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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.04.2008
Aktenzeichen: I-18 U 82/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, HGB


Vorschriften:

BGB § 254 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 2
BGB § 398
ZPO § 531 Abs. 2
HGB § 435
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufungen der Beklagten gegen das am 20.03.2007 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Duisburg (24 O 138/04) werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz einschließlich der durch die Nebenintervention verursachten tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Wegen des Sach- und Streitstands wird zunächst auf das Urteil des Senats vom 11.10.2006 - I-18 U 30/06 - Bezug genommen.

Nach der Zurückverweisung der Sache an das Landgericht hat dieses nunmehr beide Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 164.942,76 € nebst Zinsen verurteilt. Die Klage sei gegenüber beiden Beklagten zulässig. Sie sei auch begründet aus Art. 17 Abs. 1 CMR, im Verhältnis zur Beklagten zu 2 i.V.m. § 398 BGB. Die Beklagten hafteten unbeschränkt nach Art. 23 CMR, die Beklagte zu 1 i.V.m. Art. 3 CMR. Es spreche fast alles dafür, dass der angestellte Abholfahrer ihres (Unter-) Unter-Frachtführers, T., an der Entwendung der Palette beteiligt war; sollte es jedoch anders gewesen und die Palette ohne T.s Zutun aus dem Lager der Beklagten zu 2 abhanden gekommen sein, dann gehe dies auf ein Organisationsverschulden in Form unzureichender Kontrolle des Lagerein- und -ausgangs sowie der Güterbewegungen innerhalb der Halle zurück. Ein Mitverschulden der Klägerin bestehe nicht, denn die Palette habe keinen völlig aus dem Rahmen fallenden Wert gehabt, Medikamente seien nicht besonders diebstahlsgefährdet, weil ohne besondere Kenntnisse und Kontakte schwer absetzbar, und ihr relativ hoher Wert sei ohnehin allgemein bekannt; außerdem sei die bessere Bewachung der späteren Sendung vom 23.01.2004 nur durch den vorangegangenen Schadensfall veranlasst gewesen. Die Abtretung der Ansprüche der Beklagten zu 1 gegen die Beklagte zu 2 an die Klägerin hindere die Klägerin nicht mehr, auch die Beklagte zu 1 selbst in Anspruch zu nehmen. Der Anspruch gegen die Beklagte zu 2 sei infolge ihres groben Verschuldens nicht verjährt.

In der Berufungsinstanz hat sich herausgestellt, dass A.C.A. M. der Beklagten zu 2 am 08.01.2004 per Telefax eine "Routing Order" zusandte, eingegangen um 13:17 Uhr, in welcher es u.a. heißt: "Wert der Sendung: ca. 164.943,00 Euro". Wegen des weiteren Inhalts wird auf Anl. BB3 (Bl. 721 GA) und Anl. C 3 (Bl. 766 GA) Bezug genommen.

Die Beklagten machen geltend, dass das Landgericht ihnen zu Unrecht qualifiziertes Verschulden angelastet habe. Jedenfalls treffe die Klägerin ein Mitverschulden wegen fehlender Mitteilung des genauen Warenwertes. Sie bestreiten Inhalt und Wert der Sendung und berufen sich beide auf die Einrede der Verjährung. Die Beklagte zu 1 ist zudem der Auffassung, dass in ihrem Verhältnis zur Klägerin die CMR nicht anwendbar sei, so dass die deutschen Gerichte nicht international zuständig seien. Auch sei infolge der Abtretung ihrer Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 die Klage derzeit unzulässig oder zumindest unbegründet.

Die Beklagten beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die jeweils gegen sie gerichtete Klage abzuweisen.

Die Klägerin und ihr Streithelfer beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen des Sachverhalts im übrigen und der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf das angefochtene Urteil verwiesen sowie auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

II.

Die Berufungen sind zulässig, jedoch nicht begründet. Beide Beklagten schulden der Klägerin gesamtschuldnerisch den vollen zugesprochenen Betrag.

A.

Das gilt für die Beklagte zu 1.

1.

Die deutschen Gerichte sind auch für die Klage gegen die Beklagte zu 1 international zuständig. Das folgt aus Art. 31 Abs. 1 Buchst. b CMR, welche im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 anwendbar ist.

a)

Die Abrede über den Transport vom 09.01.2004 zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 ist ein Vertrag über die entgeltliche Beförderung von Gütern auf der Straße i.S.d. Art. 1 Abs. 1 CMR.

