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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.06.2008
Aktenzeichen: I-24 U 72/08
Rechtsgebiete: GVG, ZPO


Vorschriften:

GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1b
ZPO § 522 Abs. 1
ZPO § 233
Der Rechtsanwalt hat in einem Wohnraum-Mietprozess mit Auslandsberührung einer Partei die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für Berufungen zu kennen und darf nicht darauf vertrauen, dass ihn das Landgericht sofort nach Eingang der Rechtsmittelschrift auf seine fehlende Zuständigkeit hinweist.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

I-24 U 72/08

In dem Rechtsstreit

hat der 24. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch seine Richter Z., S. und H. am 27.06.2008

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 22.01.2008 (97 C 186/07) wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers vom 04.04.2008, ihm nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Mit Urteil vom 22.01.2008 das Amtsgericht Wuppertal über eine Mietzinsklage des Klägers gegen die Beklagten entschieden. Dieses Urteil ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses am 04.02.2008 zugestellt worden. Mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 26.02.2008, bei Gericht eingegangen am 27.02.2008, hat der Kläger bei dem Landgericht Wuppertal Berufung gegen jenes Urteil eingelegt. Nach Hinweis der Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf die Zuständigkeitsregelung des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG und die hieraus folgende Unzuständigkeit des Landgerichts Wuppertal zur Entscheidung über die Berufung hat der Kläger mit Schrift seiner Bevollmächtigten vom 04.04.2008 seine bei dem Landgericht eingelegte Berufung zurückgenommen.

Ebenfalls mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 04.04.2008, eingegangen bei Gericht am selben Tage, hat der Kläger bei dem Oberlandesgericht Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt, diese begründet und zugleich um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsfrist nachgesucht. Er macht geltend, seine Prozessbevollmächtigte habe wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts Wuppertal gemäß § 29 a ZPO in Verbindung mit § 23 GVG und Art. 5 EuGVÜ die Zuständigkeit des Landgerichts für die Berufung nicht in Frage gestellt. Es sei Aufgabe des Landgerichts gewesen, auf die aus § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG folgende Zuständigkeit des Oberlandesgerichts hinzuweisen. Das Landgericht sei seiner Prüfungs- und Hinweispflicht nicht nachgekommen.

Im übrigen wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers ist unzulässig. Er hat es versäumt, innerhalb der in § 517 ZPO vorgeschriebenen Monatsfrist Berufung einzulegen. Sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist ist nicht begründet.

1.

Der Kläger war nicht gemäß § 233 ZPO schuldlos verhindert, rechtzeitig bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf als dem aufgrund der Vorschrift des § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG zuständigen Rechtsmittelgericht die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal einzulegen; denn die Versäumung der Berufungsfrist beruht auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers, das gemäß § 85 Abs. 2 ZPO einem Verschulden der Partei gleichsteht.

Die Berufungsfrist endete am 04.03.2008, weil das angefochtene Urteil der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 04.02.2008 zugestellt worden war. Eine Berufungsschrift hat diese bei dem zuständigen Oberlandesgericht erst am 04.04.2008 und damit um einen Monat verspätet eingereicht.

Damit hat sie schuldhaft gehandelt, weil dieses Versäumnis für einen pflichtgemäß handelnden Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre; denn bei einem Rechtsanwalt ist die Kenntnis jedenfalls der Bundesgesetze vorauszusetzen, die er gewöhnlich anzuwenden hat (Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl., § 233 Rdnr. 23 unter dem Stichwort "Rechtsirrtum"; Senat n.v. Beschluss vom 25.11.2004, I - 24 U 192/04).

2.

Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist auch ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist geworden; denn es war dem von ihm zunächst angerufenen Landgericht bei Einhaltung des üblichen Verfahrensablaufs nicht zumutbar und auch nicht möglich, die bei ihm eingegangene Berufungsschrift so rechtzeitig an das Oberlandesgericht weiterzuleiten, dass sie bis zum 04.03.2008 dort eingegangen wäre.

a)

Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zum fairen Verfahren als allgemeinem Prozessgrundrecht, abgeleitet aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG NJW 2001, 1343; NJW 2006, 1579), stehen dieser Wertung nicht entgegen.

