Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 11.01.2007
Aktenzeichen: I-8 U 36/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 257
ZPO § 258
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 23.02.2006 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal - 5 O 391/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten, einem Internisten, die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens € 30.000 und einer künftigen Rente wegen entgangener Versorgungsansprüche. Sie hat behauptet, der Beklagte habe ihr anlässlich einer im Januar 1995 durchgeführten Gastroskopie zur Sedierung das Medikament Dormicum fehlerhaft in zu hoher Dosierung verabreicht, was dazu geführt habe, dass sie voll narkotisiert gewesen sei. Da eine kontinuierliche Überwachung der Sauerstoffsättigung fehlerhaft unterblieben sei, sei es während der Behandlung zu einem Sauerstoffmangel mit Hypoxie gekommen. Dies habe zur Folge gehabt, dass sie - die Klägerin - nach der Behandlung unter Verwirrtheit gelitten habe; der "weggetretene" Zustand habe über Jahre hinweg angedauert. Sie sei in der Zeit orientierungslos, lethargisch und außerstande gewesen, ihren Haushalt zu versorgen und ihre Aufgaben am Arbeitsplatz zu erfüllen. Mehrere Arbeitsverhältnisse seien daher nach kurzer Zeit wieder beendet worden. Weil es wegen der durch ihren Zustand bedingten Ausfallzeiten an Beitragszahlungen zur Versorgungskasse des Bankgewerbes gefehlt habe, werde der Ausfall bei der Altersrente ab 01.06.2007 jährlich 2.748,15 € betragen.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten und hat behauptet, er habe der Klägerin lediglich 2,5 bis 3 mg Dormicum fraktioniert injiziert; die Klägerin sei während der Behandlung jederzeit ansprechbar gewesen und habe auch bis zum Verlassen der Praxis keine Auffälligkeiten gezeigt.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens und nach Anhörung des Sachverständigen abgewiesen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie die erstinstanzlich gestellten Anträge weiterverfolgt und geltend macht, dem Gutachten des Sachverständigen Dr. L. könne nicht gefolgt werden, da dieses nur Teilaspekte berücksichtige und deshalb zu einem unzutreffenden Ergebnis gekommen sei. Das Landgericht sei vielmehr gehalten gewesen, ein anästhesiologisches Fachgutachten einzuholen. Die erforderliche kontinuierliche Überwachung während der Sedierung könne ohne apparatives Monitoring nicht durchgeführt werden; das Unterlassen begründe einen groben Behandlungsfehler. Da der Beklagte gegen seine Dokumentationspflichten verstoßen habe, sei auch davon auszugehen, dass Nebenwirkungen und Komplikationen der Behandlung nicht dokumentiert worden seien; jedenfalls sei eine bei der Untersuchung erlittene Hypoxie keinesfalls auszuschließen. Ihr Zustand nach der Untersuchung und am nächsten Morgen sowie die dargestellten psychischen Veränderungen belegten vielmehr, dass es tatsächlich bei ihr zu einer hypoxischen Hirnschädigung gekommen sei. Ein weiterer grober Behandlungsfehler sei in der unterlassenen Sicherungsaufklärung vor der Entlassung aus der Praxis zu sehen, da der Beklagte ihren Mann darauf hätte hinweisen müssen, dass sie - die Klägerin - keinesfalls unbeaufsichtigt in der Wohnung bleiben dürfe. Schließlich hafte der Beklagte auch wegen unzureichender Aufklärung über die mit der Sedierung verbundenen Risiken.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 23.02.2006 den Beklagten zu verurteilen,

1.

an sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens € 30.000 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit (11.01.2005) zu zahlen;

2.

an sie eine Rente in Höhe von € 2.748,15 jährlich zu leisten, in vierteljährlichen Raten zu je € 687,04 beginnend ab dem 01.06.2007.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und meint, das Vorbringen der Klägerin, soweit es neu sei, sei nicht zu berücksichtigen. Entgegen ihrer Darstellung sei die Klägerin auch hinreichend über den Eingriff und den Einsatz des Medikaments Dormicum aufgeklärt worden.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1.

