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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.06.2006
Aktenzeichen: I-24 U 20/06
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 611
BetrVG § 113
Wird einem Arbeitnehmer im Zuge einer Betriebsänderung gekündigt, so hat die mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage beauftragte Gewerkschaft bzw. deren Rechtsstelle, den Arbeitnehmer auch über den Nachteilsausgleichsanspruch aus § 113 Abs. 3 BetrVG zu beraten.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I - 24 U 20/06

Verkündet am 20. Juni 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juni 2006 unter Mitwirkung seiner Richter Z, T und S

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. Dezember 2005 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32.134,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juni 2005 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 6% und die Beklagte 94% zu tragen..

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 35.000 €.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte, die ihn in einem Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht Detmold (3 Ca 1211/02) vertreten hatte, in Regress.

Der am 4. September 1949 geborene Kläger war seit dem 7. Juni 1979 bei der O.-GmbH & Co. KG als Versandarbeiter mit einem monatlichen Bruttolohn von (im Durchschnitt) zuletzt 2.975,83 € angestellt. Durch Beschluss des Amtsgerichts Detmold vom 1. April 2002 (10a IN 23/02) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin eröffnet und Rechtsanwalt O in D. zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 21. April 2002 informierte der Insolvenzverwalter den Betriebsrat von seiner Absicht, den Betrieb der Insolvenzschuldnerin stillzulegen und die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer zu kündigen. Mit Schreiben vom 30. April 2002 sowie nochmals mit weiterem Schreiben vom 24. Mai 2002 kündigte der Insolvenzverwalter mit der Begründung einer Betriebsstillegung die Arbeitverhältnisse des Klägers und einer Vielzahl weiterer Arbeitnehmer. Am 11. Juli 2002 wurde für die Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin ein Sozialplan vereinbart; die endgültige Schließung des Betriebs erfolgte am 31. Juli 2002.

Die Beklagte übernahm am 13. Mai 2002 im Auftrag der zuständigen Fachgewerkschaft die Vertretung des Klägers und erhob mit Klageschrift vom selben Tage Kündigungsschutzklage vor dem ArbG Detmold. Das Verfahren wurde durch Vergleich vom 3. November 2003 der für eine Vielzahl von Arbeitnehmern denselben Inhalt hatte, beendet. Insoweit wird auf die Anlage K 5 zur Klageschrift verwiesen. Der Kläger erhielt auf der Grundlage der im Vergleich getroffenen Regelungen aus dem Sozialplan eine Zahlung des Insolvenzverwalters von 2.087,99 €.

Der Kläger hat in erster Instanz geltend gemacht, der Insolvenzverwalter habe ohne Versuch eines Interessenausgleichs eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG durchgeführt, da er die Kündigungen vom 30. April 2002 vor Einigung mit dem Betriebsrat und ohne Anrufung der Einigungsstelle ausgesprochen habe. Die Beklagte schulde ihm Schadensersatz, da sie es verabsäumt habe, hieraus die Konsequenzen zu ziehen und vor Abschluss des Vergleichs den ihm zustehenden Nachteilsausgleich aus § 113 BetrVG geltend zu machen. Den Schaden hat er bei einer Betriebszugehörigkeit von 23 Jahren mit 23 : 2 x 2.975,83 € = 34.222,04 € beziffert.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 34.222,04 € nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14. Juni 2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, keine Kenntnis davon gehabt zu haben, dass es einen Interessenausgleich nicht gegeben habe. Der Abschluss des Sozialplans vor Durchführung der unternehmerischen Maßnahme begründe überdies die Vermutung, dass eine Verständigung auch hinsichtlich des Interessenausgleichs vorgelegen habe.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel unter Reduzierung um die aus dem Sozialplan erhaltene Zahlung weiter und beantragt nach Teilrücknahme der Klage, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 32.134,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juni 2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat nach Teilrücknahme der Klage uneingeschränkt Erfolg. Die Beklagte ist dem Kläger aus §§ 280 Abs. 1, 328, 675 BGB zum Schadensersatz in Höhe eines Betrages von 32.134,05 € verpflichtet, weil sie es pflichtwidrig und schuldhaft unterlassen hat, gegen den Insolvenzverwalter der O. den Nachteilsausgleichsanspruch des Klägers aus § 113 Abs. 3 BetrVG geltend zu machen.

Im Einzelnen:

A.

