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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.01.2009
Aktenzeichen: I-3 Va 8/08
Rechtsgebiete: InsO, EGGVG, AGVwGO


Vorschriften:

InsO § 56 Abs. 1 Satz 2
EGGVG §§ 23 ff.
EGGVG § 24
EGGVG § 29 Abs. 2
AGVwGO § 5
1. Ein Bescheid der Insolvenzrichter des Amtsgerichts, der den Antrag eines Rechtsanwalts (zugleich vereidigter Buchprüfer Fachanwalt für Steuerrecht und seit 1999 hauptberuflich als Insolvenzverwalter tätig) auf Aufnahme in die Vorauswahlliste der Insolvenzverwalter/Treuhänder allein deshalb ablehnt, weil der Antragsteller im Zuständigkeitsbereich des Insolvenzgerichtes (Landgerichtsbezirk W) kein Büro unterhalte, ist rechtswidrig.

2. Die zur organisatorischen Sicherstellung der Insolvenzabwicklung erforderliche und daher als Auswahlkriterium grundsätzlich nicht zu beanstandende "örtliche Erreichbarkeit" bzw. "Ortsnähe" lässt sich jedenfalls nicht schon bei einer Fahrzeit von 20 bis 30 Minuten verneinen.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

I-3 VA 8/08

In dem Verfahren

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf den Antrag des Antragstellers vom 24. Oktober 2008 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht G., des Richters am Oberlandesgericht D. und der Richterin am Oberlandesgericht Dr. P.

am 27. Januar 2009

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Bescheid der Antragsgegner vom 20. Okt. 2008 - 376 E - 54 - wird aufgehoben.

Die Antragsgegner werden verpflichtet, den Antrag des Antragstellers auf Aufnahme in die Vorauswahlliste der Insolvenzverwalter / Treuhänder beim Amtsgericht Wuppertal unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Gründe:

I. Der Antragsteller, Rechtsanwalt, vereidigter Buchprüfer und Fachwanwalt für Steuerrecht und seit 1999 hauptberuflich als Insolvenzverwalter tätig, hatte sich um Aufnahme in die Vorauswahlliste der Insolvenzverwalter / Treuhänder beworben. Diesen Antrag hatte der Direktor des Amtsgerichtes mit Schreiben vom 20. Juli 2007 zurückgewiesen, weil der Antragsteller kein Büro im Bezirk des Landgerichtes Wuppertal unterhalte.

Mit Schreiben vom 11. Aug. 2008 bewarb der Antragsteller sich - unter Berufung auf den Beschluss des OLG Hamm vom 29. Mai 2008 - 27 VA 7/07 - (erneut) bei dem Direktor des Amtsgerichtes Wuppertal um Aufnahme in die Vorauswahlliste und machte geltend, das Amtsgericht Wuppertal sei von seinem Kanzleisitz in Bochum in einer Fahrzeit von ca. 20 bis 30 Minuten zu erreichen.

Mit weiterem Schreiben vom 29. Sept. 2008 bat er, seine erneute Bewerbung auch als an die einzelnen (zuständigen) Insolvenzrichter / - innen gerichtet zu betrachten.

Die Antragsgegner lehnten mit Kurzbrief vom 20. Okt. 2008 die beantragte Aufnahme in die Vorauswahlliste des Amtsgerichts Wuppertal ab, weil der Antragsteller im Zuständigkeitsbereich des Insolvenzgerichtes (Bezirk des Landgerichts Wuppertal) kein Büro unterhalte.

Gegen diesen - ihm am 23. Okt. 2008 zugestellten - Bescheid wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 24. Okt. 2008, bei Gericht eingegangen am 27. Okt. 2008.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und hat in der Sache insoweit Erfolg, als die Antragsgegner den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates erneut zu bescheiden haben.

Das Begehren des Antragstellers ist als gegen die Beteiligten zu 2. bis 5. gerichteter Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23, 24, 26 und 28 EGGVG zulässig.

Für die Prüfung von Entscheidungen im Vorauswahlverfahren potentieller Insolvenzverwalter ist nach ständiger Rechtsprechung des Senates der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (vgl. zuletzt NZI 2008, 614 m.N. und BGH NZI 2008, 161).

Der Antragsteller ist durch die Ablehnung der Aufnahme in die Vorauswahlliste in seinen Rechten betroffen (§ 24 EGGVG), weil jeder Bewerber um das Insolvenzverwalteramt eine faire Chance erhalten muss, unter Beachtung seiner Grundrechte entsprechend seiner in § 56 Abs. 1 InsO vorausgesetzten Eignung berücksichtigt zu werden und insofern über ein subjektives Recht verfügt, für das Rechtsschutz zu gewähren ist (BVerfG NJW 2006, 2613).

Der Antrag ist binnen Monatsfrist gestellt worden, § 26 Abs. 1 EGGVG.

Die Beteiligten zu 2. bis 5. sind verfahrensrechtlich und materiell-rechtlich die richtigen Antragsgegner.

