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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.04.2004
Aktenzeichen: I-4 U 135/03
Rechtsgebiete: MB/KK 94


Vorschriften:

MB/KK 94 § 1 Nr. 2
MB/KK 94 § 11 Abs. 1

Entscheidung wurde am 11.08.2004 korrigiert: der Entscheidung wurde ein amtlicher Leitsatz und die Angabe zur Rechtskraft hinzugefügt, die Vorschriften wurden geändert
Der wegen einer Oligoasthenozoospermie zeugungsunfähige Versicherungsnehmer hat wegen medizinischer Notwendigkeit Anspruch auf Erstattung der Kosten für seine und die Behandlung seiner nicht versicherten Ehefrau zwecks künstlicher Befruchtung auch dann, wenn die Eheleute auf diesem Wege bereits ein Kind gezeugt haben und der Versicherer insoweit die Kosten übernommen hat. Das gilt jedenfalls dann, wenn die durch die erneute Behandlung entstandenen Gesamtkosten nicht gänzlich unverhältnismäßig sind.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 8. Juli 2003 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.857,85 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Dezember 2002 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für einen weiteren noch ausstehenden Versuch einer intra-cytoplasmatischen Spermien-Injektion zu erstatten.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger, der bei der Beklagten auf der Grundlage der MB/KK 94 eine private Krankenversicherung unterhält, leidet an einer Oligoasthenozoospermie (OAT-Syndrom). Er ist deshalb zeugungsunfähig. Seine inzwischen 33-jährige Ehefrau, bei der keine fertilitätsmindernden Faktoren bekannt sind, und er unterzogen sich 1999 einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) mit einer intra-cytoplasmatischen Spermien-Injektion (ICSI), wofür die Beklagte Kosten in Höhe von 2.147,43 EUR erstattete. Daraufhin wurde die Ehefrau schwanger und gebar am 20. März 2001 eine Tochter.

Da der Kläger und sie sich ein weiteres Kind wünschten, wurde bei ihnen ab April 2002 erneut eine kombinierte IVF- und ICSI-Behandlung vorgenommen, durch die Kosten in Höhe von 4.857,85 EUR entstanden. Diese Behandlung blieb ohne Erfolg. Beide wollen sich aber noch einem letzten Behandlungszyklus unterziehen. Die dafür anfallenden Kosten werden voraussichtlich rund 500 EUR betragen.

Die Beklagte hat die Übernahme der entstandenen und noch entstehenden Kosten abgelehnt, da nach der Geburt des ersten Kindes die Zeugungsunfähigkeit des Klägers nicht mehr behandlungsbedürftig sei.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.857,85 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11. Dezember 2002 zu zahlen und

2.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für einen zweiten Versuch im Rahmen einer weiteren ICSI-Behandlung zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat sich der Argumentation der Beklagten angeschlossen und die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er die erstinstanzlich gestellten Anträge weiter verfolgt.

Die Beklagte bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil und den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat Erfolg.

1. Der Kläger kann von der Beklagten gemäß § 1 Nr. 2 MB/KK Erstattung seiner der Höhe nach unstreitigen Aufwendungen verlangen, weil es sich dabei um Kosten einer medizinisch notwendigen Behandlung handelt.

a) Das OAT-Sydrom, an dem der Kläger leidet, ist als Krankheit anzusehen, da die Fortpflanzungsfähigkeit für Ehepartner, die sich für ein eigenes Kind entscheiden, eine biologisch notwendige Körperfunktion darstellt (BGH vom 17.12.86 - IV a ZR 78/85 - VersR 1987, 278 unter II 2 b).

