Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 22.02.2007
Aktenzeichen: I-24 U 133/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 675
BGB § 328
1. Der Anwaltsdienstvertrag mit dem scheidungswilligen Ehegatten entfaltet keine Schutzwirkung für dessen künftigen Ehegatten.

2. Der Rechtsanwalt kann sich schadensersatzpflichtig machen, wenn er das Ehescheidungsverfahren so zögernd betreibt, dass dem scheidungswilligen Ehegatten, der alsbald eine neue Ehe eingehen will, daraus resultierende steuerliche Vorteile entgehen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF Beschluss

I-24 U 133/06

In dem Rechtsstreit

hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Mitwirkung seiner Richter Z., T. und S. am 22. Februar 2007

beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussverfahren zurückzuweisen. Der Kläger erhält Gelegenheit, zu den Gründen binnen einer Frist von zwei Wochen schriftsätzlich Stellung zu nehmen, insbesondere die Berufung zurückzunehmen.

2. Der für den 27. Februar 2007 geplante Senatstermin entfällt.

Gründe:

Das Rechtsmittel hat keine Erfolgsaussicht, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Landgericht hat die gegen den beklagten Rechtsanwalt gerichtete Klage auf Schadensersatz (9.634,00 EUR nebst gesetzlicher Zinsen) zu Recht abgewiesen. Die vorgebrachten Berufungsgründe rechtfertigen keine günstigere Entscheidung. Auch die sonstigen Voraussetzungen für eine Entscheidung im Beschlussverfahren sind erfüllt. Die Rechtssache hat nämlich weder grundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats im Urteilsverfahren ( § 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).

I. Zutreffend ist der rechtliche Ansatz des Landgerichts, der Kläger habe gegen den Beklagten keinen eigenen Schadensersatzanspruch aus Vertrag. Eine vertragliche Haftung kann grundsätzlich nur der Vertragspartner in Anspruch nehmen. Vertragspartner (Mandant) des Beklagten war aber nicht der Kläger, sondern Frau M.-B. (im Folgenden: Zedentin), deren Ehescheidung der Beklagte erwirken sollte (22 F 935/02S AG Weilburg). Der Kläger war auch nicht als Dritter in dieses Mandatsverhältnis einbezogen. Von einem solchen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) immer dann auszugehen, wenn der Schuldner bei Vertragsschluss die bestimmungsgemäße oder vertragstypische Leistungsnähe des Dritten und das Einbeziehungsinteresse des Gläubigers kennt oder wenigstens erkennen kann und der Dritte in gleicher Weise wie der Gläubiger schutzbedürftig ist, insbesondere mangels eigener vertraglicher Ansprüche etwa gegen den Gläubiger des fremden Vertrags ohne Einbeziehung in das fremde Vertragsverhältnis leer ausginge (vgl. BGH NJW 1985, 489 und 2411; NJW 2004, 3630 sub Nr. II.2a; Senat NJW-RR 1997, 1314; ferner Urt. v. 12. September 2006, Az. I-24 U 63/05 S. 7f des Umdrucks sub Nr. I.1b,aa [z. V. b.]; Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 328 Rn. 14ff m.w.N.; Zugehör, Berufliche "Dritthaftung", NJW 2000, 1601, 1603f; ders., Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl., Rn. 1383ff m.w.N.).

2. Es fehlt schon an der Leistungsnähe des Klägers zur behaupteten Fehlleistung des Beklagten. Drittbezogenheit im Bereich der steuerrechtlichen Beratung ist von der obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung stets nur innerhalb des familiären Verbandes (z. B. Ehegatten, Kinder) oder im Rahmen besonderer vertraglicher Beziehungen zwischen dem Dritten und dem Mandanten (z. B. Gemeinschaft, Gesellschaft) bejaht worden (vgl. die Nachw. bei Zugehör, Berufliche "Dritthaftung", NJW 2000, 1601, 1603f). Der Kläger hatte während des umstrittenen Mandats zu der Zedentin weder familienrechtliche noch relevante vertragliche Beziehungen. Seine Absicht, die Zedentin nicht zuletzt der steuerlichen Vorteile wegen (Inanspruchnahme des Ehegattensplittings schon für das Veranlagungsjahr 2003) möglichst frühzeitig zu ehelichen, steht unter keinem rechtlichen Schutz. Wegen der noch nicht aufgelösten früheren Ehe der Zedentin war nicht nur eine Eheschließung mit ihr verboten (§ 1306 BGB), sondern auch ein Verlöbnis mit ihr (§ 1297 Abs. 1 BGB) wäre sittenwidrig und nichtig gewesen, § 138 Abs. 1 BGB (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1988, 3023; BayObLG NJW 1983, 831). Vermögensnachteile aus der (angeblich) verzögerten Ehescheidung zu Lasten des Beklagten sind nicht mehr als ein Reflex. Hierin unterscheidet sich der Streitfall maßgeblich von dem Fall des Standesbeamten, durch dessen schuldhaft zögerliche Amtsausübung die beabsichtigte Eheschließung infolge des Todes des einen Verlobten verhindert wurde, wodurch der überlebende (drittgeschützte) Verlobte einen Vermögensschaden (entgangene gesetzliche Erbfolge, Rentenansprüche) erlitten hat (vgl. Palandt/Sprau, aaO, § 839 Rn. 141 m.w.N.; vgl. auch BGH NJW 2002, 1489, wo festgestellt ist, dass der nichteheliche Vater trotz seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht in den Schutzbereich des Behandlungsvertrags zwischen der schwangeren Patientin und der Ärztin einbezogen ist).