Der Senat hat mit Beschluss vom 15. Aug. 2008 (I-3 VA 4/07, NZI 2008, 614) seine bisherige Rechtsprechung (vgl. dazu NJW-RR 2007, 630) aufgegeben, wonach der Behördenleiter als Antragsgener verpflichtet sei, ggf. mit Hilfe der Insovlenzrichter, sachgerechte Kriterien für ein Vorauswahlverfahren zu bestimmen, danach eine Vorauswahlliste für mögliche Insolvenzverwalter anzulegen und aufgrund der entwickelten Kriterien einen bestimmten Antragsteller zu bescheiden. Als materiell richtigen Antragsgegner und demnach entscheidungszuständig für einen Antrag auf Aufnahme in die Vorauswahlliste als Insolvenzverwalter hat der Senat nunmehr - im Anschluss an die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Hamm (NJW-RR 2008, 722; ZIP 2008, 1189) und Köln (NZI 2007, 105) - den oder die Insolvenzrichter, der einzeln oder die gemeinsam die Entscheidung über die Aufnahme getroffen hat/haben, angesehen. Diese Änderung seiner Rechtsprechung hat der Senat auf die Erwägung gestützt, die betreffende Entscheidung sei zwar kein Akt der Rechtsprechung, erfolge aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes in richterlicher Unabhängigkeit; dann jedoch unterliege sie nicht dem Einfluss eines Behördenleiters und sei deshalb von diesem auch nicht zu verantworten, geschweige denn zu treffen.

Diese Überlegungen zum materiellen Recht führen zugleich dazu, den oder die Insolvenzrichter, verstanden als Richter der mit den Funtkionen des Insolvenzgerichtes betrauten Abteilung oder Abteilungen des Amtsgerichts (also als Funktionsbezeichnungen), als verfahrensrechtlich richtige(n) Antragsgegner anzusehen.

Zwar sind nach § 29 Abs. 2 EGGVG für das Verfahren vor dem Senat die Vorschriften des Gesetzes über die Freiwillige Gerichtsbarkeit betreffend das Beschwerdeverfahren anszuwenden und sind in diesen Verfahren (im hier in Rede stehenden Zusammenhang) Behörden aufgrund der Regelung des § 5 AGVwGO beteiligtenfähig (BGH a.a.O.).

Indes sind für das Verfahren über den Antrag auf Aufnahme in die Vorauswahlliste ausnahmsweise der oder die Insolvenzrichter als Behörde im funktionalen Sinne anzusehen. Anders lässt sich dem der Entscheidung über jenen Antrag nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zukommenden Charakter als in richterlicher Unabhängigkeit zu treffenden Nicht-Rechtsprechungsakt verfahrensrechtlich nicht effektiv und praktikabel Rechnung tragen. Denn nur der oder die Insolvenzrichter können die von ihm oder ihnen getroffenen Entscheidungen zu Lasten eines Antragstellers wieder ändern und diesen damit gegebenenfalls klaglos stellen, wohingegen der Behördenleiter des Gerichts insoweit keine Möglichkeit der Einwirkung hat. Hinter diese faktische Notwendigkeiten haben etwa noch bestehende Bedenken an der Eigenschaft des Richters oder der Richter als Behörde im funktionalen Sinne und damit an deren Beteiligtenfähigkeit zurückzutreten.

In der Sache ist nach der o.g. Entscheidung des Bundesgerichtshofes (NZI 2008, 161) zu unterscheiden zwischen dem gerichtlich voll überprüfbaren Beurteilungsspielraum, der dem Entscheidungsträger zuzubilligen ist, wenn er einen Bewerber um Aufnahme in die Vorauswahlliste an den allgemeinen Kriterien für die fachliche und persönliche Eignung misst, und dem nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessensspielraum des einzelnen Insolvenzrichters, der aus den gelisteten Berwerbern einen Insolvenzverwalter für ein einzelnes Verfahren bestimmt. Für das Vorauswahlverfahren steht die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der persönlichen und fachlichen Eignung im Vordergrund. Eine Liste ist demnach so zu führen und die Aufnahmekriterien sind so festzulegen, dass jeder Bewerber aufgenommen wird, der die grundsätzlich zu stellenden Anforderungen an eine generelle, von der Typizität des einzelnen Insolvenzverfahrens gelöste Eignung für das Amt des Insolvenzverwalters erfüllt. Aus § 56 Abs. 1 Satz 2 InsO n.F., wonach die Bereitschaft zur Übernahme von Insolvenzverwaltungen auf bestimmte Verfahren beschränkt werden kann, folgt nichts Abweichendes; denn diese Vorschrift sanktioniert kein zu tolerierendes Eignungsdefizit, sondern ermöglicht es lediglich dem Bewerber, seinem eigenen Erfahrungsstand und Interessenschwerpunkt entsprechend eine Eingrenzung auf bestimmte Verfahren vorzunehmen.

