumentation des Landgerichts, es sei davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen Pakete das Abholcenter erreicht hätten, weil sie, die Beklagte, Gegenteiliges nicht dargelegt und bewiesen habe, sei falsch. Ein Mitverschulden der Versenderin, so die Beklagte weiter, sei in den Schadensfällen 7) und 9) ferner auch wegen eines unterlassenen Hinweises der Versenderin auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens und in allen Schadensfällen deshalb gegeben, weil die Versenderin auf Grund zahlreicher Gespräche gewusst habe, dass sie, die Beklagte, bei Standardsendungen auf jegliche Schnittstellenkontrollen verzichte. Die Versenderin sei damit im Interesse der Einsparung von Transportkosten bewusst ein Risiko eingegangen und könne daher keine Schadensersatzansprüche stellen, wenn sich dieses Risiko realisiere. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien nicht zu erstatten, weil sie, die Beklagte, mit Schreiben vom 01.04.2005 die Forderungen der Klägerinnen definitiv und endgültig abgelehnt habe und daher keine Notwendigkeit für die anwaltlichen Mahnungen vom 06.05.2005 bestanden habe.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 05.04.2007 - 31 O 107/05 - die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerinnen verteidigen das angefochtene Urteil und treten der Berufung im Einzelnen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen.

Wegen des weitergehenden Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die von den Parteien zu den Akten gereichten Urkunden Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 26.09.2007 (Bl. 291ff. GA) und vom 30.01.2008 (Bl. 304 ff. GA) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten, die insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, hat in der Sache selbst nur teilweise Erfolg.

Die Klägerinnen können als Transportversicherer der Firma F. GmbH in T. aus abgetretenem bzw. übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte wegen der Schadensfälle 4), 6) bis 9) und 11) einen Schadensersatzanspruch aus Art. 17, 29 CMR und wegen der Schadensfälle 3) und 5) aus §§ 425, 435 HGB wegen Verlustes des Gutes aus den zu Grunde liegenden Transporten geltend machen; dagegen ist in den Schadensfällen 1), 2) und 10) ein Schadensersatzanspruch nicht gegeben.

Die Aktivlegitimation der Klägerinnen ist im Berufungsrechtszug nicht mehr im Streit. Auch die sonstigen Voraussetzungen für eine vertragliche Haftung der Beklagten nach den Art. 17, 29 CMR bzw. den §§ 425, 435 HGB liegen vor.

Der Verlust des Gutes aus den den Schadensfällen 3) bis 9) und 11) zu Grunde liegenden Transporten ist während der Obhutszeit der Beklagten eingetreten. In diesen Fällen hatten die verloren gegangenen Pakete den von der Klägern behaupteten Inhalt.

In dem Schadensfall 4) folgt der Paketinhalt schon aus dem Anscheinsbeweis, den die hierzu vorgelegten Handelsrechnungen (Anlagen K 25, K 27) mit den zugehörigen Lieferscheinen (Anlagen K 24, 26) für den von den Klägerinnen behaupteten Paketinhalt begründen. Bei kaufmännischen Absendern ist prima facie anzunehmen, dass die im Lieferschein und in der dazu korrespondierenden Rechnung aufgeführten Waren in dem Behältnis enthalten waren, weil im gewerblichen Bereich nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass an den gewerblichen Kunden exakt die bestellten und sodann berechneten Waren versandt wurden; es obliegt dann dem Schädiger, den zu Gunsten des Versenders streitenden Anscheinsbeweis durch substantiierten Vortrag zu erschüttern (BGH TranspR 2003, 156, 159). Diese Voraussetzungen für das Eingreifen des Anscheinsbeweises sind entgegen der Auffassung der Beklagten vorliegend erfüllt. Die Handelsrechnungen Anlagen K 25 und K 27 korrespondieren mit den Lieferscheinen Anlagen K 24 und K 26 in der Weise, dass in diesen jeweils der Paketinhalt und auch die Bestell-Nr. übereinstimmend angegeben sind. Außerdem ist in den beiden Rechnungen die Nummer des jeweils zugehörigen Lieferscheins aufgeführt. Die zu dem betreffenden Paket gehörende Paketnummer (Trackingnummer) ergibt sich aus der Schadensmeldung (Anlage K 23 + 23 a), die wiederum auf die Lieferscheinnummern Bezug nimmt.

