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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 30.10.2006
Aktenzeichen: I-26 W 14/06 AktE
Rechtsgebiete: MitbestG
Vorschriften:
MitbestG § 1 Abs. 1 Nr. 2 | |
MitbestG § 5 Abs. 3 |
Tenor:
Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss der 22. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 4. Mai 2006 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, einen Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes vom 4. Mai 1976 (BGBl. I S. 1153) zu bilden.
Die Antragsgegnerin hat die Gerichtskosten in beiden Instanzen zu tragen.
Die Kosten der Beteiligten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: 50.000 €
Gründe:
I.
Die G-Unternehmensgruppe ist ein international tätiger Konzern. Konzernmutter ist die in Großbritannien ansässige G. plc., die mittelbar bzw. unmittelbar zu 100 % an den beiden britischen Zwischengesellschaften G. D.H. Ltd. und G. S. Ltd. sowie an der in Deutschland ansässigen Antragsgegnerin beteiligt ist. Die Antragsgegnerin hält 100 % der Geschäftsanteile an acht deutschen G.-Untergesellschaften. Seit einigen Jahren führen die beiden britischen Zwischengesellschaften das Management der Konzernsparten "D." und "O.H.", ohne kapitalmäßig an den G.-Untergesellschaften beteiligt zu sein. Am 9.8.2004 und 11./15.11.2004 schlossen sie Beherrschungsverträge mit den deutschen G.-Untergesellschaften und Koordinations- und Ausgleichsverträge mit der Antragsgegnerin, wonach die Leitung der G.-Untergesellschaften auch rechtlich vollständig auf sie übergehen sollte.
Die Antragstellerin zu 1 ist die Industriegewerkschaft Metall. Die Antragsteller zu 3 - 8 sind die Betriebsräte von sechs der insgesamt acht deutschen G.-Untergesellschaften. Der Antragsteller zu 2 ist der Betriebsrat der Antragsgegnerin. Der Antragsteller zu 9 ist der Betriebsrat der E. G. mbH (nachfolgend: E. GmbH), an der die Antragsgegnerin und die S. AG im Rahmen eines Joint Ventures je zur Hälfte beteiligt sind.
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob bei der Antragsgegnerin wie bisher ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes 1976 zu bilden ist. Die Antragsteller wollen eine dahingehende Verpflichtung der Antragsgegnerin festgestellt wissen, weil die Antragsgegnerin seit Abschluss der Beherrschungsverträge die Legitimation des vorhandenen mitbestimmten Aufsichtsrates bestreitet.
Das Landgericht hat den Feststellungsantrag zurückgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt: Die Antragsgegnerin sei nicht verpflichtet, einen mitbestimmten Aufsichtsrat zu bilden. Sie beschäftige nicht die nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG erforderliche Anzahl von mehr als 2000 Arbeitnehmern. Die Arbeitnehmer der G.-Untergesellschaften seien ihr nicht nach § 5 Abs. 1 MitbestG zuzurechnen. Die Antragsgegnerin habe die Vermutungstatbestände der §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 1 S. 3 AktG widerlegt. Mit Blick auf die Beherrschungs-, Koordinations- und Ausgleichsverträge habe sie keine Möglichkeit mehr, die Untergesellschaften ihrem Willen zu unterwerfen. Auch eine Zurechnung der Arbeitnehmer der Untergesellschaften gemäß § 5 Abs. 3 MitbestG scheide aus. Nach dem Zweck der Norm müsse die Konzernzwischengesellschaft eine gewisse Leitungsfunktion ausüben. Daran fehle es auf Seiten der Antragsgegnerin. Die deutschen Untergesellschaften würden nur noch von den britischen Zwischengesellschaften geleitet. Die Antragsgegnerin gelte für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes auch nicht als herrschend unter dem Gesichtspunkt, dass sie die Beherrschung der Untergesellschaften ihrer Konzernmutter G. plc. vermittele.