Das Ermitteln und Geltendmachen des dem Kläger (nach der am 30. April 2002 ausgesprochenen Kündigung) zustehenden Nachteilsausgleichsanspruchs war von dem der Beklagten übertragenen Mandat umfasst. Denn die mit dem Auftrag zur Erhebung der Kündigungsschutzklage begründete anwaltliche Beratungspflicht beschränkt sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 1983, 1665; vgl. auch BGH WM 1998, 2246; NJW 1997, 2168; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung 4. Aufl. Rn. 84; Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl., Rn. 775; Rinsche/Fahrendorf/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 7. Aufl., Rn. 1247) nicht auf die beabsichtigte Klageerhebung. Die Beklagte hätte vielmehr bereits bei Übernahme des Mandats am 13. Mai 2002 erkennen oder durch Befragung ermitteln müssen, dass der Kläger ein finanzielles Interesse, gerichtet auf die Durchsetzung sämtlicher mit der Kündigung in Zusammenhang stehenden Zahlungsansprüche, gegen den Arbeitgeber verfolgte. Hierzu bestand besonderer Anlass deswegen, weil die Kündigung vom 30. April 2002 - unstreitig - mit der Absicht der Betriebsstillegung, also einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG, begründet worden war. Diese Erkenntnis verpflichtete die Beklagte ohne Erweiterung des Auftrags dazu, den Kläger auch in dieser Hinsicht zu beraten und die Realisierung seines Anspruchs aus § 113 Abs. 3 BetrVG sicher zu stellen.

B.

Die Beklagte ist dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Sie hat bis zum Abschluss des Vergleichs vom 3. November 2003, durch den die spätere Geltendmachung weiterer Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschlossen worden ist, den Kläger nicht über das Bestehen dieses Anspruchs belehrt und auch sonst keinerlei Bemühungen zur Geltendmachung des Nachteilsausgleichsanspruchs entfaltet. Ihr Verschulden wird gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet.

C.

Bei pflichtgemäßen Anstrengungen hätte die Beklagte die zur Durchsetzung des Anspruchs aus § 113 Abs. 3 BetrVG erforderlichen Tatsachenkenntnisse erlangt, insbesondere das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ermittelt:

Der Umstand, dass der Insolvenzverwalter mit der Kündigung vom 30. April 2002 eine geplante Betriebsänderung durchführte, war der Beklagten ohnehin bereits aus der auf eine beabsichtigte Betriebsstillegung gestützten Kündigung bekannt. Ob es der Beklagten auch bekannt war, dass der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat bis zum Ausspruch der Kündigung weder eine Einigung über einen Interessenausgleich gem. § 112 BetrVG erzielt noch die Einigungsstelle angerufen hatte, kann dahinstehen. Denn die Beklagte hätte bei der ihr möglichen unmittelbaren Nachfrage die entsprechende Information vom Betriebsrat erhalten.

Die Umstände, unter denen das Mandatsverhältnis der Parteien zustande gekommen ist, belegen die Einschaltung des Betriebsrates in die Beauftragung der Beklagten und zugleich einen Informationsaustausch zwischen dem Betriebsrat und der Beklagten im Zeitpunkt der Mandatserteilung: Der Betriebsrat teilte der Belegschaft der O. mit, dass über die Beklagte eine "Sammelklage" erhoben werden solle, und verteilte sodann die auf die Beklagte lautenden Vollmachten an die betroffenen Arbeitnehmer. Nach Unterzeichnung der Vollmachten, auch durch den Kläger, sammelte der Betriebsrat diese ein und übermittelte sie der Beklagten. Dies zeigt, dass der Betriebsrat der Beklagten bei der Übernahme und der Abwicklung der Mandate helfend zur Seite stand. Gründe, die den Betriebsrat bei entsprechender Nachfrage der Beklagten hinsichtlich des Standes der Verhandlungen über einen Interessenausgleich an einer Auskunft hätte hindern können, sind nicht ersichtlich, zumal weder der Abschluss einer entsprechenden Einigung noch die Anrufung der Einigungsstelle der Geheimhaltungspflicht aus § 79 Abs. 1 BetrVG unterlegen hätte und die Beklagte überdies als Bevollmächtigte des Klägers den Betriebsrat um Auskunft ersuchen konnte.

Aber auch dann, wenn der Betriebsrat weder unmittelbar noch über die Fachgewerkschaft zu einer Information der Beklagten bereit gewesen wäre, hätte die Beklagte mit Hilfe des Klägers das Fehlen einer Vereinbarung gem. § 112 BetrVG und auch das Unterlassen einer Anrufung der Einigungsstelle im Zeitpunkt der Kündigung bzw. das Fehlen einer Genehmigung des Arbeitsgerichts nach § 122 InsO ermitteln können und müssen. Der Kläger hatte seinerseits aus dem Arbeitsverhältnis einen Anspruch gegen den Arbeitgeber, hier den Insolvenzverwalter, auf Auskunft über die Grundlagen der ihm mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zustehenden Zahlungsansprüche (vgl. BAG BAGE 47, 169 und NJW 1989, 247 zur einvernehmlichen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses). Der Insolvenzverwalter war mithin verpflichtet, den Kläger auf dessen Nachfrage über das Fehlen einer Vereinbarung nach § 112 BetrVG sowie über die Nichtanrufung der Einigungsstelle zu unterrichten. Dabei durfte die Beklagte den Kläger vertreten.

