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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: I-8 U 19/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253 Abs. 2
BGB § 280 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 09.01.2007 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen einer Schädigung des Nervus alveolaris bei der chirurgischen Entfernung des Weisheitszahns 38 in Anspruch.

Die Klägerin war bereits im Juli 2004 von dem Zahnarzt Dr. v. d. K. an den Beklagten, einen Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen und Facharzt für Oralchirurgie, überwiesen worden, damit dieser den Backenzahn 36 entferne. Der Beklagte klärte die Klägerin u.a. darüber auf, dass es bei der operativen Zahnentfernung zu einer mechanischen Schädigung des Unterkiefernervs kommen könne, weil dieser manchmal sehr nahe an den Wurzeln der Zähne liege, was zu meist vorübergehenden, selten auch zu dauerhaften Gefühlsstörungen der Unterlippe, der Schleimhaut und der Zähne führe. Der Eingriff wurde am 07.07.2004 komplikationslos durchgeführt. Wegen der im Unterkiefer vorgesehenen Brückenversorgung überwies Dr. v. d. K. die Klägerin im September 2004 erneut an den Beklagten, um den verlagerten und nicht durchgebrochenen Weisheitszahn 38 entfernen zu lassen. Der Eingriff wurde von dem Beklagten am 15.09.2004 im Wege der Osteotomie durchgeführt. Eine Einverständniserklärung zu diesem Eingriff hat die Klägerin nicht unterschrieben. Seit der Extraktion leidet die Klägerin im linken unteren Kinnbereich innen und außen an einem Taubheitsgefühl; nach einem im selbständigen Beweisverfahren erstatteten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. ist dies sehr wahrscheinlich bedingt durch eine Schädigung des Nervus alveolaris im Zusammenhang mit dem chirurgischen Eingriff.

Die Klägerin hat geltend gemacht, ihre Einwilligung zu der Entfernung des Weisheitszahns sei nicht wirksam, weil der Beklagte seine Aufklärungspflichten verletzt habe. Angesichts der erkennbar engen Lagebeziehung des Nervs zur distalen Wurzel des Zahns 38 habe der Beklagte auf das erhebliche Komplikationsrisiko und darauf hinweisen müssen, dass es zur vorgesehenen Überbrückung der Zähne 35 bis 37 nicht zwingend der Entfernung des nicht virulenten Weisheitszahns bedurft habe. Die zwei Monate zuvor erfolgte Aufklärung sei insoweit nicht ausreichend, da die Entfernung des Zahns 36 wegen starker Entzündung und Vereiterung erfolgt sei, während die Entfernung des Weisheitszahns lediglich eine prophylaktische Maßnahme gewesen sei. Infolge der Nervschädigung leide sie, die Klägerin, neben dem Taubheitsgefühl auch unter einem besonders am Abend und in Stresssituationen zunehmenden, sich elektrisch anfühlenden Kribbeln im Bereich der linken Unterlippe. Die mit der Nervschädigung verbundenen Beeinträchtigungen rechtfertigten ein Schmerzensgeld von mindestens € 9.000.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat behauptet, die Klägerin sei auch vor dem zweiten Eingriff vollständig und ausreichend aufgeklärt worden; das Komplikationsrisiko sei auch nicht größer gewesen, als bei der Entfernung des Zahns 36. Der Eingriff sei indiziert gewesen, weil der Weisheitszahn auf den Zahn 37, der zur Aufnahme eines Brückenankers beschliffen werden sollte, gedrückt habe. Im Übrigen habe er, der Beklagte, nur die von dem überweisenden Zahnarzt erbetene Maßnahme durchgeführt, ohne dass für ihn Anlass bestanden habe, die Maßnahme oder die zugrunde liegende Diagnose in Frage zu stellen.