Verträge über die entgeltliche Beförderung von Gütern i.S.d. Art. 1 Abs. 1 CMR sind außer originären Frachtverträgen im Sinne des deutschen Rechts (§ 407 HGB) auch solche Verträge, die nach deutschem Recht im Ausgangspunkt als Speditionsverträge anzusehen wären, bei denen der Spediteur jedoch (z.B. in den im deutschen Recht in den §§ 458 - 460 HGB geregelten Fällen) wirtschaftlich auf eigene Rechnung und nicht nur in der Art eines Vermittlers handelt (Koller, Transportrecht, Art. 1 CMR Rz. 2, 3 m.w.N., auch aus der Rspr. anderer Mitgliedstaaten). Hier handelte die Beklagte zu 1 jedenfalls in dem letztgenannten Sinne auf eigene Rechnung.

aa)

Das ist der Aussagegehalt der einzigen schriftlichen Unterlage, der Rechnung der Beklagten zu 1 an die Klägerin vom 19.02.2004 (Anl. K 2, Bl. 8 GA). Dort wird ohne weitere Aufgliederung nur ein Endbetrag für "freight" (Fracht) in Rechnung gestellt. Irgendwelche verauslagten Einzelbeträge, Aufschläge oder sonstige Hinweise auf eine vermittler-, agenten- oder kommissionärsartige Stellung sind nicht vorhanden.

bb)

Es lässt sich auch nicht feststellen, dass mündlich etwas von dieser Dokumentenlage Abweichendes vereinbart worden wäre.

Die Beklagte zu 1 nimmt zwar die Position ein, dass ihr ein Speditionsauftrag (nach englischem Recht) erteilt worden sei. Dies geschieht jedoch nur ergebnishaft; irgendwelche - auch nur konkludenten - tatsächlichen Erklärungen, anhand derer ihre rechtliche Bewertung nachvollzogen werden könnte, gibt sie dagegen nicht an. Die Vernehmung des benannten Zeugen N. wäre auf dieser Basis eine unzulässige Ausforschung.

Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf das von der Beklagten zu 1 herangezogene Klauselwerk "BIFA 2000" (Anl. B 1, Bl. 121 GA). Zum einen fehlt es wiederum an der Darlegung bestimmter Erklärungen, anhand derer die angenommene Einbeziehung dieses Klauselwerks in den Vertrag in rechtlicher Hinsicht überprüft werden könnte. Zum anderen ist dem Text der "BIFA 2000" nichts dafür zu entnehmen, dass die so geregelten Vertragsverhältnisse nicht solche i.S.d. Art. 1 CMR sein könnten.

b)

Der Seetransport über den Ärmelkanal steht der Anwendbarkeit der CMR nach ihrem Art. 2 Abs. 1 Satz 1 nicht entgegen.

Dabei kann offen bleiben, ob die Klägerin und die Beklagte zu 1 von vorn herein vereinbarten, die fragliche Palette solle auf dem LKW ohne Umladung im sog. Huckepack-Verkehr über den Ärmelkanal transportiert werden. Neben einer von vorn herein vereinbarten Beförderung nur mit Landfahrzeugen ohne Umladung genügt es für die Anwendung des Art. 2 CMR auch, wenn der Frachtführer tatsächlich so befördert (Koller, Transportrecht, Art. 2 CMR Rz. 2). Das war hier der Fall bzw. wäre der Fall gewesen, wenn die fragliche Palette nicht schon vor Erreichen des Hafens abhanden gekommen wäre.

In erster Instanz war das unstreitig. Die Beklagte zu 1 hat dort lediglich argumentiert, sie habe einen Multimodaltransport (LKW - Seestrecke - LKW) organisieren müssen. In welcher Art und Weise sie die Seestrecke überwand bzw. überwinden wollte, ging aus dieser Argumentation nicht hervor; allenfalls konnte dieser Vortrag bereits den Eindruck erwecken, es sei ein "Huckepackverkehr" gemeint gewesen, nahm die Beklagte zu 1 doch Bezug auf ein Urteil des LG Bochum vom 16.02.2006 - 14 O 46/05 - (Bl. 490 ff. GA), in welchem es um einen solchen ging. Im übrigen hat die Beklagte zu 1 zur faktischen bzw. beabsichtigten Transportdurchführung selbst nichts vorgetragen, sondern auf die Angaben der Beklagten zu 2 Bezug genommen. Diese hat ihrerseits geschildert, dass die Palette in den für England - und nicht etwa für einen Kanalhafen auf dem Kontinent - bestimmten Fernlastzug bzw. Trailer - was für Art. 2 CMR gleichwertig ist (Koller, Transportrecht, Art. 2 CMR Rz. 3 m.w.N) - geladen werden sollte. Sie hat außerdem den für diesen LKW über die Strecke H. - L. ausgestellten CMR-Frachtbrief vorgelegt (Anl. B 5, Bl. 112 GA). Die Klägerin ist diesen Aspekten des Vortrags der Beklagtenseite nicht entgegengetreten.