D.

Die Beklagte hätte den Nachteilsausgleichsanspruch des Klägers auch erfolgreich durchgesetzt und eine Zahlung in Höhe des Klageantrags erlangt. Mit der am 30. April 2002 ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses waren die Anspruchsvoraussetzungen des § 113 Abs. 3 BetrVG erfüllt. Der hieraus folgende Zahlungsanspruch wäre auch aus der Masse zu realisieren gewesen:

1.

Nach § 113 Abs. 3 BetrVG entsteht der Anspruch auf Nachteilsausgleich, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden. Durchgeführt wird eine geplante Betriebsänderung schon dann, wenn der Arbeitgeber mit ihr beginnt und damit vollendete Tatsachen schafft. Abzustellen ist darauf, ob der Arbeitgeber während der Verhandlungen rechtsgeschäftliche Handlungen vornimmt, die das Ob und das Wie der Betriebsänderung vorwegnehmen (BAG AP Nr. 39 und Nr. 42 zu § 113 BetrVG und AP Nr. 2 zu § 38 InsO; LAG Nürnberg, Urteil vom 17. Okt. 2003, juris NR. KARE600010213).

Dies war hier der Fall: Mit dem Ausspruch der Kündigungen vom 30. April 2002 (jeweils zum 31. Juli 2002) hat der Insolvenzverwalter durch rechtsgeschäftliche Handlungen einseitig Fakten geschaffen und damit die Entscheidung über die geplante Betriebsstillegung sowie den Weg dorthin jedenfalls zu einem Teil vorweggenommen. Es kommt deshalb nicht erst auf den späteren Zeitpunkt der endgültigen Betriebsschließung (31. Juli 2002) an, sondern allein auf den Beginn der Durchführung am 30. April 2002.

Auf Grund der Kündigung vom 30. April 2002 ist später die Entlassung des Klägers i.S.d. § 113 Abs. 3 BetrVG vollzogen worden.

2.

Bis zum Ausspruch der Kündigungen war ein Interessenausgleich nicht im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG versucht worden. Unstreitig lag bis dahin lediglich ein Verhandlungsergebnis in Form eines noch unvollständigen Entwurfs für einen Sozialplan und Interessenausgleich vor. Es war weder ein Interessenausgleich in der gemäß § 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG erforderlichen Schriftform vereinbart noch war die Einigungsstelle angerufen worden. Der Unternehmer hat den Interessenausgleich aber erst dann "versucht", wenn er das Verfahren nach § 112 BetrVG vollständig durchgeführt hat; dabei ist das Verfahren bis hin zur Einigungsstelle zu betreiben, und zwar, bis diese die Verhandlungen für gescheitert erklärt (BAG AP Nr. 11, 13 und 27 zu § 113 BetrVG; Richardi/Annuß, BetrVG, 10. Aufl., § 113 Rn. 29).

Allerdings gibt § 122 InsO dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen von der weiteren Einhaltung des Verfahrensgangs nach § 112 BetrVG abzusehen und die geplante Betriebsänderung umzusetzen. Dies erfordert es jedoch, dass der Insolvenzverwalter vor Durchführung der Maßnahme die Zustimmung des Arbeitsgerichts einholt. Auch dies ist hier ersichtlich nicht geschehen; die für in der Sphäre des Arbeitgebers vollzogene Maßnahmen darlegungsbelastete Beklagte trägt derartiges jedenfalls nicht vor. In der mündlichen Verhandlung hat der Senat auch diese Möglichkeit erwähnt.

3.

Der Insolvenzverwalter durfte von der Durchführung des Verfahrens nach § 112 BetrVG bzw. nach § 122 InsO auch nicht etwa deshalb absehen, weil es sich angesichts der wirtschaftlichen Lage der Insolvenzschuldnerin um eine bloße Förmelei gehandelt hätte. Der vorliegende Fall ist nicht mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Januar 1979 (BAG AP Nr. 4 zu § 113 BetrVG) vergleichbar, in welcher das Bundesarbeitsgericht ausnahmsweise Verhandlungen über einen Interessenausgleich als "leere Formalität" für entbehrlich gehalten hat. Jene Entscheidung betraf einen Fall, in dem das Konkursverfahren mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse noch nicht einmal eröffnet worden war. Von einer "leeren Formalität" kann man aber nur dann sprechen, wenn von vornherein ausgeschlossen ist, dass Interessen der Arbeitnehmer in weiteren Einigungsverfahren berücksichtigt werden könnten (BAG AP Nr. 11 zu § 113 BetrVG).

