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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 25.11.2008
Aktenzeichen: I-20 U 202/07
Rechtsgebiete: UWG, ZPO, BGB


Vorschriften:

UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1
UWG § 3
UWG § 4 Nr. 1
UWG 4 Nr. 10
UWG § 5
UWG § 8 Abs. 1
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
BGB § 212d Abs. 1
BGB § 312b Abs. 1
BGB § 312b Abs. 3 Nr. 7b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Düsseldorf vom 23. November 2007 wird zurückgewiesen, und zwar unter Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung einer Berufungsbegründung innerhalb der Frist.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleitung von 40.000 Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Gründe:

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Danach nimmt die Klägerin die Beklagte - beide Parteien bieten Telefondienstleistungen an - auf der Grundlage von §§ 3, 4 Nr. 1 und 10, § 5 UWG in Anspruch, weil die Beklagte in einigen Fällen Pre-Selection-Aufträge an die Klägerin weitergeleitet habe, obwohl die Kunden zuvor die entsprechenden Aufträge widerrufen hätten, wobei im Einzelnen fünf Vorfälle angeführt worden sind, darunter die Fälle M. und Sch.:

Fall M.

Herr H. M. in A. habe am 08. November 2006 ein Begrüßungsschreiben erhalten; den entsprechenden Auftrag habe er am 15. November 2006 und am 23. November 2006 widerrufen. Trotzdem sei am 22. November 2006 eine Pre-Selection zu Gunsten von T. eingerichtet worden.

Fall Sch.

Herr A. Sch. in B. habe am 14. Dezember 2006 den Anruf einer Werberin, und nach entsprechendem Auftrag ein Begrüßungsschreiben am 02. Januar 2007 erhalten. Den Pre-Selection-Vertrag habe der Kunde per E-Mail noch am selben Tag widerrufen. Trotzdem sei eine Pre-Selection zu Gunsten von T. am 04.01.2007 in Auftrag gegeben worden.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Beklagte - soweit im Berufungsverfahren noch von Belang - unter Verwendung der Fälle M. und Sch. antragsgemäß mit einer Androhung bestimmter Ordnungsmittel verurteilt, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Pre-Selection-Aufträge an die D. AG weiterzuleiten und/oder weiterleiten zu lassen, die zuvor von den Kunden schriftlich wirksam widerrufen worden sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich der Unterlassung als begründet angesehen. Das Verhalten der Beklagten sei ein Wettbewerbsverstoß nach §§ 3, 4 Nr. 10 UWG. In den Fällen M. und Sch. habe die Beklagte die Umstellungsaufträge an die Klägerin weitergeleitet, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits ein Kundenwiderruf eingegangen gewesen sei. Der Eingang ergebe sich für den Kunden M. aus den Protokollen der Klägerin. Unbeachtlich sei, dass die Beklagte im Fall Sch. darauf abstelle, dass der Widerruf erst am 08. Januar 2007 eingepflegt worden sei. Die Beklagte könne sich nicht auf den büromäßigen mit Zeitablauf verbundenen Aufwand zur Bearbeitung von Widerrufsfällen berufen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, deren Begründung verspätet bei Gericht eingegangen ist. Verbunden mit einem Antrag, ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, beantragt die Beklagte insbesondere mit dem Vortrag, im Fall M. habe sie den Widerruf am 22. November 2006 eingetragen, der entsprechende Pre-Selection-Auftrag sei jedoch schon am Montag, 20. November 2006 an die Klägerin weitergeleitet worden, im Fall Sch. sei ihrer Mitarbeiterin bei Weiterleitung der Pre-Selection-Daten am 3. Januar 2007 nicht bekannt gewesen, dass ein Widerruf zugegangen sei, er sei nämlich erst am 8. Januar 2007 in das Kundenstammdatensystem eingetragen worden, mangels Kenntnis von einem vorherigen Widerruf fehle es an einer Verdrängungsabsicht, in der Sache die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II. Die Berufung der Beklagten ist nach der Gewährung der beantragten Wiedereinsetzung zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin steht der in Berufung allein noch im Streit stehende Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 4 Nr. 10, § 8 Abs. 1 UWG zu.

1.

