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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 09.05.2008
Aktenzeichen: I-3 VA 4/08
Rechtsgebiete: EGGVG, ZPO, VwGO


Vorschriften:

EGGVG §§ 12 ff.
EGGVG § 23
EGGVG § 23 Abs. 1
EGGVG § 23 Abs. 1 Satz 1
EGGVG § 24
EGGVG § 26
ZPO § 299 Abs. 2
VwGO § 44 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das Gesuch wird auf Kosten des Antragstellers als unzulässig zurückgewiesen.

Wert des Beschwerdegegenstandes: 1.000 Euro.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Düsseldorf - Familiengericht (250 F 2354/97) - hat mit am 12. September 2007 verkündetem Urteil den Antragsteller von seiner Ehefrau geschieden, die Übertragung von Rentenanwartschaften des Antragstellers auf das Rentenversicherungskonto der Ehefrau ausgesprochen und den Antragsteller zur Zahlung eines Zugewinnausgleichs verpflichtet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Der Antragsteller führt vor dem Sozialgericht Düsseldorf - S 7 AL 138/04 und S 29 AS 117/06 ER -Verfahren gegen die Bundesagentur für Arbeit bzw. die ARGE Düsseldorf.

Am 7. Juni 2004 erhielt der Antragsteller davon Kenntnis, dass der Familienrichter die Akten des Ehescheidungsverfahrens ohne seine Zustimmung am 27. Mai 2004 auf Ersuchen des Sozialgerichts nach dort (S 7 AL 62/04) übersandt hatte.

Hiergegen hat sich der Antragsteller mit seiner am 8. Juni 2004 eingegangenen Eingabe gewendet.

Der Amtsrichter hat diese als sofortige Beschwerde behandelt, ihr nicht abgeholfen, weil die Akteneinsicht als Amtshilfe im anhängigen Verfahren gewährt worden sei und hat die Akten dem OLG Düsseldorf - Familiensenat - " zur Entscheidung über die verfügte Aktenübersendung an das SozG" vorgelegt.

Dieser hat über das Rechtsmittel nicht entschieden, sondern die Akten mit Verfügung vom 2. Juli 2004 an das Amtsgericht zurückgegeben, mit dem Bemerken, es fehle an einer beschwerdefähigen Entscheidung im Sinne einer Prozesshandlung; die Gewährung von Akteneinsicht an unbeteiligte Dritte wie hier an das Sozialgericht Düsseldorf im Wege der Amtshilfe sei als Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 EGGVG zu werten; über die Eingabe des Antragstellers sei daher in einem gesonderten Verfahren nach § 23 EGGVG zu entscheiden.

In dieser Sache wurde Weiteres nicht unternommen.

In der Folgezeit entsprach der Familienrichter weiteren Aktenanforderungen des Sozialgerichts (dort zu S 29 AS 117/06 ER) vom 11. September, 10. Oktober und 13. November 2006.

Am 28. August 2007 bat das Sozialgericht um Mitteilung des Terminsergebnisses (vom 5. September 2007), unter dem 6. September und 16. Oktober 2007 um Übersendung der Sitzungsniederschrift. Am 23. Januar 2008 verfügte der Amtsrichter auf Gesuch des Sozialgerichts die Übersendung einer Abschrift des Scheidungsurteils.

Der Antragsteller, der sich durch die Übersendungen in seinen Rechten verletzt sieht, beantragt,

1. festzustellen, dass die gewährte Akteneinsicht rechtswidrig ist;

2. dem Familienrichter aufzugeben:

a) die an Dritte weitergeleiteten Akten zurückzufordern

b) die Weiterleitung/Offenlegung von Akten und Urteilen an unbeteiligte Dritte unter Anordnung von Sanktionen zu untersagen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist nicht gemäß §§ 23, 24, 26 EGGVG statthaft.

