Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 29.09.2006
Aktenzeichen: I-3 W 156/06
Rechtsgebiete: AVAG, EuGVVO, ZPO


Vorschriften:

AVAG § 8 Abs. 1 Satz 4
AVAG § 11
AVAG § 20
AVAG § 36 Abs. 1
EuGVVO Art. 43
ZPO § 788
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin zu 2 vom 4. Juli 2006 gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 13. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 19. Mai 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Zwangsvollstreckung der Antragstellerin aus dem Urteil des Landgerichts Monza vom 21. Januar 2005 davon abhängig gemacht wird, dass die Antragstellerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 130.000 € leistet.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der angefochtene Beschluss in der Kostenentscheidung dahin geändert, dass die Antragsgegnerin zu 2 die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens in vollem Umfang trägt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin zu 2.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die Vollstreckbarerklärung eines italienischen Urteils.

Die Antragsgegnerin zu 2 (im folgenden nur Antragsgegnerin) war seit 1989 Alleinvertreterin für die Antragstellerin für Deutschland und vermittelte ihr Aufträge. Die Antragstellerin kündigte das Vertragsverhältnis zum 31. Dezember 1994.

Wegen Provisionsansprüchen erwirkte die Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin einen vorläufig vollstreckbaren Mahnbescheid über 103.70.710 Lire ( = 53.561,08 €).

Die Antragstellerin legte gegen diesen Mahnbescheid Einspruch ein und machte widerklagend Schadenersatzansprüche wegen Gewinnausfalles geltend; die Antragsgegnerin habe einem direkten italienischen Konkurrenten der Antragstellerin einen Vertrag mit der Fa. T. vermittelt und so gegen die vertragliche Exklusivitätsvereinbarung verstoßen.

Durch Urteil vom 21. Januar 2005 (Nr. 256/05) wies das Landgericht Monza den Einspruch zurück und bestätigte den Mahnbescheid. Den Schadenersatzanspruch der Antragstellerin erkannte es nach Beweisaufnahme teilweise an und verurteilte die Antragsgegnerin - vorläufig vollstreckbar - zur Zahlung von 86.000 € zzgl. Inflationsausgleich und gesetzlicher Zinsen.

Gegen dieses Urteil legte die Antragsgegnerin Berufung ein. Das zuständige OLG Mailand bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 4. Februar (März?) 2008.

Die Antragstellerin hat die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für dieses Urteil beantragt.

Ihren - zunächst auch - gegen die Antragsgegnerin zu 1 (diese war im März 2000 gegründet worden und hatte die Einzelfirma der Antragsgegnerin fortgeführt) gerichteten Antrag hat sie nach Hinweis durch das Landgericht zurückgenommen.

Das Landgericht hat- unter Konkretisierung des Inflationsausgleiches und der gesetzlichen Zinsen - am 19. Mai 2006 beschlossen, den Titel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen und die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin den Parteien zur Hälfte auferlegt.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.

Sie meint, das Urteil des Landgerichts Monza sei mit dem deutschen ordre public nicht vereinbar, weil es die tragenden Gesichtspunkte nicht nenne, auf die es die Sachentscheidung stütze. Das Urteil bleibe auch eine Beurteilung des Umstandes schuldig, dass die vertragliche Bindung bereits am 31. Dezember 1994 beendet gewesen sei. Es sei daher nicht in einem rechtsstaatlichen Verfahren ergangen.

Wegen der nicht absehbaren Verfahrensdauer bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung sei es ihr nicht zuzumuten, die vorläufige Vollstreckung in ihr Vermögen zu dulden. Ihr werde im Falle der vorläufigen Zwangsvollstreckung des italienischen Titels, der frühestens Anfang 2009 aufgehoben werden könnte, das Risiko eines nachfolgenden Schadenersatzprozesses aufgebürdet. Es könne nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sie ihren Anspruch gegenüber einer solventen Schuldnerin realisieren könne.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den angefochtenen Beschluss des Landgerichts zu ändern und den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückzuweisen,

hilfsweise

die Entscheidung über die Beschwerde bis zur Entscheidung über die Berufung auszusetzen,

weiter hilfsweise

ihr zu gestatten, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheit abzuwenden.

Die Antragstellerin bittet um Zurückweisung der Beschwerde.

Sie wendet sich ihrerseits gegen die Kostenentscheidung im landgerichtlichen Beschluss und meint, die Antragsgegnerin habe sämtliche Verfahrenskosten zu tragen.

II.

Die innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, § 11 AVAG, Art. 43 EuGVVO, sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Kostenentscheidung ist unbefristet zulässig, und hat in der Sache Erfolg.

Grundlage der Prüfung sind neben dem AVAG (§ 1 Abs. 2 b) die Vorschriften des Kapitels III der am 1. März 2002 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), die gem. Art. 76 am 1. März 2002 in den Mitgliedsstaaten der europäischen Gemeinschaft - mit Ausnahme Dänemarks - in Kraft getreten ist.