Der Beklagten ist nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand in Bezug auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren, weil sie an der Einhaltung der Frist ohne ihr Verschulden gehindert war. Ein Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das nach § 85 Abs. 2 ZPO ihrem eigenen gleich stünde, liegt ebenso wenig vor. Zwar ist ein Rechtsanwalt grundsätzlich verpflichtet, für eine Büroorganisation zu sorgen, die eine Überprüfung der Telefaxübermittlung fristgebundener Schriftsätze gewährleistet. Es muss ein entsprechender Sendebericht ausgedruckt und entsprechend überprüft werden; die Überprüfung hat sich auch darauf zu beziehen, ob eine entsprechende Faxsendung übertragen werden konnte. Im Streitfall war ein rechtzeitig abgesandtes Fax mit der Berufungsbegründung bei Gericht nicht eingegangen, was im Sendebericht seinen Niederschlag in dem Hinweis gefunden hatte "keine Verbindung". Durch eidesstattliche Versicherung der bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten beschäftigten Rechtsanwaltsfachangestellten Z. vom 25. Februar 2008 und des Rechtsanwalts T. selbst vom selben Tag ist glaubhaft gemacht, dass es bei den Prozessbevollmächtigten eine diesen Ablauf fixierende allgemeine Anweisung gibt. Rechtsanwalt T. hat in der Berufungsverhandlung klargestellt, dass sie in schriftlicher Form abgefasst ist. Dass sich Frau Z. im Einzelfall der Telefaxübermittlung der Berufungsbegründung des Streitfalls an die Anweisung nicht gehalten und das Zustandekommen einer Verbindung nicht sorgfältig überprüft hat, gereicht der Partei nicht zum Verschulden. Rechtsanwalt T. hat zudem versichert, dass sich Frau Z. bei der Behandlung von Fristsachen über sechs Jahre als zuverlässig erwiesen habe. Der Vorhalt seitens der Klägerin, in anderen Verfahren sei es schon zu ähnlichen Fehlleistungen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten gekommen, reicht nicht aus, Frau Z. doch als unzuverlässig erscheinen zu lassen. Wegen des Vorhandenseins einer allgemeinen Anweisung brauchten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Streitfall keine Einzelanweisung zur Telefaxübermittlung der Berufungsbegründung geben und auch nicht ihre Einhaltung selbst kontrollieren (vgl. BGH NJW-RR 2008, 703; NJW 2008, 936; beide mit weiteren Rechsprechungsnachweisen).

2.

Das beanstandete Verhalten der Beklagten ist eine gezielte Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG.

a) Die Beklagte hat in den angeführten Einzelfällen im Wettbewerb gehandelt, im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Sie dienen dazu, den Geschäftszweck der Beklagten zu fördern, indem sie die umworbenen Kunden ihrem Betrieb zuführte (siehe Urteil des OLG Düsseldorf vom 29. November 2005 - I - 20 U 33/05). Das Landgericht hat es zu Recht als unlauter angesehen, dass die Beklagte dabei - zumindest in den Fällen M. und Sch. - einen erklärten Widerruf ignoriert hat. Die entsprechenden Verträge waren nach § 212d Abs. 1 in Verbindung mit § 355 widerruflich. Es handelte sich unstreitig um Fernabsatzverträge im Sinne des § 312b Abs. 1 BGB. Der Vertrag unterlag nicht der Vorschrift des § 312b Abs. 3 Nr. 7b BGB, da es nicht um die Nutzung öffentlicher Fernsprecher ging. Die Widerrufe als solche sind in den Fällen unstreitig.

b) Im Fall M. war der Auftrag unstreitig Ende Oktober erteilt worden. Das Begrüßungsschreiben stammte vom 08. November 2006. Das Fax von Herrn M. vom 15. November 2006 muss bei der Beklagten eingegangen sein. Denn ausweislich ihres Vortrags in der Berufung wurde der Widerruf M. am 22. November 2006 in das Kundenstammdatensystem eingetragen. Insofern kann der eingetragene Widerruf nicht das Schreiben vom 23. November (zweite Widerrufserklärung, Anlage K 12) sein. Vielmehr kann es bei dem am 22. November 2006 eingetragenen Widerruf zeitlich nur um das Fax vom 15. November 2006 gehen. Zeitlich passt dann wieder, dass nach den - allerdings bestrittenen - Daten die Beklagte am 20. November 2006 die Pre-Selection-Schaltung an die Klägerin weitergeleitet hatte, worauf diese dann am 21. November 2006 Herrn M. mitteilte, dass zum 27. November 2006 eine Umschaltung auf T. erfolgen würde. Offensichtlich ließ sich die Beklagte vom 15. November bis 22. November Zeit, um eine entsprechende Fax-Mitteilung in das interne System einzupflegen.

c) Ähnlich verhält es sich im Fall Sch.. Hier war am 15. Dezember 2006 der entsprechende Auftrag erteilt worden. Ende Dezember 2006 kam es dann zu einem ersten Pre-Selection-Versuch, der technisch scheiterte. Der Kunde erhielt am 02.01.2007 sein Begrüßungsschreiben. Am 03.01.2007 wurde dann die Pre-Selection beantragt. Der Kunde hatte aber schon am 02.01.2007 per E-Mail widerrufen. Die entsprechende E-Mail wird allerdings von der Beklagten bestritten. Allerdings ist - wie das Landgericht zu Recht betont - das Bestreiten unsubstantiiert. Die Beklagte hat selbst mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2007 eingeräumt, den Widerspruch erhalten zu haben, ohne selbst konkret ein Datum zu nennen. Sie verweist vielmehr darauf, dass der Widerruf erst am 08. Januar 2007 "eingepflegt" worden sei. Das spricht angesichts der sonstigen Informationen zur Organisationsstruktur der Beklagten dafür, dass der Widerruf bereits mehrere Tage vor dem 08. Januar 2007 eingegangen ist.

