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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: I-8 U 27/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 844
ZPO § 411 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 10. Januar 2007 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kleve wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe:

A.

Die Klägerin ist die Ehefrau und Erbin des am 21.01.1945 geborenen und am 29.11.2002 verstorbenen P. O.. Der Erblasser hatte bereits in den Jahren 1980 und 1999 Herzinfarkte erlitten und musste sich im Juni 1999 einer Bypass-Operation unterziehen. Bei einer Katheteruntersuchung im Juli 2001 zeigten sich schwere Veränderungen an den Herzkranzgefäßen sowie eine hochgradige Störung der Pumpfunktion des Herzens. In den folgenden Monaten verschlechterte sich sein Allgemeinzustand; es kam wiederholt zu kardialen Dekompensationen und Pleuraergüssen sowie im Frühjahr 2002 zu einem akuten Nierenversagen.

Am 23.05.2002 kollabierte der Ehemann der Klägerin auf der R. in K.. Passanten kümmerten sich um ihn, verständigten einen Notarzt und zogen die Beklagte, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin, die seinerzeit keine kassenärztliche Zulassung mehr besaß, unter ihrer Wohnanschrift aber noch einige Patienten auf dem Gebiet der Bioresonanztherapie betreute, hinzu. Diese fühlte den Puls des kollabierten Ehemanns und entfernte sich sodann wieder von der Unglücksstelle. Wenig später traf der Notarzt ein, der einen Herzstillstand feststellte, Reanimationsmaßnahmen durchführte und den Patienten in das M. in K. verbrachte, wo er bis zum 06.06.2002 intensivmedizinisch und sodann bis zum 18.06.2002 auf der Normalstation behandelt wurde. Anschließend wurde ihm in Herne ein Defibrillator implantiert. Nach mehreren stationären Aufenthalten, die aufgrund kardialer Dekompensationen erforderlich waren, verstarb Herr Opgenoorth am 29.11.2002 an den Folgen einer schweren dilatativen Kardiomyopathie.

Die Klägerin lastet diese Entwicklung der Beklagten an. Sie hat vorgetragen, die Ärztin habe am Unglücksort nur kurz den Puls gefühlt und den Umstehenden sodann erklärt, der Ehemann sei bereits tot. Wenn sie pflichtgemäß Reanimationsmaßnahmen durchgeführt hätte, wären sowohl die weitere Verschlechterung des Allgemeinzustands als auch der Tod des Erblassers verhindert worden. Bei einem einwandfreien Vorgehen, wäre ihr Ehemann, der sich einer Herztransplantation habe unterziehen wollen, mindestens 65 Jahre alt geworden und hätte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres gearbeitet. Die Klägerin hat Erstattung der Beerdigungskosten in Höhe von 3.308,40 € begehrt und einen Unterhaltsschaden in Höhe von monatlich 733,75 € für die Zeit von Januar 2003 bis zum 21.02.2010 geltend gemacht.

Die Beklagte hat Versäumnisse bestritten und vorgetragen, sie habe bei der Untersuchung festgestellt, dass der Puls des kollabierten Passanten sehr schnell gewesen sei; dies habe sie zu der Bemerkung veranlasst, der Mann "werde totgehen, wenn nicht bald der Rettungswagen komme". Als der Notarzt in Sichtweite gewesen sei, habe sie die Unglücksstelle verlassen und sei nach Hause gegangen. Der Tod des Ehemanns der Klägerin sei nicht auf ihr Verhalten, sondern ausschließlich auf seine Grunderkrankung zurückzuführen.

Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Kleve hat durch Vernehmung von Zeugen sowie durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens und durch Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. B. Beweis erhoben; sodann hat die Kammer die Klage abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter verfolgt. Sie beanstandet, dass das Landgericht zwar einen groben Behandlungsfehler unterstellt, ihr aber hinsichtlich der Kausalität keine Beweiserleichterungen zugebilligt habe.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil "aufzuheben" und die Beklagte zu verurteilen,

1. an sie eine monatliche Geldrente in Höhe von 733,75 € beginnend am 01.06.2005 jeweils vierteljährlich im Voraus zum 01.01., 01.04., 01.07. und 01.10. eines jeden Jahres, bis 21.01.2010 zu zahlen,

2. an sie eine rückständige Geldrente in Höhe von 21.217,50 € für den Zeitraum 01.01.2003 bis 01.05.2005 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem jeweiligen Monatsersten aus jeweils 730,28 € seit 01.01.2003 bis 01.12.2003, aus jeweils 733,75 € seit dem jeweiligen Monatsersten vom 01.01.2004 bis zum 01.05.2005 zu zahlen,

3. an sie Beerdigungskosten in Höhe von 3.308,40 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und weist darauf hin, dass eine Beweislastumkehr nicht in Betracht komme, wenn ein Arzt, der nicht über spezielle Kenntnisse auf dem Gebiet der Notfallmedizin verfüge, zufällig an einer Unglückstelle anwesend sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das angefochtene Urteil Bezug genommen.