1. a)

Über die Rechtmäßigkeit der Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten - u. A. - auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts getroffen werden, entscheiden auf Antrag die ordentlichen Gerichte, § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG, und zwar nach § 25 Abs. 1 Satz 1 EGGVG der Zivilsenat des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Justizbehörde ihren Sitz hat.

b) Nach § 299 Abs. 2 ZPO kann der Vorstand des Gerichts, das heißt der aufsichtsführende Richter, bzw. der Direktor oder Präsident der Gerichtsbehörde, dritten Personen, also solchen, die nicht Partei des Verfahrens sind, ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht in die Akten gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.

Diese Entscheidung stellt regelmäßig einen Justizverwaltungsakt im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG dar.

2.

a)

So liegen die Dinge hier aber nicht. Adressat der Aktenübersendung war nämlich nicht - was § 299 Abs. 2 ZPO allerdings schon vom eindeutigen Wortlaut her voraussetzt - eine dritte Person, sondern eine Behörde, nämlich das Sozialgericht Düsseldorf. Deshalb sind auch die vom Antragsteller beanstandeten Verfügungen der Aktenübersendung zu Recht nicht von der Leitung der Gerichtsbehörde getroffen worden, sondern innerhalb des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Familiengerichtsverfahrens vom Amtsrichter in richterlicher Unabhängigkeit (vgl. Zöller-Greger ZPO § 299 Rdz. 8), und dies nicht etwa von Amts wegen, was u. U. nach § 12 ff. EGGVG zu einer Überprüfung nach § 23 Abs. 1 EGGVG hätte führen können, sondern auf Gesuch eines anderen Gerichts.

b)

Auf die Ersuchen anderer Behörden ist aber § 299 Abs. 2 ZPO ohnehin nicht anwendbar. Diese können nämlich mit Blick auf Art. 35 GG, wonach alle Behörden des Bundes und der Länder sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe leisten, grundsätzlich ohne die Beschränkungen des § 299 Abs. 2 ZPO Akten zur Einsicht anfordern, soweit die Voraussetzungen eines Amtshilfepflicht vorliegen. (Reichold in Thomas-Putzo, ZPO 8. Auflage 2007 § 299 Rdz. 5; Holch ZZP 87, 14, 17).

Das Gesetz regelt allerdings nicht, ob, unter welchen Voraussetzungen und wem in einem schwebenden Verfahren der Richter Auskünfte aus den Gerichtakten zu erteilen oder Einsicht in dieselben zu gewähren hat. Die Entscheidung darüber, ist richterliche Tätigkeit, die der Unabhängigkeitsgarantie untersteht, also nur an Gesetz und Recht gebunden ist (BGHZ 51, 193; Zöller-Greger a.a.O. § 299 Rdz. 8). Die Entscheidung, innerhalb eines laufenden Verfahrens die Akten auf Ersuchen eines anderen Gerichts an dieses zu übersenden, stellt - ebensowenig wie die Aktenübersendung selbst - ein Verwaltungshandeln des amtierenden Richters, sondern die Erledigung einer Richteraufgabe im Rahmen der ihm obliegenden Aktenführung dar.

Es liegt anderseits keine Prozesshandlung vor, die mit den nach Prozessordnung vorgesehenen Rechtsmitteln, z. B. der Beschwerde anzugreifen wäre (Zöller-Gummer a.a.O. § 23 EGGVG Rdz. 12).

