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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 18.04.2006
Aktenzeichen: II-4 UF 18/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 1
ZPO § 323
ZPO § 323 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 323 Abs. 4
ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 5
BGB § 313
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

I. Der Senatstermin vom 23.5.2006 wird aufgehoben.

II. Das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Klägerin wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, ihre Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

Frist zur Stellungnahme: bis zum 8. Mai 2006

Gründe:

Soweit sich der Hauptantrag der Berufung nach seinem Wortlaut auch auf die Widerklage erstreckt, ist das Rechtsmittel bereits unzulässig, weil die Klägerin durch deren Abweisung nicht beschwert ist; hierauf ist sie hingewiesen worden (Verfügung vom 6.3.2006 unter Ziffer 3.b). Im übrigen hat die Berufung weder rechtsgrundsätzliche Bedeutung noch Aussicht auf Erfolg (§§ 522 Abs. 2, 114 ZPO). Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die Klage als unzulässig angesehen; dies gilt sowohl für den auf Leistung gerichteten Hauptantrag wie auch für das hilfsweise geltend gemachte Abänderungsverlangen.

1.

Die in erster Linie geltend gemachte Leistungsklage ist unzulässig; die Klägerin kann die erstrebte Heraufsetzung des titulierten Unterhalts nur im Wege der Abänderungsklage nach § 323 ZPO erreichen.

a)

Die vollstreckbare Urkunde vom 18.4.2002 stellt einen Schuldtitel im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO dar und unterfällt daher gemäß § 323 Abs. 4 ZPO dem Anwendungsbereich der Abänderungsklage. Die in der Berufungsbegründung erneut aufgegriffene gegenteilige Auffassung der Klageschrift, die Urkunde sei als einseitiges Schuldanerkenntnis "keine Vereinbarung im Sinne des § 323 Abs. 4 ZPO", ist offensichtlich unzutreffend. Jene Bestimmung erstreckt sich nach ihrem unmissverständlichen Wortlaut auf sämtliche dort genannten Schuldtitel ohne Rücksicht auf eine in ihnen enthaltene (oder ihre Erstellung veranlassende) "Vereinbarung"; auch einseitige Verpflichtungserklärungen werden deshalb hiervon erfasst (BGH NJW 1984, 997 = NJW 1985, 64, 65; FamRZ 2004, 24 = NJW 2003, 3770, 3771).

b)

Das von der Klägerin für sich in Anspruch genommene "Wahlrecht" zwischen Leistungs- und Abänderungsklage steht ihr nicht zu.

aa)

Beide Klagearten stehen in einem Exklusivverhältnis; soweit die prozessuale Gestaltungsklage nach § 323 ZPO statthaft ist, nimmt sie den Parteien die Möglichkeit, auf anderem Wege eine (Neu-)Festsetzung der titulierten Unterhaltsrente herbeizuführen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Verpflichtete eine Herabsetzung oder der Berechtigte eine Anhebung des Zahlbetrages verlangt; auch im letzteren Fall ist ihm im Anwendungsbereich des § 323 ZPO unabhängig von Rechtskraft- oder sonstigen Bindungswirkungen des Titels die Leistungsklage ("Zusatz- oder Nachforderungsklage") verschlossen (BGHZ 94, 145, 146 = FamRZ 1985, 690 = NJW 1985, 1701; BGHZ 98, 353, 357 = FamRZ 1987, 259, 262 = NJW 1987, 1201, 1202; BGH NJW-RR 2005, 371, 372; Zöller-Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 323, Rn. 19; jeweils m.w.N.). Gleichermaßen unerheblich ist es, ob die Unterhaltsrente durch Urteil oder in anderer Weise tituliert worden ist; auch wenn es sich um einen Prozessvergleich oder einen sonstigen der in § 323 Abs. 4 ZPO genannten Schuldtitel handelt, steht dem Berechtigten ausschließlich das Abänderungsverfahren offen (BGH FamRZ 1998, 896, 897 = NJW 1998, 2048, 2049). Dass bei einer Urteilstitulierung in den Fällen einer (offenen) Teilklage ausnahmsweise die Nachforderungsklage gegeben sein soll (BGHZ 93, 330, 336 f. = FamRZ 1985, 372, 373 = NJW 1985, 1340, 1342; Zöller-Vollkommer aaO., Rn. 20 m.w.N.), stellt das Ausschließlichkeitsverhältnis beider Klagearbeiten nicht in Frage und ist auf Schuldtitel im Sinne des § 323 Abs. 4 ZPO ohnehin nicht übertragbar, weil dort - anders als bei der Teilklage - die Eröffnung der Nachforderungsforderungsklage nicht auf eine Initiative des Berechtigten rückführbar ist; bei einseitigen Verpflichtungserklärungen des Unterhaltsschuldners ist für eine derartige Einschränkung von vornherein kein Raum (oben a).