B.

Die Berufung ist zulässig; sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Die Kammer hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehen Ansprüche auf Erstattung der Beerdigungskosten sowie auf Ausgleich des Unterhaltsschadens - die nur auf den Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung gemäß §§ 823, 844 BGB gestützt werden können - nicht zu:

Die Klägerin hat nicht den ihr obliegenden Beweis dafür geführt, dass die Beklagte den - Monate nach dem Unglücksfall eingetretenen - Tod des Erblassers durch das Unterlassen von Wiederbelebungsmaßnahmen oder ein zu frühzeitiges Verlassen der Unfallstelle verursacht hat.

1. Nach den Ausführungen des Sachverständige Prof. Dr. E. ist zwar davon auszugehen, dass die Beklagte dann, wenn bei ihrem Eintreffen an der Unglücksstelle bei dem Ehemann der Klägerin bereits ein Herzstillstand vorgelegen hätte, Reanimationssmaßnahmen hätte ergreifen müssen. Nach dem Ergebnis der von dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme lässt sich jedoch nicht feststellen, dass der Erblasser sich tatsächlich in einem solchen Zustand befand:

Die Zeugen Z., B. und B. haben lediglich bekundet, die Beklagte habe damals erklärt, "der Mann sei schon tot"; ihren Schilderungen ist aber nichts dafür zu entnehmen, dass auch sie von einer solchen Situation ausgingen. Der Zeuge B. hat vielmehr sowohl anlässlich seiner Vernehmung bei der Polizei als auch bei seiner Aussage vor der Kammer zum Ausdruck gebracht, dass der Ehemann der Klägerin während der Anwesenheit der Beklagten noch gelebt habe; er habe auch noch die Lippen bewegt. Dies steht in Einklang mit der eigenen Darstellung der Beklagten, die anlässlich ihrer Anhörung erklärt hat, als sie den Erblasser angesprochen und ihm die Wange getätschelt habe, habe er seinerseits versucht zu sprechen; bis zu dem Zeitpunkt, als sie sich entfernt habe, sei es noch nicht zu einem Herzstillstand gekommen.

2. a) Allerdings hätte die Beklagte die Unglücksstelle nicht vor dem Eintreffen des Rettungswagens verlassen dürfen; wie die Sachverständigen Prof. Dr. E. und Prof. Dr. B. erläutert haben, hätte sie vielmehr bis zum Eintreffen des Notarztes bei dem - noch lebenden - Ehemann der Klägerin bleiben müssen, um bei einer möglichen Verschlechterung des Zustandes - Atemstillstand - Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten zu können.

b) Es lässt sich jedoch nicht feststellen, dass das von den Gutachtern beanstandete Verhalten der Beklagten sich nachteilig ausgewirkt hat.

aa) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist ungeklärt geblieben, ob der Ehemann der Klägerin in dem - nach den Aussagen der Zeugen nur ein bis zwei Minuten dauernden - Zeitraum zwischen dem Verlassen der Unglückstelle seitens der Beklagten und dem Eintreffen des Rettungswagens einen Herzstillstand erlitt, der die Vornahme von Reanimationsmaßnahmen durch die Beklagte erfordert hätte. Da sich nach den Erläuterungen der Gutachter im Nachhinein nicht feststellen lässt, wann die von dem Notarzt diagnostizierte Asystolie eintrat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Herzstillstand erst nach der Ankunft des Rettungswagens unmittelbar vor dem Eingreifen des Notarztes eintrat.

bb) Selbst wenn man aber davon ausgehen wollte, dass in der ganz kurzen Zeitspanne von ein bis zwei Minuten bis zur Ankunft des Notarztes eine Wiederbelebungsmaßnahme notwendig geworden wäre, kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass eine sofortige Reanimation den späteren Verlauf günstiger gestaltet hätte. Prof. Dr. K. hat in seinem im Auftrag der Staatsanwaltschaft erstatteten Gutachten - das gemäß § 411 a ZPO auch im vorliegenden Verfahren verwertet werden kann - deutlich gemacht, dass die weitere Entwicklung mit Blick auf die schweren Vorerkrankungen des Erblassers auch bei einer vor dem Eintreffen des Notarztes vorgenommenen sachgerechte Notfallbehandlung wahrscheinlich nicht positiv beeinflusst worden wäre.

