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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 26.07.2007
Aktenzeichen: I-8 U 32/06
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten zu 1) und 5) wird das am 9. Februar 2006 verkündete Grund- und Teilurteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 28. Juni 2006 teilweise abgeändert.

Die gegen die Beklagten zu 1) und 5) gerichtete Klage wird - gleichfalls - abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits - in beiden Instanzen - hat die Klägerin zu tragen, mit Ausnahme der durch die - zurückgenommene - Berufung des Beklagten zu 2) entstandenen Kosten, die dieser trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Gründe:

I.

Die am 9. Februar 2000 geborene Klägerin, bei der aufgrund kinderkardiologischer Untersuchungen im Universitätsklinikum M. und im Herzzentrum NRW in B. O. eine schwere Herzerkrankung mit der Indikation zur Herztransplantation festgestellt worden war, wurde am 5. Mai 2000 zur Beobachtung von Trinkschwierigkeiten und zur schrittweisen Steigerung der Kalorienzufuhr in die von dem Beklagten zu 2) geleitete Abteilung für Kinderheilkkunde des in der Trägerschaft der Beklagten zu 1) stehenden M.-H. W. aufgenommen und wegen der bekannten Herzerkrankung intensivmedizinisch überwacht.

Am Morgen des 8. Mai 2000 erlitt die Klägerin einen Herzstillstand. Es erfolgte eine kardiopulmonale Reanimation, die zunächst zur Wiederherstellung stabiler Kreislaufverhältnisse führte. Danach kam es zu einem weiteren Herzstillstand, der mit erneuten Reanimationsmaßnahmen beherrscht werden konnte.

Vor dem Zwischenfall hatte eine mit der Beaufsichtigung der Klägerin betraute Schwesternschülerin eine Veränderung des klinischen Bildes bemerkt und die Beklagte zu 5) als die damals zuständige Stationsschwester herbeigerufen. In der von der Schwesternschülerin unter der Uhrzeit 10.00 Uhr hierzu gefertigten Dokumentation heißt es wie folgt:

"S. wurde im Laufe des Morgens immer tachy- und dyspnoeischer, die Atmung wurde zunehmend schnappender. Sie war sehr kaltschweißig, besonders am Kopf. Die Haut war am ganzen Körper marmoriert. Temperatur bei 37,6°, trotzdem kalte Extremitäten, besonders kalt waren die Füße. So gegen 09.00 Uhr wurde sie dann zyanotisch an Lippen und Füßen. Der Blutdruck konnte erst beim fünften Mal ermittelt werden. SAO2 war nicht möglich. Sie war sehr tachykard. Nachdem sich S. Zustand immer mehr verschlechterte, rief ich eine Schwester hinzu, um sich S. mal anzusehen".

Die Beklagte zu 5) war nach den Eintragungen in der Behandlungsdokumentation um 9.35 Uhr bei der Klägerin eingetroffen. Als von ihr hinzugerufene Ärzte waren zunächst der Beklagte zu 4) als Stationsarzt und nachfolgend die Beklagte zu 3) als Oberärztin mit der Behandlung der Klägerin befasst. Zu dem damaligen Geschehen findet sich in dem Intensivpflegebogen folgender Eintrag:

"09.35 Uhr:

S. atmet mehr schnappend, starke Lippenzyanose, dabei tachykard, fühlt sich arg kalt an, Dr. P. angerufen. Zustand geschildert mit der Bitte, sich S. anzusehen.

09.45:

SAO2 kaum messbar, Kind zieht stärker ein, verdreht die Augen nach oben, Mutter nimmt sie auf den Arm, wiegt sie hin und her. Von jetzt auf gleich Puls( auf 0, auf dem Monitor ab und zu ein Ausschlag zu sehen, einige Minuten Herzmassagen durchgeführt, Bebeutelung, viel Sekret oral abgesaugt.

