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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 03.03.2005
Aktenzeichen: I-8 U 123/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 520 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 529 Abs. 1
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 1
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 2
ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 3
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 03. März 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht R. sowie die Richter am Oberlandesgericht S. und T.

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 05.08.2004 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe: I. Die 1984 geboren Klägerin nimmt den Beklagten, einen niedergelassenen Augenarzt, auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie Feststellung der Ersatzpflicht für alle materiellen und immateriellen Schäden aus einer vermeintlich fehlerhaften Behandlung im Juni 1999 in Anspruch, die nach ihrer Auffassung ursächlich für die (fast) vollständige Erblindung auf ihrem linken Auge geworden ist. Sie konsultierte den Beklagten seit 1989 wegen einer seit ihrem 18. Lebensmonat bestehenden chronisch-rezidivierenden Iridocyclitis im Rahmen einer monoarthritisch-rheumatischen Grunderkrankung. Am 24.06.1999 stellte sie sich aufgrund einer akuten Rötung des linken Auges beim Beklagten vor. Dieser diagnostizierte eine akute Konjunktivitis mit frischem iritischen Schub und leitete eine lokale Therapie mit Cortison-Augentropfen ein. Am 28.06.1999 suchte die Klägerin den Beklagten erneut auf, nachdem sich am Vorabend das linke Auge gelb verfärbt hatte. Der Beklagte setzte die lokale Therapie fort. In der Nacht vom 29. zum 30.06.1999 bekam die Klägerin erhebliche Schmerzen und schwerste Reizerscheinungen und wurde am selben Tag in die Augenambulanz der H.-H.-U. eingeliefert, wo eine massive Fibrinausschwemmung als Folge eines Zusammenbruchs der Abwehrkräfte des linken Auges einhergehend mit einem Ciliarkörperversagen und (nahezu) vollständigem Verlust des Sehvermögens festgestellt wurde. Infolge einer Hypotonie des Augeninnendrucks war es zu einer exsudativen Netzhautablösung gekommen. Die Klägerin ist seitdem auf dem linken Auge nahezu erblindet. Die Klägerin hat dem Beklagten das Unterlassen erforderlicher Diagnose- und Therapiemaßnahmen vorgeworfen und behauptet, spätestens am 28.06. sei der bevorstehende Zusammenbruch des Abwehrsystems des Auges zu erkennen und zu therapieren gewesen mit der Folge, dass die Hypotonie und Netzhautablösung nicht aufgetreten wären und sie, die Klägerin, nicht erblindet wäre. Der Beklagte ist dem entgegen getreten und hat behauptet, es liege ein schicksalhaftes, nicht vorhersehbares Geschehen vor. Im übrigen habe die Klägerin bereits vor der streitgegenständlichen Behandlung auf dem linken Auge nur ein Sehvermögen von 30 % gehabt und es sei damit zu rechnen gewesen, dass sie ihr Sehvermögen infolge der Grunderkrankung ohnehin immer weiter verliert. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen, weil sich ein Behandlungsfehler nicht feststellen lasse. Hiergegen richtet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie geltend macht, das Landgericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Das eingeholte Sachverständigengutachten sei nicht ausreichend, um die Haftung des Beklagten zu verneinen; außerdem sei der Sachverständige von falschen Voraussetzungen ausgegangen. So habe es sich am 28.06.1999 nicht bloß um eine Kontrolluntersuchung gehandelt, sondern sie sei als Notfall in die Praxis des Beklagten gekommen, weil eine ganz gravierende Gelbfärbung des Auges vorgelegen habe; dabei habe sie bereits zu diesem Zeitpunkt eine massive Befundverschlechterung mit Schmerzen und Sehverschlechterung angegeben. Angesichts dessen seien die an diesem Tag durchgeführten Diagnosemaßnahmen unzureichend gewesen. Da der Beklagte keine eindeutige Diagnose für die Gelbverfärbung des Auges habe erstellen können, habe er sie, die Klägerin, umgehend in die Universitätsaugenklinik einweisen müssen, wodurch die weiteren gravierenden Folgen hätten vermieden werden können. Das gesamte am 30.06.1999 vorliegende Krankheitsbild könne sich nicht innerhalb von zwei Tagen entwickelt haben, insbesondere sei ausgeschlossen, dass sich innerhalb dieses Zeitraums die Netzhaut abgelöst habe. Da dem Beklagten besonders schwerwiegende Fehler vorzuwerfen seien, sei im Übrigen von einer Beweislastumkehr auszugehen. Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 05.08.2004 verkündeten Urteils des Landgerichts Düsseldorf

