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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 20.02.2006
Aktenzeichen: I-24 U 3/05
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 675
BGB § 611
ZPO § 138 Abs. 3
1. Bei widersprüchlichem Sachvortrag einer Partei ist grundsätzlich deren letztes Vorbringen zu Grunde zu legen.

2. Zur Darlegungslast im Anwaltsregressprozess bei streitiger Arbeitsfähigkeit eines gekündigten Arbeitnehmers.

3. Zur Auslegung tariflicher Ausschlussfristen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF Beschluss

I-24 U 3/05

In dem Rechtsstreit

hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Mitwirkung seiner Richter Z., T. und H. am 20. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussverfahren zurückzuweisen. Der Kläger erhält Gelegenheit, zu den Gründen binnen einer Frist von zwei Wochen schriftsätzlich Stellung zu nehmen.

Gründe:

I.

Das Rechtsmittel hat keine Erfolgsaussicht. Das Landgericht hat auch den mit der Berufung und nur noch gegen die beklagten Rechtsanwälte zu 1) und 3) (künftig: Beklagte) weiter verfolgten Teil der Schadensersatzklage (18.471,04 EUR nebst gesetzlicher Zinsen wegen angeblich verlorener Lohnansprüche für die Zeit vom 01. August 2001 bis 28. Februar 2002) jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die vorgebrachten Berufungsgründe rechtfertigen keine günstigere Entscheidung. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagten den Kläger in jeder Hinsicht rechtlich richtig, insbesondere ob sie ihn über die im Arbeitsvertragsverhältnis geltende tarifliche Ausschlussfrist für rückständige Lohnansprüche beraten haben. Etwaige Beratungsdefizite haben zu keinem feststellbaren Schaden des Klägers geführt.

1. In dem Zeitraum vom 01. August 2001 bis 06. Januar 2002 hatte der Kläger keine Lohnansprüche gegen seine Arbeitgeberin; diese befand sich mangels Arbeitsfähigkeit des Klägers nicht im Annahmeverzug (§ 615 BGB).

a) Allerdings wird diese (im Ergebnis richtige) Feststellung des Landgerichts nicht von der im angefochtenen Urteil gegebenen Begründung getragen. Die Ansicht des Landgerichts, der widersprüchliche Vortrag des Klägers zur Frage seiner Arbeitsfähigkeit einerseits im arbeitsgerichtlichen Vorprozess (2 Ca 1793/01 ArbG Duisburg, nachfolgend Vorprozess genannt), andererseits im vorliegenden Verfahren führe insgesamt zur Unbeachtlichkeit seines diesbezüglichen Vorbringens, ist von Rechtsirrtum beeinflusst. Selbst widersprüchliches Vorbringen innerhalb desselben Verfahrens zwingt, wenn das frühere Vorbringen nicht als Geständnis gemäß § 288 ZPO zu werten ist, verfahrensrechtlich (§ 300 Abs. 1 ZPO) regelmäßig dazu, den im letzten Termin zur mündlichen Verhandlung gebrachten Sachvortrag der Entscheidung zugrunde zu legen (BGH NJW-RR 1995, 1340 = MDR 1996, 308, 309 m.w.N.). Daraus folgt, dass zu diesem Zeitpunkt erheblichem Vorbringen bei zulässigem Beweisantritt durch Beweiserhebung nachzugehen ist (BGH aaO; BAG NZA 2002, 1081 sub Nr. 5d,bb (2)). Erst im Zuge der Beweiswürdigung ist gemäß § 286 ZPO widersprüchliches Parteivorbringen frei zu würdigen (BGH aaO; BAG NZA 1997, 86; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 286 Rn. 14). Der vom Landgericht zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (NZA 2003, 608) ist grundsätzlich Gegenteiliges nicht zu entnehmen. Diese Grundsätze gelten erst Recht, wenn sich - wie hier - Widersprüche zum Vorbringen in einem Vorprozess ergeben. Selbst ein im Vorprozess abgegebenes Geständnis entfaltet über jenes Verfahren hinaus keine Bindung im Sinne des § 288 ZPO; es ist vielmehr im Folgeprozess gemäß § 286 ZPO frei zu würdigen (Zöller/Greger, aaO, § 288 Rn. 6 m.w.N.).