Auch in den Schadensfällen 3), 5) bis 9) und 11) greift ein Anscheinsbeweis dafür ein, dass die verloren gegangenen Pakete jeweils den von den Klägerinnen behaupteten Inhalt hatten, und zwar aufgrund der von den Klägerinnen zu den Akten gereichten Handelsrechnungen (Anlagen K 14-17, K 34, K 41, K 48-50, K 57-59, K 66-67, K 81-82) in Verbindung mit der Aussage der im Wege der Rechtshilfe vernommenen Zeugin S. (Bl. 205 GA i.V.m. dem undatierten "Bericht" (Bl. 207 f. GA). Zwar beruht der genannte Anscheinsbeweis für den Paketinhalt grundsätzlich auf den übereinstimmenden diesbezüglichen Angaben in Handelsrechnung und Lieferschein. Für das Eingreifen des Anscheinsbeweises ist es jedoch nicht erforderlich, dass sowohl Lieferscheine als auch korrespondierende Rechnungen vorgelegt werden. Vielmehr kann sich der Tatrichter die Überzeugung von der Richtigkeit der Behauptung, es seien die in einer Rechnung oder in einem Lieferschein enthaltenen Waren zur Beförderung übergeben worden, anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls auch dann bilden, wenn nur eines der beiden Dokumente vorgelegt wird und der Beklagte dagegen keine substantiierten Einwendungen vorbringt (BGH, Urt. vom 28.09.2006, TranspR 2006, 110, 113). So liegt es auch in den genannten Schadensfällen, in denen die Klägerinnen zwar keine Lieferscheine vorgelegt haben, wo aber aus der Aussage der Zeugin S. folgt, dass die Handelsrechnungen denselben Beweiswert haben, den auch von der Fa. F. GmbH ausgestellte Lieferscheine hätten.

Bezüglich des Zeitraums Juni bis Juli 2004 (Schadensfälle 5) und 6) hat die Zeugin S. in ihrer im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Aussage in dem Rechtsstreit 31 O 76/04 LG Düsseldorf / I-18 U 22/06 OLG Düsseldorf nachvollziehbar bekundet, dass bei der Fa. F. GmbH der Warenversand so organisiert war, dass die Kundenrechnungen erst erstellt wurden, nachdem die Bestellung die Versandabteilung durchlaufen hat, so dass sichergestellt war, dass in die Kundenrechnung keine bestellten Artikel aufgenommen wurden, die tatsächlich nicht lieferbar waren. Gleiches gilt für den Zeitraum ab August 2004 (Schadensfälle 3), 7) bis 9), 11). Für diesen Zeitraum hat die Zeugin S. bei ihrer erstinstanzlichen Vernehmung im Wege der Rechtshilfe auf einen von ihr und dem Versandleiter H. erstellten Bericht (Bl. 207 f. GA) über den Arbeitsablauf bei der Fa. F. GmbH Bezug genommen, aus dem sich ergibt, dass sich trotz Umstellung des Arbeitsablaufs auf das System "SAP" nichts daran geändert hat, dass an Hand der Warenausgangsbuchungen automatisch die Rechnungen erstellt wurden, die sodann an die Kunden verschickt wurden.

Mithin erbringen die vorlegten Handelsrechnungen den Beweis, dass die in den Rechnungen ausgewiesenen Artikel tatsächlich die Versandabteilung der Fa. F. GmbH durchlaufen haben. Weil auch ein Lieferschein keinen darüber hinausgehenden indiziellen Beweiswert haben könnte, begründen mithin in diesen Schadensfällen entgegen der in der Berufungsbegründung wiederholten Auffassung der Beklagten allein die Handelsrechnungen einen Anscheinsbeweis für die von den Klägerinnen behaupteten Paketinhalte, auch wenn die Zeugin S. die Pakete nicht selbst gepackt hat und daher zum konkreten Inhalt der verloren gegangenen Pakete aus eigener Kenntnis keine Angaben machen konnte.

Anders verhält es sich dagegen in den Schadensfällen 1), 2) und 10), bei denen, da es sich jeweils um Musterkollektionen gehandelt hat, keine Handelsrechnung existiert und auch kein Lieferschein, der jeweils mit dem betreffenden Paket verloren gegangen ist. Insoweit existieren jeweils nur ein Bildschirmausdruck (Anlagen K 2, K 8 und K 74) und eine U.-Schadensmeldung (Anlagen K 1, K 7 und K 73). Diese Unterlagen reichen nicht aus, um einen Anscheinsbeweis für den von den Klägerinnen behaupteten Paketinhalt zu begründen, da die Klägerinnen zur Aussagekraft der Bildschirmausdrucke nichts Näheres vortragen und diese zudem offensichtlich nachträgliche handschriftliche Eintragungen aufweisen. Es ist unklar, wer, wann und unter welchen näheren Umständen die betreffenden Daten in die EDV eingegeben hat.

