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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.01.2008
Aktenzeichen: I-20 U 152/07
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 3
UWG § 4 Nr. 8
UWG § 4 Nr. 10
UWG § 5
UWG § 6 Abs. 1
UWG § 6 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 15. August 2007 verkündete Urteil des Vorsitzenden der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe:

Die zulässige Berufung der Antragstellerin bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht hat ihren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag zu Recht zurückgewiesen. Dabei dürfte das Landgericht zwar zutreffend ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien bejaht haben. Näherer Vertiefung bedarf dies indes nicht, weil die Antragstellerin die sonstigen Voraussetzungen des geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht hat. Die angegriffene Pressemitteilung der Antragsgegner vom 9.7.2007 (Anlage ASt 2) stellt sich nach den glaubhaft gemachten Tatsachen nicht als unlauter im Sinne des § 3 UWG dar.

1. Die Antragstellerin stützt sich zunächst ohne Erfolg auf § 4 Nr. 10 UWG unter dem Gesichtspunkt eines Boykottaufrufs, den sie hauptsächlich aus der Verwendung des Wortes "Warnung" in der Überschrift der Pressemitteilung ableitet.

Nicht ganz zweifelsfrei ist bereits, ob in der Pressemitteilung begrifflich tatsächlich ein Boykottaufruf zu sehen ist. Boykott ist eine Aufforderung zu einer Liefer- oder Bezugssperre, also der Versuch, einen anderen dahin zu beeinflussen, bestimmte Lieferbeziehungen nicht einzugehen oder nicht aufrechtzuerhalten (Köhler, in: Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 26. Aufl. 2008, § 4 UWG Rn. 10.116 und 10.119 m. w. Nachw.). Die Aufforderung muss subjektiv auf eine Beeinflussung der freien Willensentscheidung des Adressaten gerichtet sein (a.a.O.). Das mag dem Text zu entnehmen sein, der darauf abzielt, den Leser zumindest zu einer gewissen Vorsicht bei der Anwendung des Testverfahrens der Antragstellerin zu veranlassen bzw. wegen der geschilderten Zweifel hiervon möglicherweise ganz abzusehen. Andererseits kommt auch zum Ausdruck, dass - wenn auch verkürzt - eine wissenschaftliche Auffassung der "B. Urologen" dargestellt werden soll, und zwar unter Darlegung der Gründe, die nach Ansicht der Verfasser für die Einschätzung der Tests als "problematisch" sprechen. Das unterscheidet den vorliegenden Fall bereits grundlegend von demjenigen, der der in der Berufungsbegründung zitierten Entscheidung des OLG Köln (OLGR Köln 2003, 374 = AfP 2004, 63) zugrunde lag. Dort wurde ein Mitbewerber ohne Mitteilung näherer Einzelheiten pauschal herabgesetzt. Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein.

Näheres zur begrifflichen Einordnung des Textes als Boykottaufruf kann indes dahin stehen. Ebenso kann unterstellt werden, dass die ausgesprochene Warnung von dem Leser hinreichend deutlich auf den Test der Antragstellerin bezogen wird, obwohl diese ausdrücklich nicht genannt ist, sondern ausdrücklich von "mehreren Harntests" die Rede ist, die zur Zeit in Europa und den USA entwickelt würden. Eine derart verstandene Warnung ist jedenfalls - wie vom Landgericht zutreffend entschieden - durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und die Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG gedeckt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich der Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch auf kommerzielle Meinungsäußerungen sowie reine Wirtschaftswerbung, die einen wertenden, meinungsbildenden Inhalt hat (BVerfGE 102, 347 = GRUR 2001, 170 - Schockwerbung).

Unwahre Tatsachen, deren Verbreitung von Art. 5 GG nicht gedeckt sein könnte, sind in dem Text nicht enthalten. Vielmehr wird die wissenschaftliche Meinung der Autoren zu den angesprochenen Urintests wiedergegeben, die sie als "sehr problematisch" einschätzen. Diese Auffassung wird mit der "dünnen Datenlage" und "eigenen Erfahrungen" begründet. Zudem wird auf das nach Ansicht der Autoren derzeitige Fehlen "wissenschaftlich haltbarer Beweise" für ein "vertretbares Kosten/Nutzen-Verhältnis" und für die Überlegenheit über bisherige Untersuchungsmethoden hingewiesen. Wiedergegeben ist damit die Meinung der Antragsgegner zu den Folgerungen, die nach derzeitigem Erkenntnisstand ihrer Ansicht nach aus den vorliegenden Untersuchungen zu ziehen sind.