Der Anspruch auf ein faires Verfahren besagt, dass der Richter das Verfahren so gestalten muss, wie die Parteien des Zivilprozesses es von ihm erwarten dürfen (BVerfG a.a.O.). Was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, hängt von einer Abwägung zwischen dem Interesse der Rechtssuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung und dem Anliegen der Justiz ab, im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt zu werden. Danach müssen der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtiges Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden (BVerfG a.a.O.).

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Abwägung zwischen den betroffenen Belangen jedenfalls dann zugunsten des Rechtsuchenden ausfällt, wenn das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig ist, jedoch vorher mit dem Verfahren befasst war. Dieses Gericht treffe eine nachwirkende Fürsorgepflicht, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren im Zuge des ordentlichen Geschäftsganges an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Eine ins Gewicht fallende Belastung trete dadurch nicht ein, weil dem Gericht die Zuständigkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt sei und deshalb die Ermittlung des richtigen Adressaten, selbst wenn er im Schriftsatz nicht deutlich bezeichnet sein sollte, keinen besonderen Aufwand verursache.

Diese Überlegungen kommen dem Kläger indessen nicht zugute. Denn hier war das Landgericht nicht bereits vorher mit dem Verfahren des Klägers befasst.

b)

Auch wenn die o.g. Verpflichtungen eines Gerichts gemäß den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen auf ein vorher noch nicht mit der Sache befasstes Gericht ausgedehnt würden, führt das hier nicht zu einer Verletzung dieser Pflichten durch das Landgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden (NJW 2006, 1579, unter II 2; vgl. auch BGH NJW 2005, 3776; GuT 2008, 144), dass sich aus dem Grundrecht auf ein faires Verfahren und aus der sich daraus ergebenden verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit bei Eingang einer Rechtsmittelschrift ableiten lässt. Dies enthöbe die Verfahrensbeteiligten und deren Prozessbevollmächtigte ihrer eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Formalien und überspannte die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens. Es wäre mit dem Grundsatz nicht vereinbar, dass sich die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, nicht nur am Interesse des Rechtsuchenden an einer möglichst weit gehenden Verfahrenserleichterung orientieren kann, sondern auch berücksichtigen muss, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss.

Der Vorsitzende der Berufungszivilkammer beim Landgericht Wuppertal war danach nicht verpflichtet, bei der noch innerhalb der Berufungsfrist - nämlich am 29.02.2008 - an ihn erfolgten Vorlage der Berufungsschrift, aus der sich hier gewichtige Anhaltspunkte für einen Auslandsbezug im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG ergaben, die abschließende Prüfung der Zuständigkeit so zu beschleunigen, dass gegebenenfalls die Berufungsschrift noch vor Fristablauf an das Oberlandesgericht Düsseldorf weitergeleitet werden konnte. Da es nach § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG auf den allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit in erster Instanz, also regelmäßig im Zeitpunkt der Zustellung der Klageschrift nach § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO ankommt, der von der aktuellen Anschrift einer Partei im Zeitpunkt des Urteilserlasses und der Berufungseinlegung durchaus abweichen kann, reichte die Kenntnis der Berufungsschrift sowie des angefochtenen Urteils zur endgültigen Beurteilung der Zuständigkeit nicht aus, sondern es bedurfte einer Kenntnis der Akten, insbesondere der Angabe des Wohnsitzes in der Klageschrift (BVerfG, a.a.O.). Die Prozessakten sind aber erst am 12.03.2004 bei dem Landgericht Wuppertal eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt war die Berufungsfrist bereits abgelaufen.

Einer Verpflichtung des Vorsitzenden, sich diese Akten im Hinblick auf einen möglichen Bezug zum Ausland schneller, als dies im ordentlichen Geschäftsgang zu erwarten wäre, vorlegen zu lassen oder sich bei dem Berufungsführer oder dem Gericht erster Instanz nach dem Wohnsitz bei Zustellung der Klage zu erkundigen, besteht nicht. Denn eine solche Verpflichtung würde die Verfahrensbeteiligten der primär ihnen selbst obliegenden Verantwortung für die Bestimmung des zuständigen Rechtsmittelgerichts entheben (BGH GuT 2008, 144).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 2.437,74 €.

Ende der Entscheidung

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