In den Schadensfällen 3) bis 9) und 11) steht mit dem Inhalt der verloren gegangenen Pakete auf Grund den von den Klägern vorgelegten Verkaufsrechnungen (Anlagen K 14-17; K 25, 27; K 34; K 41; K 48-50; K 57-59; K 66, 67; K 81, 82) zugleich ihr von der Klägerin behaupteter Wert fest, den die Beklagte in der Berufungsbegründung lediglich deshalb anzweifelt, weil sie den Paketinhalt nicht für bewiesen hält. Gemäß § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB spricht in den Fällen 3) und 5) eine - von der Beklagten nicht widerlegte - Vermutung dafür, dass die in den Handelsrechnungen ausgewiesenen Preise für die einzelnen Gegenstände deren Marktpreis sind. In den Fällen 4), 6) bis 9) und 11) liefert die betreffende Verkaufsrechnung ein Indiz für den Marktwert der Warensendung zum Zeitpunkt ihrer Übernahme durch den Frachtführer, das es rechtfertigt, den Schaden gemäß § 287 ZPO auf den in der Rechnung ausgewiesenen Kaufpreis zu schätzen

Da die Beklagte das betreffende Gut in den Schadensfällen 3) bis 9) und 11) vollzählig übernommen, es aber nicht vollständig abgeliefert hat, ist damit zugleich bewiesen, dass der Verlust des Pakets in diesen Fällen in dem nach Art. 17 CMR bzw. § 425 Abs. 1 HGB maßgeblichen Haftungszeitraum, d.h. während der Obhutsphase zwischen der Übernahme des Gutes und der Ablieferung, eingetreten ist.

Für den durch den Verlust der Waren in den Schadensfällen 3) bis 9) und 11) entstandenen Schaden haftet die Beklagte gemäß Art. 29 CMR bzw. § 435 HGB unbeschränkt, da ihr ein sog. qualifiziertes Verschulden im Sinne dieser Vorschriften zur Last fällt. Denn die Beklagte führt gerichtsbekannt nicht an sämtlichen Umschlagstellen hinreichende Eingangs- und Ausgangskontrollen durch. Das Unterlassen von hinreichenden Schnittstellenkontrollen stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats ein qualifiziertes Verschulden i.S.v. Art. 29 CMR bzw. § 435 HGB dar. Darüber hinaus begründet der Umstand, dass die Beklagte außerstande ist darzulegen, wie es zu dem Verlust der Warensendungen gekommen ist, nach der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommenen Einlassungsobliegenheit des Frachtführers eine Vermutung dahin, dass die Beklagte beziehungsweise ihre Erfüllungsgehilfen den Verlustschaden leichtfertig verursacht haben.

Die Klägerinnen müssen sich jedoch in den Schadensfällen 3) (Paketsendung der Fa. F. GmbH in T. vom 27.09.2004 an die Fa. H. Goldschmiede in M. im Wert von 1.135,60 €) und 5) (Paketsendung der Fa. F. GmbH vom 09.06.2004 an die Fa. T. in E. im Wert von 1.812,65 €) auf Grund eines Mitverschuldens wegen unterlassener Wertdeklaration eine Kürzung ihres Anspruchs um jeweils 20 % auf 908,48 € im Schadensfall 3) und auf 1.450,12 € im Schadensfall 5) gefallen lassen (§§ 425 Abs. 2 HGB, 254 Abs. 1 BGB). Ein Versender kann in einen gem. § 254 Abs. 1 BGB beachtlichen Selbstwiderspruch geraten, wenn er trotz Kenntnis dessen, dass der Spediteur die Sendung bei richtiger Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, von einer Wertdeklaration absieht und bei Verlust gleichwohl vollen Schadensersatz verlangt (vgl. BGH, TranspR 2006, 116, 117 f.). Dies setzt voraus, dass die unterlassene Wertangabe für den Schadenseintritt mitursächlich gewesen ist, d.h. vorliegend die Beklagte bei zutreffender Wertangabe ihre Sorgfaltspflichten besser erfüllt hätte (vgl. BGH TranspR 2006, 121, 123 und TranspR 2006, 448, 451). Nach dem Vorbringen der Beklagten behandelt sie ihren Fahrern gesondert übergebene wertdeklarierte Pakete auch im EDI-Verfahren sorgfältiger als nicht wertdeklarierte Pakete. Dies ist hier nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nur in Bezug auf die Schadensfälle 3) und 5) aus September bzw. Juni 2004 der Fall.

In sämtlichen Schadensfällen lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte das Paket im Falle einer Wertdeklaration auf der Transportstrecke bis zum Eingangscenter sowie dort sorgfältiger behandelt hätte als ein Standardpaket. Die Beklagte ist für ihre Behauptung einer Sonderbehandlung von Wertpaketen bis einschließlich im Eingangscenter jedenfalls für den hier interessierenden Zeitraum (Juni bis November 2004) beweisfällig geblieben. Die vom Senat hierzu vernommenen Zeugen S. und C. haben zwar als den heutigen Stand geschildert, dass ab der Softwareversion 7.02 mit dem Tagesabschluss beim Kunden ein dem Abholfahrer zu übergebendes Dokument ("High Value Report") ausgedruckt werde, welches die wertdeklarierten Pakete mit "1Z"-Nummern und Wertangabe enthalte und welches der Fahrer zusammen mit den wertdeklarierten Paketen im Abholcenter dem Schichtleiter übergebe. Das gilt jedoch nach den Aussagen frühestens seit 2005, als mit der Einführung der Version 7.02 begonnen wurde.