10.00 Uhr:

Orale Intubation, wird weiter bebeutelt. Zugang gelegt, SAO2 inzwischen 95 und 97, medis i.v., Pufferung zweimal erfolgt, Anästhesist gerade eingetroffen. Hatte das Kind erneut eine Asystolie? Bradykardie? Wiederum Herzmassage. Puls steigt. SAO2 wieder bei 85 - 90.

11.00 Uhr:

Babylog angeschlossen.

Konstant.

12.00 Uhr:

Temperatur 38,4°"

Die Klägerin leidet an einer ausgeprägten psychomotorischen und mentalen Entwicklungsretadierung mit beinbetonter Tetraspastik. Diese Behinderungen führen ihre Eltern auf den Zwischenfall vom 8. Mai 2000 zurück. Die Klägerin hat geltend gemacht, den Beklagten zu 2) bis 5) seien grobe Behandlungsfehler unterlaufen, für die die Beklagte zu 1) einzustehen habe. Die intensivmedizinische Überwachung vor dem Zwischenfall sei unzureichend gewesen. Auf die sich abzeichnende Komplikation sei nicht in der gebotenen Weise reagiert worden. Der Beklagte zu 4) habe die Reanimation nicht regelrecht vorgenommen. In der Zeit bis 11.00 Uhr sei die Beatmung nicht ausreichend gewesen. Der Beklagte zu 4) habe sie zu spät an das Beatmungsgerät angeschlossen. Der Beklagten zu 3) sei vorzuwerfen, dass sie beim Auftreten des Zwischenfalls nicht sogleich erreichbar gewesen sei. Dem Beklagten zu 2) seien Organisationsversäumnisse anzulasten.

Mit der Klage hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 300.000 € gefordert und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz aller materiellen und künftiger immaterieller Schäden begehrt.

Die Beklagten sind den Vorwürfen entgegengetreten und haben vorgetragen, die Behandlung sei in jeder Hinsicht regelgerecht gewesen. Die Behinderung der Klägerin sei zudem nicht auf den Zwischenfall und einen Sauerstoffmangel im Gehirn zurückzuführen, vielmehr liege eine primäre globale Erkrankung des zentralen Nervensystems vor.

Die 8. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg hat ein kinderkardiologisches Gutachten eingeholt, das der Sachverständige schriftlich ergänzt und mündlich erläutert hat. Durch das am 9. Februar 2006 verkündete Grund- und Teilurteil - in der durch Beschluss vom 28. Juni 2006 berichtigten Fassung - hat die Kammer in Bezug auf die Beklagten zu 1) und 5) die Leistungsklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Feststellungsantrag stattgegeben. Die gegenüber den Beklagten zu 2), 3) und 4) erhobene Klage hat das Landgericht abgewiesen.

Gegen die Entscheidung haben die Klägerin und die Beklagten zu 1) und 5) Berufung eingelegt. Der Beklagte zu 2), der sich mit der Berufung ebenfalls gegen das Urteil gewendet hat, hat sein Rechtsmittel in der mündlichen Verhandlung am 26. Oktober 2006 zurückgenommen.

Die Klägerin erstrebt mit ihrem Rechtsmittel im Umfang der bisherigen Antragstellung auch die Verurteilung des Beklagten zu 4). Zur Begründung trägt sie vor, das Vorgehen des Beklagten zu 4) im Rahmen der Reanimation nach 10.10 Uhr sei fehlerhaft gewesen. Bis zu dem - zu spät erfolgten - Einsatz des Beatmungsgerätes sei die Sauerstoffversorgung bei hochpathologischen Blutgaswerten unzureichend gewesen.

Soweit der Klage stattgegeben worden ist, verteidigt die Klägerin das Urteil des Landgerichts.