Hieran ändert es nichts, dass die Beklagte zu 1 in der Berufungsinstanz nunmehr behauptet, es sei beabsichtigt gewesen, den Container für die Seestrecke zu entladen und ohne Chassis weiter zu befördern. Dieser neue Vortrag kann nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen werden. Im übrigen kommt es für Art. 2 CMR nicht darauf an, was der Frachtführer ursprünglich einmal beabsichtigt haben mag, sondern darauf, wie er letztlich handelte, und das war hier ausweislich des CMR-Frachtbriefs vom 09.01.2004 ein durchgehender LKW-Transport, der die fragliche Palette nur deshalb nicht umfasste, weil sie schon vorher abhanden gekommen war.

2.

Die Klage gegen die Beklagte zu 1 ist nicht im Zusammenhang mit der Abtretung ihrer Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 vom 17.06.2005 (Anl. K 5) derzeit unzulässig oder unbegründet. Dabei kann offen bleiben, welche genaue Rechtsnatur dieser Abtretungsvereinbarung mit Bezug auf den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 zukommt. Jedenfalls ist für das darin vorgesehene prozessuale Stillhalten der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1 inzwischen die Geschäftsgrundlage weggefallen bzw. war, auf einer rechtlichen Fehleinschätzung der Parteien beruhend, von Anfang an nicht vorhanden (§ 313 BGB).

Die Vereinbarung vom 17.06.2005 ging davon aus, dass es möglich ist, den Prozess zunächst nur gegen die Beklagte zu 2 weiterzuführen, wobei konkret vorgesehen war, dass die Klägerin der Beklagten zu 1 den Streit verkünden und die Beklagte zu 1 dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beitreten sollte, während das Verfahren gegen die Beklagte zu 1 bis auf weiteres zum Ruhen gebracht werden sollte (Absätze 4, 5 und insbes. 6, der Vereinbarung vom 17.06.2005). Dieses beabsichtigte Vorgehen ist jedoch nicht möglich; wegen der Streitverkündung wird auf das Schreiben des Landgerichts vom 28.07.2005 (Bl. 149 GA) Bezug genommen und wegen des Wunsches nach einer Entscheidung nur über den Anspruch gegen die Beklagte zu 2 bei bloßem Ruhenlassen des Prozesses gegen die Beklagte zu 1 auf das Urteil des Senats vom 11.10.2006 - 18 U 30/06 -.

3.

Die Beklagte zu 1 haftet gem. Art. 29 CMR i.V.m. § 435 HGB unbeschränkt für das Abhandenkommen der Palette aus dem Obhutsgewahrsam der Beklagten zu 2, für die sie nach Art. 3 CMR einstehen muss.

Wegen der Anwendbarkeit der CMR im Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 wird auf die Ausführungen oben 1. Bezug genommen.

Die Berufung wendet sich zu Unrecht gegen die Annahme eines qualifizierten Verschuldens im Verantwortungsbereich der Beklagten zu 2. Dabei kann offen bleiben, ob davon ausgegangen werden kann, dass der Fahrer T. des Streithelfers die Palette an sich brachte oder dazu Beihilfe leistete, sei es vor deren Ablieferung im Lager der Beklagten zu 2, sei es danach. Auch wenn die Palette ohne Zutun von T. erst aus dem Lager der Beklagten zu 2 verschwunden sein sollte, müsste diese und mit ihr die Beklagte zu 1 doch voll haften. Das ergibt sich aus der eigenen Sachdarstellung der Beklagtenseite. Dem Landgericht ist beizupflichten, dass die von der Beklagten zu 2 behauptete Lagerorganisation, welche die Beklagte zu 1 sich zu eigen macht, den in diesem Zusammenhang zu stellenden Anforderungen nicht gerecht wird.