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch EUR 25.000, nebst Zinsen in Höhe von 2,5 % über dem Diskontsatz der Europäischen Zentralbank, mindestens jedoch 6 %, seit dem 22.02.1999 sowie

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet sei, ihr alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus der ärztlichen Fehlbehandlung durch den Beklagten entstanden seien bzw. noch entstehen würden, soweit diese Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen seien.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er hält die Berufung für unzulässig und verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. II. 1.) Die Berufung ist zulässig, insbesondere entspricht die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Klägerin macht mit der Berufung inhaltlich geltend, dass das Sachverständigengutachten unzureichend ist und das Landgericht die Erhebung notwendiger Beweise unterlassen hat. Ob dies zutrifft, insbesondere ob die Einwände gegen das Sachverständigengutachten verspätet sind, ist keine Frage der Zulässigkeit der Berufung, sondern ihrer Begründetheit. 2.) Die Berufung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Klägerin kann von dem Beklagten weder gemäß den §§ 823 Abs. 1, 847 BGB (a.F.) die Zahlung eines Schmerzensgeldes verlangen, noch haftet der Beklagte deliktisch gemäß § 823 Abs. 1 BGB oder nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung (pVV) für materielle Schäden. Nach allgemeinen Grundsätzen hat ein Patient im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses darzulegen und zu beweisen, dass dem in Anspruch genommenen behandelnden Arzt ein zumindest fahrlässiger Behandlungsfehler zur Last zu legen ist, der eine bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen hat. Diese tatsächlichen Voraussetzungen für eine Haftung hat das Landgericht nicht festgestellt. Hieran ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten: a) Das Landgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Beklagten am 24.06.1999 vorgenommenen Untersuchungsmaßnahmen ausreichend waren. Der Sachverständige Dr. L. hat in seinem Gutachten dargelegt, dass der Beklagte an diesem Tag den gesamten ophthalmologischen Grundstatus erhoben hat. Entgegen der Darstellung der Klägerin fehlen auch nicht etwa Angaben zu den Ergebnissen der an diesem Tag durchgeführten Untersuchungen; diese hat der Sachverständige vielmehr auf S. 3 seines Gutachtens (Bl. 65 GA) im Einzelnen aufgeführt. Die Behauptung der Klägerin, es sei eine Ultraschallaufnahme notwendig gewesen, gibt keine Veranlassung, eine Gutachtenergänzung herbeizuführen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L. lag am 24.06. ein Iritisschub vor, ohne dass die vom Beklagten durchgeführten Untersuchungen einen Hinweis auf eine Exazerbation ergeben hatten. Wie sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. W. für die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler ergibt, zeigten sich über die Reizerscheinungen hinaus keine Symptome einer beginnenden Dekompression. Der Krankheitsverlauf glich vielmehr dem früherer Schübe, und der Sachverständige Dr. L. hat die vom Beklagten bei dieser Befundlage durchgeführten Untersuchungsmaßnahmen - wie auch Prof. Dr. W. - für ausreichend erachtet. Ohne einen entsprechenden Anlass bestand jedenfalls kein Grund zur Durchführung einer Ultraschalluntersuchung. Die vom Beklagten eingeleitete lokale Therapie war nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. L. in Anbetracht der Untersuchungsbefunde und im Hinblick auf frühere Krankheitsschübe ausreichend. Auch Prof. Dr. W. hat hier keinen Ansatz für ein Fehlverhalten des Beklagten gesehen. b) Auch bei der Behandlung am 28.06.1999 können Fehler zu Lasten des Beklagten auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. L. nicht festgestellt werden. Der Sachverständige ist bei seiner Beurteilung aufgrund des Akteninhalts und der Behandlungsunterlagen des Beklagten nicht von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Dafür, dass die Klägerin den Beklagten, wie sie nunmehr behauptet, an diesem Tag als Notfall aufgesucht hat, findet sich in der Karteikarte kein Anhaltspunkt. Mit der erstmals in zweiter Instanz erhobenen Behauptung, die Gelbverfärbung sei - entgegen der Eintragung des Beklagten - gravierend gewesen und sie habe bereits an diesem Tag über eine massive Befundverschlechterung mit Schmerzen und Sehverschlechterung geklagt, kann die Klägerin