Die Klägerin beantragt,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Duisburg vom 9. Februar 2006,

1.

den Klageanspruch dem Grunde nach gegen die Beklagten zu 1), 4) und 5) für gerechtfertigt zu erklären;

2.

festzustellen, dass die Beklagten zu 1), 4) und 5) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr den infolge der fehlerhaften Behandlung am 8. Mai 2000 in der Vergangenheit entstandenen und zukünftig noch entstehenden materiellen Schaden sowie immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht aufgrund sachlicher und zeitlicher Kongruenz auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Der Beklagte zu 4) beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Er bestreitet, an der weiteren Behandlung der Klägerin nach erfolgreicher Reanimation beteiligt gewesen zu sein. Er habe nach dem Ende der Notfallversorgung gegen 10.10 Uhr die Intensivstation verlassen. Im übrigen sei die Klägerin schon gegen 10.10 Uhr an das Beatmungsgerät angeschlossen worden. Entgegen der Ansicht der Klägerin seien die Blutgaswerte nach 10.10 Uhr nicht hochpathologisch gewesen. Auf die Blutgasanalysen sei regelgerecht reagiert worden.

Die Beklagten zu 1) und 5) erachten die Entscheidung des Landgerichts, soweit die Klage nicht abgewiesen worden ist, bereits deshalb als fehlerhaft, weil das Gericht es versäumt habe, Feststellungen zur Ursache der Behinderung der Klägerin zu treffen. Sie machen geltend, dass etwaige Lücken in der Dokumentation der Behandlung nicht geeignet seien, der Klägerin Beweiserleichterung für den Nachweis zu verschaffen,

dass ein hypoxischer Hirnschaden vorliege, der auf den am 8. Mai 2000 eingetretenen Herzstillstand zurückzuführen sei. Im übrigen beanstanden sie die ihres Erachtens unzureichenden Feststellungen der Kammer zur Frage von haftungsbegründenden Behandlungsfehlern und machen geltend, das Landgericht habe die prozessuale Bedeutung etwaiger Dokumentationsmängel verkannt.

Die Beklagten zu 1) und 5) beantragen,

das am 9. Februar 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Duisburg (teilweise) "aufzuheben" und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt insoweit,

die Berufung der Beklagten zu 1) und 5) zurückzuweisen.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 7. Mai 2007 ergänzend Beweis erhoben durch Anhörung der Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. K.. Wegen des Beweisergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk vom 16. Mai 2007 (GA 420 - 440) verwiesen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten zu 1) und 5) ist begründet. Entgegen der Auffassung des Landgerichts stehen der Klägerin mangels Nachweises eines Haftungsgrundes Ansprüche auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden aufgrund des Ereignisses am 8. Mai 2000 nicht zu. Deshalb bleibt auch die Berufung der Klägerin, mit der sie eine entsprechende Verurteilung des Beklagten zu 4) erstrebt, ohne Erfolg.

Nach allgemeinen Grundsätzen hat eine Partei im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses zu beweisen, dass dem in Anspruch genommenen Arzt oder den Bediensteten eines Krankenhausträgers ein zumindest fahrlässiges Versäumnis bei der medizinischen Versorgung zur Last zu legen ist, das eine bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen hat (vgl. BGH NJW 1995, 1618; ständige Rechtsprechung). Diesen Beweis hat die Klägerin weder in erster Instanz noch aufgrund der vor dem Senat ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme geführt. Entgegen der Annahme des Landgerichts liegen auch nicht die Voraussetzungen vor, unter denen einem Patienten in Abkehr von der allgemeinen prozessualen Beweislastverteilung zum Nachweis des Haftungsgrundes Beweiserleichterungen zuerkannt werden können.

1.

