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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 30.01.2009
Aktenzeichen: I-4 U 43/08
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 11. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Düsseldorf vom 8. Februar 2008 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz ausschließlich darüber, ob der Kläger, der in Folge eines Unfalls am 08.06.2003 unstreitig die Sehfähigkeit auf dem rechten Auge vollständig verloren hat, dennoch einen Invaliditätsgrad von 50 %, der zu einer Leistungspflicht aus der bei der Beklagten unterhaltenen privaten Unfallversicherung führen würde, nicht erreicht, weil gemäß Nr. 2.1.2.2.3 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden AUB 2000 die Sehkraft seines rechten Auges bereits vor dem Unfall dauernd beeinträchtigt war. Insoweit ist nach Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Landgericht in der Berufungsinstanz unstreitig, dass infolge von Kurz- und Stabsichtigkeit die Sehkraft seines rechten Auges ohne Sehhilfe 0,05 betrug und mit Sehhilfe - der Kläger war vor dem Unfall jedenfalls seit November 1999 Brillenträger - 0,9. Der Kläger hat geltend gemacht, dass mit Blick auf die Möglichkeit eines refraktiv-chirurgischen Eingriffs mittels Laser die aussichtsreiche Möglichkeit zu einer vollständigen Beseitigung des Sehfehlers bestanden habe und deshalb die Funktion seines rechten Auges vor dem Unfall nicht dauernd beeinträchtigt gewesen sei, wie es Nr. 2.1.2.2.3 AUB 2000 für die Minderung des Invaliditätsgrads um die Vorinvalidität erfordere.

Dem ist das Landgericht nach Einholung von Sachverständigengutachten gefolgt und hat die Beklagte unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrads von 50 % zu einer Invaliditätsleistung in Höhe von 6.000 € verurteilt. Die Minderung der Hörfähigkeit auf dem rechten Ohr des Klägers hat es hingegen als nicht unfallbedingt angesehen, was in der Berufungsinstanz zwischen den Parteien nicht mehr streitig ist.

Mit ihrer zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung macht die Beklagte im wesentlichen geltend, mit Blick auf den dauerhaften Augenfehler des Klägers vor dem Unfall sei ein Vorinvaliditätsgrad von mindestens 3 % zu berücksichtigen. Bei Bemessung der Vorinvalidität könne entgegen der Ansicht des Landgerichts eine nicht vorgenommene, nicht duldungspflichtige und nicht in jedem Falle erfolgreiche Heilbehandlung nicht berücksichtigt werden.

Dem folgt der Senat. Er hält an seiner Auffassung (vgl. Senat R + S 2006,164) fest, dass - entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (VersR 1983, 581; 1990, 478) - bei der Beurteilung der Gebrauchsfähigkeit eines Auges grundsätzlich von der durch eine Brille oder sonstige Sehhilfe korrigierten Sehkraft auszugehen ist, hiervon jedoch ein Abschlag für die Gebrauchsminderung vorzunehmen ist, die sich aus der Notwendigkeit des Tragens einer Sehhilfe und den damit generell verbundenen Belastungen ergibt. Davon abzugehen besteht auch unter Berücksichtigung der Fortschritte, die in der Brillen- und Kontaktlinsentechnik seit der Leitentscheidung des BGH zu verzeichnen waren, keine Veranlassung. Die mit dem Tragen einer Brille oder Kontaktlinsen verbundenen Beeinträchtigungen fallen auch dann ins Gewicht, wenn es sich um die in dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten beschriebenen modernen Kontaktlinsen handelt, die jeweils 30 Tage ununterbrochen im Auge verbleiben. Derartige Kontaktlinsen werden nicht von jedem vertragen, auch der Kläger hat sich vor dem Unfall nicht für Kontaktlinsen, sondern für das Tragen einer Brille entschieden. Zudem entfallen auch bei derartigen Linsen die mit der Reinigung, Desinfizierung und erneuter Einsetzung der Linse einhergehenden Belastungen nicht vollständig; diese Vorgänge müssen zwar weniger häufig, wegen des Infektionsrisikos aber besonders sorgfältig vorgenommen werden. Ebenso wie bei der Brille bestehen auch bei modernen Kontaktlinsen die vom Bundesgerichtshof in seiner Leitentscheidung angesprochenen psychischen Beeinträchtigungen durch Abhängigkeit von der Sehhilfe, die Gefahr von Beschädigung und Verletzung durch sie sowie der drohende Verlust mit der Folge, als Kontaktlinsenträger vorübergehend in hohem Maß invalide zu werden.

