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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 27.01.2009
Aktenzeichen: I-4 U 64/08
Rechtsgebiete: VVG, BGB


Vorschriften:

VVG § 1
VVG § 49
VVG § 74
BGB § 307 Abs. 1
BGB § 307 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 03. März 2008 - 9 O 394/07 - wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zwangsweise gegen sie durchzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist bei der Beklagten aufgrund eines Antrages vom 18. Juli 2005 (Bl. 5 GA) seit dem 01. August 2005 unter der Versicherungsnummer ... privat unfallversichert. In den Versicherungsschutz ist ihr Ehemann als mitversicherte Person aufgenommen.

Dem Versicherungsvertrag zugrunde liegen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen der Beklagten (AUB 2000, Bl. 6-13 GA).

Die progressiv gestaffelte Invaliditätssumme beträgt im Grundbetrag € 70.000,00. Die Kapitalzahlung erhöht sich je nach Invaliditätsgrad auf bis zu 225%. Zusätzlich sieht der Versicherungsvertrag eine Unfallrente von monatlich € 1.000,00 vor.

Mit Schreiben vom 06. März 2006 (Bl. 38f. GA) zeigte die Klägerin der Beklagten an, dass ihr Ehemann am 05. Februar 2006 einen Unfall erlitten habe. Zum Unfallhergang führte sie aus, sie habe ihren Ehemann morgens im Wohnzimmer auf dem Boden gefunden. Dieser könne sich selbst an nichts erinnern. Er habe an der rechten Hüfte und am rechten Oberschenkel Fleisch- und Nervenverletzungen davongetragen und sei durch den Notarzt ins Krankenhaus eingewiesen worden.

Durch die lange Liegezeit bis zum Eintreffen des Notarztes erlitt der Ehemann der Klägerin ein Kompartment-Syndrom im rechten Oberschenkel. Durch diese Verletzung ist sein rechtes Bein funktionsunfähig. Er ist dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen. Die ständig im rechten Bein auftretenden Schmerzen werden mit starken Schmerzmitteln therapiert.

Weil ihr vom Krankenhaus mitgeteilt worden sei, dass der Ehemann der Klägerin zu viele Tabletten zu sich genommen habe und daraufhin wohl ohnmächtig geworden sei, lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 27. Juni 2006 (Bl. 42 GA) Leistungen aus der Unfallversicherung ab.

Die Klägerin hat behauptet, ihr Ehemann sei vormals wegen der Operation und der verabreichten Vollnarkose verwirrt gewesen und habe sich daher an den Unfallhergang nicht mehr erinnern können. Inzwischen sei die Erinnerung bei ihm zurückgekommen. Hiernach sei er am späten Abend gestolpert und mit dem Bein gegen eine Ecke des Wohnzimmertischs gestürzt. Durch den Sturz sei er nicht mehr dazu in der Lage gewesen, selbstständig aufzustehen. Das Rufen ihres Ehemanns um Hilfe habe sie nicht gehört, weil sie sich bereits zu Bett begeben gehabt habe. Durch die Schmerzen habe ihr Ehemann dann wohl das Bewusstsein verloren und sei einige Stunden später von ihr aufgefunden worden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an Herrn A. F., wohnhaft P.-L.-Str. ..., ...

1.

€ 94.500,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Oktober 2007 zu zahlen;

2.

eine rückständige Unfallrente seit dem 01. Februar 2006 in Höhe von € 20.000,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Oktober 2007 zu zahlen;

3.

ab dem 01. Oktober 2007 eine Unfallrente in Höhe von monatlich €1.000,00 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat eingewandt, die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche seien schon deshalb ausgeschlossen, weil die unfallbedingte Invalidität ihres Ehemannes nicht binnen 15 Monaten durch einen Arzt festgestellt worden sei.

Dessen ungeachtet liege kein bedingungsgemäßes Unfallereignis vor. Vielmehr sei der Unfall dadurch eingetreten, dass der Ehemann der Klägerin das Bewusstsein verloren und sich erst dann verletzt habe.

Hierauf hat die Klägerin erwidert, die Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität habe für die Verletzungen ihres Ehemanns nicht gegolten, weil die Beklagte hierauf entgegen der Handhabung bei einem vorangegangenen Unfallereignis nicht hingewiesen und auch kein von ihr hierzu üblicherweise verwendetes Formblatt zugesandt habe. Nachdem die Beklagte die geforderten Leistungen mit Schreiben vom 27. Juni 2006 ernsthaft und endgültig abgelehnt habe, sei das Nachreichen einer ärztlichen Bestätigung unfallbedingter Invalidität sinnlos geworden.

