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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 18.03.2003
Aktenzeichen: I-4 U 189/02
Rechtsgebiete: VHB 84, VVG


Vorschriften:

VHB 84 § 3 Nr. 2
VHB 84 § 5 Nr. 1 a)
VHB 84 § 21 Nr. 1 b)
VHB 84 § 21 Nr. 3
VVG § 6 Abs. 3
1.

Entgegen der Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG ist kein vorsätzlicher Verstoß des Versicherungsnehmers gegen seine Obliegenheit anzunehmen, der Polizei unverzüglich eine Stehlgutliste vorzulegen, wenn der Versicherungsnehmer dem Agenten zwei Wochen nach dem Einbruchdiebstahl eine Schadenliste ausgehändigt hat, aber weder dieser noch die Polizei bei Übergabe des entsprechenden Formulars auf die Notwendigkeit der unverzüglichen Vorlage der Stehlgutliste hingewiesen haben und auch das Schadensanzeigeformular des Versicherers darauf nicht mit der gebotenen Klarheit aufmerksam macht.

2.

Die grob fahrlässige Verletzung der Obliegenheit zur unverzüglichen Vorlage einer Stehlgutliste bei der Polizei ist ohne Einfluss auf den Umfang der vom Versicherer zu erbringenden Leistung geblieben, wenn sich die Fahndungsmaßnahmen der Polizei darauf beschränkt hätten, für gestohlene Gegenstände, die aufgrund von Herstellerkennzeichnungen, Gerätenummern oder dauerhaften Merkmalen individualisierbar sind, eine Meldung in einen internationalen EDV-Suchverband einzustellen, während die konkrete Diebesbeute im wesentlichen aus Schmuck und sonstigen Teilen bestand, die sich für eine solche Meldung nicht eignen


OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I-4 U 189/02

Verkündet am 18. März 2003

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 25. Februar 2003 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S..., des Richters am Oberlandesgericht Dr. W... sowie der Richterin am Landgericht B...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 6. August 2002 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kleve - Einzelrichter - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des Verurteilungsbetrages abzuwenden, sofern nicht der Kläger seinerseits Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger beansprucht Versicherungsleistungen aus der Hausratversicherung (VHB 84) wegen Einbruchdiebstahls.

In der Nacht vom 10. auf den 11. Februar 2001 drangen unbekannt gebliebene Täter in das Einfamilienhaus des Klägers in K... ein und entwendeten nach Behauptung des Klägers vornehmlich Schmuck und Bargeld (Schadenliste BA 16 Js 548/01 StA Kleve Bl. 52). Mit Schreiben vom 26. Juli 2001 (GA 14) verweigerte die Beklagte Versicherungsschutz mit der Begründung, da die Stehlgutliste (§ 21 (1) b) VHB 84) trotz mehrfacher Anforderung der Polizei erst am 15. März 2001 vorgelegt worden sei, sei sie unter dem Blickwinkel der Obliegenheitsverletzung leistungsfrei.

Das Landgericht hat der Klage (nach Beweisaufnahme, GA 83 ff.) im wesentlichen, nämlich in Höhe von 27.082,93 €, stattgegeben und u.a. ausgeführt, in Betracht komme hier allenfalls eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung; diese führe indes nicht zur Leistungsfreiheit, weil davon auszugehen sei, dass sich die verspätete Einreichung der Stehlgutliste nicht ausgewirkt habe. Die Beklagte habe nicht dargelegt, was die Polizei bei früherer Vorlage der Liste veranlasst haben würde.

Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte, das Landgericht habe die für eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung sprechende Vermutung ohne hinreichende Grundlage für widerlegt gehalten. Entgegen dem angefochtenen Urteil sei auch der Kausalitätsgegenbeweis in bezug auf die verspätete Vorlage der Stehlgutliste nicht erbracht. Die Feststellung des Landgerichts zur Höhe seien rechtsfehlerhaft.

Der Senat hat Beweis erhoben.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

1.

Der Versicherungsfall - Einbruchdiebstahl (§§ 3 Nr. 2, 5 Nr. 1a) VHB 84) - ist erwiesen. Das Landgericht hat für den Senat bindend (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) festgestellt, dass der Kläger Opfer eines Einbruchdiebstahls geworden ist. Ihre dagegen ursprünglich geäußerten Bedenken, die an der Wintergartentür vorgefundenen Spuren ließen den Schluss auf ein gewaltsames Eindringen nicht zu, hat die Beklagte im Senatstermin fallengelassen (vgl. Protokoll v. 25.2.2003 GA 149).

