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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.06.2004
Aktenzeichen: I-4 U 231/03
Rechtsgebiete: AUB 88


Vorschriften:

AUB 88 § 1 III
AUB 88 § 1 IV
AUB 88 § 7
AUB 88 § 8
Erleidet der Versicherungsnehmer durch eine erhöhte Kraftanstrengung einen nach § 1 IV AUB 88 versicherten Riss eines Muskels oder einer dazugehörenden Sehne, so kommt ein Abzug wegen Vorinvalidität gemäß § 8 AUB 88 nicht deshalb in Betracht, weil nach sachverständiger Feststellung aufgrund der menschlichen Konstitution bei Sehnenschäden durch erhöhte Kraftanstrengung stets Krankheiten mitwirken.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I-4 U 231/03

Verkündet am 15. Juni 2004

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2004 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S..., des Richters am Oberlandesgericht Dr. R... und der Richterin am Landgericht F...

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 6. November 2003 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 8.947,61 € nebst 4 % Zinsen seit dem 11. Juli 2001 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger, der bei der Beklagten eine Unfallversicherung auf der Grundlage der AUB 88 unterhält, nimmt diese wegen eines Unfallereignisses vom 8. Dezember 1999 auf eine Invaliditätsentschädigung in Anspruch, weil er beim Tragen eines 3 m hohen Weihnachtsbaumes, der ein Gewicht von 50 bis 60 kg hatte, eine Zusammenhangsdurchtrennung des linken körperfernen Oberarmbeugemuskels oder einer dazugehörenden Sehne erlitten hat. Die darauf zurückzuführende bleibende Beeinträchtigung seines linken Arms ist mit 1/10 Armwert anzusetzen. Die ihm auf der Basis gebührende Invaliditätsentschädigung hat die Beklagte aber um 50 % (= 17.500 DM = 8.947,61 €) gekürzt, da bei der Gesundheitsschädigung krankhafte Veränderungen mitgewirkt hätten. Diesen Abzug hält der Kläger für unberechtigt.

Das Landgericht hat sich nach Einholung eines unfallchirurgischen Gutachtens der Argumentation der Beklagten angeschlossen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.947,61 € nebst 4 % Zinsen seit dem 11. Juli 2001 zu zahlen.

Die Beklagte, die das angefochtene Urteil für richtig hält, bittet um Zurückweisung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil und den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Berufung hat Erfolg.

1.

In Übereinstimmung mit dem von der Beklagten eingeschalteten Privatgutachter, Dr. V..., geht der gerichtlich beauftragte Sachverständige, Dr. L..., davon aus, dass bei Sehnenschäden durch "erhöhte Kraftanstrengung", die nach § 1 IV AUB 88 als Unfall gelten, praktisch immer Krankheiten mitwirken, weil das Verhältnis von Muskel und Sehne so aufeinander abgestimmt sei, dass die vorgeschaltete Muskulatur die nachgeschaltete Sehne grundsätzlich nicht schädigen könne. Die Sehne sei um das Zwei- bis Dreifache belastbarer als die vorgeschaltete Muskulatur an Kraft aufzubringen vermöge. Daher könne der Mensch aufgrund der Belastbarkeit der Sehne leisten, was er muskulär leisten wolle. Das zieht der Senat in medizinischer Hinsicht nicht in Zweifel. Dieser Befund rechtfertigt es jedoch nicht, die geschuldete Entschädigung um einen Mitwirkungsanteil i. S. v. § 8 AUB 88 zu kürzen.

2.

Bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen ist von deren Wortlaut auszugehen und auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungs-rechtliche Spezialkenntnis abzustellen, der die AVB aufmerksam liest und verständig - unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs - würdigt (BGHZ 123, 83, 85 = VersR 1993, 957 unter III 1 b und ständig; Römer in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., vor § 1 Rn. 16; Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., Vorbem. III Rn. 2). Von diesem Horizont aus wird der Kläger § 1 IV AUB 88 zwar entnehmen, dass er - bei Hinzutreten der haftungsausfüllenden Voraussetzungen des § 7 AUB 88 - auch im Falle eines fingierten Unfalls, wie er hier unstreitig vorliegt, denselben Versicherungsschutz genießt wie bei einem echten Unfall i. S. von § 1 III AUB 88. Dass die Entschädigung von vornherein einer Minderung nach § 8 AUB 88 unterliegt, sofern nicht die mitwirkenden degenerativen Veränderungen ausnahmsweise belanglos (= unter 25 %) sind, ergibt sich für ihn jedoch weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinnzusammenhang der angesprochenen Bestimmungen. So lägen die Dinge aber, wenn man mit Dr. L... davon ausgeht, dass bei Sehnenschäden durch erhöhte Kraftanstrengung stets Krankheiten mitwirken.

Noch deutlicher wird die Problematik, wenn man anstelle einer Invaliditätsentschädigung den Anspruch auf eine Übergangsleistung gem. § 7 II AUB 88 prüft, bei der es eines Rückgriffs auf § 8 AUB 88 nicht bedarf, weil ein Anspruch ohnehin nur für den Fall eingeräumt wird, dass die Leistungsfähigkeit nach sechs Monaten ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen noch um mehr als 50 % eingeschränkt ist. Denn nach dem Verständnis der Beklagten wäre bei einem fingierten Unfall durch Zerrung oder Zerreißung eines Muskels oder einer Sehne unter den gegebenen Umständen nie eine Entschädigung geschuldet. Ein solches sinnwidriges Auslegungsergebnis wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer aber mit Recht als fernliegend betrachten. Deshalb müssen bei der Feststellung eines Mitwirkungsanteils ebenso wie bei Entscheidung über die Gewährung einer Übergangsleistung solche Krankheiten oder Gebrechen außer Betracht bleiben, ohne die es zu einer Zerrung oder Zerreißung von Muskeln oder Sehnen durch erhöhte Kraftanstrengung überhaupt nicht kommen kann.

3.

Für den Abzug eines Mitwirkungsanteils bleibt somit nur Raum, wenn die für einen Unfall infolge erhöhter Kraftanstrengung denknotwendige Vorschädigung der Sehnen oder der Muskulatur überschritten ist. Dafür bestehen im Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte. Eine darüber hinausgehende Erkrankung oder ein solches Gebrechen haben Dr. L... und Dr. V... nicht feststellen können. Dr. L.... hat in seiner ergänzenden Stellungnahme außerdem dargelegt, dass weitere Untersuchungen, insbesondere solche bildtechnischer Natur, über drei Jahre nach dem Schadensereignis keinen Aufschluss mehr über die Ursachen der Gesundheitsschädigung versprechen lassen. Das geht zu Lasten der Beklagten, die für die Voraussetzungen des § 8 AUB 88 darlegungs- und beweispflichtig ist.

4.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verzuges.

5.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 543 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Berufungsstreitwert: 8.947,61 €.

Ende der Entscheidung

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