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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 16.10.2008
Aktenzeichen: I-24 U 54/08
Rechtsgebiete: BGB, SGB V, SGB IV


Vorschriften:

BGB § 675
BGB § 611
BGB § 280
SGB V § 194
SGB V § 220
SGB V § 222
SGB IV § 42 Abs. 2
Zur Haftung der Vorstandmitglieder einer Betriebskrankenkasse wegen gesetzwidriger Kreditaufnahmen.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF

BESCHLUSS

24 U 54/08

In Sachen

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

Der auf den 11. November 2008 avisierte Senatstermin findet nicht statt.

Gründe:

Die Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg.

I.

Die vom Landgericht erkannte Abweisung der Klage ist zutreffend. Die Berufungsbegründung rechtfertigt im Ergebnis keine der Klägerin günstigere Entscheidung.

1. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist die Berufung der Klägerin bereits deshalb unbegründet, weil ihre Klage mangels hinreichender Bestimmtheit der Teilklage unzulässig ist (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Wird nämlich ein aus mehreren selbständigen Ansprüchen resultierender Teilanspruch geltend gemacht, muss der Kläger angeben, mit welchem Anteil die einzelnen Ansprüche geprüft werden sollen (BGH NJW 1990, 2068; NJW-RR 1997, 441; Urteil vom 12. Januar 2006, Az. III ZR 138/05, zitiert nach Jurisweb, Leitsatz: JA 2006, 564; Zöller/Greger, ZPO, 26. Auflage, § 253 Rn. 15). Andernfalls kann der Umfang der Rechtskraft des Urteils nicht festgestellt werden (BGH, Urteil vom 12. Januar 2006, a.a.O.). Die genaue Angabe ist nur dann nicht erforderlich, wenn sich die Gesamtforderung aus mehreren Einzelpositionen zusammensetzt, die unselbständige Rechnungsposten darstellen (BGH NJW 2000, 3718 ff.; Urteil vom 12. Januar 2006, a.a.O.; NJW 2008, 1741 f.).

a. Hier macht die Klägerin indes keine unselbstständigen Rechnungsposten geltend. Denn die ihr aus der Kreditaufnahme erwachsenen Schäden, die sie allein hinsichtlich der Zinsbelastung für den Zeitraum von Januar 2001 bis Juni 2006 auf EUR 36.971.856,79 beziffert, beruhen auf unterschiedlichen Darlehensverbindlichkeiten, die für die Klägerin in unterschiedlichen Zeiträumen bei unterschiedlichen Rechtsträgern begründet wurden. Dies muss dem Vorbringen der Klägerin entnommen werden, auch wenn sie hinsichtlich der einzelnen Darlehensverpflichtungen nur wenig Konkretes vorträgt. Zu ersehen ist dies allerdings auch aus dem Tatbestand des Urteils des Landgerichts Düsseldorf in dem Verfahren 9 O 618/04 vom 02. Mai 2006 (WM 2006, 2000 ff.). Dort stritt die Klägerin mit einer Bank unter anderem um die Rechtswirksamkeit von einer bzw. mehreren Darlehensverbindlichkeiten, die auch im hier zu entscheidenden Rechtsstreit als Schadenspositionen aufgeführt werden.

Die begründeten Darlehensverbindlichkeiten resultieren auf unterschiedlichen Pflichtverletzungen (siehe unter I. 2.). Damit liegen unterschiedliche Streitgegenstände vor, weil sie aus unterschiedlichen Sachverhalten resultieren (vgl. zum Begriff des Streitgegenstands auch Zöller/Vollkommer, a.a.O., Einleitung Rn. 72 ff. m.w.N.). Die Notwendigkeit einer separaten Beurteilung der einzelnen Vorgänge wird auch dadurch deutlich, dass - dies zeigt der zu entscheidende Fall exemplarisch - die Voraussetzungen der Kreditaufnahmen durch Krankenkassen in unterschiedlichen Zeiträumen sich ändernden gesetzlichen Vorgaben unterworfen waren (§ 220 SGB V in der Fassung vom 01. Januar 1997 - gültig bis 31. Dezember 2003 - und vom 14. November 2003, gültig ab 01. Januar 2004) und deshalb möglicherweise unterschiedlich zu bewerten sein würden.

