Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 28.10.2008
Aktenzeichen: I-4 U 254/07
Rechtsgebiete: PflVG, VVG, AKB, StVO


Vorschriften:

PflVG § 3 Nr. 9
VVG § 1
VVG § 49
VVG § 61
AKB § 10
AKB § 12
StVO § 37 Abs. 2 S. 5
StVO § 41
StVO § 42
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 11. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Düsseldorf vom 19. November 2007 - 11 O 215/07 - wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Inhaber und Halter des Pkws M., amtliches Kennzeichen ..., das bei der Beklagten haftpflicht- und fahrzeugvollversichert ist. Er verlangt von der Beklagten Leistungen anlässlich eines Verkehrsunfalls, der sich am 02. September 2006 in B. ereignet hat.

An dem besagten Tag befuhr der Kläger gegen 9.40 Uhr den T. D. in B. in Richtung B.-K./Zentrum. Der gerade verlaufende T. D. verfügt in der Fahrtrichtung des Klägers über drei Fahrstreifen. Wie sich aus der polizeilichen Unfallanzeige erschließt, befuhr der Kläger den rechten von ihnen. Er beabsichtigte, den Kreuzungsbereich zur Auffahrt auf die Bundesautobahn ..., Fahrtrichtung D. und B.-N. geradeaus zu überqueren. Vor dem genannten Kreuzungsbereich befindet sich eine Lichtzeichenanlage, die aus drei gleichgeschalteten Signalgebern ohne gesonderte Signale für den Rechtsabbiegerverkehr besteht. Ein Linksabbiegen ist ohnehin unzulässig. Von den drei Signalgebern befinden sich zwei rechts bzw. links neben der Richtungsfahrbahn, ein weiterer ist an einem Mast oberhalb der Fahrbahn angeordnet. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Straßenverlauf, zur Beschilderung und zur Verkehrsregelung wird auf die vom Kläger mit Berufungsbegründungsschrift vom 02. Januar 2008 im Original vorgelegten Lichtbilder Bezug genommen.

Aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind, übersah der Kläger, dass die Signalgeber für ihn Rotlicht zeigten. Hierdurch kam es für den Kläger zur Kollision mit dem ihm entgegenkommenden Fahrzeug T., amtliches Kennzeichen ..., deren Führerin beabsichtigte, aus ihrer Sicht nach links auf die Auffahrt zur Bundesautobahn ... abzubiegen.

Der Kläger erlitt an seinem Pkw einen Schaden in Höhe von € 10.036,84. Der Schaden am gegnerischen Fahrzeug beträgt € 11.768,54.

Mit Schreiben vom 02. Januar 2007 lehnte die Beklagte die Regulierung des vom Kläger davongetragenen Schadens ab, weil dieser den Verkehrsunfall durch Missachten der für ihn geltenden Rotlichtphase grob fahrlässig verursacht habe.

Der Kläger hat behauptet, er sei vor der stark befahrenden Kreuzung auf dem T. D. kurzzeitig vom Verkehrsgeschehen abgelenkt gewesen, weil er sich vor Ort nicht ausgekannt habe, sich deshalb habe orientieren müssen, wobei er über kein Navigationssystem verfügt habe. Aufgrund der Vielzahl der Eindrücke, die auf ihn eingewirkt hätten, habe er zu spät bemerkt, dass die Signalgeber vor der Kreuzung zur Autobahnauffahrt bereits auf Rot umgeschaltet gehabt hatten. Dies sei in dem Augenblick geschehen, als er die Kreuzung erreicht habe. Er habe noch eine Vollbremsung vorgenommen, sei aber gleichwohl so weit in den Kreuzungsbereich hineingerutscht, dass es zum Zusammenstoß mit dem entgegenkommenden Fahrzeug gekommen sei. Nach allem gehe die Beklagte unzutreffend davon aus, dass er den Verkehrsunfall grob fahrlässig verschuldet habe.

Der Kläger hat beantragt,

1.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm aus Anlass des Schadensfalles vom 02. September 2006 Versicherungsschutz zu gewähren;

2.

die Beklagte zu verurteilen, ihn von Anwaltskosten in Höhe von € 399,72 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, die vom Kläger zu beachtenden Signalgeber hätten bereits mehr als zwei Sekunden Rotlicht gezeigt. Daher habe der Kläger den Verkehrsunfall grob fahrlässig verschuldet. Fehlende Ortskenntnisse würden ihn nicht entlasten. In einem solchen Fall habe der Kläger langsamer und mit gesteigerter Aufmerksam fahren müssen. Keineswegs sei die Verkehrssituation so unübersichtlich gewesen, wie der Kläger versuche, sie darzustellen.

Das Landgericht Düsseldorf hat die Klage durch Urteil vom 19. November 2007 abgewiesen und im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sei anlässlich des Schadensereignisses vom 02. September 2006 von ihrer Leistungspflicht befreit, weil Kläger den Verkehrsunfall grob fahrlässig verschuldet habe. Das vom Kläger geltend gemachte Augenblicksversagen entlaste diesen nicht, zumal dem Rotlichtverstoß eine Gelblichtphase vorgeschaltet gewesen sei, innerhalb der sich der Kläger auf seine Haltepflicht habe vorbereiten müssen. Der Kläger habe seine Fahrweise der Verkehrssituation so anpassen müssen, dass er sein Fahrzeug jederzeit ohne eine Vollbremsung zum Stillstand bringen konnte. Bei fehlenden Ortskenntnissen habe er an geeigneter Stelle anhalten müssen, um sich zu orientieren.

