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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 22.07.2009
Aktenzeichen: I-3 Va 9/03
Rechtsgebiete: EGGVG, HZÜ


Vorschriften:

EGGVG §§ 23 ff
HZÜ Art. 1
HZÜ Art. 13
1. Ob eine im November 2002 beim Bundesbezirksgericht für den östlichen Bereich von New York (Distrikt Court for the Eastern District of New York) eingereichte Schadensersatzklage (hier: Sammelklage, mit der mehrere schwarze Südafrikaner von mehreren namentlich aufgeführten Unternehmen aus den USA und Europa sowie weiteren unbekannten Gesellschaften Schadensersatz wegen der Unterstützung des früheren südafrikanischen Apartheid-Regimes verlangen) einem Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland zuzustellen ist, richtet sich nach dem Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen (HZÜ).

2. Der rechtlichen Einordnung als Zivilklage im Sinne des Art. 1 HZÜ steht grundsätzlich nicht entgegen, dass

- die Klage auf Schadensersatz mit Strafcharakter gerichtet ist;

- es sich um eine sogenannte class action handelt (hier: Auftreten eines Klägers für mehr als 30.000 Mitglieder seiner Organisation);

- die Kläger sich auf den Alien Torts Claim Act (ATCA) stützen, der Teil des Judiciary Act von 1798 ist.

3. Die ersuchte Zustellung darf nur abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat die Erledigung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden oder die konkret zuzustellende Klage offenkundig rechtsmissbräuchlichen Charakter hat was nicht schon der Fall ist, bei - einer US-amerikanischen Strafschadensersatzklage ("punitive damages");

- der Möglichkeit der zivilprozessualen Sachverhaltsermittlung im Wege der pre-trail discovery

- Unschlüssigkeit der Klage nach deutschen Maßstäben.


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

I-3 VA 9/03

In dem Antragsverfahren nach § 23 EGGVG

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht G., des Richters am Oberlandesgericht D. und der Richterin am Oberlandesgericht Dr. P. am 22. Juli 2009

beschlossen:

Tenor:

Das Gesuch wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Der Geschäftswert beträgt 500.000 € (vgl. OLG Frankfurt 20 VA 5/04, Beschluss vom 30.03.2006).

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag nach § 23 EGGVG gegen die von der Antragsgegnerin nach dem Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vermittelte Zustellung einer im November 2002 beim Bundesbezirksgericht für den östlichen Bereich von New York (District Court for the Eastern District of New York) in Form einer Sammelklage eingereichten Schadensersatzklage, mit der mehrere schwarze Südafrikaner von 23 namentlich aufgeführten Unternehmen aus den USA und Europa sowie weiteren unbekannten Gesellschaften Schadensersatz wegen der Unterstützung des früheren südafrikanischen Apartheid-Regimes verlangen. Zur Klägergrupe gehört auch der Kläger zu 1. "K.", eine südafrikanische Organisation mit ca. 32.700 Mitgliedern, der ausweislich der Klageschrift auch für seine Mitglieder auftritt. Dabei stützen sich die Kläger zur Begründung des angerufenen Gerichtsstandes auf den Alien Torts Claim Act (ATCA), der Teil des Judiciary Act von 1798 ist. Danach haben die Bundesgerichte eine originäre Zuständigkeit für Zivilklagen eines Ausländers nur für Delikte, die unter Verletzung des Völkerrechts oder eines Abkommens der Vereinigten Staaten begangen wurden (28 U.S.C. § 1350).