II. Der Kläger hat aber auch keinen Anspruch als abgetretenem Recht der Zedentin.

1. Formal scheitert der Anspruch, worauf schon der Beklagte in der Berufungserwiderung zu Recht hinweist, bereits daran, dass die Zedentin ausweislich der Abtretungserklärung vom 29. April 2006 einen "fiktiven Steuererstattungsanspruch ... gegenüber dem Finanzamt" abgetreten hat, der nicht existiert; den behaupteten (und hier maßgeblichen) Schadensersatzanspruch gegenüber dem Beklagten aus der schuldhaften Verletzung des Anwaltsvertrags (§§ 276, 280 Abs. 1 BGB) hat sie indes nicht abgetreten, so dass die vereinbarte Abtretung ins Leere geht (vgl. BGH NJW 2005, 1192 für den Fall einer nicht mehr existenten Forderung).

2. Doch selbst dann, wenn durch Auslegung der Abtretungsvereinbarung (§§ 133, 157 BGB) das Ergebnis gewonnen werden könnte, dass nicht eine gegenüber dem Finanzamt, sondern die (angeblich) gegenüber dem Beklagten existierende Forderung gemeint ist, besteht kein Anspruch.

a) Allerdings hat der Beklagte die ihm gegenüber der Zedentin obliegenden Pflichten aus dem Anwaltsvertrag in zweifacher Weise verletzt, nämlich einmal am 10. Oktober 2003 (Versäumung des Verhandlungstermins beim Familiengericht) und ein zweites Mal, als er erst am 10. November 2003 seine Bemühungen um einen neuen Verhandlungstermin des Familiengerichts begann; diese Initiative hätte der Beklagte am oder unmittelbar nach dem 13. Oktober 2003 ergreifen müssen, als er von der Zedentin erfuhr, dass sie (unverändert) scheidungswillig sei. Beide Pflichtverletzungen sind indes, wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, für einen Vermögensschaden der Zedentin nicht kausal geworden.

aa) Die Versäumung des Verhandlungstermins vom 10. Oktober 2003 ist für die Verzögerung des Ehescheidungsverfahrens nicht kausal geworden. Wäre der Beklagte erschienen, hätte die Ehe auch dann nicht geschieden werden können, weil die Zedentin ausweislich der gerichtlichen Niederschrift nicht mehr scheidungswillig gewesen ist.

(1) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger darauf, das Landgericht hätte sich auf die in Rede stehende Niederschrift nicht stützen dürfen. Das Protokoll ist eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 Abs. 1 ZPO und erbringt vollen Beweis für die darin bezeugten Tatsachen, also auch für die von ihr protokollierte Erklärung, sie wolle (mit Blick auf die Scheidungsunwilligkeit ihres damaligen Ehemannes) "den Scheidungsantrag nicht aufrecht erhalten". Damit hatte die Zedentin zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht mehr geschieden werden wolle.

(2) Erfolglos macht der Kläger geltend, die Zedentin hätte eine solche Erklärung nicht abgegeben, wenn der Beklagte erschienen wäre. Zu Recht hat das Landgericht den angebotenen Beweis (Vernehmung der Zedentin als Zeugin) nicht erhoben. Die Entscheidung, nicht (mehr) geschieden werden zu wollen, ist (wie die Eheschließung) eine höchstpersönliche Angelegenheit der betroffenen Ehegatten, die keiner rechtlichen Beratung bedarf. Der Kläger hätte deshalb schon vortragen müssen, weshalb sich die Zedentin bei Anwesenheit des Beklagten für die Stellung des Scheidungsantrags entschieden hätte. Da solcher Vortrag fehlt, dient der in Rede stehende Beweisantrag der unzulässigen Ausforschung der Zeugin.

(3) Ohne Erfolg beruft sich der Kläger schließlich darauf, die protokollierte "Aussage [habe] ... nicht dem eigentlichen Willen der [Zedentin] entsprochen". Das Landgericht hatte keinen hinreichenden Anlass, der erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 08. Mai 2006 aufgestellten Behauptung des Klägers nachzugehen, die Zedentin habe "im Jahre 2005 einen Protokollberichtigungsantrag bezüglich des Sitzungsprotokolls vom 10. Oktober 2003 gestellt". Da der Kläger weder wusste, welchen Inhalt dieser Protokollberichtigungsantrag hatte noch wie er beschieden worden war, war der diesbezügliche Vortrag unsubstanziiert, nicht einlassungsfähig und für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich. Der im Berufungsrechtszug nachgeschobene Vortrag, dessen Substanz immer noch unzulänglich ist, kann schon aus formalen Gründen (§§ 529, 531 ZPO) keine Berücksichtigung finden.

bb) Auch die anschließende zögerliche prozessuale Behandlung der Angelegenheit durch den Beklagten ist für den in der Person der Zedentin eingetretenen Vermögensschaden (entgangener Steuervorteil aus dem Ehegattensplitting 2003) nicht kausal geworden. Hätte sich der Beklagte namens der Zedentin noch am 13. Oktober 2003 um die Anberaumung eines neuen Verhandlungstermins bemüht, besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 287 ZPO dafür, dass noch so rechtzeitig vor dem Ablauf des Jahres 2003 eine rechtskräftige Ehescheidung hätte erwirkt werden können, dass die Zedentin und der Kläger noch im Jahre 2003 hätten die Ehe eingehen können.