d) In beiden Fällen ist zu beachten, dass die Beklagte zur Einräumung eines Widerrufsrechts nach Fernabsatzrecht verpflichtet war. Schaut man sich die entsprechenden Begrüßungsschreiben an (siehe etwa Anlage K 1 GA 21), so wird der Kunde dort darauf hingewiesen, dass ihm zwei Wochen bleiben, um ohne Angabe von Gründen schriftlich gegenüber T. widerrufen zu können. Unter "schriftlich" wird im Begrüßungstext ausdrücklich auch die Verwendung von E-Mails genannt. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass die Frist frühestens mit Erhalt dieser Belehrung beginnt. Dies entspricht auch den gesetzlichen Vorgaben. Vor diesem Hintergrund kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass es eben lange dauere, bis eine entsprechende Umsetzung der Widerrufe intern erfolge. Die Widerrufsmöglichkeit ist keine Kulanz, sondern fernabsatzrechtlich vorgegeben. Es ist eine gesetzliche Pflicht der Beklagten, eine Infrastruktur bereitzustellen, die eine zügige Bearbeitung der Widerrufe ermöglicht und damit auch den ehemaligen Kunden weitere Schäden oder Nachteile erspart.

Die Beklagte muss eine Widerrufsstruktur unternehmensintern abbilden, die es dem Kunden ermöglicht, ohne Schäden und ohne Verzögerungsrisiko seinen Widerruf zu erklären. Die Beklagte kann nicht ohne besondere Schutzvorkehrungen eine Pre-Selection vornehmen, ohne die Zwei-Wochen-Widerrufsfrist abzuwarten. Im Fall M. kam das Begrüßungsschreiben am 08. November 2006 an. Der Kunde hätte die Möglichkeit gehabt, bis zum 22. November 2006 zu widerrufen. Es ist dann nicht nachvollziehbar, wieso schon am 20. November 2006 eine entsprechende Pre-Selection-Anfrage an die Klägerin weitergeleitet worden ist. Ähnliches gilt für den Fall Sch., der am 02.01.2007 die Begrüßung mit der Widerrufsbelehrung bekam. Selbst sein am gleichen Tag erklärter Widerruf konnte nicht zeitgerecht eingepflegt werden, da schon einen Tag später die entsprechende Pre-Selection-Erklärung vorgenommen worden ist.

Dadurch, dass die Beklagte ein System aufbaut, das regelmäßig mit Risiken wegen der verzögerten Bearbeitung von Widerrufen verbunden ist, begeht sie eine systematische Behinderung von Mitbewerbern. Wer eine interne Infrastruktur aufbaut, die ohne weiteres dazu führen kann, dass Widerrufe erst mit großer Verzögerung und gleichzeitig Pre-Selection-Verträge sehr schnell bearbeitet werden, riskiert Schäden beim Kunden zu Lasten der entsprechenden Mitbewerber. Wenn die Beklagte eine Aktivierung noch innerhalb der fernabsatzrechtlichen Widerrufsfrist vornehmen will, muss sie wenigstens eine Informationsstruktur im Unternehmen aufbauen, die auf den Widerruf hin sofort reagiert.

In dieser fernabsatzrechtlichen Zuspitzung liegt ein wesentlicher Unterschied zum Fall der BGH-Entscheidung "Änderung der Voreinstellungen" (GRUR 2007, 987 = MMR 2007, 704). Dort ging es um die Frage, ob ein Wettbewerbsverstoß auch darin liegt, dass die damalige Beklagte und jetzige Klägerin Änderungen der dauerhaften Voreinstellung des Anschlusses nicht ausführte. In dem damaligen Vorgehen sah der BGH nur versehentliche Vertragsverletzungen. Bei solch "bloßen Vertragsverletzungen" komme es auf Umfang und Ausmaß der Wettbewerbsbehandlung und deren besonderes Gewicht an. Im vorliegenden Fall geht es nicht nur um "bloße Vertragsverletzung". Vielmehr geht es um ein System, das so konfiguriert ist, dass die alsbaldige Wirksamkeit fernabsatzrechtlicher Widerrufsmöglichkeiten nicht gewährleistet ist. Ein solches System ist bereits von seiner Grundanlage her von solchem Gewicht, dass es als solches auch wettbewerbsrechtlich geahndet werden kann.

Da die Parteien nicht gerade darüber streiten, wie viel Zeit im Einzelfalls vom Eingang eines Widerrufs bei der Beklagten bis zum Zeitpunkt der Preselection-Meldung verstrichen sein darf, erscheint es gerechtfertigt, hierzu auch keine Vorgaben im auszusprechenden Verbot zu machen. Die Zeit, die im Fall M. verstrichen war, war jedenfalls zu lang.

3.

Die Entscheidung zu den Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zulassen, da dem Fall keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 100.000,00 Euro. Auf diesen Betrag wird der Streitwert für die erste Instanz herabgesetzt. Das Begehren auf Erstattung vorprozessualer Kosten hat den Streitwert nicht über den Betrag für das Unterlassungsbegehren hinaus erhöht, dessentwegen die vorprozessualen Kosten angefallen sind.

Ende der Entscheidung

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