Zwischenzeitlich wurde die u.a. gegen die Antragstellerin gerichtete Klage von einem Richtergremium für Mehrbezirksverfahren (Judical Panel on Multidistrict Litigation) dem zuständigen Richter S. beim Bundesbezirksgericht für den südlichen Bereich von New York (District Court for the Southern District of New York) übertragen, bei dem bereits die Sammelklagen "N." und "D." anhängig waren, die auf ähnlichen Anschuldigungen beruhen. Durch Urteil vom 29.11.2004 wies er den Klageantrag zunächst wegen fehlender Zuständigkeit zurück. Gegen dieses Urteil legten die Kläger Rechtsmittel ein. Der Court of Appeals for the Second Circuit hob durch Urteil vom 12.10.2007 das erstinstanzliche Urteil auf, soweit es einen Anspruch nach ATCA abgewiesen hatte, und verwies den Prozess insoweit zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz zurück. Er bestätigte das erstinstanzliche Urteil indes, soweit es Ansprüche auf der - von einigen Klägern herangezogenen - Grundlage des Torture Victure Protection Act (TVPA) und des Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act (RICO) abgewiesen hatte. Diese Entscheidung wurde auf ein Rechtsmittel der Beklagten durch den Supreme Court of the United States ohne mündliche Verhandlung summarisch bestätigt.

Auf Grund einer erneuten mündlichen Verhandlung vom 26.02.2009 über die Zulässigkeit der Klagen hat die inzwischen bei dem US District Court für den südlichen Bereich von New York zuständige Richterin S. durch Urteil vom 08.04.2009 die Sammelklagegesuche der K. -Gruppe gegen u.a. die Antragstellerin sowie diejenigen der N. -Kläger in einem eingeschränktem Umfang zugelassen. In Bezug auf die hiesige Antragstellerin ist die unter Vorbehalt zugelassene Klage nunmehr beschränkt auf den von den Klägern behaupteten Vorwurf der Beihilfe zu Tötungen von Personen der südafrikanischen Bevölkerungsmehrheit ohne Gerichtsurteil (Extrajudicial killing) und Apartheid. Das Gericht hat sich ausdrücklich noch eine ausstehende Entscheidung darüber vorbehalten, ob die gegen die Antragstellerin gerichtete Klage wegen fehlender örtlicher Zuständigkeit in New York oder wegen einer nicht ordnungsgemäß bewirkten Zustellung nach dem HZÜ zurückzuweisen ist.

Am 09.07.2003 übersandte die Antragsgegnerin das Zustellungsersuchen an das Amtsgericht mit der Bitte, die Erledigungsstücke unmittelbar zurückzusenden. Die Zustellung erfolgte am 29.07.2003. Am 31.07.2003 stellte die Antragstellerin den Antrag, die Entscheidung vom 09.07.2003 aufzuheben, dem Amtsgericht zu untersagen, die Erledigungsstücke zurückzusenden und festzustellen, dass die Zustellung vom 29.07.2003 unwirksam sei.

Durch Beschluss vom 11.08.2003 hat der Senat dem Amtsgericht Düsseldorf im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, es bis zur Entscheidung des Senats in der Hauptsache zu unterlassen, die Erledigungsstücke über die vorgenommene Zustellung an die Prozessbevollmächtigten der Kläger zu senden und/oder zurückzusenden.

Mit Einverständnis der Parteien wurde die Entscheidung der Hauptsache zunächst zurückgestellt bis zur abschließenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die Verfassungsbeschwerde der B. AG (2 BVR 1198/03). Nachdem die B. AG ihre Verfassungsbeschwerde zurückgenommen hatte, hat der Senat auf Antrag der Antragstellerin und mit Einverständnis der Antragsgegnerin die Entscheidung in dieser Sache sodann bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Sache IV AR (VZ) 3/05 zurückgestellt. Das vorgenannte Verfahren wurde in der Folgezeit von den dortigen Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Antragstellerin macht geltend, das HZÜ finde keine Anwendung, da es sich bei der gegen sie angestrengten Klage nicht um eine Zivil- oder Handelsklage im Sinne des Art. 1 HZÜ handele. Vielmehr sei die Klage - wie sich auch aus dem Urteil des District Court vom 08.04.2009 ergebe - als völkerrechtliche und damit als öffentlich-rechtliche Sache zu qualifizieren.