Die formellen Voraussetzungen der Art. 53 und 54 EuGVVO für eine Vollsteckbarerklärung liegen vor.

Gem. Art. 45 EuGVVO darf die Vollstreckbarerklärung vom Senat als Beschwerdegericht nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden.

Die Antragsgegnerin kann sich nicht mit Erfolg auf den Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO berufen.

Nach Art. 45, 34 Nr. 1 EuGVVO wird eine Entscheidung nicht für vollstreckbar erklärt, wenn dies der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung begehrt wird, offensichtlich widersprechen würde.

Es ist anerkannt, dass der Versagungsgrund des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen kann (Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 34, 4 m.N.). Eine Anwendung der Vorbehaltsklausel der Nr. 1 kommt nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Vertragsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stünde. Damit das Verbot der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit gewahrt bleibt, muss es sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln, (Kropholler, a.a.O., Anm. 7 unter Hinweis auf EuGH vom 28. März 2000 - 7/98 - Nrn. 36f und vom 11. Mai 2000 - 38/98 - Nrn. 29f.).

Mit dem Verbot der Nachprüfung einer ausländischen Entscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit (révision au fond) verbieten es die Art. 36 und 45 Abs. 2 EuGVVO dem Gericht des Vollstreckungsstaates, die Anerkennung oder Vollstreckung einer solchen Entscheidung nur deshalb abzulehnen, weil die vom Gericht des Ursprungsstaats angewandten Rechtsvorschriften von denen abweichen, die das Vollstreckungsgericht im Fall seiner eigenen Befassung mit dem Rechtsstreit angewandt hätte. Ebensowenig darf das Gericht des Vollstreckungsstaats nachprüfen, ob das Gericht des Ursprungsstaats den Fall rechtlich und tatsächlich fehlerfrei gewürdigt hat, (Kropholler, a.a.O.).

Es ist nicht schon solchen Urteilen ausländischer Gerichte die Vollstreckbarerklärung zu versagen, die in einem Verfahren erlassen sind, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechtes abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur gegeben, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechtes in einem solchen Maße abweicht, dass nach der deutschen Rechtsordnung das Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann. Nur dies, und nicht die Frage, ob bei gleicher Verfahrensweise der deutsche Richter gegen tragende Grundsätze des deutschen Verfahrensrechtes verstoßen hätte, gibt den Maßstab dafür ab, ob das Urteil des ausländischen Gerichts gegen den deutschen verfahrensrechtlichen ordre public international verstößt, (Kropholler, a.a.O., Anm. 13 m.N.).

Da Entscheidungen im Sinne des Art. 32 EuGVVO in allen Mitgliedsstaaten normalerweise in einem "geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren" ergehen, kommt ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public nur selten in Betracht. Er hat seinen Ursprung meist nicht in der ausländischen Rechtsregel, sondern darin, dass der Richter im Erststaat sein eigenes Verfahrensrecht krass missachtet hat, (Kropholler, a.a.O., Anm. 14; Geimer, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 34, 29).

Der Einwand der Antragsgegnerin, es widerspreche dem deutschen ordre public, dass das Urteil des Erststaates sich in seinen Entscheidungsgründen nicht eingehend mit den Ergebnissen der Beweisaufnahme befasst und auseinandergesetzt habe und eine Beurteilung des Umstandes schuldig bleibe, dass die vertragliche Bindung bereits am 31. Dezember 1994 beendet gewesen sei, steht danach einer Vollstreckbarerklärung nicht entgegen.

Die Antragsgegnerin macht nicht geltend, dass der italienische Richter bei seiner Entscheidung das italienische Verfahrensrecht nicht beachtet habe. Sie rügt lediglich eine fehlende adäquate Auseinandersetzung in den Entscheidungsgründen mit dem entscheidungserheblichen Streitstand.

Jedoch ist das Fehlen einer (schriftlichen) Begründung des ausländischen Richterspruches für sich alleine kein Grund, die Anerkennung oder Vollstreckbarerklärung unter Berufung auf den ordre public zu versagen (Geimer, a.a.O., Art. 34, 65).

Wegen des Verbotes einer Nachprüfung der ausländischen Entscheidung in der Sache selbst, Art. 45 Abs. 2 EuGVVO, kann die Antragsgegnerin nicht mit ihrem Einwand durchdringen, das italienische Gericht sei eine Beurteilung der unstreitigen Tatsache schuldig geblieben, dass eine Vertragsverletzung schon deshalb fernliegend sei, weil keine vertragliche Bindung der Parteien mehr bestanden habe.

Auch der Hilfsantrag der Antragsgegnerin, die Entscheidung über ihre Beschwerde im Hinblick auf die Berufung zum OLG Mailand auszusetzen, hat keinen Erfolg.

Nach Art. 46 Abs. 1 EuGVVO und § 36 Abs. 1 AVAG kann der Senat als Beschwerdegericht auf Antrag des Schuldners das Verfahren aussetzen, wenn gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat ein ordentlicher Rechtsbehelf eingelegt ist.

