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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 26.04.2004
Aktenzeichen: I-5 U 46/04
Rechtsgebiete: GVG, ZPO
Vorschriften:
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 b | |
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 c | |
ZPO § 85 Abs. 2 | |
ZPO § 517 |
Tenor:
Dem Kläger wird auf seinen Antrag vom 2. Februar 2004 Wiedereinsetzung hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist gegen das am 14. November 2003 verkündete Urteil der 84. Abteilung des Amtsgerichts N... - 84 C 3092/03 - gewährt.
Über die Kosten der Wiedereinsetzung wird in der Endentscheidung befunden.
Gründe: Der Kläger begehrt Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsfrist. Er hatte vor dem Amtsgericht N... die beklagten Wohnungseigentümer auf Zahlung von Werklohn in Anspruch genommen. Das Amtsgericht N... hat die Klage abgewiesen. Das Urteil vom 14. November 2003 ist dem Kläger persönlich - nach Niederlegung des Mandates durch seinen ursprünglichen Prozessbevollmächtigten - am 17. November 2003 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 20. November 2003 hat der jetzt für den Kläger tätige Prozessbevollmächtigte beim Landgericht Berufung eingelegt. Die Berufungsschrift ist dort am 21. November 2003 eingegangen. Nach Hinweis vom 19. Januar 2004 und (Verweisungs- und Wiedereinsetzungs-) Antrag des Klägers vom 2. Februar 2004 hat das Landgericht mit Beschluss vom 9. Februar 2004 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil einer der Beklagten seinen Wohnsitz in den USA hatte und daher seit dem 1. Januar 2002 für die Berufung das Oberlandesgericht zuständig war, § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG in der Fassung des ZPO-RG. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist begründet. Zwar war der Kläger nicht schuldlos verhindert, rechtzeitig bei dem Oberlandesgericht als zuständigem Rechtsmittelgericht die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts N... einzulegen. Denn die Versäumung der Berufungsfrist beruht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers, das gem. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden des Klägers gleich steht. Die Berufungsfrist endete am 17. Dezember 2003, weil das angefochtene Urteil dem Kläger am 17. Nov. 2003 wirksam zugestellt worden ist, § 517 ZPO. Nachdem sein früherer Prozessbevollmächtigter das Mandat niedergelegt hatte, war - weil das amtsgerichtliche Verfahren Parteiprozess ist - an den Kläger persönlich zuzustellen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 172, Anm. 11). Eine Berufungsschrift hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor Ablauf der Berufungsfrist nicht beim Oberlandesgericht eingereicht. Damit hat er schuldhaft gehandelt, weil dieses Versäumnis für einen pflichtgemäß handelnden Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre. Denn bei einem Rechtsanwalt ist die Kenntnis jedenfalls der Bundesgesetze vorauszusetzen, die er gewöhnlich anzuwenden hat (Zöller/Greger, a.a.O., § 233, Anm. 23 "Rechtsirrtum"). Dazu zählt auch die Zivilprozessordnung, über deren Änderungen durch das ZPO-RG der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich in angemessener Frist zu informieren hatte. Wenn ein Rechtsanwalt bei Einlegen des Rechtsmittels die durch das ZPO-RG geänderten Zuständigkeiten nicht beachtet, kommt daher grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (Zöller/Greger, a.a.O.). Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist jedoch nicht ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist geworden. Da aber nur ursächliches Verschulden die Wiedereinsetzung ausschließt (Zöller/Greger, a.a.O., § 233, Anm. 22), ist im vorliegenden Fall ausnahmsweise Wiedereinsetzung zu gewähren. Denn es wäre dem Landgericht möglich und zuzumuten gewesen, die Versäumung der Berufungsfrist zu vermeiden. Es hätte zur Wahrung des Anspruches des Klägers auf ein faires Verfahren, der als "allgemeines Prozessgrundrecht" aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird (BVerfG NJW 2001, 1343), die bei ihm eingegangene Berufungsschrift an das Oberlandesgericht weiterleiten müssen. Der Anspruch auf ein faires Verfahren besagt, dass der Richter das Verfahren so gestalten muss, wie die Parteien des Zivilprozesses es von ihm erwarten dürfen (BVerfG a.a.O. und BVerfGE 78, 123, 126). Was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungswegen geboten ist, hängt ab von einer Abwägung zwischen dem Interesse der Rechtssuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung und dem Anliegen der Justiz, im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt zu werden. Danach muss der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden (BVerfG NJW 2001, 1343 m.N.). Das Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) hat entschieden, dass die Abwägung zwischen den betroffenen Belangen jedenfalls dann zugunsten des Rechtssuchenden ausfällt, wenn das angegangene Gericht zwar für das Rechtsmittelverfahren nicht zuständig ist, jedoch vorher mit dem Verfahren befasst war. Dieses Gericht treffe eine nachwirkende Fürsorgepflicht, fristgebundene Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren im Zuge des ordentlichen Geschäftsganges an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Eine ins Gewicht fallende Belastung trete dadurch nicht ein, weil dem Gericht die Zuständigkeit für das Rechtsmittel gegen seine eigene Entscheidung bekannt sei und deshalb die Ermittlung des richtigen Adressaten, selbst wenn er im Schriftsatz nicht deutlich bezeichnet sein solle, keinen besonderen Aufwand verursache. Hier war zwar das Landgericht nicht bereits vorher mit dem Verfahren des Klägers befasst. Dennoch fällt auch hier die Abwägung zwischen den betroffenen Belangen zugunsten des Klägers als Rechtssuchendem aus. Bis zum 31. Dezember 2001 wäre das Landgericht für die Berufung des Klägers zuständig gewesen. Die Verlagerung der Zuständigkeit vom Landgericht auf das Oberlandesgericht in Sachen mit formaler Auslandsberührung durch das ZPO-RG vom 27. Juli 2001, § 119 Abs. 1 Nr. 1 b + c GVG, und damit die Änderung seiner eigenen Zuständigkeit ist dem Landgericht bekannt. Auch hier verursacht die Ermittlung des richtigen Adressaten daher keinen besonderen Aufwand. Gleiches gilt für die Feststellung, dass ein Fall mit Auslandsberührung vorlag, denn das ergab sich bereits aus der in der Berufungsschrift angegebenen Anschrift des Beklagten zu 2). Da die Berufungsschrift so zeitig (21. November 2003) beim Landgericht eingegangen ist, dass die fristgerechte Weiterleitung (bis zum 17. Dezember 2003) an das zuständige Oberlandesgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden konnte, durfte der Kläger nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wurde, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Oberlandesgericht einging (vgl. die entsprechenden Erwägungen des BVerfG a.a.O. für den Fall, dass der nachwirkenden richterlichen Fürsorgepflicht).
Zur Wahrung seines Anspruches auf ein faires Verfahren ist dem Kläger daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Über die Kosten der Wiedereinsetzung ist in der Endentscheidung über die Hauptsache zu befinden.
Ende der Entscheidung
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