Für den hier maßgeblichen Zeitraum lässt sich Entsprechendes dagegen nicht feststellen. Soweit der Zeuge S. bekundet hat, dass wertdeklarierte Pakete auch in der Zeit vor dem Jahr 2005 generell sorgfältiger als andere behandelt worden seien, konnte der Senat gleichwohl keine entsprechende Überzeugung gewinnen. Nach der Darstellung des Zeugen S. hatten die Abholfahrer Kunden, die ihnen ein Wertpaket gesondert übergaben, zunächst danach zu befragen, wie hoch der Warenwert der Ware sei, die sich in dem Paket befindet. Sofern ihnen der Kunde einen Warenwert von mehr als 2.500 € angab, hatten sie die Pakete an einem gesonderten Platz beim Schichtleiter oder einer sonst beauftragten Person im Abholcenter abzugeben, wo sie einen sog. Origin Scan erhielten und, sofern die Paketsortierung nicht schon begonnen hatte, bis zur Sortierung in einem Wertkäfig oder sonst gesondert aufbewahrt wurden; die Niederlassung D. kündigte das Wertpaket außerdem mittels eines sog. pre-sheet per Telefax der Zustellniederlassung an, welche am Folgetag im Zuge der Beladung der Zustellfahrzeuge den Eingang der Wertpakete überwachte.

Danach käme vorliegend ohnehin nur in den Schadensfällen 7) bis 9) und 11) die von dem Zeugen S. geschilderte Sonderbehandlung in Betracht, weil in den anderen Schadensfällen der Paketwert unter 2.500,- € lag. Aber auch, soweit es die Schadensfälle 7) bis 9 und 11) betrifft, verbleiben indessen nicht auszuräumende Zweifel daran, ob die von dem Zeugen S. geschilderte Handhabung wirklich so einheitlich und durchgängig verbreitet war, dass auf Grund dessen der Rückschluss gezogen werden könnte, dass von den Kunden dem Abholfahrer gesondert übergebene wertdeklarierte Pakete im Regelfall tatsächlich eine sorgfältigere Behandlung erfuhren. So hat der Zeuge S. eingeräumt, dass er aus eigener Kenntnis nur zu der Arbeitsweise in der Niederlassung D. der Beklagten etwas sagen kann; speziell seine Äußerungen zur parallelen Beibehaltung des pre-sheets bezog er ausdrücklich nur auf diese Niederlassung. Da es aber, wie er (insoweit in Übereinstimmung mit dem Zeugen C.) weiter angegeben hat, bei der Beklagen keine bundeseinheitlichen schriftlichen oder sonst förmlichen Verfahrensanweisungen für die Behandlung von Wertpaketen im EDI-Verfahren gab, sei es direkt an die Abholfahrer, sei es an die Center- bzw. Schichtleiter gerichtet, steht keineswegs fest, dass die von dem Zeugen S. in Bezug auf die Niederlassung D. geschilderte Verfahrensweise auch tatsächlich allgemein und durchgängig in den anderen Abholcentern praktiziert wurde. Um die vom Zeugen geschilderte Wertpakettransportorganisation im EDI-Versand sicherzustellen, ist nach Auffassung des Senats eine schriftliche Arbeitsanweisung unerlässlich, jedenfalls solange sich noch nicht eine feststehende betriebliche Übung etabliert hat. Dies zeigt sich exemplarisch bereits an dem Aufgabenbereich, der dem Abholfahrer hierbei zugewiesen ist. Weil es nach Darstellung des Zeugen zum Aufgabenbereich des Abholfahrers gehören soll zu prüfen, ob die für die Sonderbehandlung vorgesehene Warenwertgrenze von 2.500,- € erreicht ist, wären organisatorische Maßnahmen notwendig, die sicherstellen, dass der Fahrer den Kunden tatsächlich nach dem Warenwert der Sendung fragt. Da die Summary-Section des Absendemanifests nicht erkennen lässt, ob und gegebenenfalls welche der nur der Anzahl nach erfassten Pakete wertdeklariert sind, muss der Fahrer bei der Lagerung der wertdeklarierten Pakete zugleich sicherstellen, dass die jeweiligen mit den einzelnen Wertpaketen übernommenen Summary-Sections auch während der Beförderung zum Abholcenter sicher zugeordnet bleiben. Auch hierfür müsste eine eingerichtete Betriebsorganisation konkrete Anweisungen an den Fahrer vorsehen, wie er sicherzustellen hat, dass diese bei der Übernahme des Pakets erfolgte Zuordnung von Paket und Summary-Section erhalten bleibt. Stattdessen hat der Zeuge S. bekundet, dass selbst in der Niederlassung D. improvisiert wurde, um die für den Frachtbriefversand vorgeschriebene Wertpaketbehandlung sinngemäß auf den EDI-Versand zu übertragen; so wurde für die Quittung des Schichtleiters gegenüber dem Abholfahrer nach der Aussage des Zeugen S. die "Summary Section" verwendet, die hierfür nicht formularmäßig vorgesehen ist. Ohne eine institutionalisierte "procedure" (so der Ausdruck des Zeugen C.) ist in Einheiten von der Größe der Beklagten aber nicht sichergestellt, dass eine bestimmte Handhabung einheitlich stattfindet, sondern es bleibt den im Einzelfall tätigen Mitarbeitern überlassen, ob sie sie treffen oder nicht. Das gilt um so mehr, als die Handhabung mit persönlicher Übergabe, Origin-Scan und insbesondere pre-sheet einen Zusatzaufwand darstellt; die mit dem hochtechnisierten Verfahrensablauf des EDI-Verfahrens verbundenen Vorteile und Rationalisierungseffekte werden dadurch konterkariert.