Der Senat vermag indes nicht festzustellen, wie sich die Beträge aufteilen. Das für die Klägerin bei der D. im Jahr 2001 aufgenommene Darlehen soll bis ins Jahr 2006 eine Zinsbelastung von EUR 19.944.586,68 herbeigeführt haben. Ausweislich des Tatbestands des Urteils des LG Düsseldorf (a.a.O.) beruhte die Darlehensgewährung nicht nur auf einem einheitlichen Vertrag, sondern es erfolgten ab 2001 neue Kreditaufnahmen bzw. vertragliche Veränderungen durch Erweiterungen des bereits eingeräumten Kreditrahmens. Der beim B.-Landesverband im Jahr 2002 aufgenommene Kredit erfolgte ebenfalls noch während der bis 30. Juni 2003 andauernden Tätigkeit der Beklagten für die Klägerin. Er soll einen Schaden von EUR 3.867.490,50 verursacht haben. Die weiteren in die Schadensberechnung eingeflossenen Darlehensverbindlichkeiten wurden zwar erst nach der Beendigung der Dienstverträge begründet. Die Klägerin stellt sie als Folgeschäden der vorangegangenen Pflichtverletzungen dar. Aufgrund der seit dem 01. Januar 2004 erfolgten Gesetzesänderungen kann indes nicht ausgeschlossen werden, dass für diese späteren Darlehen andere Beurteilungsgrundsätze gelten als für die vorgenannten Darlehen. Die spezifizierte Angabe, auf welche Darlehensverbindlichkeit sich der geltend gemachte Teilbetrag von EUR 11.000.000,-- bezieht, ist somit unerlässlich.

b. Diese Bedenken des Senats richten sich nicht nur gegen die von der Klägerin als Klagegrund 1 genannten "unzulässigen" Kreditaufnahmen. Denn sie greifen auch auf die übrigen Klagegründe durch. Bei diesen knüpft die Klägerin an das "Unterlassen von Maßnahmen zu ausgabendeckenden Beitragsmaßnahmen" an und unterscheidet insoweit nur zwischen den unterschiedlichen Verwaltungsratssitzungen im Zeitraum vom 06./07. Dezember 2000 (Klagegrund 2) bis zum 19. Juni 2002 (Klagegrund 7; vgl. Anspruchsbegründung vom 24. Januar 2007, S. 63, GA 75). Dieses Unterlassen rechtfertigt allerdings für sich genommen keinen Schadensersatzanspruch, denn selbst wenn es pflichtwidrig war, hat es keinen Schaden herbeigeführt. Im Gegenteil: Durch die unterlassene Erhöhung der Beiträge verbesserte die Klägerin ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen, konkurrierenden Krankenkassen. Der Schaden konnte demgemäß nur mit der nicht wegzudenkenden Handlung der Kreditaufnahmen eintreten, was wiederum zu der unter I. 1. a. genannten Problematik der Zulässigkeit der Klage führt.

2. Bei Beurteilung der Haftung der Beklagten gemäß §§ 280 Abs. 1, 611 BGB ist auf die fehlerhafte Planung der Haushalte 2001 und 2002 abzustellen, die sich in den nach Ansicht der Klägerin unzulässigen Kreditaufnahmen niedergeschlagen hat. Diese fehlerhafte Planung beruhte nach dem Vorbringen der Klägerin auf fehlerhaften Einschätzungen der Beklagten über die finanzielle Situation und deren voraussichtliche Entwicklung. Des Weiteren hätten die Beklagten ihre "Dauerpflicht" zur Überwachung und Anpassung der Beitragssätze verletzt. Das Landgericht hat diese Vorwürfe im Sinne der Beklagten verneint und angenommen, das Verhalten der Beklagten sei durch die ab dem 01. Januar 2004 gültige Fassung des § 222 Abs. 5 SGB V "legalisiert" worden.