Dagegen wenden sich die sofortigen Beschwerden der Antragsteller. Zur Begründung tragen sie vor: Die vertraglich konzipierten Teilkonzerne mit den britischen Zwischengesellschaften als Teilkonzernspitzen hätten den deutschen, durch die Mehrheitsbeteiligungen der Antragsgegnerin gebildeten Unterordnungskonzern nicht abgelöst. Die vom Landgericht angestellte rein gesellschaftsrechtliche Betrachtung liefe den Zwecken des Mitbestimmungsgesetzes zuwider. Die Antragsgegnerin übe weiterhin tatsächlich einen beherrschenden Einfluss auf die G.-Untergesellschaften aus. Jedenfalls gelte sie gemäß § 5 Abs. 3 MitbestG als herrschendes Unternehmen. Für die Anwendung der Vorschrift genüge es, wenn - wie hier - die deutsche Zwischengesellschaft eine Mehrheitsbeteiligung an den deutschen Untergesellschaften halte und allein hierüber der ausländischen Konzernspitze die Beherrschung der Untergesellschaften vermittle.
Die Antragsteller beantragen,
1. den angefochtenen Beschluss aufzuheben,
2. festzustellen, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer vom 4.5.1976 zu bilden ist.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die sofortige Beschwerden zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin verteidigt den angefochtenen Beschluss und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.
II.
Die sofortigen Beschwerden der Antragsteller sind zulässig und begründet (§ 99 Abs. 3 S. 2 AktG). Die Antragsgegnerin ist gemäß §§ 6 ff i.V.m. § 1 Abs. 1, § 5 Abs. 1, 3 MitbestG verpflichtet, einen mitbestimmten, d. h. auch mit Arbeitnehmervertretern besetzten Aufsichtsrat zu bilden.
1. Beschwerden der Antragsteller zu 1 - 8
a) Die Pflicht zur Bildung eines nach dem Mitbestimmungsgesetz zusammengesetzten Aufsichtsrates ergibt sich für die Antragsgegnerin allerdings nicht unmittelbar aus § 1 Abs. 1 MitbestG. Nach den Feststellungen des Landgerichts beschäftigt die Antragsgegnerin in der Regel nicht mehr als 2000 Arbeitnehmer.
b) Die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bildung eines mitbestimmten Aufsichtrates folgt ferner nicht aus § 1 Abs. 1 MitbestG in Verbindung mit der Zurechnungsnorm des § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG. Auch dies hat das Landgericht zutreffend erkannt.
Hat ein in § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG bezeichnetes Unternehmen die Stellung als herrschendes Unternehmen eines Konzerns im Sinne des § 18 Abs. 1 AktG, so gelten gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen als Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens. Gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 AktG bilden ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen einen Konzern, wenn sie unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind. Gemäß § 18 Abs. 1 S. 3 AktG wird von einem abhängigen Unternehmen vermutet, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet. Die Begriffe "abhängige Unternehmen" und "herrschende Unternehmen" sind in § 17 AktG festgelegt. Nach § 17 Abs. 1 AktG sind abhängige Unternehmen rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Nach § 17 Abs. 2 AktG wird von einem im Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist. Im übrigen ist maßgebend die Sicht des abhängigen Unternehmens, so dass aus dessen Blickwinkel zu beurteilen ist, ob es einem fremden unternehmerischen Willen unterworfen ist (vgl. BGH NJW 1974, 855; OLG München NJW-RR 1995, 1066, 1067).
Im Streitfall gilt danach gemäß §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 1 S. 3 AktG im Ausgangspunkt zwar die Vermutung, dass die Antragsgegnerin die Untergesellschaften G. G. K. GmbH, G. D. Deutschland GmbH, G. S.GmbH, G. F. S. GmbH, G. D. T. GmbH, G. U. GmbH, G. W. GmbH und G. W. G. GmbH beherrscht, weil sie an ihnen Mehrheitsbeteiligungen hält. Jedoch hat das Landgericht die Vermutung zu Recht als widerlegt angesehen, weil die Beherrschungs-, Koordinations- und Ausgleichsverträge vom 9.8. und 11./15.11.2004 regeln, dass die Antragsgegnerin neben den umfassenden Leitungsrechten der G. D.H. Ltd. und der G. S. Ltd. tatsächlich keine bedeutenden Weisungsrechte gegenüber den G.-Untergesellschaften ausüben kann und ausüben darf, und deshalb namentlich aus der Sicht der G.-Untergesellschaften der unternehmerische Leitungswille der britischen Zwischengesellschaften maßgebend ist. Die Geschäftsführungen der Untergesellschaften sollen bis auf wenige, gesetzlich ohnehin angeordnete Ausnahmen nur noch den beiden britischen Zwischengesellschaften unterstehen (vgl. Ziffern 2.1 und 2.2 der Koordinations- und Ausgleichsverträge). Dass die britischen Zwischengesellschaften nicht an den G.-Untergesellschaften beteiligt sind, schadet nicht. Auf der Grundlage eines Beherrschungsvertrages kann ein Unternehmen auch dann herrschend sein, wenn es an dem abhängigen Unternehmen kapitalmäßig nicht beteiligt ist (vgl. allgemein: Emmerich/Habersack, Aktien-, GmbH- und Konzernrecht, 4. Aufl., § 291 AktG Rn.8 ff).
