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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 17.04.2007
Aktenzeichen: I-4 U 81/06
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 29. März 2006 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der am 9.11.1976 geborene Kläger, ein Industriemechaniker/Stahlbauschlosser, unterhält bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (Vers.-schein: GA 5, Nachtrag z. 1.8.2003: GA 15, AVB: Top-BUZ 02.2004, GA 6). Nachdem er im November 2003 einen lumbalen Bandscheibenvorfall erlitten hat, nimmt er die Beklagte ab Dezember 2003 auf Leistungen aus der Zusatzversicherung in Anspruch. Diese ist mit Schreiben vom 7. Juli 2004 (GA 22) von der Zusatzversicherung zurückgetreten und hat den Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten, weil der Kläger im Versicherungsantrag vom 31. Juli 2001 (GA 165) nur ärztliche Behandlungen und Untersuchungen wegen einer "Entzündung am Becken" mit dem Ergebnis "ohne Befund" angegeben habe, obwohl er im abgefragten Zeitraum auch wegen LWS-Beschwerden, akuter Lumbalgie, LWS-Syndrom, Lumboischialgie rechts und Schlafstörungen, Nervosität, Übererregbarkeit und depressiver Verstimmung (fach-)ärztlich behandelt und in 1997 und 2002 auch langfristig arbeitsunfähig krankgeschrieben worden sei.

Der Kläger hat geltend gemacht: Er sei bei Aufnahme des Versicherungsantrags vom Vertreter der Beklagten gebeten worden, nur Behandlungen oder Erkrankungen zu nennen, die zur Berufsunfähigkeit führen könnten oder erheblich seien. Insoweit sei ihm nur die Untersuchung durch den Orthopäden M... in 1997 und die Folgebehandlung erinnerlich gewesen. M... habe ihm als Diagnose lediglich eine "Entzündung im Becken" genannt (GA 141, 3). Die psychiatrische Praxis E... habe er 1998 aufgesucht, um vom Wehrdienst befreit zu werden. 2000 habe er sich dort nochmals untersuchen und krankschreiben lassen, weil er im Betrieb gemobbt worden sei und Gelegenheit haben wollte, in Ruhe einen neuen Arbeitsplatz zu suchen (GA 54). Im Übrigen stünden seine heutigen Beschwerden in keinem Zusammenhang mit den von M... und E... gestellten Diagnosen.

Die Beklagte hat geltend gemacht: Ihr Agent habe bei Aufnahme des Versicherungsantrags die Gesundheitsfragen wie schriftlich vorgegeben gestellt. In Kenntnis der orthopädischen Vorerkrankungen des Klägers hätte sie den Vertrag nur mit einer diesbezüglichen Ausschlussklausel angenommen, in Kenntnis der psychischen Beschwerden hätte sie ihn wegen Berufsunfähigkeit überhaupt nicht versichert.

Das Landgericht hat durch schriftliche Befragung des Zeugen M... Beweis erhoben (Beweisbeschlüsse v. 7.9. und 13.12.2005, GA 157, 193; schriftliche Erklärungen des Zeugen: GA 176 u. 194) und die Klage sodann abgewiesen, weil die Arglistanfechtung durchgreife. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Zeuge M... dem Kläger die Diagnose Lumbalgie/LWS-Beschwerden mitgeteilt habe. Ob er außerdem - wie der Kläger durch den Antrag auf Vernehmung der Zeugin R... unter Beweis gestellt habe - von einer Entzündung im Beckenbereich gesprochen habe, könne dahinstehen, da diese in keinem Zusammenhang mit den verschwiegenen LWS-Beschwerden stehe.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er beanstandet, das Landgericht habe zu Unrecht von der Vernehmung der Zeuginnen R... und L... abgesehen. Diese hätten bestätigen können, dass der Zeuge M... eine Entzündung im Beckenbereich diagnostiziert und ihn darüber unterrichtet habe. Das habe er im Antragsbogen - unstreitig - angegeben. Dem hätte die fachkundige Beklagte nachgehen müssen, da aufgrund dieser Diagnose eine Primärerkrankung der Wirbelsäule abzuklären sei. Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.615 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn in der Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Juli 2036 mindestens jeweils 821,55 €, jeweils am 1. eines jeden Monats zu zahlen und

3.

festzustellen, dass er seit September 2003 von der Beitragspflicht im Hinblick auf die Berufsunfähigkeitsversicherung befreit ist.

Die Beklagte, die das angefochtene Urteil für richtig hält, bittet um

Zurückweisung der Berufung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung stehen dem Kläger nicht zu, weil - wie schon das Landgericht mit Recht angenommen hat - die Beklagte den Vertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) angefochten hat.