Dies führt dazu, dass wegen der erheblichen Stab- und Kurzsichtigkeit des Klägers auf dem rechten Auge, die auch bei Korrektur durch eine Sehhilfe nur eine eingeschränkte Sehkraft von 0,9 ermöglichte, der Invaliditätsgrad durch den vollständigen Verlust der Sehkraft auf dem rechten Auge, der nach der Gliedertaxe mit 50 % zu bemessen ist, um eine Vorinvalidität von 3 % gemindert ist. Dass vor dem Unfall die abstrakte Möglichkeit bestand, die Sehkraft durch einen refraktiv-chirurgischen Eingriff mittels der LASIK-Methode vollständig wiederherzustellen, ändert hieran nichts. Da der Kläger einen derartigen Eingriff trotz der jedenfalls seit mehr als 3 Jahren vor dem Unfall bestehenden Sehschwäche nicht vornehmen ließ, ist die Funktionsminderung des rechten Auges des Klägers vor dem Unfall als dauerhaft im Sinne von Nr. 2.1.2.2.3 AUB 2000 anzusehen. Die bloße Möglichkeit einer chirugischen Behandlung der Hornhaut wäre umgekehrt auch dann, wenn ein Auge mit bis dahin intaktem Sehvermögen erstmals infolge eines Unfalls dauerhaft beeinträchtigt würde, bei der Bemessung der Invalidität nicht zu berücksichtigen. Es wäre einem Unfallversicherten in diesem Fall nicht zu vermitteln, ihm einen ansonsten gegebenen Anspruch auf Invaliditätsleistung mit der Begründung zu verwehren, er könne - anstelle des Tragens einer Sehhilfe - die wegen der mit der Sehhilfe verbundenen Belastungen noch verbleibende Funktionsminderung seines Auges durch einen chirurgischen Eingriff beseitigen. Wie die Beklagte zu Recht geltend macht, träfe den Versicherungsnehmer keine Obliegenheit zur Duldung eines solchen Eingriffs gemäß Nr. 7.1 AUB 2000. Operationen, die nicht gänzlich ungefährlich und schmerzfrei sind, braucht ein Versicherter sich mangels Zumutbarkeit regelmäßig nicht zu unterziehen (OLG Hamm VersR 1992, 1120, 1121). Wie auch der Kläger nicht in Abrede stellt, ist eine Operation in der LASIK-Technik wie jeder operative Eingriff nicht gänzlich risikolos; eine Vielzahl von Brillen- und Kontaktlinsenträgern nimmt daher die vergleichsweise geringen Beeinträchtigungen, die mit dem Tragen einer Sehhilfe verbunden sind, hin und entscheidet sich gegen eine operative Behandlung des Sehfehlers. Welches Ausmaß die mit einer LASIK-Operation verbundenen Risiken haben, wie genau diese angesichts des Fehlens von Langzeitstudien derzeit einzuschätzen sind und wie hoch die (statistische) Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind, kann hier dahinstehen. Von einem Versicherungsnehmer können nur solche Maßnahmen erwartet werden, die ein verständiger Mensch zur Abwendung und Minderung von Unfallfolgen ergreifen würde (vgl. BGH VersR 1965, 1173). Die Duldung von Behandlungsmethoden, insbesondere von Operationen, findet jedenfalls dort ihre Grenze, wo eine wesentlich weniger eingriffsintensive Methode zum Ausgleich einer Funktionsbeeinträchtigung eines Organs gegeben ist. Dies ist zweifellos der Fall, wenn sich eine Sehschwäche durch eine Brille oder Kontaktlinsen anstelle eines operativen Eingriffs weitgehend - wenn auch wegen der mit der Sehhilfe als solcher verbundenen Belastungen nicht vollständig - ausgleichen lässt. Daher darf ein Versicherer den Versicherungsnehmer bei einer unfallbedingten Sehschwäche nicht auf die Möglichkeit einer Operation zur vollständigen Wiederherstellung der Sehkraft verweisen, wenn dieser sich - wie der Kläger vor dem Unfall - für das Tragen einer Brille entscheidet. Weil die Vorinvalidität gem. Nr. 2.1.2.2.3 Satz 2 AUB 2000 nach denselben Maßstäben zu beurteilen ist wie die Bemessung der unfallbedingten Invalidität hat dies zur Folge, dass die bloße Möglichkeit der operativen Beseitigung einer vor dem Unfall vorhandenen Kurz- und Stabsichtigkeit, von der der Versicherungsnehmer keinen Gebrauch gemacht hat, nichts daran ändert, dass die mit der Sehhilfe verbundenen Beeinträchtigungen bei der Entschädigung eines nachfolgenden Unfalls mit dem sogenannten "Brillenabschlag" anspruchsmindernd in Ansatz zu bringen sind. Jedenfalls dann, wenn wie hier der Versicherungsnehmer vor dem Unfall noch keine Schritte unternommen hat, um seine Sehkraft durch einen operativen Eingriff wieder vollständig herzustellen, und zudem vollkommen ungewiss ist, ob er sich ohne den Unfall hierzu entschlossen hätte, hat die abstrakte Möglichkeit eines solchen Eingriffs ebenso außer Betracht zu bleiben wie bei der endgültigen Bemessung des Invaliditätsgrads nach Ablauf der 3-Jahresfrist des Nr. 9.4 AUB 2000 ein zum Zeitpunkt des Fristablaufs noch ungewisser Erfolg einer eingeleiteten Heilbehandlung (vgl. hierzu BGH VersR 2005, 927 - 929). Auch insoweit gilt der Grundsatz, dass Invalidität und Vorinvalidität nach den gleichen Grundsätzen zu bemessen sind (Knappmann in Prölls/Martin, VVG, 27. Aufl., § 7 AUB 94, Rn. 31).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 6.000 €. Ein begründeter Anlass für die Zulassung der Revision ist nicht gegeben. Insbesondere weicht der Senat nicht von der Entscheidung des OLG München vom 21.03.2006, abgedruckt in R + S 2007, 32 ab. Diese bezieht sich ausschließlich auf die Frage einer Vorinvalidität wegen Altersweitsichtigkeit, die das Oberlandesgericht München mit der Begründung verneint, dass eine Altersweitsichtigkeit dem Normalzustand eines Versicherungsnehmers ab einem bestimmten Lebensalter entspreche. Das OLG München hat in der zitierten Entscheidung ausdrücklich klargestellt, dass es die Frage einer Vorinvalidität bei einem erheblich kurzsichtigen Versicherungsnehmer nicht abweichend von der Leitentscheidung des BGH (R + S 1983, 137) beurteilt.

Ende der Entscheidung

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