Die vom Landgericht aufgeführten Argumente, die im Wesentlichen auf die Ausführungen von Schnapp und Rixen (in: Die Unzulässigkeit der Aufnahme von Krediten durch die gesetzlichen Krankenkassen, BRK 2006, 360 ff.) zurückgehen, lassen sich nicht ohne weiteres von der Hand weisen. Die Stabilisierung der Beitragssätze auf einem niedrigen Niveau war für die Konkurrenzfähigkeit der Klägerin unabdingbar. Seit der ab 1996 möglichen Öffnung der Betriebskrankenkassen war ein Wettbewerb möglich und dieser konnte fast nur über die Beitragshöhe bestritten werden; denn der Umfang der gesetzlichen Leistungen ist weitestgehend bundesrechtlich festgeschrieben. Den Kassen steht hier kein Spielraum zu. Nach § 194 Abs. 2 S. 2 SGB V darf die Satzung der Krankenkasse nur Leistungen vorsehen, die das SGB V zulässt (vgl. Schnapp/Rixen, a.a.O., S. 362).

Weiterhin steht zwischen den Parteien nicht im Streit, dass nach der damaligen Rechtslage die Kreditaufnahme zum Zwecke der Beitragsstabilisierung grundsätzlich unzulässig war. Diese Auffassung entspricht auch der allgemeinen Ansicht in der Kommentar-Literatur zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV; vgl. nur die zahlreichen Nachweise bei Schnapp/Rixen, a.a.O., Fußnote 6).

Das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit war indes allein durch die Gestaltung der Mitgliedsbeiträge gar nicht oder nur schwer zu erreichen. Dies dürfte zwischen den Parteien unstreitig sein und zeigt sich deutlich in dem ebenfalls unstreitigen Umstand, dass seinerzeit viele Krankenkassen das Beitragsniveau niedrig halten und dies unter Verstoß gegen den Grundsatz der Eigenfinanzierung (§§ 220, 222 SGB V) erreichen wollten. Zudem wurden für die Klägerin keine Rücklagen gebildet. Dies war satzungswidrig und verstärkte die Notwendigkeit von Darlehensaufnahmen, um Schwankungen der Beiträge zu begegnen (vgl. nur Bericht über die Prüfung der Jahresrechnung durch das Landesversicherungsamt Nordrhein-Westfalen vom 06. Juni 2002). Dieses Vorgehen beruhte indes nicht nur auf einer rein wirtschaftlichen, den jeweiligen Krankenkassen überlassenen Entscheidung. Denn auch die Politik wollte durch ein möglichst niedriges Niveau der Lohnnebenkosten die sich daraus ergebenden Vorteile für den deutschen Arbeitsmarkt und den Industriestandort Deutschland im internationalen Vergleich sicherstellen. Die in Umsetzung dieses Ziels von den Krankenkassen unter Verstoß gegen den Grundsatz der Eigenfinanzierung erfolgten Kreditaufnahmen waren keine Einzelfälle. Denn sie erfolgten in einem Umfang, der ein gesetzgeberisches Handeln erforderlich machte und zu der ab 01. Januar 2004 erfolgten "Legalisierung" der system- und gesetzeswidrig aufgenommenen Kreditverbindlichkeiten führte. Das hier den Beklagten vorgeworfene Handeln bewegte sich mithin im Spannungsfeld zwischen dem wirtschaftlich und politisch Gewünschten und dessen Umsetzung durch eine verbreitete, indes auch verbotene Übung. Auch wenn, was die Klägerin hier vorwirft, die von den Beklagten veranlassten Kreditaufnahmen im Sommer 2002 zur Zahlungsunfähigkeit und drohenden Schließung der Klägerin führten, darf nicht verkannt werden, dass die den Beklagten angelasteten Pflichtwidrigkeiten im Lichte der gesamten Umstände gesehen werden müssen und nicht nur auf den Gesetzesverstoß als solchen reduziert werden können.