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Maßnahme deshalb aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen der unmittelbaren gerichtlichen Überprüfung auf anderem Wege unterliegen muss. So bestimmt beispielsweise § 44 a VwGO, dass Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen (eine solche ist die Amtshilfe im Verhältnis zum Bürger, vgl. Gubelt in von Münch/Kunig, GG-Kommentar, 5. Auflage 2001 Art. 35 Anm. 19) nur gleichzeitig und den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können.

c)

Dass Amtshilfersuchen unter Gerichten, namentlich auf Aktenübersendung, nicht als anfechtbare Justizverwaltungsakte angesehen werden können, ergibt zudem folgende Kontrollüberlegung:

Würde das Ersuchen eines Gerichts an ein anderes um Akteneinsicht analog § 299 Abs. 2 ZPO behandelt, so müsste nämlich das ersuchte Gericht (hier das Amtsgericht) bevor es dem Amtshilfeersuchen nachkommt, prüfen, ob das ersuchende Gericht (hier das Sozialgericht) ein rechtliches Interesse an der Übersendung der Akten hinreichend glaubhaft gemacht hat, das heißt der für die Maßnahme verantwortliche Amtsrichter müsste mit Blick auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; vgl. zuletzt BVerfG 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07 vom 11.03.2008 bei juris) der Verfahrensbeteiligten prüfen, ob das Sozialgericht die Akten oder nur einzelne Teile derselben zu seiner Entscheidungsfindung benötigt oder benötigen kann. Hierzu müsste der Familienrichter entweder das Sozialgericht auffordern, zwecks Schaffung einer Beurteilungsgrundlage für seine Entscheidung über die Aktenübersendung, darzustellen, welche Bedeutung die Famliengerichtsakten für das konkrete Sozialgerichtsverfahren haben, welche Tatsache also durch den Inhalt der Famliengerichtsakten (zum Nachteil des Antragstellers?) belegt oder widerlegt werden soll, oder der Familienrichter müsste womöglich seinerseits die Akten des Sozialgerichts zum Zwecke einer entsprechenden Überprüfung anfordern und einsehen. Dass dies nicht sein kann, liegt auf der Hand und gilt umso mehr als die Akteneinsicht durch den Amtsrichter oder die Darstellung von durch das Sozialgericht zum Zwecke der Begründung der Aktenanforderung preisgegebenen Verfahrendetails wiederum geeignet sein könnten, das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Antragstellers, diesmal als Beteiligter am Sozialgerichtsverfahren, zu tangieren.

Dies sieht das OLG Köln (NJW-RR 1994, 1075) offenbar nicht als problematisch an, da es die ersuchte Behörde - dort allerdings den Gerichtsvorstand - auch bei gerichtlicheh Aktenanforderungen für verpflichtet hält, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen.

d)

§ 23 EGGVG eröffnet auch nicht allein deshalb einen zusätzlichen Rechtsweg, weil die Übersendung der Prozessakten auf Anfordern eines anderen Gerichts innerhalb eines laufenden Verfahrens im Wege der Amtshilfe durch den amtierenden Richter - mangels Qualifizierung als Justizverwaltungsakt - eine unanfechtbare gerichtliche Entscheidung darstellt. Solches erfordert auch die Rechtsweggarantie nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht (BVerfG 49, 340; Zöller-Gummer ZPO § 23 EGGVG Rdz. 3).

3.

Diese Betrachtungsweise hat nicht notwendigerweise zur Folge, dass der Antragsteller schutzlos gestellt wird. Sollte nämlich in dem Sozialgerichtsverfahren eine ihm nachteilige Entscheidung ergehen, die auf der Einführung und Bewertung von im Wege der Amtshilfe durch den Familienrichter gewonnenen Tatsachen beruht, so könnte mit Blick auf die vom Bundesverfassungsgericht (NJW 1970, 555) für die Übersendung von Ehescheidungsakten unter Verwaltungsträgern (Übersendungsgenehmigung des Landgerichtspräsidenten an den Regierungspräsidenten als Untersuchungsführer in einem vom gegen den dortigen Beschwerdeführer geführten Disziplinarverfahren) entwickelten Gesichtspunkte ein etwa hieraus resultierendes Verwertungsverbot mit einem Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Sozialgerichts geltend gemacht werden.

Dies ändert allerdings nichts daran, dass das Gesuch des Antragstellers im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG als unstatthaft zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 30 Abs. 1 EGGVG.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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