2.

Entgegen der Auffassung der Berufung ist die Beklagte nicht wegen verspäteter Vorlage eines Verzeichnisses der abhandengekommenen Sachen (Stehlgutliste) bei der Polizei (§ 21 Nr. 1 b) i. V. m. § 21 Nr. 3 VHB 84, § 6 Abs. 3 VVG) leistungsfrei geworden.

Die Vorlage der Liste bei der Polizei am 15. März 2001 (BA 16 Js 548/01 StA Kleve, Bl. 78) war zwar verspätet. Seit dem Versicherungsfall vom 10.711. Februar 2001 war mehr als ein Monat verstrichen. Die Vorlage war damit nicht mehr unverzüglich.

Zu Recht hat das Landgericht jedoch die Vermutung (§ 6 Abs. 3 VVG) für widerlegt gehalten, dass der Kläger gegen die Obliegenheit, die Liste unverzüglich vorzulegen, vorsätzlich verstoßen hat. Die als Zeugin vernommene Ehefrau des Klägers hat vor dem Senat glaubhaft ausgesagt, sie und ihr Mann seien zwar darüber informiert gewesen, dass sie eine solche Liste der Polizei übergeben sollten, von irgendwelchen Fristen oder der Notwendigkeit, die Liste unverzüglich einzureichen, sei jedoch keine Rede gewesen. Auf eine besondere Dringlichkeit hingewiesen zu haben, hat auch der Zeuge M... nicht bestätigt, der sich nicht einmal ganz sicher war, ob er die Stehlgutliste überhaupt angemahnt hatte (vgl. GA 151). Auf eine Vernehmung des gegenbeweislich aufgebotenen Zeugen H..., der mangels ladungsfähiger Anschrift von der Beklagten zum Termin gestellt werden sollte, aber nicht erschienen ist, hat die Beklagte nicht bestanden (vgl. Sitzungsprotokoll v. 25.2.2003, GA 152).

Auch der Formularhinweis in der "Schadenanzeige Einbruchsdiebstahl ..." (GA 44) macht auf die Notwendigkeit einer unverzüglichen Vorlage der Stehlgutliste nicht mit der gebotenen Klarheit aufmerksam. Abgesehen davon fehlt auch jede Belehrung - die in ein Formular unschwer hätte aufgenommen werden können -, dass der Versicherungsschutz im Falle verspäteter Vorlage der Liste auf dem Spiel steht. Nach den Erfahrungen des Senats sind die Auswirkungen auf den Versicherungsschutz bei Verzögerungen, eine für die Polizei bestimmte Schadenaufstellung vorzulegen, verbreitet nicht geläufig. Ein vorsätzlicher versicherungsrechtlicher Verstoß kann nur gegeben sein, wenn dem Versicherungsnehmer auch die Existenz der diesbezüglichen Obliegenheit bekannt ist. Dass sich jemand absichtlich in die Gefahr des Verlustes seiner Ansprüche durch wissentliches Hinauszögern gebotener Anzeigen und Meldungen bringen will, steht nach der Lebenserfahrung nicht zu erwarten (vgl. Prölss/Voit, 26. Aufl., § 153 VVG Rn. 3 m.w.N. zur Parallelfrage rechtzeitiger Anzeige im Haftpflichtfall). Überdies hatte der Kläger hier eine Schadenliste bereits am 26. Februar 2001 dem Agenten der Beklagten ausgehändigt (GA 9). Das rechtfertigt den Schluss, dass der Kläger mit einer Konkretisierung der entwendeten Teile nicht bewusst hinter dem Berg halten wollte.