Jedenfalls sei das Zustellungsersuchen nach Art. 13 Abs. 1 HZÜ zurückzuweisen. Das von den Klägern bereits in der Klageschrift beantragte pre-trial discovery of documents Verfahren stelle einen Eingriff in die Justizhoheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Eine weitere Gefährdung der Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland sei dadurch gegeben, dass die Klage geschäftliche Beziehungen der Antragstellerin mit Beteiligung aus einem Drittstaat zum Gegenstand habe und die Zulässigkeit der Aufnahme von Geschäftsbeziehungen von Deutschen zu Dritten im Ausland unter den Entscheidungsvorbehalt der Bundesrepublik Deutschland falle. Ferner stehe der Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesbezirksgericht in New York nicht im Einklang mit geltendem Völkergewohnheits- und Völkervertragsrecht, da eine völkerrechtliche Verantwortung juristischer Personen nicht anerkannt sei. Zudem widerspreche die nach dem ATCA begründete Zuständigkeit der US-amerikanischen Bundegerichte geltendem Völkerrecht, da die Regelung keine völkerrechtlich anerkannten, hinreichend sachgerechten Anknüpfungstatsachen im Herrschaftsbereich des regelnden Staates aufweise. Schließlich basiere die Inanspruchnahme der Antragstellerin auf einer retroaktiven Rechtssetzung, da das Bundesbezirksgericht nach der Entscheidung des Court of Appeals auf Rechtsquellen abstellen müsse, die im Zeitpunkt der der Antragstellerin vorgeworfenen Handlungen nicht in Kraft getreten waren.

Die Antragstellerin rügt ferner, durch eine weitere Vollziehung der Zustellung werde sie in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 GG bzw. dem Recht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG verletzt.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 09.07.2003 aufzuheben, hilfsweise, für rechtswidrig und unwirksam zu erklären;

2. dem Amtsgericht Düsseldorf aufzugeben, es zu unterlassen, in der vorgenannten Rechtssache Erledigungsstücke über eine Zustellung zurückzusenden,

3. festzustellen, dass die Zustellung vom 29.07.2003 unwirksam ist.

4. vorsorglich, den vorliegenden Fall nach Art. 100 Abs. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, sofern es nach Auffassung des Senates auf die Tragweite allgenmeiner Regelungen des Völkerrechts für die Zurückweisung des Zustellungsersuchens ankommen sollte.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Der gemäß §§ 23 ff. EGGVG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet.

Die Zustellung - der im Antrag näher bezeichneten Schriftstücke - ist von der Antragsgegnerin als der zuständigen zentralen Behörde nach Art. 2 HZÜ zu Recht genehmigt worden.

1.

Die begehrte Auslandszustellung richtet sich nach dem Haager Übereinkommen vom 15.11.1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen. Bei der hier vorliegenden Klage handelt es sich um eine Zivil- oder Handelsklage im Sinne des Art. 1 HZÜ.

Mit der Klageschrift begehren 92 namentlich benannte Kläger im Wege der Sammelklage Entschädigung bzw. Schadensersatz wegen angeblich rechtswidriger Profiterzielung unter Ausnutzung der Apartheid in der Republik Südafrika während des Apartheid-Regimes. Schadensersatzbegehren, die von einer Person des Privatrechts gegen eine andere privatrechtlich organisierte Person geltend gemacht werden, sind grundsätzlich als Zivil- oder Handelsklage im Sinne des Art. 1 HZÜ einzuordnen.

a)

Hierbei ist unerheblich, dass mit der Klage auch Ansprüche auf ausgleichenden Schadensersatz sowie Schadensersatz mit Strafcharakter in unbestimmter Höhe geltend gemacht werden.

Unter den Anwendungsbereich des HZÜ fallen nach der Rechtsprechung des Senats und weit überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24.01.2007, 2 BvR 1133/04; OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.03.2006, 20 VA 7/05; OLG München, Beschluss vom 07.06.2006, 9 VA 3/04; OLG Celle, Beschluss vom 20.07.2006, 16 VA 4 /05; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 09.02.2006, 4 VA 1/04; Senat, Beschlüsse vom 22.09.2008, I - 3 VA 6/08 und vom 21.04.2006, I - 3 VA 12/05; Böhmer, NJW 1990, 3049; Greger NJW 1989, 3103) grundsätzlich auch auf Schadensersatz mit Strafcharakter gerichtete Klagen.