Der Klageantrag zu 2.), mit dem die Klägerin eine Rente ab dem 01.06.2007 wegen verminderter Versorgungsansprüche geltend macht, ist, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, bereits unzulässig. Gegenstand der Leistungsklage können nur gegenwärtig bestehende Ansprüche sein; hiervon machen auch die §§ 257, 258 ZPO keine Ausnahme, die lediglich auf das Erfordernis der Fälligkeit verzichten (vgl. BGH, NJW 1982, 578, 579). Um solche künftig fällig werdenden Leistungen handelt es sich hier aber nicht; es geht vielmehr um einen nur möglichen künftigen Anspruch, denn ob ein Schaden in Bezug auf verminderte Versorgungsbezüge tatsächlich eintritt, kann erst am 01.06.2007 festgestellt werden.

2.

Auch der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch (§§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB a.F.) steht der Klägerin nicht zu.

Nach allgemeinen Grundsätzen hat ein Patient im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses zu beweisen, dass dem in Anspruch genommenen Arzt ein zumindest fahrlässiges Versäumnis bei der medizinischen Versorgung zur Last zu legen ist, das eine bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigung hervorgerufen hat (vgl. BGHZ 99, 391 = NJW 1987, 1482 = VersR 1987, 1089; VersR 1995, 539; ständige Rechtsprechung). Das Landgericht hat weder einen Behandlungsfehler des Beklagten festzustellen vermocht, noch, dass die Klägerin infolge der Behandlung eine Hypoxie mit den von ihr behaupteten Folgen erlitten hat. Hieran ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

a)

Die Klägerin hat schon nicht den ihr obliegenden Nachweis eines haftungsbegründenden Behandlungsfehlers des Beklagten erbracht. Die Sedierung mittels i.v. Gabe von Dormicum war nach dem Gutachten des Sachverständigen PD Dr. L. nicht zu beanstanden. Die Darstellung des Beklagten, er habe fraktioniert zunächst 1 - 2 mg und danach noch bis zur Gesamtdosis von 3 mg injiziert, schließt einen Fehler in der Dosierung aus. Es kann dahin gestellt bleiben, ob der Beklagte wegen des Fehlens genauer Angaben in der Dokumentation die Behauptung der Klägerin, sie habe 5 mg erhalten, ausräumen muss. Denn auch bei dieser Dosis ist, wie der Sachverständige betont hat, eine Überdosierung zu verneinen. Der Einholung eines anästhesiologischen Sachverständigengutachtens bedurfte es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Der Sachverständige ist als Internist und Gastroenterologe ohne Weiteres in Lage, die Dosierung von Dormicum bei der Basissedation bei diagnostischen Eingriffen zu beurteilen. Die Ausführungen des Sachverständigen stehen im Übrigen in Einklang mit der Dosierungsanleitung gemäß den im Rechtsstreit vorgelegten Gebrauchsinformationen für Dormicum 5 mg/1 ml (Bl. 53/54 GA).

Der Gutachter hat auch den Verzicht auf eine kontinuierliche Sauerstoffüberwachung (Pulsoximetrie) nicht kritisiert. Eine Sedierung erfordert auch nicht die Hinzuziehung eines Anästhesisten. Dass die Klägerin - wie sie behauptet - narkotisiert worden wäre, lässt sich nicht feststellen. Dagegen spricht schon, dass sie nach Darstellung des Beklagten während des Eingriffs ansprechbar war. Diese Darstellung müsste die für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers darlegungs- und beweispflichtige Klägerin widerlegen, was ihr jedoch nicht gelingen kann. Wie der Sachverständige PD Dr. L. bei seiner Anhörung vor dem Landgericht erklärt hat, kann eine Sedierung zwar u.U. in den Schlaf übergehen, jedoch wird auch dann nicht ein Zustand der Narkose erreicht, der zu einer Beatmungspflichtigkeit führen würde. Im Übrigen hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass es als Nebenwirkung der Sedierung zu einer retrograden Amnesie kommen kann, was dazu führen kann, dass der Patient keine Erinnerung an den tatsächlich durchgeführten Eingriff hat.

Die allgemeinen Ausführungen der Klägerin zu den Vorsorgemaßnahmen bei einer Sedierung sind haftungsrechtlich nicht relevant, weil sich nicht feststellen lässt, dass sich die geltend gemachten Versäumnisse ausgewirkt haben, es nämlich zu einem Zwischenfall gekommen ist, weil der Beklagte auf die gebotene Vorsorge verzichtet hatte. Dass in der Dokumentation des Beklagten Komplikationen bei der Behandlung nicht vermerkt sind, begründet entgegen der Auffassung der Klägerin keine Vermutung dafür, dass Komplikationen unbemerkt eingetreten sind.