Das Landgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen, weil eine erneute Aufklärung über mögliche Komplikationen des Eingriffs nicht erforderlich gewesen sei und der Beklagte sich darauf habe verlassen dürfen, dass der Zahnarzt Dr. v. d. K. mit der Klägerin Alternativen zur Entfernung des Weisheitszahns und die damit verbundenen Risiken besprochen habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die geltend macht, dem Landgericht könne nicht darin gefolgt werden, dass der Beklagte nur bei Sinnlosigkeit der Behandlungsbitte des Zahnarztes Dr. v. d. K. hätte tätig werden müssen, da er die volle Verantwortung für die von ihm durchgeführte Behandlungsmaßnahme trage. Der Beklagte habe auch nicht von einer - tatsächlich nicht erfolgten - hinreichenden Aufklärung durch Dr. v. d. K. ausgehen dürfen, da er hiernach nicht einmal gefragt habe. Sie, die Klägerin, sei von Dr. v. d. K. und dem Beklagten in dem Glauben gelassen worden, dass kassenärztlich bedingt Weisheitszähne vor einer Brückenversorgung zu entfernen seien.

D beantrag,

unter Abänderung des am 09.01.2007 verkündeten Urteils des Landgerichts Duisburg den Beklagten zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens aber € 9.000, nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.06.2006 zu zahlen.

D beantrag,

die Berufung zurückzuweisen.

verteidig das angefochtene Urteil und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat eine Haftung des Beklagten aus §§ 253 Abs. 2, 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB wegen einer Aufklärungspflichtverletzung mit Recht verneint.

Die Einwilligung des Patienten in einen Eingriff ist nur wirksam, wenn der Patient über die Tragweite des Eingriffs und die spezifischen Risiken aufgeklärt worden ist. Einer Aufklärung bedarf es nicht, wenn der Patient nicht (mehr) aufklärungsbedürftig ist, weil er das erforderliche Wissen bereits besitzt. Davon ist hier nach dem unstreitigen Sachverhalt und dem eigenen Vorbringen der Klägerin auszugehen:

Das betrifft einmal das Risiko von Nervenläsionen, über das vor der Entfernung eines Weisheitszahns aufgeklärt werden muss, denn die Schädigung des Nervus alveolaris bei einer Zahnextraktion ist ein zwar recht seltener, aber immerhin für diesen Eingriff typischer Zwischenfall, dessen Kenntnis bei einem Durchschnittspatienten ohne medizinische Vorbildung und ohne besondere Erfahrungen mit einer spezifischen Krankheitsvorgeschichte nicht vorausgesetzt werden kann (vgl. Senat, NJW 1989, 2334; s.a. BGH, NJW 1994, 799, 800). Das gilt besonders, wenn - wie sich aus dem OPG vom 14.07.2004 ergibt - eine enge Lagebeziehung zwischen der distalen Wurzel des Zahns 38 und dem Nervus Alveolaris inferior besteht. Die Klägerin war aber unstreitig vor der Entfernung des Zahns 36 über das Risiko einer Verletzung des Unterkiefernervs und die möglichen Folgen aufgeklärt worden. Hierauf musste der Beklagte nur rund zwei Monate später nicht erneut hinweisen, denn eine erneute Aufklärung ist entbehrlich, wenn der Patient innerhalb kurzer Zeit wiederholt operiert werden muss, vor der ersten Operation ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist und sich gegenüber der ersten Operation keine wesentlichen neuen Risiken ergeben (vgl. BGH, NJW 1994, 3010, 3011; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., Rdnr. C 46). Dabei kann dahin stehen, ob das Risiko bei Zahn 38 höher war, als bei Zahn 36. Denn insgesamt handelt es sich auch bei der Weisheitszahnentfernung um ein seltenes Risiko und eine Aufklärung über prozentuale Häufigkeiten ist regelmäßig nicht erforderlich.