Dabei kann dahinstehen, ob diese Frage allein nach ausländischem Recht, allein nach deutschem Recht oder im Wege der Doppelqualifikation nach beiden Rechtsordnungen übereinstimmend zu beantworten ist. Sowohl aus US-amerikanischer als auch aus deutscher Sicht ist eine Zivilsache anzunehmen (OLG Frankfurt, 20 VA 7/05; Senat 3 VA 12/05).

In einem solchen Verfahren wird, auch wenn Elemente mit Strafcharakter vorhanden sind, dem Grunde nach gleichwohl über das Bestehen oder Nichtbestehen privater Rechte und Rechtsverhältnisse gleich geordneter Parteien entschieden. Das Verfahren wird von Privaten betrieben und jedenfalls dann, wenn der Strafschadensersatz an den Geschädigten zu entrichten ist, liegt auch nach deutschem Recht eine Zivilsache vor (OLG Frankfurt, 20 VA 7/05).

Nichts anderes gilt nach überwiegender Auffassung, der der Senat sich ausdrücklich anschließt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.06.2007, 2 BvR 2247-2249/06; OLG Celle, 16 VA 4/05; OLG München, Beschluss vom 07.06.2006, 9 VA 3/04; OLG Frankfurt, 20 VA 7/05; a.A. OLG Koblenz, Beschluss vom 27.06.2005, 12 VA 2/04) für eine Klage auf Verdreifachung des festgesetzten Schadensersatzes. Denn auch in einem solchen Verfahren ist weder eine Behörde beteiligt, noch soll der eingeklagte Betrag an den Staat gezahlt werden.

b)

Auch der Umstand, dass es sich vorliegend um eine so genannte class action handelt und der Kläger K. auch für die 32.700 Mitglieder seiner Organisation auftritt, ändert nichts an der rechtlichen Einordnung der Klage als Zivil- oder Handelsklage im Sinne des HZÜ (OLG Frankfurt, 20 VA 7/05; OLG Sachsen-Anhalt, 4 VA 1/04; inzident BVerfG, 2 BvR 2247 - 2249/06). Dass bei einer - im anglo-amerikanischen Recht zulässigen - Sammelklage, einzeln aufgeführte Kläger eine nicht näher bekannte, unter Umständen große Anzahl nicht aufgeführter anderer Geschädigter repräsentieren, berührt den Charakter der Klage als Zivil- oder Handelsklage ebenso wenig wie die Möglichkeit eines - dem Hauptsacheprozess vorgeschalteten - so genannten pre-trial discovery Verfahrens (vgl. Senat, Beschluss vom 22.09.2008, I - 3 VA 6/08; OLG Frankfurt, 20 VA 7/05 m.w.N.). Der Senat teilt insoweit die Bedenken des OLG Koblenz in seiner Entscheidung vom 27.06.2005 (12 VA 2/04) nicht.

c)

Der Einordnung der Klage als Zivilklage im Sinne des Art. 1 HZÜ steht nicht entgegen, dass die Kläger sich auf den ATCA stützen. Bei dem ATCA handelt es sich primär um eine Zuständigkeitsregelung. Danach haben die Bundesgerichte eine originäre Zuständigkeit für Zivilklagen("any civil action") eines Ausländers - nur - für Delikte, die unter Verletzung des Völkerrechts oder eines Abkommens der Vereinigten Staaten begangen wurden. Der ATCA selbst enthält keine eigene Anspruchsgrundlage und auch das Völkerrecht bietet keine direkte Anspruchsgrundlage für Schadensersatz (Reinhard, Alien Tort Claims Act als Grundlage für eine Sammelklage, RIW 2008, 676, 680; Winkler, NZG 2005, 241, 243). Der Einordnung als Zivilklage steht nicht entgegen, dass die Gerichte bei der Frage, welcher rechtlicher Maßstab an eine Beihilfe zum Völkerrechtsverstoß anzulegen ist, u.a. auch Ansätze im Völker-(gewohnheits)recht suchen.

2.