Ob die vom Landgericht vertretene Auffassung, den Beklagten sei keine Pflichtwidrigkeit vorzuwerfen, letztlich zutrifft, bedarf jedoch nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand keiner Entscheidung durch den Senat.

3. Unterstellt man indes eine Pflichtverletzung der Beklagten, so griffe zu ihren Gunsten wohl nicht § 42 Abs. 2 SGB IV (in der Fassung vom 07. Mai 1997 bis 31. Dezember 2005) ein, wonach Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane auf Schadensersatz nur haften, wenn sie ihre Pflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzen. Denn die den Beklagten vorgeworfenen Pflichtverletzungen betreffen nicht den Bereich hoheitlichen Verwaltungshandelns, sondern den Abschluss privatrechtlicher Verträge im fiskalischen Bereich. Somit würden sie auch für leichte Fahrlässigkeit haften (vgl. BGH NJW 1985, 2194 ff.).

4. Ungeachtet der zwischen den Parteien kontrovers diskutierten Frage, ob das Beibehalten des Beitragsniveaus mit Hilfe der Kreditaufnahmen pflichtgemäß war, ist jedenfalls die von der Klägerin behauptete Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden nicht schlüssig dargelegt, weshalb der Klage auch deshalb kein Erfolg zu bescheiden ist. Dies ergibt sich aus folgendem:

a. Die Klägerin stützt ihren Anspruch wesentlich darauf, die Beklagten hätten den für die Anhebung der Beitragssätze zuständigen Verwaltungsrat (§ 197 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) nicht ordnungsgemäß über die wirtschaftliche Situation informiert. Wäre die geschuldete Aufklärung vorgenommen worden, hätte der Verwaltungsrat eine Erhöhung der Beitragssätze veranlasst bzw. dahingehenden Vorschlägen der Beklagten zugestimmt und die Kreditaufnahmen wären nicht erforderlich gewesen. Dies haben die Beklagten bestritten und vorgebracht, dass der Verwaltungsrat im Hinblick auf das erklärte Ziel der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit den Beitragssatzerhöhungen ohnehin nicht zugestimmt hätte.

Die Klägerin ist als Anspruchstellerin grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen des Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden (vgl. BGH NJW 1978, 2197; 1980, 2186; 1988, 203; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Auflage, § 280 Rn. 38 m.w.N.). Wird jedoch - wie hier - die Verletzung vertraglicher Beratungs- und Aufklärungspflichten geltend gemacht, so kann den Schädiger die Darlegungs- und Beweislast treffen, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre (BGHZ 61, 118; 72, 106; 124, 159). Dies setzt indes das Bestehen der Vermutung voraus, der Geschädigte habe sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung auch "aufklärungsrichtig" verhalten (Anscheinsbeweis; vgl. hierzu Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 280 Rn. 38 ff.). Es handelt sich hier nicht um eine Umkehr der Beweislast, sondern um einen Anwendungsfall des Anscheinsbeweises (BGHZ 123, 314; 126, 223).

Die Vermutung betrifft jedoch allein die mögliche Nichtbefolgung des Hinweises, im Übrigen bleibt es bei der Beweislast des Geschädigten (BGH NJW 1974, 795; Palandt/Heinrichs, a.a.O.). Sie setzt voraus, dass ein auf ein bestimmtes Verhalten gerichteter Rat zu erteilen war (BGH NJW 1981, 630; 1989, 2946; 2002, 593; Palandt/Heinrichs, a.a.O.) oder bei pflichtgemäßer Beratung nur eine Entscheidungsmöglichkeit ernsthaft in Betracht kam (BGH NJW-RR 2007, 569), für den Geschädigten folglich nur eine Möglichkeit der Reaktion bestanden hätte (BGH NJW 2007, 357). Kommen mehrere Handlungsvarianten in Betracht, greift der Anscheinsbeweis grundsätzlich nicht (BGH NJW 1993, 3259; 1994, 2541; 2004, 2967 (2969); 2005, 1113; NJW-RR 2007, 569). Die Vermutung kann ebenfalls entfallen, wenn die Befolgung des Rats neben Vorteilen auch wesentliche Nachteile gebracht hätte (BGH NJW-RR 1989, 153; zum Vorstehenden insgesamt: Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 280 Rn. 39 m.w.N.).