Es lässt sich nicht feststellen, dass es bei der Betreuung und Versorgung der Klägerin nach ihrer stationären Aufnahme im M.-H. am 5. Mai 2000 bis zum Morgen des 8. Mai 2000 zu Versäumnissen gekommen war. Prof. Dr. B., der als Direktor einer Universitätsklinik für Kinderkardiologie über umfassende praktische Erfahrung und wissenschaftliche Kenntnisse zur Beurteilung des damaligen Geschehens verfügt, hat sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch bei seiner Anhörung vor dem Senat mehrfach deutlich gemacht, dass die medizinische Betreuung und Überwachung der Klägerin angesichts der Tatsache, dass sie wegen bestehender Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme stationär behandelt wurde, auch unter Berücksichtigung der damals festgestellten schweren Herzerkrankung in jeder Hinsicht angemessen war. Angesichts einer dokumentierten kontinuierlichen EKG-Überwachung, einer Pulsoxymetrie und eines Atemmonitorings hat der Sachverständige die Überwachung als dem Krankheitsbild und der damaligen Behandlungssituation "durchaus adäquat" bezeichnet.

Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es im Laufe der Betreuung zu einer weitergehende diagnostische oder therapeutische Maßnahmen erfordernden Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin als möglichem Hinweis auf den später eingetretenen Kreislaufzusammenbruchs gekommen war: Die Laborwerte am Morgen des 6. Mai waren im wesentlichen unauffällig; die dokumentierte Atemfrequenz variierte in der Zeit vom 5. Mai bis zum 8. Mai zwar zwischen 44/min. und max. 64/min., was nach Darstellung von Prof. Dr. B. indes nicht als eindeutiges Signal einer kontinuierlichen Verschlechterung des klinischen Zustandes zu werten war; auch die ab dem 7. Mai bis zu der erfolgten Reanimationsbehandlung dokumentierten Blutdruckwerte waren normwertig, weshalb Prof. Dr. B. bereits in seiner schriftlichen Begutachtung deutlich gemacht hat, dass es keinerlei Hinweise auf eine chronische Verschlechterung des damaligen Gesundheitszustandes der Klägerin gab, dass die Befunde im Gegenteil für eine akute Dekompensation sprechen. Diese Beurteilung hat der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Senat erläutert und bekräftigt. Danach sprechen sämtlichen dokumentierten Befunde gegen eine kontinuierliche Verschlechterung. Deshalb hat er keinen Zweifel daran gelassen, dass die ärztliche bzw. die pflegerischer Überwachung regelhaft und die spätere Krisensituation nicht vorhersehbar war.

2.

Dem damals eingesetzten Pflegepersonal und den mit der Behandlung der Klägerin befassten Ärzten kann auch nicht vorgeworfen werden, auf die sich am Morgen des 8. Mai 2000 abzeichnende Befundverschlechterung unsachgemäß reagiert und nach dem Eintreten der durch den Herzstillstand gekennzeichneten Krisensituation verspätet und/oder fehlerhaft gehandelt zu haben.

Es war sachgerecht, dass die Schwesternschülerin angesichts der von ihr dokumentierten klinischen Situation (Atmung zunehmend schnappender, kaltschweißig, Haut marmoriert, kalte Extremitäten bei 37,6° Temperatur, gegen 9.00 Uhr zyanotisch an Lippen und Füßen) eine Blutdruckmessung vornahm und wegen einer weiteren Zustandsverschlechterung die Beklagte zu 5) als damalige Stationsschwester hinzurief. Dass dies bereits zu einem früheren Zeitpunkt hätte erfolgen müssen, lässt sich nicht feststellen. Obwohl der - laut Dokumentation erst bei der fünften Messung ermittelte - Blutdruckwert in den Behandlungsunterlagen nicht festgehalten ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Klägerin bereits in einer Gefährdungssituation befand, die ein sofortiges ärztliches Eingreifen notwendig gemacht hätte. Der Senat hat die von der Schwesternschülerin dokumentierte klinische Situation eingehend mit dem Sachverständigen erörtert. Dieser hat dabei deutlich gemacht, dass die Probleme bei der Blutdruckmessung durchaus technischer Natur gewesen sein konnten. Hieraus kann - so der Sachverständige - jedenfalls nicht gefolgert werden, dass der Blutdruck derart niedrig war, dass von einer beginnenden Dekompensation auszugehen war und es sofortiger Reanimationsmaßnahmen oder anderer therapeutischer Maßnahmen bedurft hätte. Im Gegenteil spricht das später - gegen 9.45 Uhr - beschriebene plötzliche Absacken des Blutdruckes nach Darstellung von Prof. Dr. B. dafür, dass die Vitalparameter beim Eintreffen der Beklagten zu 5) - gemäß der Behandlungsdokumentation um 9.35 Uhr - soweit vorhanden waren, dass das weitere Vorgehen mit dem Herbeirufen der Stationsschwester, die dann einen Arzt hinzuzog, nicht zu beanstanden war. Eine andere Beurteilung rechtfertigt auch nicht der nach dem Herzstillstand gemessene pathologische pH-Wert von 6,65. Dieser Wert ist nach Darstellung von Prof. Dr. B. ohne weiteres mit dem zunächst eingetretenen Herzstillstand erklärbar und besagt nicht, dass bei dem Kind bereits vorher eine schwere Kreislaufstörung vorlag, auf die hätte reagiert werden müssen.