Das Exklusivitätsverhältnis zwischen Abänderungs- und Leistungsklage schließt die Annahme eines "Wahlrechts" des Berechtigten aus; die gegenteilige Auffassung der von der Klägerin zitierten Entscheidung (BGH FamRZ 1980, 342 f.) ist durch die weitere Rechtsentwicklung überholt (vergl. Zöller-Vollkommer aaO., Rn. 47 in Abweichung zur Vorlauflage). Sie beruhte auf der damaligen Rechtsaufassung des für das Unterhaltshaltsrecht zuständigen IVb. Zivilsenats, der - anders als andere Zivilsenate des BGH - eine Abänderung aller in Abs. 4 des § 323 ZPO genannten Titel den strengen Bindungen aus Abs. 1 bis 3 unterwarf. In Konsequenz dieser Rechtsprechung konnte der Berechtigte auch bei einseitiger Verpflichtungserklärung eine Erhöhung der Unterhaltsrente im Wege der Abänderungsklage nur "unter den sich aus Abs. 1 ergebenden Voraussetzungen und Einschränkungen, aber mit dem Vorteil der Bindung des Beklagten an die eingegangene Verpflichtung" erreichen (BGH aaO.). Bei einem derart engen Verständnis hätte der Unterhaltschuldner deshalb die Möglichkeit gehabt, den Berechtigten durch einseitige Titulierung eines untersetzten Unterhalts bis zum nachträglichen Eintritt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse (§ 323 Abs. 1 und 2 ZPO) und - wegen der erst später in Kraft getretenen Sonderregelung des § 323 Abs. 3 Satz 2 ZPO - ohne jede Rückwirkungsmöglichkeit zu binden (§ 323 Abs. 3 ZPO a.F.). Wegen der offensichtlichen Unbilligkeit dieser Rechtsfolge sah sich der BGH genötigt, dem Berechtigten auf anderem Wege die Möglichkeit zu eröffnen, "seinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch ohne Rücksicht auf die Urkunde und die daran enthaltene Verpflichtungserklärung des Schuldners zu realisieren" (aaO.).

Diese Rechtsprechung ist seit dem Beschluss des Großen Senats vom 4.10.2982 überholt, durch den die in § 323 Abs. 4 ZPO genannten Schuldtitel dem Anwendungsbereich von Abs. 1 bis 3 jener Vorschrift entzogen und allein den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage unterworfen wurden (BGHZ 85, 64 ff. = FamRZ 1983, 22 ff. = NJW 1983, 228 ff.). Damit entfiel im Abänderungsverfahren nicht nur die Bindung an die Beschränkungen nach Abs. 2 und 3 des § 323 ZPO. Auch die Verweisung auf Abs. 1 jener Bestimmung hatte keine praktische Bedeutung mehr; die Abänderbarkeit dieser Schuldtitel bestimmt sich bei Fehlern anderweitiger Parteivereinbarungen ausschließlich nach den nunmehr in § 313 BGB niedergelegten Grundsätzen des materiellen Rechts (BGH aaO.). Dies gilt nicht nur für gerichtliche Vergleiche im Sinne des § 794 I Nr. 1 ZPO (Zöller-Vollkommer aaO., Rn. 43 und 44 m.w.N.), sondern auch für sonstige von § 323 Abs. 4 ZPO erfasste Schuldtitel und damit auch für nach § 794 I Nr. 5 ZPO erstellte vollstreckbare Urkunden; maßgebend für Voraussetzung und Umfang ihrer Abänderung ist auch hier allein der in der Urkunde zum Ausdruck gebrachte oder ihrer Ausstellung zugrunde liegende einvernehmliche Wille der Parteien (BGH aaO.; FamRZ 1990, 542 = NJW-RR 1991, 514; FamRZ 1993, 1047 = NJW-RR 1993, 773; FamRZ 1997, 811, 813 = NJW 1997, 2176, 2177; Eschenbruch-Klinkhammer, Der Unterhaltsprozess, 3. Aufl., Rn. 5339; Zöller-Vollkommer aaO., Rn. 47). Lag ein solcher übereinstimmender Wille nicht vor, so ist der Berechtigte auch bei einseitigen Verpflichtungserklärungen des Unterhaltsschuldners an die Verhältnisse zur Zeit der Errichtung nicht gebunden, weil es mangels Parteivereinbarung an einer Geschäftsgrundlage fehlt; der geschuldete Unterhalt ist vielmehr wie im Erstfestsetzungsverfahren ohne jede Bindung an irgendwelche "Grundlagen" der Urkunde nach den tatsächlich bestehenden Verhältnissen zu bestimmen (BGH FamRZ 2004, 24 = NJW 2003, 3770, 3771; Eschenbruch-Klinkhammer aaO.).