Wenn man davon ausgeht, dass der Kläger entsprechend der gesetzlichen Vermutung die Obliegenheit zur unverzüglichen Einreichung der Stehlgutliste grob fahrlässig verletzt hat, führt dies ebenfalls nicht zur Leistungsfreiheit der Beklagten. Denn der Kläger hat nachgewiesen, dass die Verletzung ohne Einfluss auf den Umfang der vom Versicherer zu erbringenden Leistung geblieben ist (§ 21 Nr. 3 VHB 84 i.V.m. § 6 Abs. 3 VVG). Der Kriminalbeamte M... hat als Zeuge vor dem Senat erläutert, eine Fahndung unter Verwertung der Stehlgutliste würde nur insoweit in Betracht gekommen sein, als bei Diebesbeute, die aufgrund von eingestempelten Herstellerkennzeichnungen (etwa Gerätenummern) oder sonstigen dauerhaften Merkmalen individualisierbar sei, eine Meldung in einen internationalen EDV-Suchverbund eingestellt werde. Die Fahndungserfolge seien indes eher mäßig (GA 151/152). Im vorliegenden Fall geht es im wesentlichen um Schmuck und sonstige Teile, die nicht aufgrund einer Herstellerkennzeichnung oder aus sonstigen Gründen individualisierbar waren. Nach solchen Kennzeichnungen war in bezug auf die Uhren und den Schmuck in dem von der Polizei ausgehändigten Vordruck nicht einmal gefragt (erwähnte Beiakten Bl. 79 R). Dazu hat der Kläger folgerichtig auch in der von ihm letztlich doch am 15. März 2001 (BA Bl. 78) der Polizei eingereichten Liste keine Angaben gemacht.

Die Frage, ob die beiden Mobiltelefone und das Lap-Top individualisierbar waren, und ob der Kläger die Gerätenummern hätte angeben können, ist unerörtert geblieben. Die Beklagte hat die letztlich eingereichte Liste ohne solche Gerätenummern (BA Bl. 80/81) jedenfalls inhaltlich nicht beanstandet. Wäre diese Liste früher eingereicht worden, würde eine Fahndung über den EDV-Verbund ebenfalls nicht möglich gewesen sein. Selbst wenn eine Suchmeldung hätte eingegeben werden können, wäre dem ein Erfolg mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht beschieden gewesen.

Gegebenenfalls käme auch ein Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus positiver Forderungsverletzung in Betracht. Die Beklagte muss sich Versäumnisse ihres Agenten gem. § 278 BGB zurechnen lassen, der den Kläger, als dieser ihm, dem Agenten, die Schadenliste am 26. Februar 2001 persönlich aushändigte (GA 9), hätte danach fragen müssen, ob denn diese Liste auch bereits der Polizei vorlag. Denn der Obliegenheit der Einreichung der Schadenliste bei der Polizei wird - wie bereits erwähnt - vielfach nicht die gebotene Bedeutung beigemessen, was ein Agent wissen muss.

3.

An die Feststellung des Landgerichts zur Höhe ist der Senat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellungen begründen würden, sind nicht ersichtlich. Das Landgericht hat der von ihm als Zeugin vernommenen Ehefrau des Klägers (vgl. GA 83 f.) geglaubt, dass die aufgelisteten Gegenstände entwendet worden sind und dass diese den angegebenen Wert hatten (vgl. dazu ferner BA Bl. 80 f.). Die Werte sind zu einem nicht unerheblichen Teil durch Anschaffungsrechnungen oder Bestätigungen belegt. Im übrigen hat sich die Zeugin für das Landgericht glaubhaft an den Anschaffungspreisen orientiert. Exakteres und mehr kann man von Seiten eines durch Einbruchdiebstahl Geschädigten nicht erwarten. Die Zeugin hat darüber hinaus auch auf den Senat, der sie in anderem Zusammenhang gehört hat, einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen.

Entgegen der Berufung war das Landgericht nicht gehalten, dem Beweisantritt der Beklagten nachzugehen, gegenbeweislich zur Schadenhöhe ein Sachverständigengutachten (GA 36/37) einzuholen. Die pauschale formelhafte Wendung, die "behaupteten Wiederbeschaffungspreise und Preise" würden bestritten, konnte nicht als ein auf den konkreten Fall zugeschnittenes substantiiertes Vorbringen gewertet werden, welches die für die Einholung eines Sachverständigengutachtens unverzichtbaren tatsächlichen Anknüpfungspunkte aufgezeigt hätte. Gewisse Bewertungsunterschiede wirken sich hier überdies nicht aus, weil für Schmuck aufgrund der Entschädigungsgrenze nur 40.000 DM beansprucht werden, obwohl der tatsächliche Anschaffungs- und Neuwert, wie ihn der Kläger präzisiert hat (BA Bl. 80/81) und seine Ehefrau als Zeugin bestätigt haben, bei fast 70.000 DM gelegen hat.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt.

Berufungsstreitwert: 27.082,93 €.

Ende der Entscheidung

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