Der Senat teilt die Ansicht des Landgerichts und des Arbeitsgerichts Siegburg (Urteil vom 19.1.2005 - 2 BV 31/04), wonach die Beherrschungsverträge zwischen den britischen Zwischengesellschaften und den deutschen G.-Untergesellschaften wirksam sind. Beherrschungsverträge sind auch mit einer ausländischen herrschenden Gesellschaft grundsätzlich zulässig (vgl. Hüffer, Aktiengesetz, 7. Aufl., § 291 AktG Rn. 8 m.w.N.). Ebenso wenig bestehen gegen den Abschluss der Koordinations- und Ausgleichsverträge ("Entherrschungsverträge") zwischen der Antragsgegnerin und den britischen Zwischengesellschaften durchgreifenden rechtliche Bedenken (vgl. zur Thematik: Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 4. Aufl., § 51 Rn. 28 m.w.N.). Die von den Antragstellern bezweifelte finanzielle Durchsetzbarkeit von Ansprüchen gegen britische Gesellschaften in der Rechtsform einer "Ltd.", die anders als inländische Kapitalgesellschaften kein Stammkapital besitzen, steht nicht entgegen. Ganz allgemein ist fraglich, inwieweit Vorschriften über das Mindestkapital (Stammkapital) in der Praxis überhaupt einen effektiven Gläubigerschutz bieten können. Jedenfalls rechtfertigt die bei einer britischen Ltd. fehlende Mindestkapitalanforderung kein die Niederlassungsfreiheit einschränkendes generelles Verbot von Entherrschungsverträgen mit britischen Gesellschaften dieser Rechtsform (vgl. zutreffend Henssler in seinem Rechtsgutachten unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 30.9.2003, Rs C-167/01 - Inspire Art, NJW 2003, 3331, 3333/3334). Im Streitfall ist auch nicht festgestellt, dass die Beherrschungs-, Koordinations- und Ausgleichsverträge gezielt Arbeitnehmerbestimmungsrechte aushebeln sollten und/oder die Verträge als Scheingeschäfte unwirksam wären. Dass zumindest (auch) ein wesentliches Ziel der Maßnahme war, die rechtliche Leitungsstruktur und die schon länger praktizierte Unternehmensorganisation im G.-Konzern anzugleichen, ist plausibel und nicht widerlegt.
Ohne Erfolg machen die Antragsteller geltend, mit Blick auf die Zielsetzungen des Mitbestimmungsgesetzes sei von einem weiten Konzern-Begriff auszugehen, so dass für die Annahme einer einheitlichen Leitung durch die Antragsgegnerin bereits ihre Planungszuständigkeit in einem zentralen Konzernbereich genüge (vgl. hierzu BAG vom 25.1.1995, AuR 1995, 379; BayObLG vom 24.3.1998, NZA 1998, 956; OLG Düsseldorf, DB 1979, 699). Zum einen stellen die Antragsteller nicht in Abrede, dass die Antragsgegnerin in erheblichem Umfang Weisungsbefugnisse auf die britischen Zwischengesellschaften übertragen hat. Zum anderen zeigen sie nicht auf, inwiefern die Antragsgegnerin weiterhin federführend und für die Untergesellschaften maßgebend die unternehmerische Ausrichtung plant. Soweit sie auf (durchaus wichtige) Konzerntätigkeiten der Antragsgegnerin in den Bereichen Finanz- und Rechnungswesen, Forschung, Entwicklung, Datenverarbeitung und Recht verweisen, könnten diese Leistungen auch von Dritten erbracht werden, so dass allein ihre Ausführung durch die Antragsgegnerin noch kein durchgreifendes Indiz für eine weisungsbezogene Abhängigkeit der Untergesellschaften darstellt. Für die Annahme einer fortbestehenden Leitungsmacht der Antragsgegnerin reicht auch nicht aus, dass sie nach den o. g. Verträgen bestimmte Zuständigkeiten behalten hat. Zum einen handelt es sich hierbei um ohnehin gesetzlich angeordnete Befugnisse der Antragsgegnerin. Zum anderen hat sich die Antragsgegnerin in den Koordinationsverträgen zur Rücksichtnahme auf die britischen Zwischengesellschaften verpflichtet. Auf ein entsprechendes Wohlverhalten der Antragsgegnerin wird die Konzernmutter zumindest im Konfliktfall hinwirken, was die verbliebenen Einflussmöglichkeiten der Antragsgegnerin zusätzlich mindert.