Gegen das ihm am 22. November 2007 zugestellte Urteil des Landgerichts hat der Kläger mit am 12. Dezember 2007 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 02. Januar 2008 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet. Er hält im wesentlichen daran fest, den vorliegenden Verkehrsunfall nicht grob fahrlässig verschuldet zu haben. Durch die Unübersichtlichkeit der Straßenführung und die Vielzahl von Ampeln, von Verkehrs-, Hinweis- und Werbeschildern sei er überfordert gewesen, zumal er sich in der morgendlichen Hauptverkehrszeit befunden habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 19. November 2007, Az.: 11 O 215/07, abzuändern

und

1.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm aus Anlass des Schadensfalles vom 02. September 2006 Versicherungsschutz zu gewähren;

2.

die Beklagte zu verurteilen, ihn von Anwaltskosten in Höhe von € 399,72 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung zu der sie ergänzend ihr erstinstanzliches Vorbringen vertieft.

Die Akte 58.90.154684.1 des Polizeipräsidenten in Berlin wurde dem Rechtsstreit zu Informationszwecken beigezogen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die Klage ist zulässig.

Wenngleich einem Feststellungsantrag in der Regel das gebotene Feststellungsinteresse in solchen Fällen fehlt, in denen der Kläger sein Verlangen auch im Wege der Leistungsklage geltend machen kann (BGH, Urteil vom 06. Mai 1993, I ZR 144/92, NJW 1993, 2993), steht dies der Zulässigkeit der vorliegenden Klage ausnahmsweise nicht entgegen. Denn es ist anerkannt, dass die Feststellungsklage gegenüber einem Leistungsantrag zulässig ist, wenn dieser nicht den ganzen zu erwartenden Schaden abdeckt (BGH, Urteil vom 20. Februar 1986, VII ZR 318/84, NJW-RR 1986, 1026). So liegt der Fall hier, in dem ein Leistungsantrag des Klägers auf Ersatz des selbst erlittenen Schadens keinen Aufschluss darüber geben würde, ob der Kläger die von der Beklagten aufgrund der bestehenden Haftpflichtversicherung an die Unfallgegnerin zu erbringenden Leistungen nach § 3 Nr. 9 PflVG erstatten muss.

Die Berufung ist allerdings unbegründet.

Die Beklagte ist dem Kläger anlässlich des Verkehrsunfalls vom 02. September 2006 nicht aus §§1, 49 VVG in Verbindung mit §§ 10, 12 AKB zur Leistung verpflichtet.

Sie ist vielmehr nach § 61 VVG von ihrer Leistungspflicht befreit, weil der Kläger den streitgegenständlichen Versicherungsfall grob fahrlässig verschuldet hat.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt und als schlechthin unentschuldbar anzusehen ist (BGH, Urteil vom 18. Dezember 1996, IV ZR 321/95, VersR 1997, 351; Senat, Urteil vom 31. März 1992, 4 U 127/91, VersR 1992, 1086).

Der Begriff der groben Fahrlässigkeit bemisst sich nach dem Grundgedanken des § 61 VVG, nach dem der Versicherungsnehmer, der sich in Bezug auf das versicherte Interesse völlig sorglos verhält, keine unverdiente Vergünstigung erhalten soll (BGH, Urteil vom 29. Januar 2003, IV ZR 173/01, VersR 2003, 364).

Für solche Umstände, die einen entsprechend hohen subjektiven Verschuldensmaßstab begründen, ist der Versicherer, der sich auf den Ausschlusstatbestand des § 61 VVG beruft, darlegungs- und beweispflichtig (BGH, Urteil vom 29. Januar 2003, IV ZR 173/01, aaO.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. November 2003, 12 U 89/03, aaO.).

Hierbei ist das Nichtbeachten eines roten Ampelsignals wegen der damit verbundenen erheblichen Gefahren für den öffentlichen Straßenverkehr in der Regel als objektiv grob fahrlässig zu bewerten (BGH, Urteil vom 29. Januar 2003, IV ZR 173/01, aaO.; OLG Hamm, Urteil vom 16. Januar 2000, 20 U 166/99, NJW-RR 2000, 1477; OLG Koblenz, Urteil vom 17. Oktober 2003, 10 U 375/03, NJW-RR 2004,114; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. November 2003, 12 U 89/03, NJW-RR 2004, 389).

Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise gegen die Annahme einer grob fahrlässigen Unfallverursachung durch den Kläger sprechen könnten, liegen nicht vor.

