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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 14.07.2005
Aktenzeichen: I-4 U 150/04
Rechtsgebiete: BNotO, ZPO


Vorschriften:

BNotO § 14 Abs. 2
BNotO § 19 a Abs. 2 S. 2
ZPO § 531 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 3. Juni 2004 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.427,54 € zu zahlen und ihn von der Zahlungspflicht aufgrund des Urteils des Landgerichts Berlin vom 25. Juni 2003 (84 O 4/03) gegenüber K. H., vertreten durch die B. B. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, K.-straße ..., B., bis zur Höhe von 64.742,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juni 2005 freizustellen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger, ein Anwalts-Notar, unterhält bei der Beklagten eine Berufshaftpflichtversicherung, die das Notarrisiko einschließt (Versicherungsschein: GA 9; AVB: GA 11). Im Zusammenhang mit einem Anlagegeschäft hatte der Kläger für seinen Schwiegervater, H. N., ein Notar-Anderkonto eröffnet, auf das die Geschädigte, K. H., 75.000 € eingezahlt hat. Da die Kapitalanlage, für die die 75.000 € bestimmt waren, nicht zustande kam, verlangte sie vom Kläger die Rückzahlung des Geldes. Dazu war er jedoch in Höhe von 71.000 € nicht mehr imstande, weil er darüber schon anderweitig verfügt hatte.

Das Landgericht Berlin hat den Kläger durch Urteil vom 25. Juni 2003 - 84 O 4/03 - (GA 4) zur Erstattung von 71.000 € nebst Zinsen verurteilt, da er durch die Übernahme des Verwahrungsgeschäfts gegen seine Amtspflichten aus § 14 Abs. 2 BNotO verstoßen habe. Der Einrichtung eines Notar-Anderkontos habe es für die angestrebte Sicherung nicht bedurft, weil die Rückzahlung der hinterlegten 71.000 € im Falle des Nichtzustandekommens des Anlagegeschäfts und die Auszahlung von 125.000 € im Falle seiner Durchführung in gleicher Weise gewährleistet gewesen wäre, wenn der Schwiegervater des Klägers seine Rück- und Auszahlungsansprüche an die Geschädigte abgetreten hätte und diese Abtretung offengelegt worden wäre. Darauf hätte der Beklagte die Hinterlegungsbeteiligten hinweisen müssen (GA 6). Die Berufung, die der Kläger gegen das Urteil des Haftpflichtgerichts eingelegt hat, hat das Kammergericht als unzulässig verworfen (GA 78).

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zur Zahlung von 71.000 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 7. September 2002 Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche seitens Frau K. H., I. ... in B. gegen den Darlehensnehmer H. N. aus dem Darlehensvertrag vom 3. April 2002 sowie aller sonstigen Ansprüche gegen diesen an Frau K. H. (Adresse wie vor) zu verurteilen,

2. einen Betrag in Höhe von 3.453,09 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 23. Juli 2003 auf das Konto der Prozessbevollmächtigten von Frau K. H., der B. B. GmbH, bei der B. Bank AG, Konto-Nr. ..., BLZ: ..., unter Angabe des Aktenzeichens 03/01125, zu zahlen sowie

3. festzustellen, dass die Beklagte auch verpflichtet ist, die Kosten des Prozessbevollmächtigten von Frau K. H. für die zweite Instanz zu tragen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe seine Amtspflichten wissentlich verletzt.

Dieser Auffassung hat sich das Landgericht angeschlossen und die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er rügt, das Landgericht habe sich zu Unrecht an das Haftpflichturteil gebunden gefühlt. Nach einem Hinweis des Berichterstatters (GA 163) beantragt er sinngemäß,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 22.984 € zu zahlen und ihn in Höhe von 64.742,09 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Juni 2005 von weiteren Zahlungsverpflichtungen gegenüber K. H., vertreten durch Rechtsanwalt H., freizustellen.

Die Beklagte, die das angefochtene Urteil für richtig hält, bittet um Zurückweisung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils sowie den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat im wesentlichen Erfolg.

Der Kläger kann von der Beklagten Deckungsschutz verlangen.

1. Die Voraussetzungen eines Deckungsanspruchs sind im Streitfall erfüllt. Gemäß § 1 der Versicherungsbedingungen (GA 11) hat die Beklagte Versicherungsschutz zu gewähren, wenn gegen den Kläger in seiner Eigenschaft als Notar Haftpflichtansprüche geltend gemacht werden. Davon werden nach der Risikobeschreibung für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Notaren und Anwaltsnotaren (GA 34) auch Ansprüche wegen Amtspflichtverletzungen bei Verwahrungsgeschäften (§ 23 BNotO) und die im Haftpflichtprozess angefallenen Kosten erfasst.