Auch der erst nach Abschluss der streitgegenständlichen Verträge auf der Ebene der deutschen G.-Gesellschaften erstellte Nachtrag zur Betriebsvereinbarung "Altersteilzeit" vom 17.12.2004 (Bl. 249 ff) lässt nicht auf eine fortbestehende Leitungsmacht der Antragsgegnerin schließen. Der Nachtrag war der Novellierung des Alterteilszeitgesetzes geschuldet und erfolgte im Nachgang an die von der Antragsgegnerin maßgebend erarbeitete Hauptvereinbarung zur Alterteilszeit im Jahre 1998 bzw. vom 8.8.2000. Dass dabei die vorhandenen und bewährten Organisationsstrukturen der Antragsgegnerin einschließlich ihres Know-hows verwertet und beibehalten wurden, lag aus praktischen Gründen nahe und stellt daher schon im Ansatz kein taugliches Indiz für eine Ausübung von Leitungsmacht dar. Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist für die Frage der Leitungsmacht auch nicht von Bedeutung, dass die Antragsgegnerin in ihrem Unternehmen noch 289 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Anzahl der Arbeitnehmer hat grundsätzlich keine Aussagekraft für die Rolle und die Bedeutung einer Gesellschaft gegenüber anderen Konzerngesellschaften.
Die Antragsteller meinen, die Beherrschungsverträge seien nicht geeignet, die Abhängigkeitsvermutungen der §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 1 S. 3 AktG zu entkräften, weil sie aus wichtigem Grund kündbar seien. Auch dies geht fehl. Zwar ist richtig, dass die Beherrschungsverträge Sonderkündigungsrechte enthalten, so für die Veräußerung oder Einbringung einer Beteiligung sowie für die Umwandlung, Verschmelzung, Spaltung oder Liquidation einer Untergesellschaft. Diese Kündigungsrechte vermögen aber nichts daran zu ändern, dass bis zu ihrer - i. ü. völlig ungewissen - Entstehung und Ausübung die Beherrschung der G.-Untergesellschaften durch die britischen Zwischengesellschaften und die diesbezügliche Entherrschung der Antragsgegnerin feststehen. Überdies sind Unternehmensverträge, wie alle Dauerschuldverhältnisse, auch ohne ausdrückliche Regelung stets aus wichtigem Grund kündbar (§ 242 BGB). Die von den Antragstellern vertretene Ansicht hätte mithin die (abzulehnende) Konsequenz, dass Beherrschungsverträge wegen der ihnen stets immanenten Kündbarkeit generell ungeeignet wären, eine herrschende Stellung i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG zu begründen.
c) Die Antragsteller zu 1 - 8 können sich jedoch mit Erfolg darauf berufen, dass die Antragsgegnerin gemäß § 5 Abs. 3 MitbestG für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes als herrschendes Unternehmen gilt und deshalb ein mitbestimmter Aufsichtrat zu bilden ist.
aa) Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 MitbestG sind erfüllt.
Die deutschen G.-Untergesellschaften stehen im Sinne von § 5 Abs. 3 MitbestG unter der einheitlichen Leitung anderer als der in § 5 Abs. 1, 2 MitbestG bezeichneten Unternehmen. Die beiden britischen Zwischengesellschaften G. D.H. Ltd. und die G. S. Ltd. haben die Rechtsform einer englischen "Limited", die in § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG nicht als Unternehmensform aufgeführt ist.