Die Maßnahmen, die aufgrund des auf dem angeschlossenen Monitor festgestellten plötzlichen Herzstillstandes ergriffen wurden, waren sachgerecht und effektiv: Ausweislich des ärztlichen Berichtes führte der Beklagte zu 4) bei (zweimaligem) akuten Herz-Kreislaufstillstand die kardiopulmonale Reanimation mit Intubation und Beatmung - nach seiner Darstellung in der mündlichen Verhandlung durch Herzmassage und Beutelbeatmung - durch, wobei nach einer Asystolie über etwa fünf Minuten erneut ausreichende Eigenfrequenz und stabiler Blutdruck bestanden.

Prof. Dr. B. hat im Rahmen der Erörterung der Reanimationsmaßnahmen keinen Zweifel daran gelassen, dass diese in jeder Hinsicht sachgemäß erfolgten. Unberechtigt ist in diesem Zusammenhang der Vorwurf der Klägerin, ihr sei nicht rechtzeitig Sauerstoff gegeben und die maschinelle Beatmung sei verspätet angeschlossen worden. Dass entsprechend der Darstellung des Beklagten zu 4) bereits im Rahmen der Reanimation Sauerstoff verabreicht wurde, folgt bereits daraus, dass - wie Prof. Dr. B. überzeugend erläutert hat - technisch bedingt bei jeder Reanimation mit dem Ambubeutel, wie hier, die Sauerstoffgabe verbunden ist. Weil die Beatmung mit dem Beutel darüber hinaus in vielen Fällen effektiver sein kann als die maschinelle Beatmung, ist es auch nicht zu beanstanden, dass diese erst später eingeleitet wurde.

Gegen Fehler bei der Reanimation spricht im übrigen, dass diese in jeder Hinsicht erfolgreich war, weil es entgegen der Darstellung der Klägerin zu keiner Sauerstoffunterversorgung des Gehirns gekommen war. Prof. Dr. K., der als Leiter des Funktionsbereichs Neuropädiatrie eine Universitätskinderklinik zur Beurteilung der diesbezüglichen medizinischen Fragen in besonderem Maße kompetent ist, hat hierzu deutlich gemacht, dass morphologische Veränderungen des Gehirns, wie sie bei einer nicht ausreichenden Versorgung mit Sauerstoff eintreten, bei der Klägerin nicht vorlagen; dass sich insbesondere kein Hirnödem und keine Hirnschwellung zeigten. Deshalb, so der Sachverständige, ist festzustellen, dass die damalige Reanimation gut und ausreichend war.

3.