Diese Anforderungen gehen grundlegend dahin, dass der Frachtführer im einzelnen zu seiner Organisation vortragen und dabei die konkret eingerichteten Kontrollen so detailliert beschreiben muss, dass erkennbar wird, wie die einzelnen Maßnahmen in der Praxis geordnet, überschaubar und zuverlässig ineinandergreifen und wie sichergestellt wird, dass die theoretisch vorgesehene Organisation auch tatsächlich durchgeführt wird, so dass er den Verlust in zeitlicher, örtlicher und personeller Hinsicht eingrenzen kann. Das ist hier nicht gegeben, so dass auch nicht die Auffassung der Berufung zutrifft, dass der Beklagtenseite der ungeklärte Güterverlust als solcher zum Vorwurf gemacht würde.

Vielmehr fehlt es in der Organisation der Beklagten zu 2 an jeder Kontrolle, die diesen Namen verdient. Ihr dargelegtes System funktioniert nur dann, wenn jeder Mitarbeiter einerseits sorgfältig und andererseits redlich genau dasjenige tut, was ihm innerhalb dieses Systems aufgetragen ist. Irgendeine Gegenprüfung der verschiedenen Arbeitsschritte - sei es durch eine zweite Person, sei es durch technische Mittel - findet nicht statt. Die behauptete Verantwortung aller Lagermitarbeiter und insbesondere des Lagermeisters S., sich "aufsichtsführend in der Halle zu bewegen" (Bl. 203), ersetzt das nicht. Eine solche informelle "Aufsichtsführung" führt nur zufällig zur Entdeckung von offensichtlich falschen Warenbewegungen und überhaupt nicht zur Entdeckung von solchen Fehlern, die nur im Zusammenhang mit den Dokumenten erkennbar sind. Hinzu kommt die verhältnismäßig geringe Anzahl der fraglichen Mitarbeiter. Die Beklagtenseite trägt selbst zur Anzahl nichts vor. Sie hat jedoch die Angabe der Klägerin unbestritten gelassen, nach der vier bis fünf Mitarbeiter mit der Be- und Entladung von LKWs befasst sind, so dass sich einschließlich des Lagermeisters eine Anzahl von fünf oder sechs Personen ergibt. Dem gegenüber steht eine Halle, deren genaue Größe mangels konkreten Beklagtenvortrags nicht bekannt ist, die aber jedenfalls über 16 Laderampen verfügt, so dass rechnerisch jeder Mitarbeiter mehr als drei Laderampen und einen Teil des Geschehens innerhalb der Halle zusätzlich zu seiner eigentlichen Arbeit "aufsichtsführend" im Auge behalten müsste. Auch unter diesem Gesichtspunkt handelt es sich um keinen zuverlässigen Kontrollmechanismus.

Ähnliches gilt für die Sicherung gegen Zugriffe von außen, insbesondere durch Fahrer anliefernder oder abholender LKW. Die Behauptung der Beklagtenseite, Dritte hätten im Lager "nichts zu suchen", und hierauf werde auch geachtet, bleibt im Vagen; konkrete Angaben dazu, durch wen und in welcher Weise Dritten nicht nur von der theoretischen Anweisung her, sondern auch im praktischen Fall der Zutritt verwehrt werde, macht sie nicht. Die "Aufsichtsführung" durch Lagerarbeiter und Lagermeister neben ihrer eigentlichen Tätigkeit genügt hierfür jedenfalls schon angesichts ihrer Beiläufigkeit und zudem zahlenmäßig nicht. Hinzu kommt, dass auf den von der Beklagten zu 2 selbst eingereichten Fotos alle Tore offen stehen.