b) Gleichwohl bedurfte es nicht der Einholung des vom Kläger angebotenen Sachverständigengutachtens zur Aufklärung seiner umstrittenen Arbeitsfähigkeit. Sein diesbezüglicher Sachvortrag ist nämlich im Ergebnis unerheblich, so dass das substanziierte Vorbringen der Beklagten zur fehlenden Arbeitsfähigkeit des Klägers jedenfalls für die Zeit bis einschließlich 06. Januar 2002 als zugestanden gilt, § 138 Abs. 3 ZPO.

aa) Es ist anerkannt, dass die Ablehnung eines für eine beweiserhebliche Tatsache angetretenen Beweises zulässig ist, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann (BGH NJW-RR 2005, 1450 m.w.N.). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Sachvortrag einer Partei infolge substanziierter Einlassung des Gegners unklar wird und nicht mehr den Schluss auf die Entstehung des geltend gemachten Rechts zulässt (grundlegend BGH NJW 1962, 1354 = JZ 1963, 32, 33 m. Anm. Scheuerle; vgl. ferner BGH NJW 2000, 3286, 3287 unter II, 1. m.w.N. und WM 2001, 1517, 1518). Denn der Umfang der jeweils erforderlichen Substanziierung des Sachvortrages bestimmt sich aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrages bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (BGH NJW 1999, 1859, 1860; NJW-RR 1992, 278).

bb) Unter Anlegung dieses Maßstabs konnte sich der Kläger im Streitfall nicht mehr mit der allgemeinen Behauptung seiner Arbeitsfähigkeit unter Bezugnahme auf das wenig aussagekräftige Attest des Arztes für Psychiatrie Dr. C. vom 31. Juli 2001 begnügen, nachdem sich die Beklagten auf die am 09. August 2001 bei einer von der T-Berufsgenossenschaft (TBG) veranlassten körperlichen Untersuchung zur Arbeitsfähigkeit des Klägers getroffenen detaillierten Feststellungen bezogen haben. Danach war der Kläger, der als Zimmerer mit vollschichtiger Tätigkeit eingestellt worden war und zuletzt in diesem Beruf und in diesem Umfang als Vorarbeiter tätig gewesen ist, nur noch sehr eingeschränkt einsetzbar. Er konnte nämlich nicht mehr für schwere körperliche Tätigkeiten und nicht mehr für das Heben und Tragen von Lasten von mehr als 10 kg, vereinzelt 15 kg eingesetzt werden, wobei Arbeiten in gebückter Haltung, das Knien und das Hocken möglichst zu vermeiden und Arbeiten über Kopf gar nicht mehr möglich waren.

cc) Bei einem derartigen orthopädischen Befund liegt es auf der Hand, dass der Kläger zu jenem Zeitpunkt die arbeitsvertraglich von ihm geschuldeten Tätigkeiten nicht mehr ausführen konnte. Damit im Einklang steht der zur Niederschrift vom 09. Januar 2002 im Vorprozess in Anwesenheit des Klägers gehaltene Vortrag, wonach er in der Zeit von Oktober 1999 bis März 2001 wegen eines Lungenemphysems (Ersterkrankung), danach bis Ende Juli 2001 wegen Depressionen behandelt worden sei. Anschließend habe er sich wegen Rückenschmerzen in die Behandlung des Dr. O. begeben. Dort habe sich dann herausgestellt, dass sich seine Rückenmuskulatur infolge der langen Liegezeit bei Behandlung der Ersterkrankung stark zurückgebildet habe. Die Beschreibung der Muskelatrophie deckt sich exakt mit dem Begutachtungsergebnis der TBG vom 09. August 2001. In diesem Kontext ist auch die vom Kläger am 09. Januar 2002 im Vorprozess zu Protokoll erklärte und ebenfalls von den Beklagten in Bezug genommene persönliche Einschätzung zu sehen, er sei "...seit Montag dieser Woche [d. i. der 07. Januar 2002] wieder arbeitsfähig". Sie ist in dem Sinne zu verstehen, dass die von der TBG im August 2001 noch festgestellten Einschränkungen weggefallen und er nun "wieder" uneingeschränkt arbeitsfähig sei, was durch das arbeitsmedizinische Attest der TBG vom 13. Februar 2002 dann ja auch bestätigt worden ist.