Das Landgericht Düsseldorf hat die Klage durch Urteil vom 03. März 2008 abgewiesen und im wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, weil die unfallbedingte Invalidität ihres Ehemannes nicht binnen 15 Monaten nach dem Unfallereignis durch einen Arzt festgestellt worden sei. Das Versäumen dieser Anspruchsvoraussetzung lasse sich nicht entschuldigen. Das Berufen der Beklagten auf die versäumte Frist sei nicht treuwidrig. Ein Belehrungsbedarf der Klägerin zu dieser Frist lasse sich nicht erkennen. Der diesbezügliche Einwand sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Beklagte die von ihr geforderten Leistungen in ihrem Schreiben vom 27. Juni 2006 aus einem anderen Grund abgelehnt habe.

Gegen das ihr am 05. März 2008 zugestellte Urteil des Landgerichts hat die Klägerin mit am 27. März 2008 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese sogleich begründet.

Sie macht im wesentlichen geltend, die Beklagte sei mit dem Einwand nicht fristgerecht durch einen Arzt festgestellter unfallbedingter Invalidität ausgeschlossen, weil sie die geforderten Leistungen mit Schreiben vom 27. Juni 2006 aus einem anderen Grund abgelehnt habe. Weil sie auf die betreffende Anspruchsvoraussetzung entgegen der Handhabung bei dem früheren Unfallereignis nicht hingewiesen habe, verhalte sich die Beklagte mit dem jetzt erhobenen Einwand widersprüchlich.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 03. März 2008 zu verurteilen, an Herrn A. F., wohnhaft ...

1.

€ 94.500,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Oktober 2007 zu zahlen;

2.

eine rückständige Unfallrente seit dem 01. Februar 2006 in Höhe von € 20.000,00 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Oktober 2007 zu zahlen;

3.

ab dem 01. Oktober 2007 eine Unfallrente in Höhe von monatlich €1.000,00 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die Leistungsablehnung des Versicherers ändere nichts daran, dass der Anspruch auf Invaliditätsleistung erst dann entstehe, wenn unfallbedingte Invalidität fristgerecht durch einen Arzt festgestellt worden sei. Diese Anspruchsvoraussetzung sei von Amts wegen zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob ihr Fehlen vom Versicherer geltend gemacht worden sei. Die Notwendigkeit, unfallbedingte Invalidität fristgerecht durch einen Arzt feststellen zu lassen, sei der Klägerin aus dem vorangegangenen Unfallereignis bekannt gewesen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist.

Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten aus dem Schadensereignis vom 5. Februar 2006 kein Anspruch aus §§ 1, 49, 74 VVG in Verbindung mit Nr. 2 der vereinbarten AUB 2000 zu, weil die unfallbedingte Invalidität ihres Ehemannes entgegen Nr. 2.1.1.1 AUB 2000 nicht fristgerecht durch einen Arzt festgestellt worden ist.

1. Der Anspruch auf Invaliditätsleistung setzt in formeller Hinsicht nach Nr. 2.1.1.1 AUB 2000 voraus, dass die Invalidität innerhalb von einem Jahr nach dem Unfall eingetreten und vor Ablauf von weiteren drei Monaten ärztlich schriftlich festgestellt und gegenüber dem Versicherer geltend gemacht worden ist.

2. In dem vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen von Nr. 2.1.1.1 AUB 2000 nicht erfüllt.

Dabei kann es dahin gestellt bleiben, ob die Klägerin die Invalidität ihres Ehemannes fristgerecht geltend gemacht hat. Zweifel bestehen hieran deshalb, weil sich aus der Unfallanzeige vom 6. März 2006 nicht ersehen lässt, ob ihr Ehemann durch den gemeldeten Unfall in seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt worden ist. Im Ergebnis kann dies jedoch offen bleiben, weil Invalidität in jedem Fall nicht innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall durch einen Arzt schriftlich festgestellt worden ist. Die Bescheinigung der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. O. (Bl. 49 GA) stammt erst vom 2. Januar 2008 und vermag die Voraussetzungen nach Nr. 2.1.1.1 in zeitlicher Hinsicht nicht mehr zu erfüllen, weil zwischen ihr und dem Unfall nahezu 23 Monate liegen.

Das Erfordernis fristgerechter ärztlicher Feststellung der Invalidität ist eine Anspruchsvoraussetzung, deren Nichtvorliegen nicht entschuldigt werden kann (BGH, Urteil vom 23. Februar 2005, IV ZR 273/03, VersR 2005, 639). Daher kommt es nicht darauf an, ob und aus welchen Gründen die Klägerin das betreffende Erfordernis verkannt hat. Eine allgemeine Belehrungspflicht des Versicherers im Hinblick auf die in den Bedingungen enthaltenen Fristenregelungen besteht nicht. Auch ist es unerheblich, dass die Beklagte bereits vor Fristablauf mit Schreiben vom 27. Juni 2006 es aus anderen Gründen abgelehnt hat, Leistungen für das vorliegende Unfallereignis zur Verfügung zu stellen. Denn die Leistungsablehnung durch den Versicherer ändert nichts daran, dass der Anspruch des Versicherungsnehmers nicht entsteht, wenn Invalidität nicht fristgerecht durch den Arzt festgestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2002, IV ZR 154/02, VersR 2002, 1578; BGH, Urteil vom 30. November 2005, IV ZR 154/04, VersR 2006, 352; BGH, Urteil vom 7. März 2007, IV ZR 137/06, VersR 2007, 1114).