Der Klägerin sind entgegen der Auffassung des Landgerichts bei der Feststellung etwaiger Behandlungsfehler keine Beweiserleichterungen zuzubilligen. Die zur Begründung angeführte Verletzung von Dokumentationspflichten rechtfertigt eine solche Abkehr von dem Grundsatz, dass der Anspruchsteller die haftungsbegründenden Tatsachen nachweisen muss, nicht. Allerdings trifft es zu, dass die Pflegedokumentation über einzelne Vitalparameter lückenhaft ist. So fehlt, worauf Prof. Dr. B. bereits in seinem schriftlichen Gutachten hingewiesen hat, für den Morgen des 8. Mai die Angabe des Blutdruckwertes, der ausweislich des Berichtes der Schwesternschülerin von ihr erst nach fünfmaliger Messung ermittelt werden konnte. Auch fehlt die Angabe von Herzfrequenz und Puls unmittelbar vor dem Herzstillstand. Alleine dies erlaubt indes nicht die Annahme, die Klägerin habe ich in einem hoch pathologischen Zustand befunden, der ein sofortiges ärztliches Eingreifen erfordert hätte, das fehlerhaft unterblieben sei. Auch im übrigen ist es nicht gerechtfertigt, aufgrund von Dokumentationsversäumnissen von Fehlern bei der Betreuung und Behandlung der Klägerin auszugehen, die nach der Darstellung der Klägerin darin liegen sollen, dass erforderliche Behandlungsmaßnahmen unterblieben waren.

Das Landgericht verkennt bei seiner Entscheidung, dass Dokumentationsmängel für sich nicht die Annahme eines Behandlungsfehlers rechtfertigen. Das pflichtwidrige Unterbleiben der Beschreibung dokumentationsbedürftiger Befunde oder dokumentationsbedürftiger Behandlungsmaßnahmen kann allerdings, wenn sich hieraus eine unzumutbare Verschlechterung der Beweissituation für den Patienten ergibt, als Indiz dafür dienen, dass in diesem Fall gebotene Befunderhebungen oder Behandlungen nicht erfolgt waren (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Auflage, Rn. 202). Vorliegend kann jedoch bereits nicht davon ausgegangen werden, dass die erforderliche Befunderhebung im Sinne der Kontrolle der Vitalparameter bei der Klägerin nicht erfolgt war. Tatsächlich wurde bei ihr, was auch ihre Mutter in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, die Herzfrequenz aufgrund des angeschlossenen Monitors laufend gemessen und angezeigt, wenn auch nicht schriftlich in den Behandlungsunterlagen festgehalten. Ferner wurde der Puls durch das eingesetzte Pulsoxymeter überprüft. Dass auch der Blutdruck vor dem Kreislaufkollaps gemessen wurde, ergibt sich aus der Niederschrift der Schwesternschülerin. Das Unterbleiben der Dokumentation des ermittelten Wertes erlaubt bereits deshalb nicht die Unterstellung, er sei in einer Weise auffällig gewesen, dass weitergehende Maßnahmen zwingend hätten ergriffen werden müssen, weil ein solcher Befund nicht als hinreichend wahrscheinlich anzunehmen ist. Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. B. sprechen der im übrigen dokumentierte klinische Verlauf und insbesondere der spätere plötzliche Pulsabfall gerade gegen einen Befund, der bereits ein früheres Eingreifen im Sinne einer Kreislaufstabilisierung erfordert hätte. Dem Umstand, dass nach Darstellung der Mutter der Klägerin das Notrufsignal des Monitors abgeschaltet war, kommt im übrigen deshalb keine entscheidende Bedeutung zu, weil der Eintritt des Herzstillstandes ausweislich der Beschreibung in der Behandlungsdokumentation aufgrund des Abfallens der Kurve auf dem Monitor sofort festgestellt wurde. Die Annahme von Versäumnissen bei der Behandlung der Klägerin verbietet sich im übrigen auch deshalb, weil die erreichte Stabilisierung des Kreislaufes nach der Darstellung des Sachverständigen Ausdruck dafür war, dass die erforderlichen Maßnahmen standardgemäß und erfolgreich durchgeführt wurden; dies haben beide Sachverständige betont. Im übrigen hat Prof. Dr. B. darauf hingewiesen, dass auch die späteren Röntgenbefunde gegen die Annahme, es hätte sich im Laufe der Zeit eine zu dem Herzstillstand führende Ateminsuffizienz aufgebaut, sprechen. Die unterbliebene Dokumentation weiterer Vitalparameter rechtfertigt auch deshalb nicht die Annahme, die Klägerin hätte sich in der Zeit vor dem Herzstillstand in einem Zustand befunden, der weitergehende Maßnahmen erforderlich gemacht hätte.