dd) Mit alle dem hätte sich der Kläger detailliert auseinander setzen müssen. Dabei ist von besonderem Gewicht, dass das nach Abschluss der psychiatrischen Behandlung ausgestellte Attest vom 31. Juli 2001 wegen der Diversität der angesprochenen Erkrankungen nicht einmal in einem Widerspruch zu den Feststellungen der TBG vom 09. August 2001 steht. Ferner ging es bei den Feststellungen der TBG evident ja nicht bloß allgemein um die Arbeitsfähigkeit des Klägers im streitigen Zeitraum, sondern vielmehr darum, ob er in jener Zeit die vertraglich geschuldete Tätigkeit uneingeschränkt zu erbringen vermochte. Der Kläger hat dazu aber nichts Substanziiertes vorgebracht, so dass verfahrensrechtlich der Vortrag der Beklagten (fehlende Arbeitsfähigkeit des Klägers) gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Auch im Berufungsrechtszug hat der Kläger seinen Vortrag nicht weiter substanziiert, so dass es auf die Frage, ob neuer Vortrag mit Blick auf §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO im zweiten Rechtszug noch zugelassen werden könnte, nicht ankommt.

2. Im Zeitraum ab 07. Januar 2002 kann zugunsten des Klägers von seiner uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit ausgegangen werden. Die Beklagten haben die Lohnansprüche des Klägers rechtzeitig zunächst außergerichtlich, dann gerichtlich geltend gemacht, so dass sie nicht gemäß § 16 Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) ausgeschlossen sind.

a) Nach Absatz 1 dieser tarifvertraglichen Bestimmung verfallen unerfüllte Lohnansprüche (1. Stufe), wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Eintritt der Fälligkeit gegenüber dem Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht worden sind. Die Beklagten haben die Lohnansprüche für Januar und Februar 2002, deren Fälligkeit gemäß § 614 BGB am 01. Februar bzw. am 01. März 2002 eingetreten ist, bereits durch Schreiben vom 18. März 2002, also weit vor Ablauf der Ausschlussfrist erster Stufe gegenüber der Arbeitgeberin geltend gemacht.

b) Gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 BRTV verfallen außergerichtlich schriftlich geltend gemachte Lohnansprüche (2. Stufe), wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden, wobei die Frist mit dem Zugang der Erfüllungsverweigerung, bei reaktionslos bleibendem Arbeitgeber zwei Wochen nach Zugang der schriftlichen Geltendmachung beginnt. Das Schreiben der Beklagten vom 18. März 2002 ist der reaktionslos gebliebenen Arbeitgeberin am 21. März 2002 zugegangen, so dass die zweimonatige Frist zur gerichtlichen Geltendmachung der Lohnansprüche am 04. April 2002 begann und am 04. Juni 2002 endete. Die von den Beklagten namens des Klägers gefertigte Klageschrift vom 29. Mai 2002 ist beim Arbeitsgericht am 02. Juni 2002 eingegangen (2 CA 1492/02 ArbG Duisburg) und (wovon hier mangels Kostenvorschusspflicht im Arbeitsgerichtsprozess ausgegangen werden kann) alsbald zugestellt worden (§ 167 ZPO), so dass auch die Ausschlussfrist zweiter Stufe eingehalten worden ist.