Eine ernstliche Kontrolle ist auch nicht wegen "Direktumschlags" oder allgemein der Einfachheit der Strukturen entbehrlich. Die Beklagtenseite betont selbst, dass es sich um ein Massengeschäft mit besonders umfangreichem Betrieb an Freitagen handele. Sie hat zudem (Zähl-) Fehler ausdrücklich als möglich bezeichnet (Schriftsatz der Beklagten zu 2 vom 09.05.2005, Seite 9, Bl. 101 GA), was ohnehin auf der Hand liegt. Gegen vorsätzliches Handeln helfen "Direktumschlag" und einfache Strukturen von vorn herein nicht. Dem entspricht es, dass die Beklagtenseite den Verlust der Palette in zeitlicher und örtlicher Hinsicht nur grob (auf mehrere Stunden bzw. die gesamte Halle) und in personeller Hinsicht überhaupt nicht eingrenzen kann. Die Berufung wendet sich in diesem Zusammenhang ohne Erfolg gegen die Erwägung des Landgerichts, die Nachfrage der Beklagten zu 2 bei einer großen Anzahl potentieller (Fehl-) Empfänger zeige, dass die Beklagte zu 2 den Verlust selbst nicht näher nachvollziehen konnte; das ist vielmehr der naheliegende und von der Berufung nicht ausgeräumte Schluss aus diesem Verhalten.

Die Berufung kann schließlich nicht mit Erfolg argumentieren, dass eine andere, sicherere Lagerorganisation nicht möglich wäre. So würde nur beispielsweise eine Gegenkontrolle durch eine zweite Person Irrtümern beim Zählen und Abhaken entgegen wirken, und eine Videoüberwachung der Halle mit ihren Toren und Türen würde Güter- und Personenbewegungen nachvollziehbar machen und zudem eine abschreckende Wirkung entfalten.

Die von der Beklagtenseite angebotene Ortsbesichtigung war nicht vorzunehmen. Sie wäre eine unzulässige Ausforschung gewesen, die keinen bestimmten Tatsachenvortrag bestätigen könnte, sondern etwaige der Beklagtenseite günstige Umstände erstmals ermitteln müsste. Entsprechendes gilt für den angebotenen Sachverständigenbeweis dafür, dass die Lagerorganisation doch ordnungsgemäß sei. Dies ist vielmehr eine rechtliche Bewertung.

4.

Es ist davon auszugehen, dass die Palette die von der Klägerin behaupteten Waren enthielt und diese den behaupteten Wert hatten.

Der Sendungsinhalt ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Anschein, welchen Rechnung und "Packing List" von A.C.A. M. vom 08.01.2004 (Anl. K 1, Bl. 6/7 GA) begründen (vgl. BGH 28.09.2006, MDR 2007, 668, 669). Dieser Anschein ist nicht erschüttert durch das Schicksal der Paletten vom 23.01.2004, welche anstelle der zu erwartenden Medikamente Fruchtsaftkartons enthielten. Ein greifbarer Verdacht dahingehend, dass die Palette vom 09.01.2004 ebenfalls nur Ballast enthalten haben könnte, wird hierdurch nicht aufgeworfen. Der ganz unterschiedliche Hergang in den beiden Fällen - hier ersatzloses Verschwinden, dort aufwendige Manipulation - spricht vielmehr gegen einen Zusammenhang zwischen ihnen. Wer immer Medikamente durch Ballast ersetzt haben mag, wird eine solche wertlose Palette nicht anschließend noch an sich gebracht haben. Umgekehrt wäre es ein sehr großer Zufall, wenn ein von den Manipulateuren unabhängiger Dieb oder eine davon unabhängige versehentliche Fehlverladung gerade auf die manipulierte Palette getroffen wäre.

Den Wert der Güter schätzt der Senat anhand der Rechnung von A.C.A. M. an die Klägerin vom 08.01.2004 auf den dort ausgewiesenen, von der Klägerin in Anspruch genommenen Betrag (§ 278 ZPO). Die Bereitschaft der Klägerin, den in der Rechnung ausgewiesenen Preis zu zahlen, ist ein hinreichendes Indiz für einen entsprechenden Warenwert. Der zusätzlichen Vorlage von (schriftlichem) Kaufvertrag oder Bestellung bedarf es dafür nicht. Dass schließlich das Medikament "Norvasc" in der Tat nach der Angabe des Verkäufers M. gegenüber der Polizei auf dem deutschen Markt schlecht absetzbar, da zu teuer ist und für "Sortis" dasselbe gelten mag, ist für auf anderen Märkten tätige (Weiterver-) Käufer wie die in England ansässige Klägerin entweder ohne Bedeutung oder aber in die in Kenntnis und Würdigung dieses Umstandes vereinbarten Rechnungspreise bereits eingeflossen.

5.