Die G.-Konzernspitze wird durch die G. plc. gebildet, die über die G. Holding plc., die G. U. K. plc., die G. I. Ltd. und die G. O. H. Ltd. eine Mehrheitsbeteiligung an der Antragsgegnerin hält. Die Antragsgegnerin hält alle Geschäftsanteile an den deutschen G.-Untergesellschaften. Damit beherrscht die G.-Konzernspitze (G. plc.) im Sinne von § 5 Abs. 3 MitbestG "über" die Antragsgegnerin auch die deutschen G.-Untergesellschaften. Schon das Halten der Mehrheitsbeteiligungen an den Untergesellschaften durch die Antragsgegnerin vermittelt der G. plc. die beherrschende Stellung. Nicht erforderlich ist, dass die Antragsgegnerin tatsächlich eine eigene Leitungsmacht ausübt. Der Senat folgt insoweit der Ansicht des OLG Stuttgart in seinem Beschluss vom 30.3.1995 - 8 W 355/93 (AG 1995, 380, 381, ZIP 1995, 1004, 1005 = NJW-RR 1995, 1067 ff). Danach kommt es im Falle einer Mehrheitsbeteiligung auf eine daneben bestehende tatsächliche Leitung des die Beherrschung vermittelnden Unternehmens schon nach dem Gesetzeswortlaut des § 5 Abs. 3 MitbestG nicht an. Das Wort "über" in § 5 Abs. 3 MitbestG lässt offen, wodurch die Beherrschung vermittelt wird. Mithin genügt, dass die nicht mitbestimmte Konzernspitze in irgendeiner Weise "über" die Zwischengesellschaft auf die nachgeordneten Unternehmen einwirken kann. Die Vermittlung der Leitungsmacht kann daher allein auf gesellschaftsrechtlichen Strukturen, namentlich den Kapitalanteilen der Zwischengesellschaft an den Untergesellschaften, beruhen, zumal der wesentliche Grund für die Leitungsbefugnisse einer Konzernspitze ebenfalls in der kapitalmäßigen Abhängigkeit der nachgeordneten Gesellschaften zu suchen ist (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.; ebenso: Lutter ZGR 1977, 213; Großfeld/Johannemann, JZ 1995, 795; Kronke IPrax 1995, 397 f; Mankowski ZIP 1995, 1006 ff; Marsch-Barner WuB 1995, 899 ff; offen lassend: BayObLG ZIP 2002, 1034, 1038; a.A.: OLG Celle, Beschluss vom 22.3.1993 - 9 W 130/92, BB 1993, 957; Hanau/Ulmer, MitbestG, 2. Aufl., § 5 Rn. 68; Wichert in: Aktienrecht, § 5 Rn. 27). Eine qualifizierte oder wenigstens einfache Leitung oder ein Mindestmaß an Leitungsmöglichkeit aufseiten der Zwischengesellschaft ist auch nicht nach dem Sinn und Zweck der Arbeitnehmermitbestimmung als ergänzendes Merkmal des § 5 Abs. 3 MitbestG zu fordern (so aber Ulmer a.a.O. § 5 Rn. 70). Es mag sein, dass der bei einer Konzernzwischenholding gebildete mitbestimmte Aufsichtsrat aufgrund seiner Position im Gesamtkonzern im Einzelfall hinter den üblichen Einflussmöglichkeiten eines mitbestimmten Aufsichtrates zurückbleiben muss. Dies ist jedoch kein überzeugender Grund, die Mitbestimmung bei Vorliegen der Voraussetzungen in einer Konzernzwischenholding gänzlich zu versagen. Die Effizienz einer Mitbestimmung hängt ohnehin stets von den konkret handelnden Personen ab. Es trifft auch nicht zu, dass beim Fehlen einer tatsächlichen Leitung durch die Zwischengesellschaft dem dort angesiedelten mitbestimmten Aufsichtsrat der Ansprechpartner fehlen würde. Das Mitbestimmungsrecht wird den Arbeitnehmern nicht nur wegen eines eigenständigen Entscheidungsbereichs gewährt (vgl. hierzu OLG Zweibrücken, AG 1984, 80, 82). Über den Entscheidungsbereich hinaus können die Aufgaben eines mitbestimmten Aufsichtsrates auch bei einer Konzernzwischengesellschaft vielfältig sein (vgl. hierzu