Nach dem damit anwendbaren Art. 13 HZÜ darf die Zustellung nur abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat die Erledigung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden (grundlegend BVerfG 2 BvR 2247-2249/06). Fremde Rechtsordnungen sind nach Art. 13 Abs. 2 HZÜ grundsätzlich zu respektieren. Die Zustellung darf demnach - jedenfalls grundsätzlich - nicht schon wegen der Unvereinbarkeit des Klagebegehrens mit dem innerstaatlichen ordre public verweigert werden. Die Beschränkung der Überprüfungsbefugnis - auf eine potentielle Gefährdung der Hoheitsrechte und Sicherheit des Staates - rechtfertigt sich aus dem Ziel des Übereinkommens. Würden die Grundsätze der innerstaatlichen Rechtsordnung bereits zum Maßstab für die Zustellung gemacht, so würde der internationale Rechtshilfeverkehr erheblich beeinträchtigt (OLG Frankfurt, 20 VA 7/05; Senat, I - 3 VA 6/08 und I - 3 VA 12/05). Eine Prüfung der Klagen auf ihre Vereinbarkeit mit dem innerstaatlichen ordre public könnte nicht nur eine erhebliche Verzögerung der Zustellung bewirken. Sie käme einer Erstreckung inländischer Rechtsvorstellungen auf das Ausland gleich und würde dem Ziel zuwiderlaufen, dem ausländischen Kläger die Führung eines Prozesses gegen einen inländischen Beklagten im Ausland zu ermöglichen. Eine solche Einschränkung des Rechtshilfeverkehrs ist umso weniger geboten, als im Zeitpunkt der Zustellung der Ausgang des Verfahrens noch völlig offen ist. Darüber hinaus ist die Bewilligung der Zustellung der Klage keineswegs präjudiziell für die hiervon zu unterscheidende Frage der Zulässigkeit der Anerkennung und Vollstreckung eines späteren Urteils.

Nach alledem wird der Vorbehalt des Art. 13 Abs. 1 HZÜ von Rechtsprechung und Literatur zu Recht äußerst restriktiv ausgelegt. Seine Anwendung kommt nur dann in Betracht, wenn bereits die Zustellung einer Klage besonders schwere Beeinträchtigungen der Wertungsgrundlagen der Rechtsordnung des ersuchten Staates mit sich bringen würde (BverfG, Beschluss vom 07.12.1994, 1 BvR 1279/94; OLG Frankfurt 20 VA 7/05; OLG München, 9 VA 3/04; OLG Celle, 16 VA 4/05; Senat, I - VA 6/08 und I - 3 VA 12/05). Die Vorbehaltsklausel des Art. 13 Abs. 1 HZÜ ist trotz der grundsätzlichen Entscheidung zu Gunsten der Zustellung der ausländischen Klage nicht inhaltsleer. Die Grenze kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dort erreicht sein, wo das mit der Klage verfolgte Ziel "offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstieße" (BVerfG, Beschluss vom 25.07.2003, 2 BvR1198/03 "Napster"; 2 BvR 2247-2249/06).

Diese Voraussetzungen sind hier - auch unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen vom 25.07.2003 (2 BvR 1198/02) und vom 14.06.2007 (2247-2249/06) hierzu aufgestellten Grundsätze - nicht erfüllt.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14.06.2007 (2 BvR 2247-2249/06) können die - auch im vorliegenden Fall zum Tragen kommenden - besonderen Rechtsinstitute des amerikanischen Rechts weder für sich genommen noch in Kumulation bereits als solche den Vorwurf begründen, dass auf sie gestützte Klagen offensichtlich mit unverzichtbaren Grundsätzen eines freiheitlichen Rechtsstaates unvereinbar seien.

(a)

Dass eine auf punitive damages gerichtete US-amerikanische Strafschadensersatzklage als solche nicht offensichtlich gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaats verstößt, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 07.12.1994 (1 BvR 1279/94) ausgeführt.

