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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.01.2007
Aktenzeichen: I-18 U 98/05
Rechtsgebiete: HGB, TZG, ZPO


Vorschriften:

HGB § 425
HGB § 435
HGB § 437
HGB § 437 Abs. 1
HGB § 437 Abs. 2
TZG § 639
ZPO § 293
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 19.05.2005 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Beklagte schuldet der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres Versicherungsnehmers C. (im folgenden: C.) keinen Schadensersatz für den Verlust des Paketes Nr. 1... auf dem Weg vom Flughafen K. nach F..

I.

Ein Anspruch aus frachtvertraglichen Bestimmungen besteht nicht.

1.

Das Rechtsverhältnis der Parteien bestimmt sich insofern nach deutschem Recht. Dieses haben sie gewählt, indem sie in erster Instanz übereinstimmend ausschließlich mit seinen Bestimmungen argumentiert haben, sowohl inhaltlich als auch durch das Zitieren bestimmter Vorschriften (§§ 437 Abs. 1 und 2, 435 HGB, zudem die Klägerin mit dem Warschauer Abkommen, welchem jedoch nur Deutschland und nicht der zweite berührte Staat Taiwan angehört und das unabhängig hiervon keine Passivlegitimation der mit einem reinen Landtransport betrauten Beklagten begründen könnte).

Diese Rechtswahl ist wirksam, ohne dass entschieden werden müsste, ob § 437 HGB, der gegenüber der weder mit der Empfängerin C. noch mit dem taiwanischen Ur-Absender D., (im folgenden: D.) vertraglich verbundenen Beklagten die einzige denkbare Anspruchsgrundlage darstellt (Koller, Transportrecht, § 425 Rz. 53), eher vertrags- oder eher deliktsähnlich ist. Nachträglich ist die Rechtswahl auch in außervertraglichen Schuldverhältnissen möglich (Art. 42 EGBGB).

Die Rechtswahl wurde nicht dadurch wieder hinfällig, dass die Beklagte in der Berufung teilweise mit dem Recht Taiwans argumentiert. Eine einmal getroffene Rechtswahl kann nur einvernehmlich wieder geändert oder aufgehoben werden. Ein Einverständnis der Klägerin ist aber nicht vorhanden.

2.

Der einzige in Frage kommende frachtrechtliche Anspruch, derjenige aus § 437 Abs. 1 i.V.m. §§ 425, 435 HGB, scheitert an § 437 Abs. 2 HGB. Der "Frachtführer" im Sinne der letztgenannten Bestimmung, der Hauptfrachtführer U. T., schuldet aus seinem Vertrag mit dem Ur-Absender D. keinen Schadensersatz.

a)

Das vertragliche Verhältnis zwischen U. T. und D. ist nach dem Recht Taiwans zu beurteilen.

Die Haftung und die Einwendungen des (Haupt-) Frachtführers im Rahmen von § 437 Abs. 2 HGB bilden für die Haftung des ausführenden Frachtführers nach § 437 Abs. 1 HGB eine sog. Vorfrage. Vorfragen sind international-privatrechtlich grundsätzlich selbständig anzuknüpfen (für alle Palandt-Heldrich, Einl v Art 3 EGBGB Rz. 29 m.w.N.). Ein Anlass, von diesem Grundsatz abzuweichen, besteht nicht.

Die objektive Anknüpfung nach Art. 28 Abs. 4 EGBGB führt für den Vertrag zwischen D. und U. T. zur Anwendbarkeit des taiwanischen Rechts. Die (Haupt-) Niederlassungen von U. T. und von D. sowie der V. befinden sich in Taiwan. Für die Wahl eines anderen Rechts bestehen keine Anhaltspunkte. Die einzige erörterte Rechtswahlerklärung ist die letzte Klausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen von U. T. ("Terms and Conditions of Service", Anl. B 1, Bl. 29 - 32 GA), welche ebenfalls das Recht Taiwans beruft.

b)

Nach dem auf den (Haupt-) Frachtvertrag zwischen D. und U. T. anwendbaren taiwanischen Recht kann letztere einwenden, dass sie für den Verlust der nach Klägerbehauptung in dem verlorenen Paket enthaltenen "Memory Cards" vom Typ SD 128MB nicht haftet.