Soweit die Klägerin erstmals in zweiter Instanz einen Verzicht auf die therapeutische Aufklärung rügt, kann dahin stehen, ob dieses Vorbringen zuzulassen wäre (§ 531 ZPO). Denn die Klägerin trägt schon nicht vor, dass der von ihr vermisste Hinweis an ihren Mann irgendwelche Folgen für ihren Gesundheitszustand gehabt hat.

b)

Die Klägerin hat auch nicht nachgewiesen, dass die Sedierung zu einer hypoxischen Hirnschädigung und zu dem Zustand geführt hat, den sie als Körper-/Gesundheitsschädigung ansieht und der nach ihrer Darstellung bis zum Jahr 1998 angedauert hat. Der Sachverständige PD Dr. L., der als Internist und Gastroenterologe in der Lage ist, zu beurteilen, ob die Gabe von 5 mg Dormicum zu einer hypoxischen Hirnschädigung geführt hat, hat diese Möglichkeit eindeutig ausgeschlossen. Es gibt auch keinerlei gesicherte medizinische Daten/Befunde, die die Vermutung der Klägerin, sie habe während der Sedierung eine hypoxische Hirnschädigung erlitten, stützen könnten. Dass ein solcher Körperschaden überhaupt vorliegt bzw. vorgelegen hat, ist von der Klägerin nachzuweisen. Für diesen Nachweis können ihr Beweiserleichterungen nicht zugebilligt werden. Solche, etwa aufgrund bestehender Dokumentationslücken, betreffen nur den Fehlernachweis und den Kausalzusammenhang zwischen Fehler und Schaden (etwa bei grobem Fehler oder einfachem Befunderhebungsfehler). Hier geht es indessen darum, ob die Klägerin überhaupt einen bestimmten Körperschaden (hypoxische Hirnschädigung) aufgewiesen hat. Insoweit lässt sich schon nicht feststellen, dass es während der Sedierung zu einem Sauerstoffmangel (Atemstörung) gekommen ist. Dass der Sachverständige bei seiner Anhörung die Möglichkeit von Atemproblemen bei jeder Form von Sedierung nicht ausgeschlossen hat, besagt nicht, dass es tatsächlich dazu gekommen ist. Der Sachverständige hat dies vielmehr auch bei einer Maximaldosierung von 5 mg als nicht wahrscheinlich bezeichnet. Im Übrigen hätte der Beklagte, während er durch das Endoskop schaute, auch bemerkt, wenn die Klägerin plötzlich nicht mehr geatmet hätte.

Dem Beweisantrag der Klägerin, ein neurologischen Sachverständigengutachten zum Beweis der Behauptung, es sei tatsächlich zu einer Hirnschädigung infolge einer Hypoxie gekommen, ist nicht nachzugehen. Abgesehen davon, dass schon kein Fehler festzustellen ist (s.o.), liegen auch keinerlei ärztliche Befunde aus der Zeit von 1995 bis heute vor, die der neurologische Gutachter auswerten könnte. Im Gegenteil: Ausweislich der Behandlungsunterlagen hat die Klägerin den Beklagten nach der Untersuchung am 19.01. und 23.01. wieder aufgesucht. Am 19.01. hat der Beklagte die Untersuchungsergebnisse mit ihr besprochen. Sie schien an diesem Tag zwar ängstlich agitiert, aber keineswegs in einem Zustand, wie ihn die Klägerin für die damalige Zeit behauptet. Am 23.01. hat sie den Beklagten wegen einer Verletzung des Sprunggelenks konsultiert. Die Dokumentation ergibt nichts Auffälliges.

c)

Eine Haftpflicht des Beklagten ergibt sich auch nicht wegen eines Aufklärungsdefizits. Dabei kann offen bleiben, ob insoweit neues Vorbringen der Klägerin vorliegt (§ 531 ZPO). Eine Haftung scheidet aus, weil sich schon nicht feststellen lässt, dass der "Eingriff" zur einer hypoxischen Hirnschädigung oder sonst zu einem Körper-/Gesundheitsschaden bei der Klägerin geführt hat (vgl. BGH NJW 1986, 1541).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revisionszulassung ist nicht veranlasst.

Die Beschwer der Klägerin liegt über € 20.000

Streitwert: (bis zu) € 45.000.

Ende der Entscheidung

Zurück