c) Beweiserleichterungen hinsichtlich des Kausalverlaufs können der Klägerin nicht zugebilligt werden:

Die für das Arzthaftungsrecht entwickelte Zuweisung der Beweislast an den Behandler ist für die Fälle anerkannt, in denen ein Arzt im Rahmen eines von ihm bewusst und gewollt übernommenen Behandlungsverhältnisses mit der Versorgung eines Patienten befasst ist. Da er die Behandlungsaufgabe nur übernehmen darf, wenn er über die entsprechenden fachärztlichen Kenntnisse verfügt, wird ihm bei - schwerwiegenden - Verstößen gegen den medizinischen Standard die Beweislast für eine mangelnde Kausalität aufgebürdet, weil das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen gerade durch den Fehler besonders verbreitert bzw. verschoben wird mit der Folge, dass dem Patienten der Kausalitätsnachweis nicht zumutbar ist (Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl. S. 235 Rn. 515). Diese Grundsätze mögen auch bei dem "professionellen" Notarzt anzuwenden sein, weil er speziell für Notfalleinsätze ausgebildet ist und sein Vorgehen an dem diesbezüglichen Standard auszurichten hat.

Eine vergleichbare Situation lag im Streitfall nicht vor. Die Beklagte musste keinen Facharztstandard gewährleisten, denn sie wurde weder aufgrund eines von ihr abgeschlossenen ärztlichen Behandlungsvertrages tätig, noch war sie auf dem Gebiet der Notfallmedizin speziell geschult. Sie begab sich auch nicht - wie die Klägerin zwar behauptet, aber nicht unter Beweis gestellt hat - "im Rahmen eines notfallärztlichen Rettungsdienstes" an die Unglücksstelle, sondern wurde überraschend mit einer Notsituation konfrontiert, in der sie unabhängig von ihrer beruflichen Qualifikation gehalten war, sich - wie jeder beliebige Dritte - um den Ehemann der Klägerin zu kümmern (§ 323 c StGB).

Schon mit Blick hierauf hält der Senat die speziellen Beweislastregeln des Arzthaftungsrechtes nicht für anwendbar; allein die Tatsache, dass der "zufällige" ärztliche Nothelfer einmal eine medizinische Ausbildung genossen hat, rechtfertigt es nicht, ihn gegenüber einem ebenfalls zur Hilfeleistung verpflichteten beliebigen Dritten haftungsmäßig schlechter zu stellen. Eine solche Anknüpfung der Beweislastregeln nur an das Berufsbild ließe überdies unberücksichtigt, dass auch der ärztliche Nothelfer völlig unvorbereitet mit einer Notsituation konfrontiert wird und die ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmöglichkeiten vom individuellen Stand seines medizinischen Wissens und seiner Erfahrung abhängig sind. Je nach der Art seiner Berufsaufübung, die sich - wie bei der Beklagten - auf ganz spezielle Verfahren konzentrieren kann, verfügt der überraschend an eine Unglücksstelle gerufene Arzt trotz seiner einmal absolvierten Ausbildung möglicherweise nicht über die zur Beherrschung der aktuellen Notsituation erforderlichen und dem medizinischen Standard entsprechenden Kenntnisse oder ist aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage, diese Kenntnisse richtig anzuwenden, so dass er eine Hilfeleistung bei einem schwerwiegenden Notfall "freiwillig" nicht übernähme. Gleichwohl darf er sich in einer Notsituation - wie jeder Bürger - der Hilfeleistung nicht entziehen; er hat also nicht die Wahl, die "Behandlungsaufgabe" wegen mangelnder Kenntnisse abzulehnen. Diese Zwangslage verbietet es, den Arzt, der nur zufällig gehalten ist, sich um einen plötzlich kollabierten Passanten zu kümmern, dann, wenn ihm bei dieser Hilfeleistung Versäumnisse unterlaufen, die aus medizinischer Sicht schwerwiegend sein mögen, mit einer Haftungsverschärfung in Form einer Beweislastumkehr zu belasten, die sich an den Fällen orientiert, in denen der Arzt aufgrund der freiwillig übernommenen Behandlungsaufgabe den medizinischen Standard zu gewährleisten hat.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Die Beschwer der Klägerin liegt über 20.000 €.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 65.615,90 €.

Ende der Entscheidung

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