Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 05.01.2007
Aktenzeichen: I-3 Wx 247/06
Rechtsgebiete: GBO, BGB


Vorschriften:

GBO § 78
BGB § 875
BGB § 928
Der Verzicht auf den Miteigentumsanteil an einem Grundstück ist eintragungsfähig.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

I-3 Wx 247/06

in der Grundbuchsache

betreffend die im Grundbuch des Amtsgerichts Wuppertal von R. Blatt X unter laufender Nummer 1 bis 10 eingetragenen Grundstücke Gemarkung R, Flur XX, Flurstücke, a, b, c, d, e, f, g, h, i und j

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht G. sowie die Richter am Oberlandesgericht von W. und D.

am 5. Januar 2007

beschlossen:

Tenor:

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller sind Miteigentümer zu je 1 / 118 des o.g. Grundbesitzes.

Sie erklärten mit notarieller Urkunde vom 6. April 2006 den Verzicht auf ihren jeweiligen Miteigentumsanteil und beantragten, diesen Verzicht in das Grundbuch einzutragen.

In der Zeit von 1976 bis 1983 wurde bei einer Vielzahl von Grundstücksmiteigentumsanteilen der Verzicht auf das Eigentum eingetragen.

Den Antrag der Antragsteller hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 6. Juni 2006 zurückgewiesen.

Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde hat sie dem Landgericht vorgelegt, das die Beschwerde mit Beschluss vom 22. Juni 2006 zurückgewiesen hat.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die weitere Beschwerde der Antragsteller.

Der Senat hat die Antragsteller darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen, und hat ihnen hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Von dieser Gelegenheit haben sie Gebrauch gemacht. Sie teilen die Auffassung des Senates, wenn sie auch der Meinung sind, dass in Ausnahmefällen der Verzicht eines Teilhabers auf Grundstücksmiteigentum die übrigen Teilhaber benachteiligen könne.

II.

Die weitere Beschwerde der Antragsteller ist gemäß § 78 Satz 1 GBO zulässig.

1.

Der Senat hält das Rechtsmittel auch für begründet. Denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung (§ 27 FGG).

Das Landgericht hat die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss der Rechtspflegerin vom 6. Juni 2006 mit der Begründung zurückgewiesen, der Verzicht auf je 1/118 Miteigentumsanteil an dem oben genannten Grundbesitz könne nicht eingetragen werden, weil es nicht zulässig sei, einen Grundstücksmiteigentumsanteil aufzugeben.

Die Kammer ist der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 7. Juni 1991 - V ZR 175/90 - BGHZ 115, 1) gefolgt, wonach die das Gemeinschaftsverhältnis der Miteigentümer bestimmenden Vorschriften darauf angelegt sind, dass jeder Miteigentumsanteil einen Rechtsträger hat. Der Verzicht auf einen Miteigentumsanteil belaste die übrigen Miteigentümer, weil sie zwangsläufig einen höheren Anteil / Beitrag zu den Kosten und Lasten tragen müssten. Eine partielle Herrenlosigkeit nach Aufgabe des Miteigentums sei "schwer vorstellbar". Das Miteigentum nach Bruchteilen sei an die (schuldrechtliche) Stellung des Miteigentümers als Teilhaber geknüpft und nicht abstrakt ausgestaltet.

a)

Der Bundesgerichtshof hat in der genannten Entscheidung den Verzicht auf das Grundstücksmiteigentum für unwirksam erachtet. Jeder Teilhaber sei ... an die Gemeinschaft bis zu deren Aufhebung gebunden.

Aus der Entstehungsgeschichte des § 928 BGB ergebe sich weder etwas für noch gegen die Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf Grundstücksmiteigentum; die Klärung dieser Frage habe nach dem Willen des Gesetzgebers wegen ihrer praktisch sehr geringen Bedeutung Wissenschaft und Rechtsprechung vorbehalten bleiben sollen.