(b)

Die pre-trail discovery kann zwar in größeren Verfahren sehr zeit- und kostenintensiv sein und wird von den Beklagten nicht selten als so belastend empfunden, dass auch bei erheblichen Zweifeln an der Berechtigung der Klageforderung ein Vergleich dem Verfahrensfortgang vorgezogen wird. Auch kann die Unterwerfung unter ein pre-trial discovery in Richtung einer Ausforschung des Gegners ausgestaltet werden. Diese bloße Möglichkeit verstößt aber im Verfahren der Klagezustellung noch nicht gegen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung (so schon BVerfG 2 BvR 1133/04). Vor einer konkreten gegen die Antragstellerin gerichteten Beweisaufnahme bedarf es zudem weiterer Rechtshilfeentscheidungen deutscher Hoheitsträger (Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen (HBÜ) vom 18.03.1970), bei denen die Rechte der Antragstellerin zu beachten sind (vgl. BVerfG 2 BvR 2247-2249/06 und 2 BvR 1133/04).

(c)

Schließlich ist auch die rechtspolitische Entscheidung, für deliktisches Handeln mit einer Vielzahl von Geschädigten Sammelklagen zuzulassen, an denen sich das einzelne Mitglied der class nicht aktiv beteiligen muss, von deutscher Seite - auch unter Berücksichtigung damit verbundener Erschwernisse für die Beklagten solcher Klagen - grundsätzlich zu respektieren, solange auch im class action-Verfahren unabdingbare Verteidigungsrechte gewahrt bleiben (BVerfG 2 BvR 1133/04 und 2 BvR 2247-2249/06).

Die deutsche Rechtsordnung hat sich im Hinblick auf das Haager Zustellungsübereinkommen für das Recht des ersuchenden Staates geöffnet. Das schließt grundsätzlich auch die Zustellung von Klagen mit ein, die in der deutschen Rechtsordnung fremden Verfahrensarten erhoben worden sind. Gerade bei - aus Sicht der deutschen Rechtsordnung - missbrauchsanfälligen Rechtsinstituten muss daher stets geprüft werden, ob die konkret zuzustellende Klage offenkundig rechtsmissbräuchlichen Charakter hat. Nur dann kann ein Verstoß gegen unverzichtbare Grundsätze eines freiheitlichen Rechtsstaates gegeben sein, der deutsche Staatsorgane zur Zurückweisung des Ersuchens verfassungsrechtlich verpflichten und völkerrechtlich berechtigen kann (BVerfG 2 BvR 2247-2249/06).

(d)

Die Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland sind auch nicht dadurch gefährdet, dass die Kläger die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen Unternehmen und ausländischen Dritten beanstanden. Die Kläger machen nicht die Unzulässigkeit sämtlicher Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen und südafrikanischen Unternehmen geltend, sondern erheben Ansprüche hinsichtlich des Handelns bestimmter Unternehmen, wobei sie in Bezug auf die hiesige Antragstellerin u.a. die Verwendung betrügerischer Ausfuhrerklärungen im Zusammenhang mit einem Export einer Munitionsfabrik rügen und auf ein in der Mitte der 80-er Jahre geführtes Strafverfahren gegen R. -Manager verweisen.

(e)

Es ist ferner nicht ersichtlich, dass durch das Verfahren vor dem US District Court ein Völkerrechtsverstoß droht.

Allerdings ist die Auslegung des ATCA auf Grund seines Alters, des knappen Wortlautes und der nur spärlich vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung umstritten (vgl. Reinhard, a.a.O., S. 678). Das gilt auch für die Frage, ob die Klage nur zulässig ist, wenn das beklagte Unternehmen generell Geschäfte in den USA führt, dort eine Tochtergesellschaft kontrolliert oder zumindest durch eine solche in den USA vertreten wird (Rau, IPrax 2000, 558; Schaller, Schutz transnationaler Unternehmen in Konfliktregionen, unter Hinweis auf US Court of Appeals for the Ninth Circuit, John Doe I et al. V. Unocal Corporation et al., Per Curiam Opinion, Case No. 00-55576, 27.04.2001) oder ob - jedenfalls bei gravierenden Menschenrechtsverletzungen - ein Bezug des Sachverhalts oder der Beklagten zu den USA nicht erforderlich ist (Winkler, NZG 2005, 243; Geulen, NJW 2003, 3244). Da die Antragstellerin - ausweislich der Angaben auf ihrer Internetseite - weltweit und insbesondere auch in den USA über Standorte verfügt, kann es auf diese Frage nicht entscheidend ankommen. Im Übrigen gefährdet die Begründung einer eigenen Zuständigkeit der amerikanischen Gerichte nicht deutsche Hoheitsrechte, da hierdurch der freie Zugang zu deutschen Gerichten nicht ausgeschlossen wird. Das ergibt sich schon aus dem "Forum-Non-Conveniens-Prinzip", wonach den Beklagten grundsätzlich der Einwand gestattet ist, dass das Verfahren effektiver vor einem Gericht in einem anderen Land verhandelt werden könne (vgl. Hauswiesner, Der Alien Tort Claims Act, German American Law Journal).