Lutter, AG 2006, 517 ff) und insbesondere Informationsrechte umfassen sowie die Möglichkeit, präventiv zu agieren und im Vorfeld weitreichender Entscheidungen auf die Willensbildung im Konzern Einfluss zu nehmen, und sich notfalls den Weisungen der Konzernspitze zu widersetzen. Ganz allgemein entspricht es der Intention des § 5 MitbestG, die Mitbestimmung überall dorthin in einem Konzern auszudehnen, wo ein Zusammenwirken mit unabhängigen Partnern in irgendeiner Form möglich ist (vgl. dazu OLG Düsseldorf AG 1979, 318, 319). Letzteres ist auch für die Ebene einer Konzernzwischenholding anzunehmen. Dem OLG Stuttgart (a.a.O.) ist auch darin zuzustimmen, dass es aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sowie zur Einschränkung von Umgehungsmöglichkeiten geboten erscheint, nicht weiter danach zu differenzieren, ob der Zwischengesellschaft größere, geringere oder doch wenigstens ganz geringe Mitwirkungsmöglichkeiten im Leitungsstrang verbleiben, oder ob unmittelbare Weisungen der Konzernspitze an die nachgeordneten Unternehmen ganz an ihr vorbeilaufen. Denn dann wäre das Maß der Mitbestimmung weithin in das Belieben der Konzernspitze gestellt und es würde vielfach von Zufällen und Wertungsbeliebigkeiten abhängen, ob die Mitbestimmung zu gewähren ist. Schließlich ist die Teilkonzernregelung des § 5 Abs. 3 MitbestG dazu bestimmt, die mit der rechtsformspezifischen Regelungstechnik und dem territorial beschränkten Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes verbundenen Lücken bei der Konzernmitbestimmung in Grenzen zu halten. Die Vorschrift hat eine Hilfsfunktion im Fall der Undurchführbarkeit der in § 5 Abs. 1 S. 1 MitbestG vorgesehenen Konzernmitbestimmung. Diesem Ersatzcharakter der Norm wird ein mitbestimmungsfreundliches Grundverständnis am ehesten gerecht.
Es genügt somit für die Arbeitnehmer-Zurechnung gemäß § 5 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 MitbestG, wenn die Direktiven der Konzernspitze über die Mehrheitsbeteiligung der Zwischengesellschaft ergehen oder zumindest (alsbald) ergehen können. Dass die Direktiven der Konzernspitze vorliegend auch über einen zweiten Leitungsstrang vermittelt werden können, nämlich über die Mehrheitsbeteiligung der G. plc. an den britischen Zwischengesellschaften und deren Beherrschungsverträge mit den G.-Untergesellschaften, steht dieser Betrachtung nicht durchgreifend entgegen. Die Existenz mehrerer Leitungsstränge macht die Mitbestimmung in einem der Leitungsstränge nicht obsolet. Zu Unrecht meint die Antragsgegnerin, im Streitfall hätten die Beherrschungs- und Koordinationsverträge das Band der G. plc. zu den Untergesellschaften gekappt, so dass die G. plc. die Untergesellschaften nicht mehr über die Antragsgegnerin beeinflussen könne. Die genannten Verträge gelten rechtlich nur "inter partes", d.h. zwischen der Antragsgegnerin, den britischen Zwischengesellschaften und den Untergesellschaften, nicht aber gegenüber der G. plc.. Die G. plc. hat es daher aufgrund ihrer Mehrheitsbeteiligungen an der Antragsgegnerin und den britischen Zwischengesellschaften in der Hand, das Maß der Umsetzung der Beherrschungs-, Koordinations- und Ausgleichsverträge zu bestimmen und Anordnungen wahlweise über die Beherrschungsverträge oder die Mehrheitsbeteiligung der Antragsgegnerin bis in die unterste Ebene der G.-Untergesellschaften durchzusetzen.