Die Klägerin trifft kein Mitverschulden deshalb, weil sie der Beklagten zu 1 nicht den Warenwert mitteilte.

a)

Ob der Umstand, dass der Absender den unbeschränkt haftenden CMR-Frachtführer nicht den Warenwert wissen ließ, zu einer Kürzung seines Schadensersatzanspruchs führt, ist in der CMR nicht geregelt und ergänzend nach nationalen Recht zu beurteilen, sowohl unter dem Gesichtspunkt der im deutschen Recht unter § 254 Abs. 1 BGB fallenden unterbliebenen Wertdeklaration (BGH 19.05.2005 - I ZR 238/02 -; vgl. auch BGH 01.12.2005 - I ZR 4/04 - Rz. 16/17) als auch unter dem Gesichtspunkt des versäumten Hinweises auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens i.S.d. deutschen § 254 Abs. 2 BGB (BGH 01.12.2005 - I ZR 4/04 - Rz. 17; BGH 20.01.2005 - I ZR 95/01 -).

Dabei neigt der Senat dazu, den Satz des BGH: "Insoweit ist lückenfüllend nationales Recht heranzuziehen" dahingehend zu verstehen, dass es auf das nach internationalem Privatrecht auf den Transportvertrag anwendbare, gegebenenfalls ausländische, Recht ankommt (Vertragsstatut). Wenn demgegenüber vertreten wird, es könne auch die lex fori gemeint sein (Koller, TranspR 2006, 416 Rz. 44), so überzeugt das weniger. Die lex fori mit dem allgemeinen Begriff "nationales Recht" zu umschreiben und nicht als "lex fori" oder direkt als "deutsches Recht" zu bezeichnen, entspräche nicht dem üblichen international-privatrechtlichen Sprachgebrauch.

b)

Im Rahmen des Vertragsstatuts spricht nichts für ein Mitverschulden der Klägerin.

Auf den Vertrag zwischen der in K. ansässigen Klägerin und der durch ihre L.er Niederlassung handelnden Beklagten zu 1 über eine Beförderung nach K. ist englisches Recht anwendbar (Art. 28 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. EGBGB). Für eine von dieser objektiven Anknüpfung abweichende Rechtswahl beim Vertragsschluss oder auch später ist nichts ersichtlich.

Dass auch das englische Recht in der fehlenden Mitteilung des genauen Warenwertes an den Frachtführer ein anspruchsminderndes Fehlverhalten des Absenders sehe, hatte die Beklagte zu 1 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst nicht geltend gemacht. Es bestand auch kein Anlass, von Amts wegen ein Gutachten zum englischen Recht einzuholen. Vielmehr sprach und spricht die vom Senat laufend verfolgte Rechtsprechung und Literatur zum - auch internationalen und ausländischen - Transportrecht dafür, dass es sich bei diesem Punkt um eine deutsche Besonderheit handelt (s. auch Thume, TranspR 2006, 373 a.E.).

Den Ausführungen der Beklagten zu 1 in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 11.12.2007 (Bl. 725 ff. GA) ist ebenfalls nichts zu entnehmen, was auch nur Anlass zum Einholen eines Rechtsgutachtens geben würde. Die Beklagte zu 1 macht in diesen Ausführungen ohnehin nur geltend, dass nach englischem Recht dann ein Mitverschulden angenommen werde, "wenn der Absender dem Frachtführer keinerlei Information über den Warenwert oder die Diebstahlsgefährlichkeit gibt". So lag es hier aber jedenfalls nicht. Die Beklagte zu 1 hatte nicht "keinerlei Information" erhalten, sondern sie wusste allein schon durch die Firmenbestandteile "Pharmaceuticals" und "Pharma" bei Absender und Empfänger, dass es um Medikamente geht, d.h. um verhältnismäßig hohe Werte je Gewichtseinheit. Darüber hinaus fehlt es weiterhin an Anhaltspunkten dafür, dass das englische Recht im Unterbleiben einer Wertangabe durch den Absender beim Frachtvertrag überhaupt ein Mitverschulden sehen könnte. In dem vorgelegten Auszug aus "Chitty on Contracts" geht es lediglich darum, unter welchen Voraussetzungen gegenüber Schadensersatzforderungen aus Vertrag ein Mitverschuldenseinwand grundsätzlich in Betracht kommt. Dass im Rahmen dieser allgemeinen Voraussetzungen gerade das Unterbleiben genauer Wertangaben beim Frachtvertrag durch das englische Recht als Mitverschulden des Absenders gewertet würde, ist daraus nicht andeutungsweise zu entnehmen. Vielmehr spricht der Umstand, dass auch nach der eigenen Mitteilung der Beklagten zu 1 bis heute keine Entscheidungen englischer Gerichte zu diesem Thema existieren, deutlich für das Gegenteil, denn die entsprechende Sachverhaltskonstellation ist eine alltägliche, die bei entsprechender Rechtslage auch in England die Gerichte beschäftigt hätte.