Unter Heranziehung dieser Grundsätze kann nicht davon ausgegangen werden, dass nur ein bestimmtes Verhalten des von den Beklagten aufzuklärenden Verwaltungsrates in Betracht kam. Der Anscheinsbeweis des aufklärungsrichtigen Verhaltens greift somit zugunsten der Klägerin nicht ein. Denn die vom Verwaltungsrat zu treffende Entscheidung bewegte sich ebenfalls in dem unter I. 2. beschriebenen Spannungsverhältnis der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit im Konkurrenzkampf der Krankenkassen zu Lasten des Verstoßes gegen den Grundsatz der Eigenfinanzierung. Wären die Beiträge erhöht worden, so hätte dies - jedenfalls in einem gewissen Umfang - zu der von den Parteien beschriebenen Mitgliederfluktuation geführt (siehe dazu ausführlicher unten I. 4. b.). Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass die systemwidrigen Kreditaufnahmen auch bei anderen Kassen erfolgten, was in den entsprechenden Kreisen und somit auch den Parteien bekannt gewesen sein dürfte. Zudem erstreckten sich die Kreditaufnahmen über einen längeren Zeitraum, es musste also mehrfach über das weitere Vorgehen entschieden werden und nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt eine einzige (und möglicherweise falsche) Entscheidung getroffen werden. Es kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass die Kreditaufnahmen zu Beginn von den beteiligten Organen der Klägerin noch für vertretbar gehalten wurden, während sich in der weiteren Entwicklung und bedingt durch multiple, nicht nur auf eine fehlende Beitragserhöhung zurückzuführende Faktoren (siehe dazu auch unten I. 4. b.) herausstellte, dass dieser Weg zu der dann letztlich eingetretenen finanziellen Schieflage der Klägerin führte. Dass der Verwaltungsrat vor diesem Hintergrund von Anfang an jeglichen Kreditaufnahmen zu Lasten von Beitragserhöhungen widersprochen hätte, kann somit nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden. Vielmehr bestanden zu unterschiedlichen Zeitpunkten mehrere Reaktionsmöglichkeiten. Das schließt aber wiederum die einen Anscheinsbeweis begründende Annahme aus, nur ein Verhalten sei als Entscheidungsmöglichkeit allein in Betracht gekommen.

Gestützt werden diese Überlegungen auch durch die personellen Verflechtungen zwischen dem Verwaltungsrat der Klägerin und der von ihr als "Hausbank" bezeichneten D.. So agierte beispielsweise W. bis zum Eintritt in seinen Ruhestand am 30. Juni 2004 als Vorstandssprecher der D. . Gleichzeitig war W. Vorsitzender des Verwaltungsrats der Klägerin (vgl. nur Zielvereinbarung für das Geschäftsjahr 2002). Dass vor diesem Hintergrund die finanzielle Situation dem Verwaltungsrat der Klägerin unbekannt geblieben und eine unzureichende bzw. fehlerhafte Information durch die Beklagten als Vorstandsmitglieder ursächlich für den Schadenseintritt gewesen sein soll, erscheint dem Senat zumindest zweifelhaft. Denn für Beitragserhöhungen durch Satzungsänderungen war der Verwaltungsrat zuständig, der die Haushaltspläne beschlossen hat.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verwaltungsrat bei ordnungsgemäßer Beratung und Aufklärung durch die Beklagten die Zustimmung zu den Beitragserhöhungen verweigert hätte, verbleibt mithin bei der Klägerin. Hierzu hat sie Näheres nicht vorgetragen und auch keinen Beweis angetreten. Dass die Klägerin zum 01. September 2002 und 01. April 2003 ihre Sätze erhöht hat, besagt nicht zwangsläufig etwas über ihr Verhalten im Zeitraum vom 06./07. Dezember 2000 bis zum 19. Juni 2002. Denn dies mag auch auf die im Juli 2002 eingetretene Zahlungsunfähigkeit und die dadurch eingetretene Unmöglichkeit weiterer Kreditaufnahmen sowie die eingeleiteten Maßnahmen der Aufsichtsbehörden zurückzuführen sein.