Ob diese Auffassung richtig oder falsch ist, wie die Antragstellerin umfangreich darzulegen versucht, ist vom Senat nicht zu entscheiden, erst recht nicht im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Die Antragsgegner haben jedenfalls glaubhaft gemacht, dass die mitgeteilte Auffassung zumindest vertretbar und nicht bloß vorgeschoben ist, um sachfremde Ziele, nämlich eine wettbewerblich vorteilhafte Position zu erreichen. Anlass für die Pressemitteilung waren nämlich konkrete Vorfälle, die der Antragsgegner zu 3. in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 14.8.2007 (Anlage AG 3, Bl. 157 f. GA) im einzelnen geschildert hat. Danach ging es den Antragsgegnern darum, Verunsicherungen von Patienten aufgrund unzutreffend bewerteter Testergebnisse zu vermeiden, wie es in den dargestellten Fällen zuvor geschehen war.

Das Verfahren der Antragstellerin (und anderer Anbieter) wird zudem keineswegs unangemessen pauschal herabgesetzt oder sonst nachteilig dargestellt; die Antragsgegner räumen in der Pressemitteilung im Gegenteil sogar ein, dass es sich "möglicherweise tatsächlich um brauchbare Testverfahren handeln könnte", was aber ihrer Ansicht nach noch näher zu untersuchen ist. Vor diesem Hintergrund führt auch weder die verkürzende Darstellung noch die Verwendung des Wortes "Warnung" in der Überschrift dazu, die Pressemitteilung nicht mehr als von der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit gedeckt anzusehen. Eine derartige Pressemitteilung muss notwendigerweise kurz und - soweit sie wie hier komplexe Sachverhalte betrifft - verkürzend sein, weil letztere anders nicht für einen breiteren Leserkreis aufnehmbar darzustellen sind. Trotz der Kürze kommt in dem hier zu beurteilenden Text die Grundlage der mitgeteilten Meinung und eine gewisse Offenheit für künftige Erkenntnisse - wie dargelegt - hinreichend deutlich zum Ausdruck. Jedem Leser wird auch sofort klar, dass die "Warnung" sich keineswegs auf eine Gefährlichkeit der angesprochenen Testverfahren, sondern auf möglicherweise nicht gerechtfertigte überzogene Erwartungen an ihre Zuverlässigkeit im Vergleich zu den herkömmlichen Testverfahren bezieht.

2. Soweit die Antragstellerin sich auf § 4 Nr. 10 UWG noch außerhalb eines Boykottaufrufs mit der Behauptung beruft, die Antragsgegner verfolgten mit der Pressemitteilung nur den Zweck, die Antragstellerin "bewusst im Vertrieb ihres Produkts zu behindern", gelten die vorstehenden Erwägungen auch hier.

3. Auch soweit die Antragstellerin die Pressemitteilung als vergleichende, gemäß § 6 Abs. 2 UWG unlautere Werbung ansieht, bleibt die Berufung ohne Erfolg. Die Antragstellerin bezieht sich auf den letzten Satz der Pressemitteilung, der auf das "Kosten/Nutzen-Verhältnis" Bezug nimmt und die Auffassung der Antragsgegner wiedergibt, es gebe noch keine "wissenschaftlich haltbaren Beweise", dass Urintests ein Prostatakarzinom besser vorhersagen könnten als die näher bezeichneten herkömmlichen Methoden.

Nicht ganz zweifelsfrei ist, ob insoweit die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Werbevergleichs im Sinne des § 6 Abs. 1 UWG vorliegen. Die Pressemitteilung nennt weder die Antragstellerin noch eines ihrer Produkte. Erörtert wird eine Methode, nämlich die Untersuchung des Urins auf bestimmte Eiweiße. Die Pressemitteilung enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass zur Zeit "in Europa und den USA mehrere Harntests ... entwickelt und in klinischen Studien erprobt" werden und fährt fort: "Einige Tests sind bereits auf dem Markt erhältlich und werden zum Teil massiv beworben". Die im Detail unterschiedlichen Methoden der Tests werden im dritten Absatz der Pressemitteilung auch ausdrücklich angesprochen. Daraus könnte gefolgert werden, dass nicht ein bestimmter Mitbewerber oder ein bestimmtes Produkt, sondern eine wissenschaftliche Untersuchungsmethode Gegenstand der Erörterungen sein soll. Andererseits mag der Bezug zur Antragstellerin vom Leser hergestellt werden, auch wenn sie hinsichtlich ihrer Testmethode nicht konkurrenzlos ist, wie sie selbst einräumt.