nicht gehört werden, weil der Beklagte dieser Behauptung entgegen getreten ist (zur Berücksichtigung unstreitigen neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz jetzt: BGH, NJW 2005, 291, 292 f.) und keiner der in § 531 Abs. 2 Nr. 1 - 3 ZPO geregelten Fälle für eine Zulassung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel vorliegt. Auch unter Berücksichtigung der reduzierten Darlegungslast des Patienten im Arzthaftungsprozess ist zumindest zu erwarten, dass er vorträgt, mit welchen Beschwerden er sich beim Arzt vorgestellt hat. In erster Instanz war aber allein von einer am Abend des 27.06.1999 aufgetretenen Gelbverfärbung des linken Auges die Rede, nicht jedoch von Schmerzen und einer Sehverschlechterung. Da somit von einer Notfallsituation nicht ausgegangen werden kann, besteht kein Anlass, den Sachverständigen Dr. L. erneut danach zu befragen, ob an diesem Tag weitergehende Untersuchungsmaßnahmen erforderlich waren. Daraus, dass der Sachverständige ausgeführt hat, eine Hypotonie hätte nur durch eine Augendruckkontrolle und eine Netzhautablösung nur durch eine Funduskontrolle ausgeschlossen werden können, ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu folgern, dass der Beklagte diese Untersuchungen hätte durchführen müssen. Bei einer kurzfristigen Kontrolle und einer dokumentierten leichten Befundverbesserung an der Spaltlampe bestand nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen vielmehr keine Notwendigkeit, nochmals den kompletten ophthalmologischen Befund zu erheben. Es ist im Übrigen auch nicht wahrscheinlich, dass bei weitergehenden Untersuchungen an diesem Tag eine Netzhautablösung festgestellt worden wäre, denn nach dem Gutachten von Prof. Dr. W. liegt bei der Klägerin keine Netzhautablösung im üblichen Sinn mit Lochbildung vor, sondern eine seröse Ablatio, wobei der seröse Erguss sich wahrscheinlich erst im Zuge des völligen Zusammenbruchs der Abwehrkräfte zwischen dem 28. und 30.06.1999 gebildet hat. Dafür spricht auch, dass bei der Untersuchung am 28.06. noch keine Fibrinreaktion beschrieben wurde. Wie Dr. L. in seinem Gutachten ausgeführt hat, ist eine massive Fibrinausschwitzung in der Regel auch mit einem Visusabfall und Schmerzen verbunden, was aber nach dem für den Senat gemäß § 529 Abs. 1 ZPO maßgeblichen Sachverhalt erst in der Nacht vom 29. auf den 30.06.1999 aufgetreten ist. Dem Beklagten ist auch nicht vorzuwerfen, er habe die Gelbverfärbung des linken Auges der Klägerin nicht beachtet. Ausweislich der Patientenkarteikarte der Klägerin hat der Beklagte am 28.06.1999 auch das linke Auge auf eine Gelbfärbung untersucht, dabei jedoch keine pathologischen Veränderungen feststellen können. Der Beklagte musste diesbezüglich nichts weiter veranlassen, insbesondere nicht die Klägerin sofort in die Universitätsaugenklinik überweisen. Nach dem Gutachten von Dr. L. spielte die Gelbfärbung des Auges für die im Rahmen einer Iritis erforderlichen Untersuchungen und einzuleitenden Behandlungen keine Rolle. Soweit die Klägerin demgegenüber nach wie vor davon ausgeht, dass die Gelbfärbung des linken Auges Anzeichen für eine fibrinöse Entzündung gewesen sei, steht das Gegenteil aufgrund des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens fest. Dr. L. hat nämlich deutlich gemacht, dass jedenfalls ausgeschlossen werden kann, dass eine Fibrinausschwemmung, ein Ciliarkörperversagen, eine Bulbushypotonie oder eine Netzhautablösung zu einer gelblichen Verfärbung des Auges führen können. Es besteht kein Anlass, zu dieser Frage ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen. Der Sachverständige Dr. L. ist aufgrund seines Wissens und seiner praktischen Erfahrung als Leiter einer Augenklinik in besonderem Maße zur Beantwortung der entscheidungserheblichen medizinischen Fragen geeignet. Seine Beurteilung steht auch in Übereinstimmung mit der des ehemaligen Leiters der Universitätsaugenklinik in E., Prof. Dr. W.. c) Da bereits ein Behandlungsfehler nicht festgestellt werden kann, kommt es auf die Frage, ob bei einer früheren Erkennung der Netzhautablösung sich ein anderer Verlauf ergeben hätte, nicht an. Lediglich vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass dies jedenfalls nach dem für die Gutachterkommission erstatteten Gutachten von Prof. Dr. W. unwahrscheinlich ist. Danach hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revisionszulassung ist nicht veranlasst. Die Beschwer der Klägerin liegt über EUR 20.000. Streitwert: (bis zu) EUR 30.000.

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