Zudem folgen nicht auszuräumende Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen S. aus den Bekundungen des Zeugen C.. Der Zeuge C. hat zwar angegeben, dass er in seiner Vernehmung vor dem Senat am 15.08.2007 (in Sachen I-18 U 75/06, 207/06 und 36/07) falsch verstanden worden sei, soweit dort als seine Aussage protokolliert wurde, dass selbst dann, wenn Kunden dem Fahrer wertdeklarierte Pakete gesondert übergaben, diese nicht anders behandelt wurden als Standardpakete und insbesondere nicht das von den Sendungen mit Papier-Frachtbriefen her bekannte und auf solche beschränkte pre-sheet-Verfahren und auch keine andere Sonderbehandlung stattfand. Auch jetzt hat der Zeuge C. aber eine durchgehende Wertpaketbehandlung im EDI-Verfahren nicht bestätigt, sondern von Unsicherheiten und Unklarheiten gesprochen. So hat er zunächst ausgesagt, dass es wegen des Fehlens papiermäßiger Frachtbriefe den Abholfahrern nicht mehr möglich gewesen sei, sich die Ablieferung von Wertpaketen im Abholcenter quittieren zu lassen. Auf Vorhalt der Aussage des Zeugen S. hat er ergänzt, auch er habe Quittungen auf den Summary Sections schon gesehen. Schließlich hat er gemeint, dass im Regelfall für den Abholfahrer der Origin Scan ausgereicht haben dürfte. Pre-sheets seien zum Teil versandt, zum Teil aber auch weggelassen worden.

Angesichts dieser Widersprüchlichkeit der Aussagen beider zur selben Zeit in der Niederlassung D. der Beklagten tätig gewesenen Zeugen, die somit dieselbe Sachnähe zu den in Rede stehenden Betriebsabläufen haben, kann der Senat mangels anderweitiger eindeutiger Anhaltspunkte nicht die Überzeugung gewinnen, dass der Aussage des Zeugen S. eine höhere Verlässlichkeit als der Aussage des Zeugen C. zukommt. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme kann damit nicht festgestellt werden, dass in dem hier interessierenden Zeitraum besondere Kontrollen beim Wertpaketversand für Pakete im EDI-Verfahren organisatorisch vorgesehen waren oder jedenfalls regelmäßig tatsächlich stattfanden. Damit steht ebenfalls nicht fest, dass die Fa. F. GmbH als Teilnehmerin am EDI-Versandsystem wenigstens in den Schadensfällen 7) bis 9) und 11) seinerzeit eine gesicherte Möglichkeit hatte, durch einen EDV-mäßig erteilten Auftrag zum Wertpaketversand neben einer Anhebung der Haftungshöchstgrenze auch zu erreichen, dass die Beklagte das Paket bis zum Verbringen in das Abholcenter und im Rahmen der dortigen Handhabung mit größerer Sorgfalt beförderte. Unter diesen Umständen kann vorliegend jedenfalls in den Schadensfällen 4), 6 bis 9) und 11) die Nichtversendung als Wertpaket im EDI-Versandverfahren insgesamt nicht als Verstoß der Fa. F. GmbH gegen ihre eigenen wohlverstandenen Interessen (Mitverschulden) angesehen werden.