b) Die homologe IVF, der sich der Kläger und seine Ehefrau unterzogen haben, ist eine bedingungsgemäße Heilbehandlung, durch die zwar die Ursachen der Fertilitätsstörung nicht beseitigt, wohl aber gelindert werden können (BGH a.a.O. unter II 3). Nichts anderes gilt, wenn die IVF - wie hier - in Kombination mit einer ICSI-Behandlung vorgenommen wird (BGH vom 3.3.04 - IV ZR 25/03 - Juris-Nr. KORE - 312962004 unter II. 2. a cc). Dabei handelt es sich auch insgesamt um eine Behandlung des Klägers als versicherter Person im Sinne von § 1 Nr. 2 MB/KK 94, obgleich bei der IVF Eizellen aus dem Eierstock seiner Ehefrau entnommen und der Embryo nach extrakorporaler Erzeugung in ihre Gebärmutter übertragen wurde, denn die IVF bildet zusammen mit der ICSI eine auf das Krankheitsbild des Klägers abgestimmte Gesamtbehandlung. Ohne die zur IVF zählende Eizellenentnahme kann die Injektion der Spermien nämlich nicht durchgeführt werden. Erst die Behandlungsmaßnahmen in ihrer Gesamtheit dienen der Linderung der Unfruchtbarkeit des Klägers. Die damit einhergehende Mitbehandlung seiner - nicht bei der Beklagten versicherten - Ehefrau ist notwendiger Bestandteil dieser Behandlungsmaßnahme (BGH vom 3. 3.04, a.a.O. unter II 2 a cc (2)).

b) Die Behandlung des Klägers war medizinisch notwendig. Maßgeblich ist insofern, dass sie - unstreitig - die einzige medizinisch anerkannte Methode darstellt, mit der die inoperable Sterilität des Klägers in ihren Auswirkungen überwunden und er fortpflanzungsfähig gemacht werden kann (vgl. dazu BGH 17.12.86, a.a.O. unter 4.). Dass die Zeugung eines Kindes nicht "notwendig" ist, kann die Beklagte ihm nicht entgegen halten, da sich der von den Ehegatten in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts gefasste Entschluss, ein gemeinsames Kind haben zu wollen, der rechtlichen Nachprüfung auf seine Notwendigkeit entzieht (BGH vom 17.12.86, a.a.O.; vgl. ferner EuGMR, Rechtssache van Kück ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 35968/97, vom 12.06.03 unter B. 2. 56.).

Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger bereits Vater einer Tochter ist. Zwar hat der BGH im Falle einer auf natürlichem Wege nicht fortpflanzungsfähigen Frau die - offen gebliebene - Frage aufgeworfen, ob nach künstlich herbeigeführter Mutterschaft noch davon gesprochen werden könne, die Frau sei "unfruchtbar" (BGH vom 17.12.86, a.a.O., unter II 3). Mit Blick darauf hat das OLG München angenommen, dass nach Geburt eines Kindes für eine weitere künstliche Befruchtung IVF keine Notwendigkeit bestehe (Urteil vom 30.09.03 - 25 U 3163/03). Dem vermag sich der erkennende Senat jedoch nicht anzuschließen, da sich die Unmöglichkeit, ein zweites Kind zu zeugen, wie beim ersten Kind auch als unmittelbare Krankheitsfolge darstellt, die nur durch künstliche Befruchtung gelindert werden kann.