Auch die weiter von der Antragstellerin angesprochene Frage, ob bei Apartheid tatsächlich eine Beihilfehandlung sanktioniert werden kann, wenn die Qualifizierung der Apartheid als Völkerrechtsverstoß keinen allgemeinen völkerrechtlichen Konsens darstellt und eine Pönalisierung der Beihilfe, insbesondere in Bezug auf Gesellschaften des Privatrechts, als Fall der retroaktiven Rechtssetzung anzusehen wäre, ist vom Court of Appeals aufgegriffen worden (vgl. Reinhard, a.a.O., S. 679). Die rechtliche Bewertung des Rechtsstreits unterliegt indes zunächst der richterlichen Unabhängigkeit und ist für sich nicht geeignet, einen Verstoß gegen Völkerrecht zu begründen.

(f)

Auch ein rechtsmissbräuchliches Ziel der Klage ist hier nicht von vornherein offenkundig.

Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen können regelmäßig darin zu sehen sein, dass die erhobene Klageforderung auch in ihrer Höhe offensichtlich keine Grundlage hat, dass der Beklage mit dem angegriffenen Verhalten offensichtlich nichts zu tun hat oder dass erheblicher, auch publizistischer Druck aufgebaut wird, um den Beklagten in einen an sich ungerechtfertigten Vergleich zu zwingen (BVerfG, 2 BvR 2247-2249/06).

Dass die Klageforderung auch in ihrer Höhe offensichtlich keine Grundlage hat, kann schon deshalb nicht festgestellt werden, weil die Klage - auch wenn in den vergleichbaren Klagen horrende Summen verlangt werden - nach wie vor noch unbeziffert ist. Schließlich ist nicht offenkundig, dass die Kläger in sonstiger rechtsmissbräuchlicher Weise- etwa durch Medienkampagnen, Druck auf die Antragstellerin ausüben, um sie zu einem ungerechtfertigten Vergleich zu zwingen.

(g)

Selbst wenn die Klage nach deutschen Maßstäben als unschlüssig zu bewerten wäre, würde dies kein Zustellungshindernis darstellen. Ungeachtet dessen, dass im US-amerikanischen Recht Klageschriften auf ein Mindestmaß reduziert werden können und die Bezifferung von Schadensersatzforderungen ebenso wenig erforderlich ist wie die genaue Beschreibung des Streitgegenstandes (vgl. Senat, Beschluss vom 11.07.2003, 3 VA 6/03), ist auch nach deutschem Recht eine fehlende Schlüssigkeit der Klage kein Zustellungshindernis.

3.

Die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 GG liegen nicht vor. Es ist insbesondere nicht zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt.

4.

Da der Senat die Anträge der Antragstellerin zurückweist, war eine formelle Beteiligung der - materiell beteiligten - Kläger des ausländischen Verfahrens nicht erforderlich (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, 4 VA 1/04; andererseits: OLG Celle, Beschluss vom 17.08.1990, 1 VA s 13/90, wonach im Verfahren gemäß §§ 23 ff. EGGVG eine Beiladung Dritter nicht stattfindet), ungeachtet der Frage nach einer rechtlichen Grundlage für eine solche Beteiligung.

Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 30 Abs. 3 EGGVG, 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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