Bezüglich der Schadensfälle 3) und 5) ist der Senat jedoch davon überzeugt, dass im Falle einer Wertdeklaration das Eintreffen des Pakets beim Zustellcenter und seine Zustellung an den Empfänger nachgehalten worden wäre. Dass ein Wertpaket mittels pre-sheet (Telefax) durch das Abholcenter an das Zustellcenter avisiert worden wäre, hat die Beweisaufnahme zwar nicht bestätigt, wie vorstehend bereits ausgeführt wurde. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass man im Zustellcenter den Verbleib eines Wertpakets über das Intranet der Beklagten an Hand des sog. "High Value Alert" nachgehalten und daraufhin die entsprechenden Überprüfungen eingeleitet hätte. Wie der Zeuge S. bekundet hat, war ein solcher Intranet-Abruf seit April 2004 EDV-mäßig möglich und als Arbeitsroutine vorgesehen. Der Senat glaubt dem Zeugen dies. Es handelt sich um eine folgerichtige Weiterentwicklung des EDI-Verfahrens, die das auf Papier-Frachtbriefen beruhende herkömmliche System auf die Besonderheiten der computergestützten Abläufe überträgt. Widersprüche zu anderen Umständen und insbesondere zu den Angaben des Zeugen C. bestehen nicht. Vielmehr hat auch der Zeuge C. ein solches Verfahren erwähnt; er konnte aufgrund seiner neuerdings andersartigen Arbeitsaufgaben lediglich keinen genauen Einführungszeitpunkt und keine Einzelheiten nennen.

Dagegen konnte in den Schadensfällen 4), 6) bis 9 und 11) anders als in den Schadensfällen 3) und 5) auch im Falle einer Wertdeklaration vom Zustellcenter aus eine im Vergleich zu Standardpaketen sorgfältigere Behandlung nicht stattfinden, weil es sich bei den betreffenden Paketsendungen um Sendungen in das Ausland handelte. Bei grenzüberschreitenden Wertpaketen ist nicht davon auszugehen, dass eine Überprüfung der Verladung der Wertpakete in das richtige Zustellfahrzeug sowie das Nachhalten ihrer Zustellung anhand des sog. "High Value Alerts" im Intranet der Beklagten erfolgt. In Bezug auf Auslandstransporte konnte der Zeuge S. nicht bestätigen, dass auch ausländische Zustellcenter Zugriff auf die EDV-Daten haben, dass sie mit deren Hilfe den zu erwartenden Eingang von Wertpaketen überprüfen können und dass dies routinemäßig vorgesehen ist. Auch der Zeuge C. hat bekundet, nichts Konkretes dazu sagen zu können, ob ausländische Niederlassungen auf den in Deutschland erstellten High Value Report zugreifen können; soweit er eine entsprechende Annahme geäußert hat, ist dies zum Beweis nicht ausreichend. Dem gemäß hat sich die Beklagte im vorliegenden Fall auch gar nicht darauf berufen, dass Wertpakete im Falle einer Wertdeklaration auch bei Transporten in das Ausland mit Hilfe des High Value Alerts sorgfältiger behandelt worden wären.

Bei der Gewichtung des Mitverschuldens wegen unterlassener Wertdeklaration berücksichtigt der Senat zum einen die Reichweite des für wertdeklarierte Sendungen gesicherten Bereichs. Wie bereits erläutert, sah die Beklagte seinerzeit bei wertdeklarierten Sendungen gegen Ende des Transports (im Zustellcenter) zusätzliche Kontrollmaßnahmen vor, so dass der Transport eines Wertpakets insofern sicherer war als der Transport eines Standardpakets. Andererseits verbleibt auch bei wertdeklarierten Sendungen ein deutliches Risiko eines tatsächlichen Verlustes.

Zum anderen ist bei der Haftungsabwägung nach § 254 BGB der Wert der transportierten, nicht wertdeklarierten Ware von Bedeutung. Je höher der tatsächliche Wert der nicht wertdeklarierten Sendung ist, desto gewichtiger ist der in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende Schadensbeitrag. Denn je höher der Wert der zu transportierenden Sendung ist, desto offensichtlicher ist es, dass die Beförderung des Gutes eine besonders sorgfältige Behandlung durch den Spediteur erfordert, und desto größer ist das in dem Unterlassen der Wertdeklaration liegende Verschulden des Versenders gegen sich selbst (BGH, Urteil vom 19.01.2006, Az: I ZR 80/03).