Außer über die Risiken des Eingriffs ist der Patient allerdings auch über dessen Tragweite, seine Dringlichkeit etc. aufzuklären, so dass er in die Lage versetzt wird, die Risiken und Nutzen des Eingriffs abzuwägen und seine Entscheidung zu treffen. Dafür kann es darauf ankommen, ob die Entfernung des Weisheitszahns - wie die Klägerin behauptet hat - allein aus prophylaktischen Gründen (aufgrund einer entsprechenden Empfehlung in der BEMA-Z) erfolgt ist oder ob die Entfernung indiziert war, weil der Weisheitszahn auf Zahn 37 drückte. Das Landgericht hat zwar mit Recht angenommen, dass die Aufklärungspflicht in erster Linie den Zahnarzt Dr. v. d. K. traf. Denn dieser hatte die Indikation für die Entfernung des Zahns gestellt und die Klägerin mit einem klaren Behandlungsauftrag an den Beklagten überwiesen. Den Beklagten könnte es allerdings nicht entlasten, wenn er ohne nähere Anhaltspunkte davon ausgegangen wäre, dass schon Dr. v. d. K. der ihm obliegenden Aufklärungspflicht nachgekommen wäre, während das nach dem Vortrag der Klägerin in Wirklichkeit nicht der Fall war (vgl. BGH, NJW 1980, 633, 634). Dass er entsprechende Anhaltspunkte gehabt hätte, hat der Beklagte selbst nicht vorgetragen.

Einer weiteren Sachaufklärung hierzu bedurfte es jedoch nicht, denn wenn der Sachvortrag der Klägerin zutrifft, wonach für die Entfernung des Weisheitszahns 38 kein medizinischer Grund vorlag, dann war ihr dies nach ihrer eigenen Darstellung bekannt. Denn sie trägt selbst vor, sie sei vom Beklagten und dem Zahnarzt Dr. v. d. K. in dem Glauben gelassen worden, die Entfernung erfolge aufgrund kassenrechtlicher Vorgaben. Damit liegt auch für den Patienten als Laien auf der Hand, dass die Entfernung nicht aus medizinischen Gründen zwingend erforderlich ist. Eines ausdrücklichen Hinweises des Beklagten hierauf bedurfte es ebenso wenig wie des ausdrücklichen Hinweises, dass die Klägerin sich auch gegen die Entfernung des Weisheitszahns entscheiden konnte (nach der eigenen Darstellung der Klägerin hat der Beklagte sogar gefragt: "Sollen wir den wirklich rausnehmen?"). Sollten dagegen die vom Beklagten angeführten medizinischen Gründe für die Entfernung des Weisheitszahns vorgelegen haben, hätte der Klägerin dies zwar gesagt werden müssen; der Beklagte hat aber mit Recht darauf hingewiesen, dass ein Entscheidungskonflikt der Klägerin nicht plausibel ist. Dafür, dass die Klägerin auf jeden Fall eingewilligt hätte, spricht nicht nur, dass sie der Entfernung des Zahns 36 in Kenntnis des Risikos zugestimmt hat. Sie hat vielmehr dem Eingriff in der Annahme, dieser erfolge nur aufgrund kassenrechtlicher Vorgaben, zugestimmt, weshalb es nahe liegt, dass sie dem Eingriff erst recht zugestimmt hätte, wenn ihr die medizinischen Gründe für die Entfernung des Weisheitszahns dargelegt worden wären. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Klägerin das Risiko einer Nervverletzung zwar ohne einen entsprechenden Nutzen des Eingriffs eingegangen sein sollte, nicht aber, wenn sie davon hätte ausgehen können, dass der Eingriff geeignet sei, Schäden an Zahn 37 oder der anzufertigenden Brücke zu vermeiden. Sofern die Klägerin nunmehr darauf verweist, dass sie in einer entsprechenden Lage die Entfernung des Weisheitszahns 28 verweigert hat, lässt dies keinen Schluss auf die Entscheidung bei Zahn 38 zu, denn insoweit ist die Ausgangssituation eine andere, nachdem sich bereits einmal das Risiko einer Nervschädigung verwirklicht hat.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § Abs. ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Beschwer der Klägerin liegt € 20.000.

Streitwert: € 9.000.

Ende der Entscheidung

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