Für ein "Wahlrecht" des Berechtigten bei "einseitig" titulierten Unterhaltsansprüchen besteht daher heute kein Bedürfnis mehr. Lag der vollstreckbaren Urkunde ein übereinstimmender Parteiwille zugrunde, darf dieser sich den dadurch begründeten Bindungen nicht durch Erhebung einer "freien" Leistungsklage entziehen; ist sie ohne seine Mitwirkung zustande gekommen, so ist er - anders als nach der Rechtslage vor der Entscheidung des Großen Senats - auf eine solche Klage nicht mehr angewiesen, weil er im Verfahren nach § 323 Abs. 4 ZPO keinen weitergehenden Bindungen unterliegt. In beiden Fällen kann er deshalb eine Neufestsetzung der in der Urkunde titulierten Unterhaltsbeträge nur im Wege der Abänderungsklage erreichen (BGH FamRZ 1997, 811, 813 = NJW 1997, 2176, 2177). Zu welchen unauflösbaren Widersprüchen die Einräumung eines Wahlrechts führen würde, zeigt gerade der vorliegende Rechtsstreit, in dem die Abänderungsklage des Verpflichteten und die Leistungsklage des Berechtigten bei verschiedenen Amtsgerichten rechtshängig gemacht wurden (und im Rechtsmittelzug verschiedene Senate des OLG Düsseldorf zuständig sind); auf welchem verfahrensrechtlichen Wege die offenbar auch nach Auffassung der Klägerin erforderliche Einheitlichkeit der Entscheidungen über den beiden Verfahren zugrunde liegenden Unterhaltsanspruch hergestellt werden könnte, zeigt auch die Berufungsbegründung nicht auf.

bb)

Unabhängig davon scheidet ein "Wahlrecht" zur Erhebung der Leistungsklage auch wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falles aus. Die Klägerin hat nicht nur jahrelang die "zur Klaglosstellung" titulierte Unterhaltsrente beanstandungslos akzeptiert, sondern sich darüber hinaus eine vollstreckbare Ausfertigung erteilen lassen und hieraus die Zwangsvollstreckung gegen den Beklagten betrieben. Sie hat somit bedenkenlos die Früchte der ihr zugewachsenen Rechtsposition für sich in Anspruch genommen, leugnet aber nunmehr im vorliegenden Rechtsstreit jede Bindung an diese Urkunde und sieht sich deshalb zur Erhebung der Leistungsklage als berechtigt an, ohne dass für diese wegen der (kostengünstigeren) Möglichkeit einer Abänderungswiderklage irgend ein berechtigtes Interesse ersichtlich wäre. Eine solche Verhaltensweise ist selbst bei Zubilligung eines Wahlrechts nicht nur rechtmissbräuchlich und deshalb schon aus prozessualen Gründen unzulässig. Die Klägerin hat darüber hinaus durch die langjährige Entgegennahme der titulierten Leistung und die vollstreckungsrechtliche Verwertung der Urkunde zum Ausdruck gebracht, dass sie deren Erstellung jedenfalls nunmehr als von ihrem Willen gedeckt ansieht. Dies führt zwar nicht zur (rückwirkenden) Bindung an die dort unter B. niedergelegten "Erwägungen und Berechnungen" des Beklagten, weil ihnen nach wie vor kein einvernehmlicher Parteiwille zugrunde liegt. Wohl aber hat sich die Klägerin hierdurch eines jedweden Wahlrechts begeben, da die Erhebung einer von Existenz der Urkunde unabhängigen Leistungsklage mit ihrer tatsächlichen Verwertung unvereinbar ist.

2.

Der Hilfsantrag auf Abänderung der vollstreckbare Urkunde vom 18.4.2002 ist ebenfalls unzulässig, weil er erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 26.5.2005 und somit weit nach Rechtshängigkeit der vor dem Amtsgericht Neuss erhobenen Abänderungsklage des Beklagten gestellt worden ist. Gegenläufige Abänderungsklagen gegen den gleichen Unterhaltstitel haben denselben Streitgegenstand mit der Folge, dass die später erhobene Klage nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig ist (BGHZ 136, 374, 377 = FamRZ 1998, 99, 100 = NJW 1998, 161, 162; BGH FamRZ 1997, 488; OLG Zweibrücken FamRZ 1988, 420, 421; OLG Düsseldorf [1. Familiensenat] FamRZ 1994, 1535, 1536; Zöller-Vollkommer aaO., Rn. 30, 37 und 40 mwN.).

Ende der Entscheidung

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