aa)

Das vom Senat eingeholte Gutachten des M. für ausländisches und internationales Privatrecht ("Rechtsauskunft", Bl. 152 ff. GA) hat ergeben, dass gem. § 639 des taiwanischen Zivilgesetzes (TZG) der Frachtführer für den Verlust wertvoller Güter ("valuables" in der englischen Übersetzung) nur haftet, wenn ihm Art und Wert der Güter bei der Übergabe mitgeteilt werden.

bb)

Memory Cards mit den hier vorliegenden Merkmalen von Größe und Gewicht einerseits, Preis/Wert andererseits sind "wertvolle Güter" i.S.d. § 639 TZG. Die diesbezüglichen Ausführungen auf S. 5 - 9 des Gutachtens (Bl. 156 - 160 GA), auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, sind überzeugend, insbesondere auch angesichts der zitierten Beispiele für "wertvolle Güter" aus der taiwanischen Rechtsprechung.

Die Klägerin wendet hiergegen nichts Erhebliches ein. Sie macht sich zum einen die Auffassung des LG Köln aus dessen Urteil vom 19.08.2004 - 86 O 28/01 - zu eigen, Computerteile mit einem Wert von 43,80 bis 90,50 $ stellten entgegen der Einordnung durch das MPI "sicherlich" keine Wertsachen dar. Weshalb das sicher sein soll, wird aber nicht deutlich. Die Auffassung wird im übrigen vom OLG Köln nicht geteilt, wie dessen Beweisbeschluss in dem Berufungsverfahren 3 U 157/04 zeigt (Bl. 113/114 GA). Zum anderen rügt die Klägerin, dass das Gutachten nicht hinreichend auf Quellen des taiwanischen Rechts gestützt sei. Ob dies für das vom LG Köln eingeholte Gutachten gilt, ist hier nicht zu entscheiden. Für das vom Senat veranlasste Gutachten wurden vier verschiedene bezirksgerichtliche Urteile ausgewertet, davon drei vom Obersten Gericht bestätigt, und Anhaltspunkte für eine abweichende Rechtsprechung anderer taiwanischer Gerichte sind nicht ersichtlich.

cc)

Der Beklagten wurden Art und Wert der Güter nicht mitgeteilt i.S.d. § 639 TZG.

Was die Handelsrechnung mit ihren Preisangaben angeht, so verneint das M. die Frage überzeugend. Es zitiert wiederum das Bezirksgericht Shilin, jedenfalls im Ergebnis bestätigt vom Obersten Gericht, welches in der Übergabe der Handelsrechnung an den Frachtführer zum Zwecke der Verzollung - insofern wie hier - keine Mitteilung i.S.d. § 639 TZG sah, weil es sich um eine rein praktische "Übertragung von Daten" gehandelt und der Versender nicht den Willen zu einer Angabe nach § 639 TZG gehabt habe. Nach zwei anderen rechtskräftigen Urteilen des Bezirksgerichts Shilin genügten ein "Auftrag zur Verzollung" und "Exportbelege" mit Angaben zum Warenwert nicht, weil § 639 TZG leerlaufen würde, sähe man in den zollrechtlich vorgeschriebenen Unterlagen bereits die Mitteilung an den Frachtführer im Sinne der Vorschrift.