Die Frage der Anwendbarkeit des § 928 BGB auf Grundstücksmiteigentum verneint der Bundesgerichtshof, weil die Auswirkungen eines Verzichtes mit der sonstigen Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses und mit der gesetzlichen Interessenbewertung nicht in Einklang stünden.

Das Gemeinschaftsverhältnis sei - grundsätzlich - darauf angelegt, dass jeder Miteigentumsanteil einen Rechtsträger habe, der Kosten und Lasten des gemeinschaftlichen Gegenstandes nach dem Verhältnis seines Anteils trage. Der Verzicht eines Miteigentümers auf seinen Anteil belaste zwangsläufig die übrigen Teilhaber. Diese Mehrbelastung sei nicht gerechtfertigt, weil der Kostenaufwand der Werterhaltung jedes Miteigentumsanteils zugute komme, der aufgegebene Anteil jedoch den übrigen Teilhabern nicht zuwachse.

Der einzelne Miteigentümer werde - auch bei Unzulässigkeit eines Verzichtes auf seinen Anteil - nicht gegen seinen Willen an die Gemeinschaft gebunden, weil er jederzeit deren Aufhebung verlangen könne, § 749 Abs. 1 BGB. Im Regelfall sei ein Grundstück versteigerungsfähig und das Aufhebungsverlangen vollziehbar.

b)

Dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofes ist die Rechtsprechung (soweit ersichtlich ausnahmslos) und die Literatur - die zuvor mehrheitlich den anderen Standpunkt vertreten hatte (vgl. die Nachweise bei BGHZ 115, 1) - ganz überwiegend gefolgt (vgl. die Nachweise bei Reichard, Festschrift für Gerhard Otte, 2005, S. 265 ff., 266 FN 3). Andere (Kanzleiter NJW 1996, 905; MüKo-Kanzleiter, 4. Aufl., § 928, 3; Reichard, a.a.O., vgl. auch dessen weitere Nachweise S. 267 FN 6) halten dennoch den Verzicht auf einen Grundstücksmiteigentumsanteil weiterhin für zulässig.

c)

Der Senat hat sich ebenfalls der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes angeschlossen (NJW-RR 2001, 233), weil sich aus der gesetzlichen Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses ergebe, dass jeder Teilhaber an die Gemeinschaft bis zu deren Aufhebung gebunden sei - zur Wahrung des Rechts der übrigen, nur nach dem Verhältnis ihres Anteils die Kosten und Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums tragen zu müssen.

2.

Hieran möchte der Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr festhalten.

a)

Kanzleiter (NJW 1996, 905) hat mit Recht darauf hingewiesen, dass der "historische Gesetzgeber" die Aufgabe von Grundstücksmiteigentum (eindeutig) für zulässig gehalten habe.

Nach § 950 des ersten Entwurfs zum BGB sollten die Vorschriften über die Eigentumsaufgabe an einem Grundstück (§ 872 des ersten Entwurfs) und über die Eigentumsaufgabe an einer beweglichen Sache (§ 904 des ersten Entwurfs) "auch auf den Antheil eines Miteigenthümers Anwendung" finden (Mugdan, Die gesammten Materialien zum BGB, Bd. III, Sachenrecht, Seite XXXVII, XX, XXVI).

Dazu heißt es in den Motiven, die Anwendbarkeit sei im Gesetz auszusprechen, da sonst leicht Zweifel entstehen könnten (Motive III, S. 443, zitiert nach Mugdan, a.a.O., S. 248). Zuvor wird in den Motiven die Frage erörtert, welche rechtliche Wirkung der Verzicht auf das Grundstücksmiteigentum habe (Anwachsung gem. der "modernen Doktrin" oder Einräumung eines Rechts des Teilhabers auf Anfall des Anteils des Ausscheidenden oder Zueignung seitens des durch die Landesgesetze bezeichneten Zueignungsberechtigten - Mugdan, a.a.O.).

In der zweiten Lesung ist diese ausdrückliche Regelung über die Eigentumsaufgabe eines Grundstücksmiteigentümers (§ 950 des ersten Entwurfs) gestrichen worden (Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des BGB, Bd. III, S. 279; Mugdan, a.a.O., S. 702).

