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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 06.09.2006
Aktenzeichen: I-19 U 10/06
Rechtsgebiete: EGZPO, BGB, StVZO, EBO, ZPO, HPflG


Vorschriften:

EGZPO § 26 Nr. 8
EGZPO § 313 a Abs. 1
EGZPO § 540 Abs. 2
BGB § 280 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
StVZO § 35 e Abs. 5 S. 7 a.F.
EBO § 28 Abs. 4
ZPO § 531 Abs. 1
HPflG § 1
HPflG § 4
HPflG § 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 25.01.2006 verkündetet Urteil der 19. Zivilkammer - Einzelrichter - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Von der Wiedergabe des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Er hat aus abgetretenem Recht weder aus Verschuldens- noch aus Gefährdungshaftung einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz oder Schmerzensgeld aus dem Unfall seiner Mutter am 15.03.2004 auf dem Hauptbahnhof W.. Ein solcher Anspruch, der an ihn hätte abgetreten werden können, besteht nicht.

1.

Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten abgelehnt.

Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung wird die Verkehrssicherungspflicht nicht schon durch jede bloß theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst. Da eine jeglichen Schadensfall ausschließende Verkehrssicherung nicht erreichbar ist und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen Schutz vor allen nur denkbaren Gefahren ausgerichtet sind, beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren. Haftungsbegründend wird die Nichtabwendung einer Gefahr erst dann, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden können (BGH, VersR 1976, 149, 150; BGH, NJW 1990, 1236, 1237). Danach ist im Einzelfall eine Gesamtabwägung nach Ausmaß und Größe der Gefahr, Art und Umfang des Verkehrs und seiner berechtigten Sicherheitserwartungen und der Zumutbarkeit der Aufwendungen für den Sicherungspflichtigen vorzunehmen (BGH, NJW 1975, 812; BGH, NJW 1985, 1076).

Die streitgegenständliche Tür entsprach den gesetzlichen Sicherheitsstandards, die die Grenze zwischen den abhilfebedürftigen Gefahren und den hinzunehmenden Erschwernissen umreißen. Darüber hinaus gehende Maßnahmen oblagen der Beklagten nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des Landgerichts Bl. 5/6 des Urteils vom 25.01.2006 (Bl. 61/62 GA) verwiesen. Der Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung, die fehlende akustische und optische Warnanlage und die Tatsache, dass sich die Türen nach nur 3 Sekunden wieder geschlossen hätten, seien als technischer Fehler zu werten, führt nicht zu einer anderen Bewertung des Sachverhalts.

Mit § 35 e Abs. 5 S. 7 StVZO a.F. jetzt § 28 Abs. 4 EBO hat der Gesetzgeber automatische Türen ausdrücklich zugelassen. Es muss allerdings durch geeignete bauliche Maßnahmen sichergestellt sein, dass eine Gefährdung von Personen innerhalb und außerhalb durch sich schließende Türen nicht zu erwarten ist (KG, MDR 2004, 937, zitiert nach JURIS, Rn. 27/28; OLG München, VersR 2002, 332, ziert nach juris, Rn, 8). Die zu vermeidende Gefährdung liegt darin, dass Fahrgäste durch sich schließende Automatiktüren eingeklemmt bzw. eingequetscht werden. Die Türen müssen sich bei Kontakt unverzüglich und vollständig wieder öffnen. Dies war unstreitig der Fall. Eine unmittelbare Verletzungsgefahr durch den Schließmechanismus selbst bestand nicht. Die Mutter des Klägers wurde durch das Schließen der Tür selbst nicht verletzt. Diese ging, nachdem sie mit der Geschädigten in Berührung kam, wieder auf, ohne dass die Geschädigte eingeklemmt oder eingequetscht worden wäre.

Auch ein akustischer Warnton oder ein optisches Signal vor dem automatischen Schließen der Tür ist nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts als zusätzliche Sicherungsmaßnahme nicht erforderlich, da es eine Vielzahl von automatisch schließenden Türen z.B. an Fahrstühlen gibt, die sich auch ohne Signalton automatisch schließen. Ein solcher Zustand entspricht den allgemeinen Erfahrungen der Öffentlichkeit und prägt daher die allgemeinen Sicherheitserwartungen des Verkehrs. Auch die Innentüren des I.., mit dem die Geschädigte zuvor von B. nach W. gefahren war, schließen sich ohne Signalton nach einer gewissen Zeit automatisch. Die Technik war der Geschädigten daher nicht fremd. Der technische Fortschritt erlaubt die Einführung neuer Techniken, ohne dass hierdurch eine Verkehrssicherungspflicht verletzt würde, wenn der Fahrgast in der Lage ist, sich auf neue Einrichtungen einzustellen und die Anwendung für jeden vernünftig Handelnden keine unabwendbaren Gefahren mit sich bringt (KG, a.a.O. Rn. 28).

Die in der Sitzung des Senats am 09.08.2006 erstmals vorgetragene Behauptung des Klägers, seine Mutter habe darauf vertrauen dürfen, dass das optische Signal ordnungsgemäß funktioniere, steht in Widerspruch zu seinem bisherigen Vorbringen, mit dem er das Vorhandensein eines solchen Signals in Abrede gestellt hat.

Eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt auch nicht in einer unzureichenden Beschaffenheit der Zugtüren, weil diese sich 3 Sekunden, nachdem ein Fahrgast die Lichtschranke passiert hat, wieder schließen. In einer "falschen Taktung" der Schließzeit liegt kein technischer Fehler. Das Problem, dass ein Fahrgast erst gegen Ende der Öffnungszeit einzusteigen versucht, ist ein generelles Problem, das sich nicht durch die Dauer der Öffnungszeit vermeiden lässt (OLG Nürnberg, VersR 1989, 969).

Die von dem Kläger in der Sitzung des Senats erstmals geäußerte Vermutung, die Lichtschranke an der streitgegenständlichen Tür sei defekt gewesen, ist nach § 531 Abs. 1 ZPO verspätet. Bereits in der Klageschrift hatte der Kläger Anlass, hierzu vorzutragen, da seine Mutter nach seiner Behauptung den Zug unmittelbar nach drei weiteren Reisenden betreten hatte. Unabhängig davon ist der Vortrag unschlüssig, weil sich bei einer Taktung von 3 Sekunden die Tür bei defekter Lichtschranke schon vor der Geschädigten geschlossen hätte, wären ihr drei Reisende voraus gegangen.

Eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten kann auch nicht in der Mutmaßung des Klägers gesehen werden, dass ältere Personen, die beim Einsteigen mehrere Stufen zu überwinden haben, auch bei Nutzung der Haltevorrichtungen durch das Zuschwingen der Tür zu Fall kommen. Wie einleitend ausgeführt beschränkt sich die Verkehrssicherungspflicht auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren. Die Beklagte kann davon ausgehen, dass ältere Personen den Anforderungen an das Ein- und Aussteigen gewachsen sind oder aber sich der Hilfe Dritter versichern.

2.

Ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB entfällt, da die Beklagte nach dem unter 1. Dargelegten keine Pflicht aus dem Beförderungsvertrag verletzt hat.

3.

Ein Anspruch aus §§ 1, 6 HPflG scheidet gleichfalls aus. Zwar liegen die objektiven Haftungsvoraussetzungen nach § 1 HPflG vor, da die Mutter des Klägers beim Betrieb der Bahn verletzt wurde und der Unfall nicht auf höherer Gewalt beruhte. Die Beklagte ist jedoch nicht zum Schadensersatz verpflichtet, weil die Geschädigte den Unfall in einem so überwiegenden Maß verursacht hat, dass nach § 4 HPflG die Betriebsgefahr der Bahn demgegenüber zurücktritt.

Nach § 4 HPflG ist bei der Entstehung des Schadens ein Mitverschulden des Geschädigten zu berücksichtigen. Der Schaden ist demnach nach dem Grad der Verursachung aufzuteilen (MünchKomm-Oetker, BGB. 4. Aufl. 2003, § 254, Rn. 13). Zu berücksichtigen ist, dass die allgemeinen Sicherheitserwartungen des Verkehrs von der zutreffenden Vorstellung geprägt werden, beim Besteigen eines Waggons müsse ein Höhenunterschied überwunden werden und sich Automatiktüren nach einer bestimmten Zeit wieder schlössen. Die sich hieraus ergebenden Unsicherheiten muss der Bahnbenutzer in der konkreten Situation durch gesteigerte Aufmerksamkeit auf eben diese Gefahren kompensieren. Ist er hierzu nicht in der Lage, muss er sich entsprechender Hilfe versichern. Darauf kann der sicherungsverpflichtete Betreiber der Anlage vertrauen (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2000, 104, 105).

Auf Seiten der Beklagten ist lediglich die Betriebsgefahr der Bahn in die Abwägung mit einzubeziehen. Diese tritt nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts jedoch völlig hinter das Verschulden der Geschädigten zurück. Ihr Mitverschulden, das nicht besonders hoch veranschlagt werden muss, hat gegenüber der Betriebsgefahr einer den allgemeinen Sicherheitsstandards entsprechenden Tür eines stehenden Zuges soviel Gewicht, dass die Betriebsgefahr als Unfallursache bedeutungslos wird. Anhaltspunkte hierfür ergeben sich u.a. aus der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte, die das Landgericht auf Antrag des Klägers beigezogen hat, und die dem Senat vorlag.

Bei ihrer polizeilichen Vernehmung erklärte die Geschädigte, dass sie sich bei dem Besteigen des Zuges mit der linken Hand festhalten und die erste oder zweite Stufe bereits bestiegen habe. In der rechten Hand habe sie ihr Bordcase gehalten Die Geschädigte hat ihre nach Angaben des Klägers ohnehin schon instabile Lage durch das Mitführen eines Bordcase noch verstärkt. Wenn - wie der Kläger meint - ältere Personen durch sich automatisch schließende Türen besonders gefährdet seien, so hätte sich die Geschädigte, da sie darüber hinaus Gepäck mit sich führte, erst Recht der Hilfe Dritter versichern müssen. Dabei ist es allerdings entgegen der Annahme des Klägers der Beklagten nicht zuzumuten, dass sie ausreichend Personal an den Bahnsteigen für derartige Hilfeleistungen zur Verfügung stellt. Die Vorsorge hierfür oblag der Geschädigten.

Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Berufungsklägers vom 01.09.2006 gibt dem Senat keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Beschwerde: 16.767,28 €

Ende der Entscheidung

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