In der Gesamtschau dieser einzelnen Umstände erachtet der Senat beim Mitverschulden wegen unterlassener Wertdeklaration es als angemessen, das Mitverschulden des Versenders durch eine stufenweise Kürzung des Schadensersatzanspruches zu berücksichtigen. Sofern der Fall - wie hier - keine weiteren, für die Abwägung bedeutsamen Besonderheiten aufweist, erscheint es dem Senat bei Transporten, bei denen die Beklagte an einer Stelle zusätzliche Kontrollmaßnahmen für Wertpakete vorsieht, angemessen, den Schadensersatzanspruch für den bis 5.000 € liegenden Warenwert der Sendung um 20 % zu kürzen. Bei darüber hinausgehenden Warenwerten wird der Kürzungsprozentsatz für jede angefangenen weiteren 5.000 € um einen Prozentpunkt erhöht. Hiernach ergibt sich im Schadensfall 3) bei einem Warenwert von 1.135,60 € eine Kürzung um 20 % € auf 908,48 € und im Schadensfall 5) bei einem Warenwert von 1.812,65 € eine Kürzung um ebenfalls 20 % auf 1.450,12 €, wovon abzüglich der von der Beklagten vorprozessual jeweils gezahlten 510,- € zugunsten der Klägerinnen 398, 48 € bzw. 940,12 € verbleiben; diese Beträge stehen den Klägerinnen zu 1) und 2) jeweils hälftig zu.

In den vorliegenden Schadensfällen liegt dagegen kein den Klägern zuzurechnendes Mitverschulden der Versenderin der Gestalt vor, dass sie der Beklagten den Transportauftrag erteilt hat, obwohl sie möglicherweise wusste oder hätte wissen müssen, dass die Beklagte keine Schnittstellenkontrollen durchführt. Nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat angeschlossen hat, gerät ein Versender in einen beachtlichen Selbstwiderspruch und verstößt er daher gegen Treu und Glauben, wenn er einerseits einen Spediteur mit der Beförderung beauftragt, von dem er weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass es in dessen Unternehmen aufgrund von groben Organisationsmängeln immer wieder zu Verlusten kommt, er andererseits aber wegen dann tatsächlich eingetretener Warenverluste vollen Schadensersatz verlangt. Ein solcher Verstoß gegen Treu und Glauben führt dazu, dass der Schadensersatzanspruch des Versenders nach § 254 BGB wegen mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten beschränkt oder ausgeschlossen ist (vgl. BGH TranspR 2004, 460; TranspR 2003, 255; TranspR 1999, 410). Es entspricht ebenfalls gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein Frachtunternehmen, das an den Umschlagstellen keine Schnittstellenkontrollen einrichtet und durchführt, grob fehlerhaft organisiert ist. Schnittstellenkontrollen sind bei jeder Güterbeförderung schlechthin unerlässlich, damit ein Frachtführer seine Kardinalpflicht, das Transportgut auf dem Transportweg ständig unter Kontrolle zu halten und vor Verlust zu schützen, tatsächlich erfüllen kann. Auf dem Transportweg stellt jeder Warenumschlag einen besonders schadensträchtigen Beförderungsvorgang dar.

In den vorliegenden Fällen lässt sich allerdings aus Ziff. 2 der Beförderungsbedingungen der Beklagten (Anlage B 1, Bl. 145 f. d.A.) (Stand 2004) eine positive Kenntnis oder ein Kennenmüssen der Versenderin von durchgängig nicht durchgeführten Schnittstellenkontrollen nicht entnehmen. Aus dem Wortlaut dieser Klausel, insbesondere ihres einschlägigen Abs. 2 Satz 3 mit der dort erwähnten Nichtdurchführung einer Ein- und Ausgangsdokumentation, ergibt sich nicht, dass die Beklagte außer der Dokumentation auch die Kontrollen selbst unterlassen will. Die Beklagte macht in der Berufungsbegründung auch ohne Erfolg geltend, sie habe erstinstanzlich im Einzelnen vorgetragen, dass dem Versender auf Grund zahlreicher Gespräche bekannt gewesen sei, dass die Beklagte bei Standardsendungen keine Schnittstellenkontrollen durchführt. Dem diesbezüglichen erstinstanzlichen Vortrag, den die Beklagte zudem weder in erster noch in zweiter Instanz unter Beweis gestellt hat, lässt sich nicht konkret entnehmen, welcher Mitarbeiter der Beklagten welchen Mitarbeiter des Versenders auf das Fehlen von Schnittstellenkontrollen hingewiesen haben soll. Außerdem besagt der angebliche Hinweis auf fehlende durchgängige Schnittstellenkontrollen noch nicht, dass es keinerlei Schnittstellenkontrollen gibt.

Ebenfalls ist ein den Klägerinnen zuzurechnendes schadensursächliches Mitverschulden der Versenderin gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB in den Schadensfällen 7) und 9) nicht gegeben. Bei dem Mitverschuldenseinwand nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB kommt es nicht darauf an, ob der Auftraggeber Kenntnis davon hatte oder hätte wissen müssen, dass der Frachtführer das Gut mit größerer Sorgfalt behandelt hätte, wenn er den tatsächlichen Wert der Sendung gekannt hätte. Den Auftraggeber trifft vielmehr eine allgemeine Obliegenheit, auf die Gefahr eines außergewöhnlich hohen Schadens hinzuweisen, um seinem Vertragspartner die Möglichkeit zu geben, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung eines drohenden Schadens zu ergreifen. Daran wird der Schädiger jedoch gehindert, wenn er über die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens im Unklaren gelassen wird.