c)

Doch selbst wenn man deutsches Recht für anwendbar halten wollte, wäre der Anspruch gegen die Beklagte zu 1 nicht durch ein Mitverschulden verringert.

aa)

Die Klägerin trug nicht dadurch zu dem späteren Schaden bei, dass sie die Palette nicht als Wertsendung o.ä. deklarierte.

Allerdings kann der Absender in einem gem. § 254 Abs. 1 BGB beachtlichen Selbstwiderspruch geraten, wenn er trotz Kenntnis, dass der Spediteur oder Frachtführer die Sendung bei richtiger Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, von einer Wertdeklaration absieht und bei Verlust gleichwohl vollen Schadensersatz verlangt.

Eine förmliche Wertdeklaration mit einer sich daran anschließenden institutionalisierten Sonderbehandlung war im Verhältnis zwischen der Beklagten zu 1 und der Klägerin aber nicht vorgesehen. Die Beklagte zu 1 macht selbst nicht geltend, dass sie derartiges vorhalte und ihren Kunden anbiete. Vielmehr hat sie erstinstanzlich nur in den Raum gestellt, dass die Beklagte zu 2 bei Information über den Wert eine Aufteilung gefordert oder die Palette ad hoc besser gesichert haben würde. Im ersten Berufungsverfahren hat sie ergänzt, dass die Beklagte zu 2 möglicherweise auch ganz von dem Transport abgeraten haben würde. In diesem Berufungsverfahren schließlich gibt die Beklagte zu 1 an, dass sie selbst die Palette entweder nicht übernommen oder für einen höheren Preis einen Werttransport organisiert haben würde. Diese Vielzahl von denkbaren, aber nicht in eine Unternehmensroutine gegossenen Möglichkeiten ist keine Wertpaket- bzw. Wertsendungsbehandlung von der Art, die nicht zu wählen dem Absender zum Vorwurf gereichen kann.

Darüber hinaus scheitert ein solcher Vorwurf auch an fehlender Aufklärung der Klägerin über eine etwaige "Wertpaketbehandlung". Irgendwelche individuellen Abreden oder Mitteilungen in diesem Sinne sind nicht vorgetragen. Die "BIFA 2000" sehen zwar unter Nr. 27 (D) die Möglichkeit vor, gegen einen Zuschlag eine Höherhaftung zu vereinbaren, wenn auch nur durch schriftliche Sondervereinbarung. Dass die BIFA 2000 in den Vertrag einbezogen (s.o. 1. a) bb), 3. Absatz) oder auch nur der Klägerin faktisch zur Kenntnis gebracht worden wären, trägt die Beklagte zu 1 aber nicht greifbar vor.

bb)

Die Beklagte zu 1 ist auch nicht durch ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 BGB ganz oder teilweise entlastet. Durch die "Routing Order" vom 08.01.2004 war die Höhe des Sendungswertes in hinreichender Weise offengelegt worden.

i.

Die Mitteilung des genauen, lediglich auf den nächsten vollen € aufgerundeten Warenwerts einen Tag vor der Abholung an den mit dieser Abholung betrauten (Unter-) Frachtführer und Lagerhalter gibt diesem hinreichend Zeit, sich entweder auf den mitgeteilten Wert einzustellen oder aber die Absenderseite darüber zu informieren, dass er das nicht kann oder nicht will. Die Einwände der Beklagten hiergegen überzeugen nicht.

So ist es unerheblich, dass A.C.A. M. nicht der Vertragspartner der Beklagten zu 2 als Empfängerin der "Routing Order" war. Das gilt unabhängig davon, ob A.C.A. M. nicht sogar, wie in der "Routing Order" ausdrücklich angegeben, "im Auftrage der K. Pharmaceuticals Ltd." handelte. Wenn der spätere Schädiger über die fragliche Information in zuverlässiger Weise tatsächlich verfügte, gleich woher, dann liegt eine schadensursächliche Mitverursachung wegen Unterbleibens derselben Information durch den Geschädigten nicht vor.