b. Die von der Klägerin behauptete Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden ist auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Klägerin nicht berücksichtigt, dass Beitragserhöhungen zwangsläufig Einfluss auf die Mitgliederzahlen genommen hätten. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig und darf nicht außer Betracht gelassen werden.

Die von der Klägerin angebotenen günstigen Tarife basierten überwiegend darauf, dass diese nicht nur über das Beitragsaufkommen, sondern auch über die streitgegenständlichen Darlehensaufnahmen mitfinanziert wurden, die Tarife also durch die Darlehen eine "Subventionierung" erfahren haben. Wären die Tarife in einem Umfang erhöht worden, der keine Darlehensaufnahmen erforderlich gemacht hätte, so wären mit Sicherheit Mitglieder zu anderen Krankenkassen abgewandert. Hierauf haben die Beklagten in ihren Schriftsätzen vom 18. April 2007 und vom 09. Oktober 2007 zutreffend hingewiesen. Diesem Vorbringen ist die Klägerin nicht entgegen getreten, es ist also unstreitig. Im Gegenteil: Sie liegt im Einzelnen dar, welch großen Mitgliederzuwachs sie auf Grund der beibehaltenen Beitragssätze gehabt hätte.

Die Klägerin kann somit ihrer Schadensberechnung nicht den Mitgliederbestand auf Grundlage der günstigen, durch Kreditaufnahme unterstützten Beitragssätze zugrunde legen, sondern muss vortragen, welcher Mitgliederbestand bei einer Erhöhung der Beiträge voraussichtlich vorhanden gewesen und wie sich ihre wirtschaftliche Situation dann entwickelt hätte. Wäre die Klägerin nämlich mit den erhöhten Beitragssätzen nicht mehr konkurrenzfähig gewesen, so hätte auch dieser im Rahmen der Kausalität zu beurteilende Umstand ihre wirtschaftliche Situation nachhaltig beeinflusst. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie ohne Kreditaufnahmen nicht hätte "überleben" können bzw. im Rahmen der Wahrung ihrer Konkurrenzfähigkeit jedenfalls neben nicht ganz auskömmlichen Beitragserhöhungen ergänzend noch Darlehen hätte aufnehmen müssen, um sich am Markt behaupten zu können. Dass dies bei anderen Krankenkassen so gehandhabt wurde, haben die Beklagten unbestritten vorgetragen. Es ist nicht ersichtlich und nicht vorgetragen, warum bei der Klägerin anderes zu gelten hätte.

Die vergleichbar gelagerte Problematik der fehlenden Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt wurde auch in der Entscheidung des 6. Zivilsenats des OLG Düsseldorf (Az. I-6 U 122/06, WM 2008, 66 ff.; zur erstinstanzlichen Entscheidung durch das LG Düsseldorf siehe oben unter I. 1. a.) erörtert. In jenem Verfahren machte die Klägerin Schadensersatzansprüche gegen ihre "Hausbank" (D.) wegen der unter Verstoß gegen § 220 SGB V erfolgten Kreditgewährungen geltend und zwar in Höhe von EUR 366.438.000,-- sowie wegen eines Zinsschadens von EUR 22.963.628,31. Die vom 6. Zivilsenat geäußerten Bedenken gegen die Schadensberechnung der Klägerin gelten auch für dieses Verfahren. Dort wie auch hier fehlt Vortrag dazu, wie sich die Vermögenslage der Klägerin entwickelt hätte, wenn die Darlehen nicht aufgenommen worden wären und statt dessen eine Erhöhung der Beitragssätze erfolgt wäre. Die Klägerin ist nicht von ihrem Vortrag im dortigen Verfahren abgerückt, ihre eigene Einschätzung gehe dahin, dass ein drastischer Rückgang der Mitgliederzahl und der Beitragseinnahmen die Folge gewesen wäre, wobei eine Mitgliederschrumpfung in der Regel nicht proportional zu den Risiken erfolge, sondern stets überproportional die "guten Versicherten" betreffen, nämlich die Jungen, Gesunden, wenig Kosten verursachenden Mitglieder den Versicherer wechselten, während die "schlechten Versicherten", z.B. alte und chronisch Kranke, dem bisherigen Versicherer erhalten blieben. Darauf haben sich die Beklagten hier bezogen, ohne dass die Klägerin dem entgegen getreten wäre.