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts entfällt die Eintrittspflicht der Beklagten nicht, weil der Kläger den der Geschädigten entstandenen Schaden durch eine wissentliche Pflichtverletzung verursacht hat.

a) Bei einer wissentlichen Pflichtverletzung braucht sich der Vorsatz des Versicherungsnehmers - anders als in der Haftpflichtversicherung sonst üblich (§ 152 VVG) - nicht auf die Schadensfolgen zu erstrecken. Ausreichend ist, wenn der Verstoß für den Schaden ursächlich war. Andererseits muss der Versicherungsnehmer aber seine Pflicht positiv gekannt haben. Bedingter Vorsatz i.S. eines nur Für-Möglich-Haltens von Pflichten bestimmten Inhalts und ein diesen nur für möglich gehaltenen Pflichten zuwiderlaufendes Verhalten genügt nicht (BGH NJW-RR 1991, 145; Voit/Knappmann in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 4 AVB Vermögen/WB Rn. 5).

b) Ob der Kläger in diesem Sinne wissentlich gehandelt hat, als er die Zahlung der Geschädigten in Verwahrung nahm, obwohl - wie das Haftpflichtgericht für den Senat bindend festgestellt hat - die angestrebte Sicherung auch durch Abtretung der Rück- und Auszahlungsansprüche und deren Offenlegung hätte gewährleistet werden können, ist nicht feststellbar. Für seinen Vorsatz ist die Beklagte beweispflichtig. Da sie dafür keinen Beweis anbietet, kann der Vorsatz nur festgestellt werden, wenn unstreitige oder bewiesene Indizien vorliegen, die den Schluss auf einen dolus directus gestatten. Von einem Indizienbeweis wird man im Einzelfall ausgehen können, wenn der Versicherungsnehmer gegen eine Pflicht verstößt, die, wie die Pflicht zur Neutralität oder zur Verschwiegenheit, zu den Kardinalpflichten eines Notars gehört. Denn dann liegt nahe, dass er sich des Pflichtenverstoßes auch tatsächlich bewusst war. Entsprechendes kann man mit Blick auf die vom Haftpflichtgericht festgestellte Amtspflichtverletzung indes nicht annehmen. Angehen mag zwar, dass ein Notar pflichtwidrig handelt, wenn er ein Verwahrungsgeschäft übernimmt, obwohl es seiner Beauftragung nicht zwingend bedurfte. Daraus herzuleiten, dass der Kläger bewusst pflichtwidrig gehandelt hat, weil er der Geschädigten eine Sicherung verschafft hat, die sie auch ohne seine Hilfe hätten erreichen können, geht jedoch zu weit, da es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Notars steht, ob und unter welchen Voraussetzungen er eine Verwahrungstätigkeit übernimmt. Eine allgemein gültige Aussage darüber, wann ein notarielles Verwahrungsgeschäft unzulässig ist, kann überhaupt nur in engen Grenzen gemacht werden, weil insoweit ein Spannungsverhältnis zwischen der eigenverantwortlichen Amtsausübung des Notars, die Ausfluss seiner Stellung als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes ist, und den dienstaufsichtsrechtlichen und standesrechtlichen Einsichten in die Gefahren und Unzweckmäßigkeiten bestimmter Verwahrungsvorgänge besteht (Zimmermann, DNotZ 1982, 90, 106 f.). Dass der Kläger diese schwer bestimmbaren Grenzen sogar wissentlich überschritten hat, kann ihm nicht unterstellt werden, zumal selbst die Beklagte als mit der Materie vertrauter Berufshaftpflichtversicherer mit Schreiben vom 20. Mai 2003 (GA 65) noch erklärt hat, die Ansicht des Gerichts, die Hinterlegung hätte zurückgewiesen werden müssen, weil der Sicherungszweck auch auf andere Weise hätte erreicht werden können, sei für sie "derzeit nicht nachvollziehbar".