Allerdings hatte die Streichung nicht den Grund, dass der Gesetzgeber den Verzicht auf Grundstücksmiteigentum nicht zulassen wollte. Die Kommission hatte sich in der maßgeblichen Sitzung der zweiten Lesung mit verschiedenen Anträgen zu § 950 des ersten Entwurfes befasst, die alle lediglich die schon im ersten Entwurf angesprochene Frage betrafen, welche rechtlichen Wirkungen die Aufgabe des Grundstücksmiteigentums habe (Anwachsung oder Zueignung des Fiskus oder der Teilhaber). Nach der Erörterung der verschiedenen Anträge heißt es, es falle entscheidend ins Gewicht, dass die Anträge eine so verwickelte Regelung erforderlich machten, wie sie der praktisch sehr geringen Bedeutung der ganzen Frage nicht entsprechen würde. Aus diesem Grunde verdiene es den Vorzug, von einer besonderen Vorschrift über die in § 950 behandelten Fragen ganz abzusehen, und die Entscheidung derselben der Wissenschaft und Praxis zu überlassen. Die Mehrheit sei der Ansicht, dass diese Entscheidung fachlich übereinstimmend mit § 950 ausfallen müsse (Mugdan, a.a.O., S. 702 f.).

Das bedeutet, dass der historische Gesetzgeber sich zwar entschlossen hat, von einer besonderen Vorschrift über die in § 950 behandelten Fragen (also auch der Zulässigkeit des Verzichts auf Grundstücksmiteigentum) abzusehen - dies aber nur wegen der Schwierigkeit der Regelung der Rechtsfolgen dieses Verzichts. Mit Recht weist Kanzleiter (NJW 1996, 905) darauf hin, dass jedoch für die Mehrheit der Kommissionsmitglieder die Zulässigkeit einer solchen Dereliktion selbstverständlich war.

b)

Die Unzulässigkeit des Verzichtes auf Grundstücksmiteigentum lässt sich nicht damit begründen, dass die Auswirkungen des Verzichtes mit der sonstigen Regelung des Gemeinschaftsverhältnisses und mit der gesetzlichen Interessenbewertung nicht im Einklang stünden, weil diese Auswirkungen die übrigen Teilhaber unangemessen benachteiligten (BGHZ 115, 1).

aa)

Verzichtet ein Teilhaber auf sein Grundstücksmiteigentum, benachteiligt das die übrigen Teilhaber rechtlich grundsätzlich nicht.

Eine solche Benachteiligung folgt insbesondere nicht daraus, dass die übrigen Teilhaber wegen der Herrenlosigkeit des aufgegebenen Anteils zwangsläufig einen höheren Beitrag zu Kosten und Lasten leisten müssen.

Welche Rechtsfolgen der Verzicht auf den Grundstücksmiteigentumsanteil haben würde, hat der historische Gesetzgeber - wie dargelegt - bewusst offengelassen.

Wenn der Verzicht auf Grundstücksmiteigentum zu dessen Herrenlosigkeit führt und der Anteil deshalb dem Aneignungsrecht des Fiskus unterliegt, so kommt es - jedenfalls nach dem vom Gesetz angenommenen Regelfall, auf den der Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Aufhebung der Gemeinschaft ausdrücklich abstellt - gerade nicht zu einer dauerhaften Herrenlosigkeit des Miteigentumsanteils.

Die Annahme einer dauerhaften Herrenlosigkeit ist offensichtlich unzutreffend, wenn der Fiskus von seinem Aneignungsrecht Gebrauch macht (Hilbrandt, AcP 202 <2002> 631, 637).

Wenn der Fiskus auf sein Aneignungsrecht verzichtet, kann sich grundsätzlich jeder Dritte (vgl. die Bedenken bei Reichard, a.a.O., S. 280), jedenfalls aber jeder der anderen Teilhaber den herrenlosen Anteil aneignen (BGHZ 108, 278; darauf weisen auch Kanzleiter NJW 1996, 905 und Reichard, a.a.O. mit Recht hin).