Auch die Eintragung "Memory Cards" im Frachtbrief sieht das M. in überzeugender Weise nicht als ausreichende "Mitteilung" an. Zwar konnte es taiwanesische Literaturstimmen hierzu oder Gerichtsentscheidungen, in denen es speziell um Eintragungen im Frachtbrief ging, nicht ermitteln. Seine allgemeine Einschätzung, dass die taiwanische Rechtsprechung hohe Anforderungen an die Angabe des Wertes der zu transportierenden Gegenstände anlegt, ist jedoch durch die vorliegenden Entscheidungen belegt und stützt seine Schlussfolgerung. Zudem spricht schon der Wortlaut des § 639 TZG dafür, dass die Frachtbriefeintragung allein nicht ausreicht. Nach dieser Vorschrift müssen Art und Wert der Güter dem Frachtführer mitgeteilt werden, um eine Haftung zu begründen. "Memory cards" ist aber nur die Bezeichnung einer Art und keine Angabe eines bestimmten Wertes. Der Begriff ruft außerhalb der Computerbranche nicht einmal zwingend die allgemeine Vorstellung einer besonderen Werthaltigkeit hervor. Ob bei Gattungsbegriffen, die per se für einen besonders hohen Wert pro Volumeneinheit stehen, die Angabe dieses Gattungsbegriffs ausreichen würde, braucht daher hier nicht entschieden zu werden. Eine insoweit nicht eindeutige Bezeichnung wie "memory cards" trägt die Wertangabe jedenfalls nicht in sich. Die Information über den Wert ergibt sich in diesem Fall erst aus weiteren Papieren, insbesondere der Handelsrechnung, welche im Rahmen von § 639 TZG aber ohne Belang sind, wie im vorigen Absatz ausgeführt.

c)

Der Berücksichtigung des taiwanischen Rechts steht nicht entgegen, dass die Beklagte erst in der Berufungsinstanz auf den Inhalt des § 639 TZG hingewiesen hat. Ein durch das deutsche internationale Privatrecht berufenes ausländisches Recht hat das Gericht von sich aus und auch in Abwesenheit einer darauf gestützten Argumentation der Parteien anzuwenden (BGH 06.03.1995, NJW 1995, 2097, 2098; Stein/Jonas-Leipold, § 293 Rz. 31). Dass eine Partei sich erst im Berufungsrechtszug darauf beruft, das anwendbare ausländische Recht enthalte eine ihr günstige Regelung, entbindet das Berufungsgericht nicht von seiner aus § 293 ZPO fließenden Pflicht zur Ermittlung und Anwendung dieses Rechts (BGH 10.05.1984, RIW 1984, 644, 646).

II.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus unerlaubter Handlung.

1.

Für einen deliktischen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte gilt deutsches Recht. Das folgt aus Art. 40 Abs. 1, 2 EGBGB, denn das Paket kam unstreitig in Deutschland abhanden, und hier haben sowohl die behauptetermaßen geschädigte C. als auch die Beklagte ihren Sitz. Eine anderweitige Rechtswahl wurde nicht getroffen.

2.

Es lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte zu Lasten von C. eine unerlaubte Handlung beging. In Betracht kommt allein eine Verletzung des Eigentums (§ 823 Abs. 1 BGB). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass C. im Zeitpunkt des Verlustes Eigentümerin des Paketinhalts war.

Die Klägerin ist in diesem Punkt selbst unschlüssig. Sie meint alternativ, dass die Beklagte "das Eigentum, jedenfalls aber den Besitz der Empfängerin an der beförderten Ware verletzt" habe (Schriftsatz vom 10.08.2006, S. 5, Bl. 180 GA). Es ist auch nicht selbstverständlich, dass bei einem internationalen Versendungskauf der deutsche Käufer/Empfänger das Eigentum an der Ware vor deren Eintreffen bei ihm erwirbt.

Der etwaige Besitz von C. (für den ebenfalls keine tatsächliche Grundlage vorgetragen wird; unmittelbarer Besitz im Sinne der deutschen Begriffsbildung war jedenfalls noch nicht gegeben) berechtigt nicht zur Erhebung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung. Solche Ansprüche kann nur der Eigentümer geltend machen (Senat, 12.01.1984, TranspR 1984, 106, 109; Koller, Transportrecht, § 421 HGB Rz. 19).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht gegeben. Das Urteil beruht auf der Auslegung individueller Rechtswahlerklärungen (oben I. 1.), der Anwendung anerkannter Sätze des deutschen Rechts auf den Einzelfall (oben I. 2. a), II.), der Anwendung mit sachverständiger Hilfe ermittelten ausländischen Rechts (oben I. 2. b)) sowie der mit Rechtsmitteln nicht angreifbaren Zulassung von nach Ansicht der Gegenpartei verspätetem Vorbringen (oben I. 2. c)).

Streitwert für die Berufungsinstanz: 17.838,03 €

Ende der Entscheidung

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