Es kommt auch nicht darauf an, ob die Beklagte zu 2 beim Eintreffen der Routing Order den Transport bereits auf der Grundlage der ihr von der Beklagten zu 1 persönlich übermittelten, keine Wertangabe enthaltenden Dokumente und Informationen vorbereitet hatte. Dies hätte ihr doch nicht erlaubt, eine nach Abschluss ihrer internen Routine, aber noch objektiv rechtzeitig vor Transportbeginn erhaltene Wertinformation schlicht zu ignorieren und der Absenderseite vorzuwerfen, diese habe gegen ihre eigenen wohlverstandenen Interessen verstoßen, indem sie ihr den Sendungswert - obwohl tatsächlich nicht der Fall - verschwiegen habe. Wer von Absenderseite dem (Unter-) Frachtführer einen Tag vor der Abholung eine Mitteilung wie die "Routing Order" zukommen lässt, kann erwarten und darauf vertrauen, dass deren knapper, überschaubarer Inhalt zur Kenntnis genommen wird.

Rechtliches Neuland und dabei inhaltlich nicht überzeugend ist das weitere Argument der Beklagten, dass es selbst bei zutreffender Wertangabe ein Mitverschulden des Absenders begründe, für Sendungen mit derart hohem Wert überhaupt den kostengünstigen Sammelladungsverkehr zu wählen. Wenn der Frachtführer den Wert kannte, dann kann nun einmal nicht die Rede davon sein, dass ein Verschweigen des Wertes durch die Absenderseite zu dem späteren Schaden beigetragen hätte. Darum, dass der Frachtführer durch die Wertangabe zu besonderen Sicherheitsvorkehrungen ohne Gegenleistung verpflichtet würde, geht es dabei nicht (Senat 10.10.2007 - I-18 U 69/07). Auch die Möglichkeit des Abschlusses einer ausreichenden Verkehrshaftungsversicherung ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Wer für bestimmte Geschäfte einerseits keinen Versicherer findet und andererseits nicht ohne Versicherungsdeckung arbeiten will, der muss auf den Abschluss solcher Geschäfte verzichten; fehlende Versicherbarkeit führt nicht zum Wegfall der Haftung. Die Gesundheitsgefahr, die von Medikamenten in den falschen Händen ausgehen kann, hat mit dem Wert ohnehin nichts zu tun.

ii.

Die Wertmitteilung an die Beklagte zu 2 schließt auch für die Beklagte zu 1 den Mitverschuldenseinwand gem. § 254 Abs. 2 BGB aus. Der Hauptfrachtführer kann seinem Vertragspartner nicht vorwerfen, durch fehlenden Hinweis auf die drohende Schadenshöhe zu dem späteren Güterverlust beigetragen zu haben, wenn seinem tatsächlich tätigen Unterfrachtführer diese Information vorlag. Wer sich eines Unterfrachtführers bedient, um die eigenen vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, muss damit rechnen, dass dieser Informationen erhält, die für die Transportdurchführung von Bedeutung sind, und sich das auch zurechnen lassen; wenn der Hauptfrachtführer nicht will, dass der Unterfrachtführer auf solche Informationen nach eigenem Gutdünken reagiert, mag er sich eine Rückfragepflicht ausbedingen.

6.

Der Anspruch gegen die Beklagte zu 1 ist angesichts von deren qualifiziertem Verschulden (s.o. 3.) und der innerhalb von drei Jahren nach Transportdatum erfolgten Klagezustellung nicht verjährt (Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR).

B.

Dasselbe gilt für die Beklagte zu 2.

Die Beklagte zu 2 trifft ebenfalls ein qualifiziertes Verschulden an dem Verlust der Palette mit ihrem Warenwert von 164.942,76 €, weshalb der Anspruch gegen sie auch nicht verjährt ist; wegen der Einzelheiten wird auf oben A. 3., 4. und 6. Bezug genommen. Ein anspruchsminderndes Mitverschulden der Beklagten zu 1, das sich die aus deren abgetretenem Recht vorgehende Klägerin zurechnen lassen müsste, besteht nicht; insoweit gilt das oben A. 5. c aa, bb i Ausgeführte entsprechend.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4, 101 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht gegeben. Das Urteil beruht auf der Anwendung anerkannter Rechtssätze auf den Einzelfall.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 164.942,76 €

Ende der Entscheidung

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