Der Senat übersieht nicht, dass die Mitbestimmung im Unternehmen der Antragsgegnerin womöglich entfallen würde, wenn die britischen Zwischengesellschaften die Geschäftsanteile an den deutschen G.-Untergesellschaften unmittelbar übernähmen, oder wenn die Antragsgegnerin von der G. plc. gesellschaftsrechtlich unabhängig wäre oder als deutsche Zwischenholding aufgelöst würde (vgl. hierzu Großfeld/Johannemann JZ 1995, 796). All dies sind jedoch hier nicht zur Entscheidung gestellte Konstellationen und ändert nichts daran, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Mitbestimmung in einer (fingierten) deutschen Teilkonzernspitze die Mitbestimmungsregeln anzuwenden und zu respektieren sind.
bb) Nach dem Ausgeführten gilt die Antragsgegnerin gemäß § 5 Abs. 3 MitbestG für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes als herrschendes Unternehmen. Die Arbeitnehmer der Konzernunternehmen, hinsichtlich derer sie der G. plc. die herrschende Stellung vermittelt, sind ihr daher für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes zuzurechnen. Dies sind die Arbeitnehmer der G. D. D. GmbH, G. S. I. GmbH, G. D. T. GmbH, G. U. GmbH, G. F. S. GmbH, G. G. K. GmbH, G. W. GmbH und der G. W. G. GmbH. Die Summe dieser und ihrer eigenen Arbeitnehmer überschreitet nach den Feststellungen des Landgerichts den Schwellenwert gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, so dass sie gemäß § 6 Abs. 1 MitbestG einen Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Mitbestimmungsgesetzes zu bilden hat.
2. Beschwerde des Antragstellers zu 9
Auch der Antragsteller zu 9 kann von der Antragsgegnerin die Einrichtung eines mitbestimmten Aufsichtrates verlangen. Die Antragsgegnerin ist im Verhältnis zum Antragsteller zu 9 als herrschendes Unternehmen im Sinne des § 5 Abs. 1 MitbestG anzusehen. Zwar ist sie nicht mit Mehrheit (§ 17 Abs. 2 AktG) an der E. GmbH beteiligt, sondern im Rahmen eines Gemeinschaftsunternehmens mit der S. AG nur zur Hälfte. Für den Sonderfall des Gemeinschaftsunternehmens ist jedoch die Möglichkeit einer mehrfachen Zugehörigkeit zu den Konzernen der Oberunternehmen anerkannt, sofern tatsächlich alle Oberunternehmen das abhängige Unternehmen gemeinschaftlich leiten und ihm gegenüber koordiniert auftreten (vgl. Emmerich/Habersack, a.a.O., § 18 AktG Rn. 18; Hanau/Ulmer a.a.O. § 5 Rn. 45). Von einer solchen koordinierten gemeinschaftlichen Leitung der Oberunternehmen ist hier auszugehen. Die gemeinsame Leitungsbefugnis kann sich namentlich aus einer paritätischen Beteiligung an dem abhängigen Unternehmen ergeben (vgl. Wichert in: Aktienrecht, § 5 MitbestG Rn. 19). Im Streitfall ist nichts dafür ersichtlich, dass die Antragsgegnerin und die S. AG die Gleichheit ihrer Beteiligungen nicht auch in ein entsprechend koordiniertes Verhalten umsetzen. Aufgrund ihrer gleich hohen Beteiligung werden sie auf ein koordiniertes Verhalten gegenüber der E. GmbH sogar angewiesen sein (vgl. Hanau/Ulmer a.a.O., § 5 Rn. 44). Gegenteiliges hat die Antragsgegnerin nicht aufgezeigt.
III.
Die Entscheidung des OLG Celle vom 22.3.1993 - 9 W 130/92 (BB 1993, 957) gibt dem Senat keine Veranlassung zur Vorlage an den Bundesgerichtshof (§ 28 FGG). Zwar hat sich das OLG Celle bei der Auslegung des § 5 Abs. 3 MitbestG der Auffassung angeschlossen, wonach die gesetzlich fingierte Teilkonzernspitze für die Konzernmutter noch eine Mindestfunktion - Weiterleitung von Weisungen oder Weitergabe von Berichten an die Konzernspitze - besitzen muss. Diese abweichende Meinung führt jedoch nicht zu einer Vorlage an den Bundesgerichtshof, weil die Entscheidung des OLG Celle, wie schon das OLG Stuttgart in seinem Beschluss vom 30.3.1995 (a.a.O.) zutreffend ausgeführt hat, nicht auf ihr beruhte.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 99 Abs. 6 S. 7, 9 AktG.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 99 Abs. 6 S. 5, 6 AktG.
Ende der Entscheidung
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