Näheres hierzu kann dahin stehen. Der angegriffene Text gibt auch insoweit eine wissenschaftliche, die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen bewertende Meinung wieder, deren Äußerung nach den vorstehenden Ausführungen durch Art. 5 GG gedeckt ist.

4. Die Antragstellerin beruft sich auch ohne Erfolg auf § 4 Nr. 8 UWG mit der Begründung, die Antragsgegner hätten mit der Pressemitteilung über ihren Test eine nicht erweisliche wahre, schädigende Tatsache behauptet. Die Antragstellerin bezieht sich insoweit auf die als Auffassung der "B. Urologen" wiedergegebene Aussage "Allein die dafür [für den Test] nötige Konservierung von Eiweißstoffen im Urin sei ein erheblicher Unsicherheitsfaktor."

Die Gesamtaussage des Satzes stellt indes nicht die Wiedergabe einer Tatsache, sondern eine Meinungsäußerung dar. Ausgedrückt wird nichts anderes, als dass eine Konservierung der zu untersuchenden Stoffe notwendig ist - was auch die Antragstellerin nicht in Frage stellt - und dass dies als "Unsicherheitsfaktor" eingeschätzt wird. Die Möglichkeiten, Urin zu konservieren, stellt die Antragstellerin zwar als problemlos dar; die Antragsgegner sehen dies in der angegriffenen Pressemitteilung indes anders. Ob hierin eine Unsicherheit gesehen wird, ist Folge einer Bewertung und keine dem Beweis zugängliche Tatsache. Letztlich sind auch die von der Antragstellerin aufgeführten Untersuchungen wohl offenbar deshalb durchgeführt worden, weil die Frage gerade nicht ganz eindeutig zu beantworten ist. Zudem dürfte die Konservierungsmöglichkeit auch von der Art der Lagerung (Kühlung, die Antragstellerin nennt das Einfrieren) abhängen, für die bestimmte Bedingungen gewährleistet sein müssen. Das mag in vertretbarer Weise als "Unsicherheitsfaktor" eingestuft werden, ohne dass diese Frage in medizinischer Hinsicht hier entschieden werden müsste.

5. Schließlich greift die Antragstellerin die Pressemitteilung noch ohne Erfolg als irreführende Werbung gemäß § 5 UWG an. Auch wenn man die Äußerungen der Antragsgegner als Werbung im Sinne dieser Vorschrift verstehen wollte, wäre sie jedenfalls nicht irreführend. Sämtliche in der Berufungsbegründung aufgeführten Umstände (Gefahren bei Verwendung des Tests; Unsicherheit bei der Konservierung des Urins; Kosten/Nutzen-Verhältnis; keine Beweise für bessere Vorhersagbarkeit eines Prostatakarzinoms; Anwendung des Tests neben herkömmlichen Verfahren) betreffen Meinungsäußerungen der Antragsgegner zum derzeitigen Stand der Wissenschaft, die als solche erkennbar sind und keine irreführenden Elemente enthalten. Zusammenfassend gesagt sieht die Antragstellerin die Irreführung wohl darin, dass sie eine andere Meinung zu ihrem Test vertritt. Die medizinische Frage, welche Einschätzung richtig ist, hat der Senat nicht zu entscheiden. Wie bereits ausgeführt, sind jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür glaubhaft gemacht, dass die Meinungsäußerungen in der Pressemitteilung zugunsten der herkömmlichen Untersuchungsmethoden unvertretbar sein könnten, zumal nach der bereits erwähnten eidesstattlichen Versicherung des Antragsgegners zu 3. es in der Vergangenheit bereits "Problemfälle" gab, die den Anlass für die Herausgabe dieser Pressemitteilung bildeten.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Ein Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit unterbleibt, § 704 Abs. 1, § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 200.000,-- € nach der Festsetzung des Landgerichts.

Ende der Entscheidung

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