Zwar begründet ein objektiv grober Verstoß nicht regelmäßig die Annahme, dass dem Fahrzeugführer ein besonders hoher, über das gewöhnliche Maß hinausgehender Schuldvorwurf gemacht werden kann, der sein Verhalten auch subjektiv als nahezu unverzeihlich erscheinen lässt (BGH, Urteil vom 29. Januar 2003, IV ZR 173/01, aaO.; Senat, Urteil vom 31. März 1992, 4 U 127/91, aaO.). Allerdings kann vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (BGH, Urteil vom 08. Februar 1989, IVa ZR 57/88, VersR 1989, 582; BGH, Urteil vom 08. Juli 1992, IV ZR 223/91, VersR 1992, 1085), wobei die Grundsätze des Anscheinsbeweises nicht anwendbar sind (BGH, Urteil vom 21. April 1970, VI ZR 226/68, VersR 1970, 568; BGH, Urteil vom 29. Januar 2003, IV ZR 173/01, aaO.; Senat, Urteil vom 31. März 1992, 4 U 127/91, aaO.).

Vor diesem Hintergrund obliegt es dem Versicherungsnehmer, Tatsachen vorzutragen, die ihn entlasten. Denn es liegt eine Konstellation vor, in der die nicht beweisbelastete Partei eine Substantiierungslast trifft, weil der darlegungspflichtige Gegner typischerweise die maßgebenden Tatsachen nicht kennt, während sie der anderen Partei bekannt sind und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind (BGH, Urteil vom 29. Januar 2003, IV ZR 173/01, aaO.).

Solche Tatsachen, die ihm vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entlasten, hat die Kläger hier nicht dargetan. Das von ihm geltend gemachte Augenblicksversagen vermag ihn nicht ausreichend zu entschuldigen. Entscheidend für die Frage, ob ihm ausnahmsweise keine grob fahrlässige Herbeiführung des Schadensereignisses vorgeworfen werden kann, ist nämlich immer eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls (BGH, Urteil vom 29. Januar 2003, IV ZR 173/01, aaO).

Im Hinblick auf diese Gesamtwürdigung hat der Kläger keine Ursachen vorgetragen, die ihn in seinen Augenblicksversagen entscheidend entlasten könnten. Durch die beim Unfallgeschehen vorgefundene Verkehrssituation ist er nicht überfordert gewesen. Ein innerorts über drei Richtungsfahrsteifen geleiteter Verkehrsfluss stellt unter Berücksichtigung der für den Herkunftsort des Klägers üblichen Verkehrsverhältnisse selbst zur Hauptverkehrszeit keine außerordentliche Verkehrsituation dar, zumal der Kläger sich nicht für ein Rechts- oder Linksabbiegen umorientieren musste, sondern seine Fahrt in Geradeausrichtung fortsetzen wollte. Ein Linksabbiegen war ihm in der konkreten Verkehrssituation ohnehin durch Zeichen 214 gemäß § 41 StVO untersagt. Auch durch die Anzahl der Verkehrshinweisschilder, die in deutschen Großstädten, insbesondere auch im Ballungsraum Rhein/Ruhr an Hauptstraßen nicht unüblich ist, wurde er nicht an der Beachtung des eigentlichen Verkehrsgeschehen gehindert, zumal er sich nur auf diejenigen Schilder für die Geradeausfahrt konzentrieren musste. Den Werbeplakaten durfte er in straßenverkehrsordnungsrechtlicher Hinsicht ohnehin nicht eine solche Beachtung schenken, dass sie ihn vom Verkehrsgeschehen abgelenkt hätten. Wie sich aus den durch den Kläger vom Unfallort vorgelegten Lichtbildern erschließt, ließen sich die von ihm zu beachtenden, gleichgeschalteten Signalgeber bei der Heranfahrt an den Kreuzungsbereich aus angemessener Entfernung einsehen. Hierbei fällt es nicht entscheidend ins Gewicht, dass der rechts neben der Fahrbahn befindliche Signalgeber bei der Annäherung an die Kreuzung zunächst durch ein Hinweisschild nach Zeichen 440 gemäß § 42 StVO verdeckt wird. Denn dieses Hinweisschild hat den Kläger nicht daran gehindert, den oberhalb der Fahrbahn an einem Mast befestigten Signalgeber zu beobachten und so zu erkennen, dass er nicht mehr in den Kreuzungsbereich hineinfahren durfte. Zutreffend hat das Landgericht in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass der Kläger durch die vorangegangene gelbe Signalphase auf seine Haltpflicht nach § 37 Abs. 2 S. 5 StVO hingewiesen worden ist und sich hierauf einzustellen hatte. Sollte der Kläger schließlich aufgrund seiner fehlenden Ortskenntnis Orientierungsprobleme gehabt haben, so hätte er diese Unsicherheit durch eine besonders umsichtige und vorsichtige Fahrweise ausgleichen müssen. Wenn der Kläger gleichwohl das rote Ampelsignal erst zu spät bemerkt hat, hat er seine Fahrweise den vorhandenen Orientierungsschierigkeiten und der vorgefundenen Verkehrssituation nicht in der gebotenen Weise angepasst.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 .

IV.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

V.

Streitwert für die Berufungsinstanz: € 17.444,30 (Eigen- und Fremdschaden: € 21.805,38 abzüglich 20% wegen Feststellung)

Ende der Entscheidung

Zurück