Nach dem gesetzlichen Regelfall ist daher eine finanzielle Mehrbelastung durch eine höhere Beitragspflicht der anderen Teilhaber gerade nicht die zwangsläufige Folge des Verzichtes auf einen Miteigentumsanteil an einem Grundstück.

Im übrigen ist es durchaus fraglich, ob es zu einer höheren Beitragspflicht der übrigen Teilhaber führt, wenn ein Anteil herrenlos ist und bleibt. Grundsätzlich sind die verbleibenden Miteigentümer nach § 748 BGB nur nach dem Verhältnis ihres Anteils, also dem Bruchteil entsprechend (Palandt/Sprau, BGB, 65.Aufl., § 748, 2) verpflichtet, Lasten und Kosten des gemeinschaftlichen Gegenstands zu tragen. Ihre Belastung ändert sich also nicht (Hilbrandt, a.a.O.). Bei abweichender schuldrechtlicher Vereinbarung mit Dritten kommt ein Rückgriff der verbleibenden gegen den verzichtenden Miteigentümer im Wege des Gesamtschuldnerausgleiches in Betracht (Hilbrandt, a.a.O.).

bb)

Jedenfalls würde eine höhere Beitragspflicht die verbliebenen Teilhaber nicht unangemessen benachteiligen.

Zum einen steht es ihnen frei, sich den herrenlosen Anteil anzueignen, wenn der Fiskus auf sein Aneignungsrecht verzichtet.

Zum anderen lässt das Gesetz selbst in §§ 875, 928 BGB eine einseitige Aufgabe dinglicher Rechte zu (es macht davon nur in § 26 ErbbauVO eine Ausnahme) und nimmt es in diesen ausdrücklich geregelten Fällen bewusst in Kauf, dass sich der Berechtigte einseitig künftiger öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Verpflichtungen entzieht (Kanzleiter NJW 1996, 905; Hilbrandt, a.a.O., S. 638).

cc)

Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Verzicht eines Teilhabers auf sein Grundstücksmiteigentum die übrigen Teilhaber unangemessen benachteiligt, gebietet letztlich die prinzipielle Abstraktheit des Eigentums gegenüber schuldrechtlichen Bindungen, die Kostentragungspflicht von der dinglichen Rechtslage zu trennen. Dem Abstraktionsprinzip widerspricht es, im Hinblick auf die aus § 748 BGB folgenden schuldrechtlichen Rechte und Pflichten des Miteigentümers zur Kostentragung seine Befugnis zur freien Verfügung über seinen Anteil, § 747 Satz 1 BGB (auch § 903 BGB), sachenrechtlich dahin einzuschränken, dass die Verfügung in Form eines Verzichts unwirksam ist (vgl. Reichard, a.a.O., S. 267, 282).

Überdies ist es eine Frage der schuldrechtlichen Vereinbarungen zwischen den Teilhabern, ob bei einseitigem Ausscheiden eines von ihnen dessen Pflicht, Kosten zu tragen, fortbestehen soll. Der - dingliche - Anteilsverzicht ist davon unabhängig wirksam (vgl. Reichard, a.a.O., S. 283).

3.

a)

Die Entscheidung der Kammer hält daher der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil sie nach dem Vorgesagten zu Unrecht die die Eintragungsfähigkeit des Verzichts auf je 1/118 Miteigentumsanteil an dem fraglichen Grundbesitz verneinende Entscheidung des Amtsgerichts - Rechtspfleger - bestätigt und das Rechtsmittel der Beschwerdeführer als unbegründet zurückgewiesen hat.

b)

Der Senat möchte hiernach dem Antrag der Beschwerdeführer entsprechen und die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen beschließen, sieht sich jedoch durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 07. Juni 1991 - V ZR 175/90 - BGHZ 115, 1) hieran gehindert, in der die hier maßgebende Rechtsfrage anders beurteilt wird.

Deswegen ist die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 GBO zur Entscheidung vorzulegen.

Ende der Entscheidung

Zurück