c) Ungleich schwerer wiegt allerdings der von der Beklagten erhobene Vorwurf, der Kläger habe das Verwahrungsgeschäft übernommen, obwohl erkennbar die Gefahr bestand, dass der Geschädigten dadurch ein Maß an Sicherheit vorgespiegelt wurde, das er überhaupt nicht gewährleisten konnte. Ebenso bedenklich ist, dass ein naher Angehöriger des Klägers von seiner Amtstätigkeit profitierte, denn damit stand auch die Unparteilichkeit seiner Amtsführung in Frage. Ob der Kläger auch gegen diese Pflichten verstoßen hat und er sich jedenfalls insofern der Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens bewusst war, bedarf jedoch keiner weiteren Erörterung. Wenn im Haftpflichturteil ein schadensverursachender Pflichtenverstoß des Notars festgestellt wird, kann sich der Versicherer nämlich im Deckungsprozess zur Begründung einer wissentlichen Pflichtverletzung nicht auf ein anderes gleichermaßen schadensursächliches Fehlverhalten berufen (BGH VersR 2001, 1103, 1104; Langheid in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 152 Rn. 13). Da das Haftpflichtgericht dem Notar allein die Übernahme eines zur Erreichung der angestrebten Sicherheit überflüssigen Verwahrungsgeschäftes zum Vorwurf gemacht hat, ist dem Senat somit ein Rückgriff auf andere Pflichtwidrigkeiten verwehrt. Dem steht auch nicht der Grundsatz der Voraussetzungsidentität (BGH VersR 2004, 590 = NJW-RR 2004, 676) entgegen. Denn der Tatbestand der Ausschlussklausel ("Schadenverursachung durch wissentliche Pflichtverletzung") deckt sich mit dem im Haftpflichtprozess als schadenverursachend festgestellten Haftungstatbestand (BGH, VersR 2001, 1103, 1104 unter II.2d). Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Parteien des Haftpflichtprozesses keinen Einfluss darauf haben, welche von mehreren konkurrierenden Pflichtverletzungen das Gericht seiner Entscheidung zugrundelegt. Deshalb muss der Versicherungsnehmer es hinnehmen, wenn das Haftpflichtgericht einen Tatbestand feststellt, der zugleich versicherungsrechtlich einen Risikoausschluss ausfüllt. Umgekehrt kann dann aber auch der Versicherer, wenn - wie hier - im Haftpflichtprozess festgestellt wird, dass der Versicherungsnehmer den Schaden durch ein bestimmtes, für die Risikoausschlüsse irrelevantes Verhalten verursacht hat, diese Feststellung im Deckungsprozess nicht mehr nachprüfen lassen (BGH a.a.O.). Die Bindung des Haftpflichturteils, die sich hier zum Nachteil der Beklagten auswirkt, entfällt auch nicht, weil sie zu einem - wie die Beklagte meint - untragbaren Ergebnis führt. Ob die Bindungswirkung bei grober Unbilligkeit entfallen kann, kann hier offen bleiben, da Voit und Knappmann (a.a.O., § 149 Rn. 32 a, 32 b), auf die sich die Beklagte beruft, dies nur für den Fall befürworten, dass der Versicherungsnehmer den Eintritt des Versicherungsfalls vorgetäuscht oder manipuliert, bzw. dass er das Haftpflichturteil erschlichen hat. Derartiges steht im Streitfall jedoch nicht in Rede.

Ob die Beklagte sich dem Kläger gegenüber überhaupt auf eine wissentliche Pflichtverletzung berufen kann, oder ob dem, soweit der Kläger Freistellung von seiner Zahlungspflicht aus dem Haftpflichturteil begehrt, § 19 a Abs. 2 S. 2 BNotO entgegensteht, kann unter diesen Umständen offen bleiben.

3. Wegen der Zahlungen, die der Kläger aufgrund des rechtskräftigen Haftpflichturteils an die Geschädigte geleistet hat, und der ihm durch den Haftpflichtprozess entstandenen Aufwendungen steht ihm ein Erstattungsanspruch in Höhe von 20.427,54 € zu. Dass er bereits 22.000 € in Raten an die Geschädigte überwiesen hat, steht außer Streit. Außerdem ist davon auszugehen, dass er für den Haftpflichtprozess Gerichtskosten in Höhe von 984 € aufgewandt hat (GA 186). Soweit die Beklagte dies in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 29. Juni 2005 bestreitet, handelt es sich dabei um neues Vorbringen i.S. von § 531 Abs. 2 ZPO, das mangels Darlegung eines Zulassungsgrundes keine Berücksichtigung mehr finden kann. Der Kläger hatte nämlich schon in erster Instanz unwidersprochen vorgetragen, dass er auf die Kostenrechnung vom 13. Februar 2004 984 € an die Justizkasse Berlin gezahlt habe (GA 59).

Darüber hinaus kann der Kläger Freistellung von der noch bestehenden Zahlungspflicht aufgrund des Haftpflichturteils verlangen. Ob die Restforderung sich unter Berücksichtigung der unstreitigen Teilzahlungen auf 64.742,09 € (so der Kläger) oder nur auf 61.390,17 € (so die Beklagte) beläuft, bedarf hier keiner Entscheidung, weil es Sache des Versicherers ist, wie und mit welchem Aufwand er seiner Freistellungspflicht nachkommt (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 257 Rn. 2). Da der Senat allerdings nicht über den Antrag des Klägers hinausgehen darf (§ 308 Abs. 2 ZPO), hat er den von diesem in seinem Berufungsantrag angegeben Forderungsstand als Höchstbetrag der von der Beklagten aufzubringenden Zahlungen in den Urteilstenor aufgenommen.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen (543 Abs. 2 ZPO). Berufungsstreitwert: (22.000 € + 984 € + 64.742,09 € =) 87.726,09 €.

Ende der Entscheidung

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