c) Das besagt aber nicht, dass die Beklagte im Falle des Klägers für Versuche der künstlichen Befruchtung in einer allein in seinem Ermessen stehenden Anzahl von Fällen aufzukommen hätte. Der BGH ist insoweit davon ausgegangen, dass gerade das private Versicherungsverhältnis in besonderem Maße den Grundsätzen von Treu und Glauben untersteht. Bei Inanspruchnahme einer solchen besonders kostenträchtigen und nicht vital lebensnotwendigen Behandlung muss der Versicherungsnehmer deshalb in angemessener Weise Rücksicht auf den Versicherer und die Versichertengemeinschaft nehmen. Mit Blick darauf braucht der Versicherer keine ganz unverhältnismäßigen Kosten zu erstatten. Abgesehen davon, dass die IVF das einzige Mittel zur Herbeiführung einer Schwangerschaft sein muss und bei dem Eingriff eine deutliche Erfolgsaussicht besteht, sind einer Kostenerstattung für wiederholte Fertilisationsversuche Grenzen gesetzt (BGH vom 17.12.86, a.a.O., unter II. 5.). Das muss zwar auch dann gelten, wenn der Versicherungsnehmer und sein Ehepartner ein weiteres Kind im Wege der künstlichen Befruchtung zeugen wollen. Der Wunsch des Klägers nach einem zweiten Kind kann aber nicht als - in diesem Sinne - gänzlich unangemessen angesehen werden, weil eine Familie mit zwei Kindern von vielen als Normgröße betrachtet wird. Selbst unter Berücksichtigung der Aufwendungen, die die Beklagte bereits für die künstliche Befruchtung beim ersten Kind übernommen hat und die aufgrund der noch ausstehenden weiteren Behandlung jetzt noch auf sie zukommen werden, können Kosten von dann insgesamt rund 7.500 EUR nicht als völlig unverhältnismäßig eingestuft werden. Schließlich kann auch die notwendige Erfolgsaussicht nicht verneint werden. Dass eine künstliche Befruchtung im Streitfall zur Geburt eines Kindes führen kann, steht auch nach der Geburt des ersten Kindes außer Frage. Es ist auch - unter Berücksichtigung des Alters der Ehefrau des Klägers - nicht ersichtlich, dass sich die Voraussetzungen dafür zwischenzeitlich verschlechtert hätten.

Ist die Unangemessenheit des Erstattungsbegehrens hier somit zu verneinen, kann offen bleiben, ob sich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht ohnehin erübrigt, weil nach neuerer Rechtsprechung die Notwendigkeit einer Heilbehandlung ausschließlich aus medizinischer Sicht zu beurteilen ist und finanzielle Aspekte dabei außer Betracht zu bleiben haben (BGH vom 12.03.03 - IV ZR 278/01 - VersR 2003, 581 unter 2 b).

d) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Erstattungsanspruch fällig. Fälligkeit tritt mit der endgültigen Leistungsverweigerung ein (BGH vom 22.03.00 - IV ZR 233/99 - VersR 2000, 753 unter 2 c). Nach § 11 Abs. 1 VVG sind die Leistungen des Versicherers fällig, wenn er seine Feststellungen beendet hat. Davon ist im Falle der Zurückweisung des Entschädigungsanspruchs regelmäßig auszugehen. So liegen die Dinge auch hier, da die Beklagte mit Schreiben vom 26. Juni 2002 eine weitere Behandlungsbedürftigkeit des Klägers verneint hat. Dass ihr die Rechnungen über die angefallenen Behandlungskosten dabei nicht in Urschrift vorgelegen haben, ist unschädlich.

e) Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 2, 288 Abs. 1 S. 2 BGB in der ab dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung, Art. 29, § 5 S. 1 EGBGB.

2. Der Feststellungsantrag ist ebenfalls gerechtfertigt.

Eine Feststellungsklage, durch die die Eintrittspflicht des Versicherers für eine bevorstehende künstliche Befruchtung geklärt werden soll, ist zulässig (vgl. BGH vom 23.09.87 - IV a ZR 59/86 - NJW 1988, 774 unter 2 b). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Kläger verbindlich erklärt, wie viele Versuche unternommen werden sollen (BGH vom 23.09.1987 a.a.O., unter 2 a). Dieser Verpflichtung ist der Kläger nachgekommen, indem er mitgeteilt hat, dass nur noch ein letzter Behandlungszyklus geplant sei (GA 5). Im Übrigen gilt für die Begründetheit des Feststellungsantrags dasselbe wie für das Leistungsbegehren.

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die von den Parteien vorgelegten Urteile zeigen, dass die Frage, ob in der privaten Krankenversicherung auch Anspruch auf Kostenerstattung für die künstliche Befruchtung im Falle eines zweiten Kindes besteht, nach wie vor ungeklärt ist. Außerdem weicht die Entscheidung des Senats von dem zitierten Urteil des OLG München ab.

Berufungsstreitwert:

Leistungsklage: 4.857,85 EUR Feststellungsklage: (500 EUR x 0,8 =) 400,00 EUR 5.257,85 EUR

Ende der Entscheidung

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