Zu berücksichtigen ist auch, dass ein von der Klägerin im dortigen Verfahren vorgelegter Entwurf eines Sanierungs- und Entschuldungskonzepts (in das hiesige Verfahren wurde dieses nicht eingeführt), wonach unter Ziffer 1.3 die ersten beiden Beitragserhöhungen zum 01. Oktober 2001 von 11,9 % auf 12,4 % und zum 01. April 2002 auf 12,9 % noch keinen Einfluss auf den kontinuierlichen Anstieg der Mitgliederzahlen gehabt hatten, während die anschließenden Beitragssatzsteigerungen auf 13,9 % ab dem 01. September 2003 und 14,8 % ab dem 01. April 2003 hohe Mitgliederverluste verursacht hätten. In diesem Konzept sind für die finanzielle Schieflage der Klägerin auch andere Ursachen als die Darlehensgewährung und ein eventuelles Unterlassen einer weiteren Beitragssatzerhöhung angeführt worden, nämlich eine Vielzahl strukturell und organisatorisch bedingter Maßnahmen, z.B. eine deutlich vom Durchschnitt abweichende Mitgliederstruktur mit sehr viel höherem Anteil weiblicher Mitglieder und daraus erwachsenen relativ hohen Ausgaben für Leistungen bei Mutterschaft, das Fehlen von Maßnahmen zur Fallsteuerung bzw. Kostensenkung im Leistungsbereich bei gleichzeitiger großzügiger nicht immer gesetzeskonformer Leistungsgewährung etc..

All diese Umstände berücksichtigt die Klägerin auch bei ihrem Vorbringen zu diesem Rechtsstreit nicht. Zwar darf für die Beurteilung der Kausalität grundsätzlich § 287 ZPO herangezogen werden; denn die sich dadurch ergebenden Beweiserleichterungen gelten auch bei Ermittlung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Haftungsgrund und Schadensfolge (vgl. BGH VersR 1975, 540; NJW 1992, 3298; Zöller/Greger, a.a.O., § 287 Rn. 3 m.w.N.). Eine Schätzung ist jedoch dann unzulässig, wenn sie mangels greifbarer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte "völlig in der Luft hängen" würde (vgl. BGHZ 91, 243 (256); NJW 1987, 909 (910); Zöller/Greger, a.a.O., § 287 Rn. 4). Da hier in hohem Maße wahrscheinlich ist, dass auch ein pflichtgemäßes Verhalten der Beklagten gravierende, möglicherweise sogar existenzielle Auswirkungen auf den Bestand der Klägerin gehabt hätte, kann ein Mindestschaden auf Grundlage des bisherigen Vorbringens der Klägerin nicht ermittelt werden, weshalb eine Schadensschätzung bereits aus diesem Grund nicht in Betracht kommt.

II.

Die weiteren in § 522 Abs. 2 Ziffer 2 und 3 ZPO genannten Voraussetzungen liegen ebenfalls vor.

Der Senat weist darauf hin, dass die Rücknahme der Berufung vor Erlass einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO gemäß GKG KV 1222 S. 1, 2 kostenrechtlich privilegiert ist; statt vier fallen nur zwei Gerichtsgebühren an.

Düsseldorf, den 16. Oktober 2008

Oberlandesgericht, 24. Zivilsenat



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