4.

Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen kommt eine Haftung der Beklagten auch deshalb nicht in Betracht, weil nicht festgestellt werden kann, dass die Behinderung, an der die Klägerin leidet, auf die am 8. Mai 2000 eingetretene und mit einem zweifachen Herzstillstand verbundene Krisensituation zurückzuführen ist. Prof. Dr. B. hat in seiner schriftlichen Begutachtung aus kinderkardiologischer Sicht bereits darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin unter anderem wegen einer Störung des Gehirnwachstums schon vor der Reanimation neurologische Auffälligkeiten zu finden waren, die aus seiner Sicht die Behinderung erklären können. Diese Aussage hat Prof. Dr. K., den der Senat wegen seiner besonderen Fachkompetenz mit der Begutachtung der Schädigungsursache beauftragt hat und gegen dessen persönliche Eignung nicht etwa der - der Klägerin bzw. ihren Eltern bereits vor der Beauftragung des Sachverständigen bekannte - Umstand spricht, dass er die Klägerin in der Vergangenheit untersucht hatte, bei seiner - aufgrund der bisherigen Vorbegutachtungen ausreichenden - mündlichen Anhörung eindeutig bestätigt und deutlich gemacht, dass die damaligen Ereignisse im Zusammenhang mit dem Herzstillstand keinen negativen Einfluss auf die weitere Entwicklung hatten. Ausschlaggebend dafür ist in erster Linie, dass es ausweislich des am 1. Juni 2000 gefertigten MRT bei der Klägerin zu keinem Hirnödem gekommen war, die Ventrikel immer schlank waren und dass es auch sonst keinerlei Veränderungen gab, die für eine Sauerstoffmangelsituation sprechen könnten. Diese Beurteilung ist nicht deshalb in Zweifel zu ziehen, weil Prof. Dr. K. als damals behandelnder Arzt der Klägerin in einem Arztbrief vom 21.02.2001 ausführte, dass sich bei S. eine ausgeprägte psychomotorische und mentale Entwicklungsretardierung zeigte, die "u. a. als Residualschaden nach kardiopulmonaler Reanimation im Mai 2000 zu interpretieren ist". Diese Befundbeschreibung befasst sich nicht näher mit dem für die Ursache der Behinderung bedeutsamen MRT-Befund, der lediglich als unauffällig beschrieben wird, ohne die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Feststellung der Schädigungsursache näher zu beleuchten. Die Frage, ob die Behinderung der Klägerin auf ein Mikrozephalie-Kardiomyopathie-Syndrom zurückzuführen ist, was Prof. Dr. K. annimmt, ist nicht entscheidend und bedarf daher keiner ergänzenden Aufklärung, weil es nur darauf ankommt, dass die auch insoweit beweispflichtige Klägerin den Beweis der Ursächlichkeit des Reanimationsgeschehens für die vorliegende Schädigung nicht erbracht hat. Die Voraussetzungen, unter denen der Klägerin Erleichterungen für den Kausalitätsnachweis zugebilligt werden könnten, liegen nicht vor; weder ist von groben ärztlichen Versäumnissen bei ihrer Behandlung auszugehen, noch rechtfertigt der Sachverhalt die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 S. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revisionszulassung ist nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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