Im Rahmen eines - wie hier - eröffneten Insolvenzverfahrens kann dies jedenfalls nicht angenommen werden. Schon aus der Regelung des § 122 InsO ergibt sich, dass der Insolvenzverwalter einen Interessenausgleich versuchen muss (so ausdrücklich BAG AP Nr. 42 zu § 113 BetrVG = NJW 2004, 875).

4.

Ohne Erfolg macht die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. April 1994 (AP Nr. 27 zu § 113 BetrVG) geltend, der abgeschlossene Sozialplan begründe die Vermutung, dass auch eine Verständigung hinsichtlich des Interessenausgleichs vorgelegen habe. Eine solche Vermutung besteht nur dann, wenn die Vereinbarung über den wirtschaftlichen Ausgleich für die betroffenen Arbeitsnehmer vor Durchführung der Maßnahme i.S.d. § 111 BetrVG zustande gekommen ist. In jenem Fall hatten sich Arbeitgeber und Betriebsrat auf eine erste Stufe der geplanten Betriebsänderung schriftlich geeinigt, bevor die Kündigungen ausgesprochen wurden. Hier ist die Kündigung am 30. April 2002 ausgesprochen, der Sozialplan aber erst am 11. Juli 2002 beschlossen worden. Zu irgendwelchen Teilvereinbarungen war es vor dem 30. April 2002 nicht gekommen.

5.

Die Höhe des Anspruchs des Klägers gegen den Insolvenzverwalter richtet sich gem. § 113 Abs. 1 BetrVG nach § 10 KSchG. Im Zeitpunkt der Kündigung war der Kläger 52 Jahre alt und sein Arbeitsverhältnis bestand knapp 23 Jahre; mithin hätte ein Ausgleich in Höhe eines Betrages von bis zu 15 Monatsverdiensten zuerkannt werden müssen. Entsprechend der üblichen Handhabung der Arbeitsgerichte hat der Kläger seinen Anspruch mit einem halben Monatsverdienst je Jahr der Betriebszugehörigkeit ("Regelabfindung") berechnet: 23 x 2.975,83 € x 1/2 = 34.222,04 €.

Diese Berechnungsweise trägt dem jetzt vom Regressgericht auszuübenden gebundenen Ermessen hinreichend Rechnung. Entgegen der Auffassung der Beklagten hätte die Insolvenzsituation in der außergerichtlichen oder gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Insolvenzverwalter ebenso wenig wie überhaupt die wirtschaftliche Vertretbarkeit für die Arbeitgeberin bei der Bemessung des Ausgleichsbetrag berücksichtigt werden dürfen (BAG AP Nr. 42 zu § 113 BetrVG; Richardi/Annuß a.a.O. Rn. 49 m.w.N.). Dies folgt aus der Funktion des Nachteilsausgleichs, der eine Sanktion für das betriebsverfassungswidrige Verhalten des Arbeitgebers darstellt. In der Insolvenz hat der Nachteilsausgleich ebenfalls die Funktion, den Insolvenzverwalter zur Beachtung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 111 BetrVG anzuhalten und die Missachtung dieser Rechte zu sanktionieren. Die Interessen anderer Insolvenzgläubiger geben keinen Anlass für eine Begrenzung oder Minderung des Anspruchs auf Nachteilsausgleich. Soweit deren Ansprüche infolge des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens des Insolvenzverwalters geringer ausfallen, sind sie auf die Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO verwiesen (BAG a.a.O.).

Auf den oben errechneten Ausgleichsanspruch ist allerdings die aus dem Sozialplan erhaltene Zahlung von 2.087,99 € anzurechnen (vgl. BAG AP Nr. 19 und Nr. 39 zu § 113 BetrVG, dort a.E.; Richardi/Annuß a.a.O. Rn. 65 und § 112 BetrVG Rn. 204 m.w.N.). Es verbleibt ein Betrag von 32.134,05 €. Dem trägt die im Senatstermin erklärte Teilrücknahme der Klage Rechnung.

6.

Die Ausgleichsforderung wäre bei rechtzeitiger Geltendmachung durch die Beklagte auch zu realisieren gewesen. Da die Kündigung vom Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung ausgesprochen worden ist, handelte es sich nicht um eine einfache Insolvenzforderung, sondern um eine Masseschuld gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Es kann dahinstehen, ob das pflichtwidrige Verhalten des Insolvenzverwalters im Falle einer Unzulänglichkeit der Masse zur Deckung des Anspruchs eine Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO gegenüber dem Kläger ausgelöst hätte (vgl. hierzu Richardi/Annuß Anhang zu § 113 BetrVG Rn. 19 m.w.N.). Denn die insoweit darlegungsbelastete Beklagte hat hierzu nichts vorgetragen.

E.

Der Zinsausspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 S. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen, § 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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