3. Die innerhalb von 15 Monaten gebotene ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität ist in dem vorliegenden Fall nicht ausnahmsweise entbehrlich gewesen. Auf die Feststellung kann nur dann verzichtet werden, wenn sich aus den vorliegenden Befunden zwingend eine dauernde Beeinträchtigung ergibt. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des Ausschlusses. Denn bei einem zweifelsfrei von Anfang an unabänderlichen Gesundheitszustand besteht für den Versicherer kein schützenswertes Interesse und er handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er sich im Streit auf das Fehlen einer fristgerechten ärztlichen Invaliditätsfeststellung beruft (BGH, Urteil vom 5. Juli 1995, IV ZR 43/94, VersR 1995, 1179). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben, weil sich aus der Unfallanzeige vom 6. März 2006, die der Beklagten innerhalb der fünfzehnmonatigen Frist allein vorgelegt worden ist, keine Verletzungen ergeben, die auf eine unfallbedingte Invalidität schließen lassen. Derartige Aussagen haben auch die Berichte des St. M.-Hospitals in M. an der Ruhr vom 9. März und 25. August 2006 (Bl. 14 ff. GA) nicht getroffen.

Die Berufung der Beklagten auf den Ablauf der Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung stellt auch aus anderen Gründen keinen Rechtsmissbrauch dar. Ein entsprechender Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) kommt in Betracht, wenn dem Versicherer ein Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers über die Rechtsfolgen der Fristversäumung deutlich wird, er aber gleichwohl eine solche Belehrung unterlässt. Davon kann auszugehen sein, wenn der Versicherte Invaliditätsansprüche rechtzeitig geltend macht, seine Angaben oder die von ihm vorgelegten ärztlichen Atteste den Eintritt eines Dauerschadens nahe legen, die erforderliche ärztliche Feststellung der Invalidität aber noch fehlt (BGH, Urteil vom 28. Juni 1978, IV ZR 7/77, VersR 1978, 1036; BGH, Urteil vom 30. November 2005, IV ZR 154/04, VersR 2006, 352). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil die der Beklagten allein vorgelegte Unfallanzeige vom 6. März 2006 - wie bereits ausgeführt - keine Angaben enthält, die eine dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit nahe legen. Dann aber hat für die Beklagte kein Anlass bestanden, die Klägerin über die mit der Fristversäumung verbundenen Rechtsfolgen zu belehren.

Ein Rechtsmissbrauch der Beklagten folgt auch nicht daraus, dass sie bei einem vorangegangenen Unfallschaden, dessen Abwicklung noch nicht abgeschlossen war, die Klägerin schriftlich auf die Einhaltung der Fristen hingewiesen hat (Bl. 43 GA). Eine rechtswirksame Bindung, in dieser Form auch bei zukünftigen Schadensfällen zu verfahren, ist hierdurch nicht begründet worden. Ebenso wenig hat die Beklagte zu erkennen gegeben, dass die Fristen ohne einen ausdrücklichen Hinweis von ihr nicht gelten würden. Der Inhalt der vereinbarten Versicherungsbedingungen ist von ihr zu keiner Zeit aufgegeben worden. Etwas anderes war auch für die Klägerin nicht erkennbar, so dass sie sich nicht auf einen anders lautenden Vertrauenstatbestand berufen kann.

4. Die Fristenregelung unter Nr. 2.1.1.1 der vereinbarten Bedingungen ist nicht unwirksam. Insbesondere hält sie wegen des mit ihr bezweckten Ausschlusses von Spätschäden einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB stand. Dies gilt insbesondere auch für die Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität (BGH VersR 2005, 639; BGHZ 137, 174).

Die Bestimmung ist auch nicht unklar oder intransparent. Insbesondere wird durch das vorangestellte Inhaltsverzeichnis der AUB 2000 und die zu den einzelnen Klauseln gewählten Überschriften ein aufmerksamer und sorgfältiger Versicherungsnehmer nicht zu der Auffassung verleitet, er habe im Versicherungsfall lediglich die unter Nr. 7 mit "Was ist nach einem Unfall zu beachten?" überschriebenen Anforderungen zu beachten (vgl. hierzu bei anders lautenden Bedingungen: OLG Hamm VersR 2008, 811). Denn unter Nr. 7 der Bedingungen ist ausdrücklich hervorgehoben, dass nach einem Unfall "zunächst die Voraussetzungen der vereinbarten Leistungsarten gem. Ziffer 2" zu beachten sind. Aufgrund dieses Hinweises kann kein Missverständnis darüber entstehen, dass nicht allein die unter Nr. 7 im Einzelnen geregelten Anforderungen, sondern auch die Erfordernisse unter Nr. 2 der Bedingungen einzuhalten sind.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

V.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf € 156.500,00 festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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