c) Die Ausschlussfrist des § 16 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BRTV führt im Streitfall auch dann zu keinem anderen Ergebnis, wenn die Lohnansprüche Januar und Februar 2002 unter sie subsummiert werden (das kommt in Betracht, wenn die Erklärung des Klägers vom 09. Januar 2002 als konkludentes Angebot der uneingeschränkt wiederhergestellten Arbeitskraft verstanden wird und die Arbeitgeberin dadurch in Annahmeverzug gesetzt worden ist). Danach verfallen Lohnansprüche, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von dessen Ausgang sie abhängen, binnen einer Frist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.

(1) Von dieser Bestimmung wird von vornherein nicht der Februarlohn erfasst, denn der ist erst am 01. März 2002 und damit nicht mehr während des schon zuvor am 28. Februar 2002 beendeten Kündigungsrechtsstreits fällig geworden.

(2) Aber auch der während des Kündigungsschutzprozesses fällig gewordene Januarlohn ist nicht nach der hier in Rede stehenden Ausschlussklausel verfallen. Der Vorprozess wurde zwar durch Vergleich vom 28. Februar 2002 prozessrechtlich für beide Seiten bindend beendet, was "rechtskräftiger Beendigung" gleichstehen dürfte. Die Beklagten haben innerhalb dieser am 30. April 2002 ablaufenden Frist den Lohn zwar nicht gerichtlich, mit Schreiben vom 18. März 2002 wohl aber außergerichtlich geltend gemacht. Dass der Anspruch innerhalb der genannten Frist gerichtlich geltend gemacht werden muss, ist der tarifvertraglichen Regelung nicht mit der notwendigen Bestimmtheit zu entnehmen.

d) Aber selbst dann, wenn der Januarlohn 2002 ab Eintritt des Annahmeverzugs (09. Januar 2002) in Höhe von (16 Tage x 8 Std/Tag x 15,19 EUR/Std) 1.944,32 EUR unter die Ausschlussklausel fallen sollte, lässt sich die Kausalität zwischen der Pflichtwidrigkeit und dem Schaden mit dem erforderlichen Grad überwiegender Wahrscheinlichkeit (§ 287 ZPO) nicht feststellen. Das beruht darauf, dass der vom Kläger aus eigener Initiative und ohne Wissen der Beklagten während des arbeitsgerichtlichen Lohnzahlungsprozesses mit der Arbeitgeberin ausgehandelte Abfindungsvergleich vom 30. September 2002 keineswegs, wie der Kläger in anderem Zusammenhang behauptet, hätte höher ausfallen müssen, wenn es nicht nur um einen Ausgleich für den vereinbarten Verlust des Arbeitsplatzes, sondern wenn die Arbeitgeberin ferner fällig gewordene Lohnansprüche hätte abgelten müssen. Die vom Kläger ausgehandelte Abfindung (20.000 EUR) deckt sich keineswegs mit dem üblichen Ausgleich in Höhe eines halben Bruttolohns für jedes Beschäftigungsjahr. Bei einer mehr als 20-jährigen Beschäftigungsdauer vom 10. Juli 1981 bis 30. September 2002 und einem durchschnittlichen Bruttolohn in Höhe von zuletzt 2.638 EUR hätte der Kläger eine Abfindung in Höhe von mindestens (20 Jahre x 2.638 EUR x 1/2) 26.380 EUR erhalten müssen. Die Parteien des Vergleichs haben sich offenkundig von anderen Kriterien leiten lassen, wobei der hier allenfalls umstrittene Teillohnanspruch für den Rumpfmonat Januar 2002 in Höhe von ca. 1.944 EUR keine maßgebliche Rolle gespielt haben dürfte.

II. Der Senat weist darauf hin, dass die Berufungsrücknahme vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO kostenrechtlich privilegiert ist und die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO vorliegen.

Ende der Entscheidung

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