Nach den Entscheidungen des BGH vom 1.12.2005 (Az. I ZR 4/04, I ZR 31/04, I ZR 46/04 und I ZR 265/03) und vom 03.05.2007 - I ZR 98/05 - (TranspR 2007, 412 ff.) ist die Gefahr eines besonders hohen Schadens i.S. des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB bei der Beklagten grundsätzlich dann anzunehmen, wenn der Wert eines Pakets 5.000 € übersteigt. Diese Grenze war hier in den Schadensfällen 7) und 9) bei einem Paketwert von 7.353,50 € bzw. 11.381,- € überschritten. Hierauf hat die Versenderin nicht hingewiesen. Der Beklagten war der Warenwert der Sendung auch nicht anderweitig bekannt.

Ein Mitverschulden wegen Absehens von einem Hinweis auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) setzt nicht die Feststellung voraus, dass der Frachtführer Wertsendungen generell sicherer befördert. Die Kausalität des Mitverschuldenseinwands nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB kann daher nur verneint werden, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises auf den ungewöhnlich hohen Wert des Gutes keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte. Dies ist, wie die Beklagte in der Berufungsbegründung vorgetragen hat, bei ihr der Fall. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten behandelt sie nicht wertdeklarierte Pakete mit einem ihr bekanntermaßen 5.000,- € übersteigenden Wert nicht sicherer als Standardpakete. Unstreitig hätte die Beklagte die Beförderung auch nicht abgelehnt, wenn die Versenderin ihr den Wert lediglich mitgeteilt und sich gleichzeitig geweigert hätte, eine förmliche Wertdeklaration mit der Folge der Behandlung der Sendung als Wertsendung mit höherem Beförderungsentgelt vorzunehmen. Die Beklagte hat hierzu klargestellt, dass sie die Annahme eines nicht wertdeklarierten Pakets, dessen über 5.000,- € (aber unter 50.000,- US-$) liegender Wert ihr bekannt ist, nicht verweigert, weil sie, so die Beklagte, weder berechtigt noch verpflichtet sei, die aus ihrer Sicht souveräne Entscheidung des Kunden, der eine Wertdeklaration ablehnt, zu korrigieren. Dies findet seine Bestätigung in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten, wonach sie bereit ist, Pakete unabhängig von einer Wertdeklaration bis zu einem Gegenwert von 50.000,- US-$ entgegenzunehmen. Bei dieser Erwägung geht es nicht, wie die Beklagte meint, darum, dass sie durch einen formlosen Hinweis zu einer verbesserten sicherheitstechnischen Behandlung ohne Gegenleistung verpflichtet würde, sondern lediglich darum, dass das Unterbleiben eines von Vornherein nutzlosen Hinweises sie nicht zu entlasten vermag. Ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB scheidet damit aus.

Der den Klägerinnen zuerkannte Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten rechtfertigt sich gemäß §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB daraus, dass sich die Beklagte im Zeitpunkt der Abfassung des anwaltlichen Mahnschreibens vom 06.05.2005 (Anlagen K 88-94) bereits in Verzug befand, und zwar durch die die verschiedenen Transportschadensfälle betreffenden Mahnschreiben der Klägerin zu 2) (vgl. z.B. Anlage K 30) und die jeweilige ablehnende Reaktion der Beklagten (vgl. z.B. Anlagen K 31, 32). Die Kosten der vorgerichtlichen Beauftragung eines Rechtsanwalts stellen damit als zur Rechtsverfolgung erforderliche Aufwendungen einen ersatzfähigen Vermögensschaden dar. Ausweislich des Gebührengutachtens der Rechtsanwaltskammer M. vom 23.06.2006 (Bl. 181 ff. GA) ist die insoweit gemäß Nr. 2400 des Vergütungsverzeichnisses a.F. zum RVG in Ansatz gebrachte Geschäftsgebühr von 1,3 angemessen; der in Ansatz zu bringende Geschäftswert bestimmt sich danach, in welcher Höhe die Klage begründet ist, d.h. in Höhe von insgesamt 29.766,20 € (2 x 14.885,10 €). Die hälftige, gemäß Vorbemerkungen 3 Abs. 4 zu Teil 3 des VV zum RVG nicht auf die Prozesskosten anrechenbare Gebühr beträgt, 492,70 €, woraus sich zuzüglich 16 % MwSt ein Betrag in Höhe von 571,53 € errechnet, von dem die Klägerinnen zu 1) und 2) jeweils hälftig freizustellen sind.

Der zuerkannte Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO sind nicht erfüllt.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 32.992,35 €

Ende der Entscheidung

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