Eine solche Aussetzung kommt aber grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn das Vollstreckungsgericht mit einem Erfolg des im Erststaat eingelegten ordentlichen Rechtsbehelfs rechnen muss, weil die EuGVVO die Vollstreckung vorläufig vollstreckbarer Entscheidungen in den anderen Mitgliedsstaaten ermöglichen will (Kropholler, a.a.O., Art. 46, 5). Berücksichtigt werden dürfen nur solche Gründe, die der Schuldner vor dem Gericht des Ursprungsstaates noch nicht geltend machen konnte (ders., a.a.O.).

Dass ihre Berufung nach den Vorschriften des italienischen Rechtes aller Wahrscheinlichkeit nach erfolgreich sein wird, hat die Antragsgegnerin nicht dargetan. Sie hat sich lediglich darauf berufen, dass bei einem Erfolg ihrer Berufung und vorheriger Vollstreckung sie das Risiko eines nachfolgenden Schadenersatzprozesses trage. Das bedeute bei einem Verfahren, das an Dauer und Kalkulierbarkeit deutlich von deutschen Rechtsverfahren abweiche, einen nicht zu ersetzenden Nachteil.

Diesen Nachteil aber hat der Schuldner bei einer vorläufigen Vollstreckbarkeit regelmäßig hinzunehmen.

Nicht gerechtfertigt ist schließlich der weitere Hilfsantrag der Antragsgegnerin, ihr zu gestatten, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheit abzuwenden.

Für eine solche Abwendungsbefugnis besteht keine Rechtsgrundlage.

§ 20 AVAG gibt zwar dem Schuldner eine Abwendungsbefugnis. Sie gilt jedoch nur, solange die Zwangsvollstreckung nicht über Maßnahmen zur Sicherung hinausgehen darf, d.h. also für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Vollstreckbarerklärung, Art. 47 Abs. 3 EuGVVO (vgl. Geimer, a.a.O., Art. 46, 14; BGH, NJW 1994, 2156).

Der Senat hat jedoch von der ihm durch Art. 46 Abs. 3 EuGVVO eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht, die Zwangsvollstreckung der Antragstellerin aus dem vorläufig vollstreckbaren Urteil des Landgerichts Monza von einer Sicherheitsleistung der Antragstellerin abhängig zu machen. Für die Anordnung einer solchen Sicherheit ist nicht in erster Linie die Erfolgsaussicht des im Erststaat eingelegten Rechtsmittels entscheidend, vielmehr sind alle Umstände des Falles zu berücksichtigten (Kropholler, a.a.O., Art. 46, 7 m.N.).

Hier ist die Anordnung einer Sicherheitsleistung des Gläubigers zum Schutze der Antragsgegnerin als Schuldnerin insbesondere in Anbetracht der nicht unerheblichen Höhe des zu vollstreckenden Betrages und auch deshalb angezeigt, weil - unstreitig - erst im Frühjahr 2008 die erste Verhandlung vor dem Berufungsgericht in Mailand stattfinden wird, so dass erst nach diesem Zeitpunkt mit einer Entscheidung in der Sache zu rechnen ist. Die Sicherheitsleistung beeinträchtigt die Interessen der Antragstellerin, die bis zur Beschwerdeentscheidung des Senates die Sicherungsvollstreckung betreiben konnte, allenfalls in geringem Umfang.

Die Antragstellerin, die die Kostenentscheidung der landgerichtlichen Vollstreckbarerklärung beanstandet, kann dies grundsätzlich ihrerseits im Wege der unbefristeten Beschwerde geltend machen (vgl. Kropholler, a.a.O., Art. 43, 13; Geimer, a.a.O., Art. 43, 15).

Auf die Kosten des Verfahrens nach zur Vollstreckbarerklärung ist § 788 ZPO entsprechend anzuwenden, § 8 Abs. 1 Satz 4 AVAG. Danach fallen die Kosten der Zwangsvollstreckung, soweit sie notwendig waren (§ 91 ZPO), dem Schuldner zur Last.

Die Kostenpflicht bestimmt sich auch bei Zurückweisung oder Zurücknahme eines Antrages daher nicht nach dem Unterliegen (§§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO und auch nicht nach § 269 Abs. 3 Satz 2 entsprechend), sondern danach, ob durch den Antrag Kosten (der Zwangsvollstreckung) notwendig entstanden sind.

Hier sind sowohl die Gerichtskosten als auch die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin schon durch den Antrag auf Vollstreckbarerklärung in voller Höhe entstanden.

Daher sind sie in vollem Umfang von der Antragsgegnerin zu tragen.

Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 91, 97 ZPO.

Eine Wertfestsetzung ist nicht veranlasst, weil für das Rechtsmittelverfahren betreffend die Vollstreckbarerklärung ausländischer Titel gem. KV 1520 Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG eine Festgebühr erhoben wird.

Ende der Entscheidung

Zurück