(1) Maßgeblich für den hypothetischen Kausalverlauf bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts sind die Verhältnisse, die dann wirksam geworden wären. Das Landgericht hat auch diese Frage im Ergebnis zu Recht zu Lasten des Klägers entschieden. Dabei ist hypothetisch nicht auf die Verhältnisse beliebiger Familiengerichte, sondern auf diejenigen des zuständigen Familiengerichts abzustellen. Die Richtigkeit der Beurteilung im angefochtenen Urteil ergibt sich unmittelbar aus den Daten, die aus dem weiteren Verlauf des Ehescheidungsverfahren vor dem Amtsgericht Weilburg bekannt geworden sind.

(2) Der Beklagte hatte sich mit Schriftsatz vom 10. November 2003 und erneut durch fernmündliche Rücksprache mit dem zuständigen Familienrichter am 20. November 2003 um die Anberaumung eines neuen Verhandlungstermins bemüht. Der bis zur Anberaumung des Termins am 17. Dezember 2003 beanspruchte Zeitraum beträgt fünf Wochen und zwei Tage. Bis zum Eintritt der Rechtskraft der Ehescheidung am 06. Februar 2004 wurde ein weiterer Zeitraum von sieben Wochen und zwei Tagen beansprucht, insgesamt also eine Zeit von zwölf Wochen und vier Tagen. Wird dieser Zeitablauf gemäß § 287 ZPO hypothetisch projiziert auf den 13. Oktober 2003, hätte ein rechtskräftiges Scheidungsurteil frühestens am 09. Januar 2004 erlangt werden können.

Ohne Erfolg beruft sich der Kläger darauf, der Zeitraum hätte abgekürzt werden können, wenn sich der Beklagte energischer und nachhaltiger um einen zeitnahen Termin bemüht hätte. Der Kläger übersieht dabei zwei Dinge: Zum einen hat der Beklagte die schriftsätzliche Bitte um einen Termin durch die fernmündliche Rücksprache mit dem zuständigen Richter verstärkt. Zum andern hatte der Beklagte mit Blick auf den Verlauf des Termins am 10. Oktober 2003 keine besonders starke Verhandlungsposition. Wie sollte er gegenüber dem Familiengericht mit Blick auf die gezeigte ambivalente Haltung der Zedentin die plötzliche Eiligkeit auch nur einigermaßen plausibel so begründen, dass es gerechtfertigt erschien, die verfahrensmäßige Behandlung deren Ehescheidungsverfahren gegenüber den anderen Verfahren zu beschleunigen? In diesem Zusammenhang ist dem Beweiserbieten (Vernehmung des Familienrichters zum Verfahrensablauf) nicht nachzugehen. Maßgeblich ist, in welcher Zeit der Ausgangsprozess unter korrekter Anwendung der Prozessordnung aus der jetzt maßgeblichen Sicht des Regressgerichts ordnungsgemäß hätte zu Ende gebracht werden können (ständ. höchstrichterl. Rspr., zuletzt BGHZ 163, 223 = NJW 2005, 3071 sub Nr. II.2). Der Kläger zeigt nicht auf, auf welchem anderen Weg eine beschleunigte Rechtskraft der Ehescheidung hätte herbeigeführt werden können, um der Zedentin und dem Kläger noch eine Eheschließung vor Ablauf des Jahres 2003 zu ermöglichen. Ungerechtfertigt ist in diesem Zusammenhang der (erstmals) im Berufungsverfahren erhobene Vorwurf, der Beklagte habe es schuldhaft versäumt, die Zedentin auf die Möglichkeit hinzuweisen, auf ihre Kosten ihrem früheren Ehemann einen Terminsvertreter zu stellen, der für diesen noch am Tag der Urteilsverkündung auf Rechtsmittel verzichtete. Abgesehen davon, dass der Beklagte die Zedentin ausweislich seiner Email vom 05. Dezember 2003 in diesem Sinne belehrt hat, fehlt jeder Vortrag des Klägers dazu, ob der Ehemann der Zedentin dieses Angebot angenommen hätte. Dafür gibt es schon deshalb keinen Anschein, weil der Ehemann der Zedentin nicht scheidungswillig gewesen ist. Er konnte zwar nach mehr als dreijähriger Trennung die Ehescheidung nicht verhindern (§§ 1565 Abs. 1, 1566 Abs. 2 BGB), er wollte sie aber evident auch nicht beschleunigen.

Ende der Entscheidung

Zurück