Nach diesen Maßstäben verneint der angefochtene Bescheid der Antragsgegner die generelle Eignung des Antragstellers für das Amt des Insolvenzverwalters mit einer nicht tragfähigen Begründung, indem er darauf abstellt, dass der Antragsteller im Zuständigkeitsbereich des Insolvenzgerichtes (Bezirk des Landgerichts Wuppertal) kein Büro unterhalte.

Es ist anerkannt, dass die "örtliche Erreichbarkeit" bzw. die "Ortsnähe" als Auswahlkriterium grundsätzlich nicht zu beanstanden ist (vgl. die Nachweise bei OLG Hamm NZI 2008, 493 und Laws NZI 2008, 279), weil sie erforderlich ist, um die Insolvenzabwicklung organisatorisch sicherzustellen. Dabei kann hier dahin stehen, wie dieses Kriterium im Einzelfall konkret zu bestimmen ist (Entfernung bis zu 100 km? Fahrzeit von bis zu einer Stunde?). Denn im vorliegenden Fall einer Fahrzeit von nur 20 bis 30 Minuten lässt sich die Ortsnähe nicht verneinen.

Dass dieses Kriterium der "Ortsnähe" bzw. der "örtlichen Erreichbarkeit" sich nicht dadurch konkretisieren lässt, dass man auf den Zuständigkeitsbereich des eigenen Insolvenzgerichtes abstellt, hat das Oberlandesgericht Hamm (NZI 2008, 493) mit überzeugenden Erwägungen dargelegt. Dem schließt der erkennende Senat sich ausdrücklich an. In der Tat dürfte maßgebend sein, ob der Bewerber um das Amt des Insolvenzverwalters im Bedarfsfalle in angemessener Zeit den Schuldner erreichen kann.

Es mag dahinstehen, ob es - wie die Antragsgegner meinen - insbesondere im Interesse der Schuldner geboten ist, dass ein Ansprechpartner in seiner Nähe zur Verfügung steht. Denn dieser Umstand hat mit den grundsätzlich zu stellenden Anforderungen an eine generelle, von der Typizität des einzelnen Insolvenzverfahrens gelöste Eignung für das Amt des Insolvenzverwalters nichts zu tun. Vielmehr kann im Einzelfall bei der konkreten Bestellung des Verwalters bei pflichtgemäßer Ermessensausübung demjenigen mit der größeren Ortsnähe der Vorzug gegeben werden (so auch Hamm, a.a.O.). Dies gilt auch, wenn - wie die Antragsteller geltend machen - die überwiegende Mehrzahl der beim Amtsgericht Wuppertal eingehenden Insolvenzanträge auf die Eröffnung von Verbraucherinsolvenzverfahren gerichtet ist.

Entsprechendes gilt für die von den Antragsgegnern angeführte ggf. erforderliche besondere Ortskenntnis. Zum einen ergibt sich eine solche Kenntnis weder zwangsläufig daraus, dass im Zuständigkeitsbereich ein Büro unterhalten wird, noch kann man deren Fehlen unterstellen, wenn das Büro (ein wenig) außerhalb dieses Bereichs liegt. Letztlich kann jedenfalls bei der konkreten Bestellung eines Insolvenzverwalters aus dem Kreis der gelisteten Bewerber auf besondere Ortskenntnis abgestellt werden.

Mit Recht führt das Oberlandesgericht Hamm (a.a.O.) aus, dass auch unzumutbare Erschwerungen der Arbeitsabläufe nicht zu befürchten sind, nur weil der Insolvenzverwalter seinen Kanzleisitz außerhalb des Bezirks hat. Dies gilt insbesondere für die von den Antragsgegnern angeführte Vorführung gem. § 98 Abs. 2 InsO, die vor den (Insolvenz)Richter und nicht vor den Insolvenzverwalter zu erfolgen hat (vgl. Jaeger/Schilken, InsO, 1. Aufl., § 98 Anm. 25; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 98, Anm. 11).

Die Ablehnung des Antrags alleine mit dieser Begründung ist daher rechtswidrig und aufzuheben, § 23 Abs. 1 EGGVG.

Dennoch ist dem vom Antragsteller gestellten Verpflichtungsantrag gem. § 23 Abs. 2 EGGVG nicht zu entsprechen, weil seine Eignung im Übrigen von den Antragsgegnern bislang offenbar nicht geprüft worden ist, sie jedoch insoweit grundsätzlich einen eigenen (überprüfbaren) Beurteilungsspielraum haben.

Eine Kostenerstattung kommt nicht in Betracht, weil die vom Antragsteller beanstandete Maßnahme nicht offensichtlich oder grob fehlerhaft ist, § 30 Abs. 2 EGGVG (vgl. Zöller/Lückemann, 27. Aufl., § 30 EGGVG Rdnr. 1 m.N.)

Wert: 3.000 € (§§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 2 KostO)

Ende der Entscheidung

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