1. Der Kläger hat die im Versicherungsantrag vorgesehenen Fragen nach ärztlichen Untersuchungen und Behandlungen in den letzten fünf Jahren, deren Anlass und Ergebnis (GA 166) objektiv falsch beantwortet hat. Denn Tatsache ist, dass er seine Hausärztin, Dr. M..., in den Jahren 1996 - 2000 wiederholt wegen Rückenbeschwerden aufgesucht hat. Ferner war er im März 1997 wegen Beschwerden im Lendenwirbelbereich bei dem Arzt M... in Behandlung (GA 101). Schließlich ist er vom 17. März bis 24. November 1997 wegen Beschwerden sowohl im Bereich der LWS als auch der BWS von dem Zeugen M... behandelt worden. Dieser hat ein Thoracalsyndrom bei Blockierung D 5 rechts und eine Lumboischialgie rechts bei Discopathie L 5/S 1 festgesellt. Das wird nicht nur durch die Angaben bei seiner schriftlichen Befragung (GA 176) bestätigt, sondern auch durch den Arztbrief, den er am 21. April 1997 an die Hausärztin des Klägers geschrieben hat (GA 185). Diese Untersuchungen und Behandlungen musste der Kläger selbst dann offenbaren, wenn der Agent der Beklagten ihm - wie von ihm behauptet - die Gesundheitsfragen dahingehend erläutert hat, dass nur Erkrankungen anzuzeigen seien, die unter Umständen Auswirkungen auf die Berufsfähigkeit haben oder sonst erheblich sind (GA 141). Denn dass sich über geraume Zeit hinziehende Rückenbeschwerden zu diesem Kreis von Erkrankungen zu zählen sind, ist offenkundig. Gerade bei Versicherungsnehmern, die - wie der Kläger - im Berufsleben erheblichen körperlichen Belastungen ausgesetzt sind, stellen Rückenleiden eine häufige Ursache für den Eintritt von Berufsunfähigkeit dar. Dass der Kläger, der auf die Frage nach von ihm eingenommen Medikamenten sogar ein Mittel gegen Heuschnupfen angegeben hat, dies anders gesehen hat, macht er auch nicht geltend.

2. Dem Kläger war bewusst, dass seine Antworten auf die Gesundheitsfragen zumindest unvollständig und damit falsch waren. Selbst wenn zu seinen Gunsten unterstellt wird, dass der Zeuge M... ihm als Ursache seiner Beschwerden allein eine Entzündung im Becken genannt hat (GA 3) oder ihm jedenfalls nur diese Diagnose erinnerlich war, hat er seine gesundheitlichen Einschränkungen gegenüber der Beklagten maßlos bagatellisiert. Denn seinen Angaben im Versicherungsantrag zufolge soll die Untersuchung, der er sich wegen einer Beckenentzündung oder des Verdachts einer solchen unterzogen hat, ohne Befund geblieben sein. Dass er das dem Agenten der Beklagten so nicht - wörtlich oder sinngemäß - gesagt hat, macht er nicht geltend. Davon, dass die Untersuchung ergebnislos geblieben ist und dass - was dadurch zugleich suggeriert wird - kein Anlass zur Besorgnis besteht, kann keine Rede sein. Wie der Leseabschrift der Patientenkarte des Zeugen M... (GA 183) zu entnehmen ist, hat der Kläger ihn allein 1997 wegen Schmerzen im Bereich der LWS bzw. des Beckens 17 mal (!) zum Zwecke der Untersuchung und Behandlung aufgesucht. Außerdem ist er deshalb allein 1997 für die Dauer von rund fünf Monaten arbeitsunfähig krankgeschrieben worden (GA 60, 101, 103). Diese langwierige Behandlung kann bei ihm kaum in Vergessenheit geraten sein. Dem steht schon entgegen, dass er nur wenige Monate vor dem Versicherungsantrag (31. Juli 2004) erneut für rund zwei Wochen wegen ähnlicher Beschwerden (Kreuzschmerzen) arbeitsunfähig war (vom 27. April bis 10. Mai 2001, GA 111).

3. Die Schwere seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen hat der Kläger arglistig verheimlicht. Eine arglistige Täuschung ist anzunehmen, wenn es dem Antragsteller darum geht , auf die Annahmeentscheidung des Versicherers Einfluss zu nehmen. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn Erkrankungen und Beschwerden verschwiegen werden, die bekanntermaßen häufig zur Berufsunfähigkeit führen, oder schadensgeneigte Erkrankungen verharmlost werden. Das war hier der Fall. Dass der Kläger sich der Bedeutung seiner Beschwerden für die weitere Fähigkeit zur Ausübung seines Berufes bewusst war und damit auch um die Relevanz seiner Falschangaben für die Beklagte wusste, ergibt sich daraus, dass er schon 1997 dem Zeugen M... gegenüber angegeben hat, er habe wegen seiner andauernden Schmerzen eine Umschulung beantragt (GA 183 R).

4. Der Beklagten ist die Berufung auf eine arglistige Täuschung nicht wegen der Verletzung ihrer Nachfrageobliegenheit verwährt. Grundsätzlich muss der Versicherer nachfassen, wenn ihm die Antworten des Antragstellers vor Augen führen, dass dieser seiner Anzeigeobliegenheit noch nicht genügt hat und ohne ergänzende Antworten eine sachgerechte Risikoprüfung nicht möglich ist. Das sollte nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (VersR 1992, 603, 604) selbst gelten, wenn der Versicherer Anlass zu der Annahme hat, der Antragsteller versuche, ihn arglistig zu täuschen. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof jedoch inzwischen aufgegeben (VersR 2007, 96; so schon Senat NVersZ 2002, 554, 555). Danach ist im Falle einer arglistigen Täuschung eine Nachfrage nicht geboten. Dem schließt sich der Senat an.

5. Dass die Beklagte in Kenntnis des wahren Ausmaßes der Beschwerden des Klägers auf einem Risikoausschluss für den LWS-Bereich bestanden hätte, liegt auf der Hand und bedarf keines weiteren Beweises. Dafür, dass sie ihre Risikoprüfungspflicht ernst genommen hat, spricht nicht zuletzt, dass sie selbst auf einem Ausschluss wegen des vom Kläger offenbarten Heuschnupfens bestanden hat (GA 72).

6.

Ob die Arglistanfechtung darüber hinaus wegen Verheimlichung psychischer Störungen gerechtfertigt ist, kann offen bleiben.

7. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert: Rückstand 10.615,00 € Rente 34.505.10 € (= 42 x 821,55 €)

Beitragsfreiheit 2.087,23 € ( = 42 x 62,12 € x 0,8)

Ende der Entscheidung

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