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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 29.10.2008
Aktenzeichen: II-8 UF 99/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1572
BGB § 1578 b
BGB § 1578 b Abs. 2
Der Krankheitsunterhalt nach § 1572 BGB ist nach dem seit Januar 2008 geltenden Unterhaltsrecht gem. § 1578 b Abs. 2 BGB grundsätzlich befristbar. Die krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit des Unterhaltsberechtigten ist im Rahmen der nach § 1578 b BGB vorzunehmenden Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen, steht einer Befristung jedoch grundsätzlich nicht entgegen.

Die krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit des Unterhaltsberechtigten ist nicht allein deshalb als ehebedingter Nachteil (i.S.d. § 1578 b BGB) anzusehen, weil die Erkrankung während der Ehe ausgebrochen ist und nicht ausgeschlossen werden kann, dass ihr Ausbruch und Verlauf durch den unglücklichen Verlauf der Ehe begünstigt wurde.

Ein ehebedingter Nachteil liegt jedoch vor, wenn sich die Versorgungslage des Unterhaltsberechtigten im Krankheitsfall durch die Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse verschlechtert hat. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn der Unterhaltsberechtigte aufgrund seiner Erwerbsabstinenz während der Ehe die Voraussetzungen für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente nicht erfüllt.


Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das am 18.3.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Oberhausen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin rückständigen Unterhalt für die Zeit vom 17.11.2006 bis zum 30.09.2008 in Höhe von 5.014,55 € und laufenden monatlichen Unterhalt für die Zeit von Oktober 2008 bis (einschließlich) November 2011 in Höhe von 251,67 € zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Von den erstinstanzlichen Kosten werden der Klägerin 30 % und dem Beklagten 70% auferlegt.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 1.231,77 €.

Gründe:

I.

Die Parteien, die am 12.08.1982 die Ehe miteinander geschlossen haben, seit Herbst 2004 voneinander getrennt leben und seit dem 17.11.2006 rechtskräftig geschieden sind, streiten um nachehelichen Unterhalt, den die Klägerin aus rückabgetretenem Recht geltend macht. Aus der Ehe ist der am 23.11.1983 geborene M. Z. hervorgegangen.

Die Klägerin leidet unter einer schweren rezidivierenden depressiven Erkrankung und einer Alkoholabhängigkeit. Sie wurde nach mehreren erfolglosen Entgiftungsbehandlungen im Januar 2006 in den Katholischen Kliniken O. stationär behandelt, befindet sich seit dem 20.03.2006 in regelmäßiger nervenärztlicher Behandlung und unterzog sich in der Zeit von Juli bis November 2007 einer Suchttherapie im St. C. Krankenhaus D.. Das Vormundschaftsgericht hat der Klägerin mit Beschluss vom 25.10.2006 eine Betreuerin bestellt.

Die Klägerin ist gelernte Verkäuferin, hat bis Mai 1973 in ihrem Beruf gearbeitet und war anschließend - mit kurzen Unterbrechungen - bis zur Geburt des Sohnes in einer Fabrik als Arbeiterin tätig. Nach der Geburt des Sohnes war die Klägerin bis zum 17.04.1999 nicht erwerbstätig und war anschließend - mit Unterbrechungen vom 17.05.1999 bis zum 07.05.2000 und vom 07.06.2000 bis um 30.09.2000 - in verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen bis zum 15.04.2004 geringfügig beschäftigt.

Ausgehend von einem unstreitigen Einkommen des Beklagten in Höhe von 1.317,51 € - 65,88 € = 1.251,67 € verlangte die Klägerin erstinstanzlich rückständigen Unterhalt für die Zeit von November 2006 bis Juni 2007 in Höhe von 1.963,95 € und laufenden monatlichen Unterhalt ab Juli 2007 in Höhe von 256,67 €.

Das Amtsgericht hat der Klägerin rückständigen Unterhalt für die Zeit bis Juni 2007 in Höhe von 1.454,69 € und laufenden Unterhalt in monatlicher Höhe von 193 € für die Zeit von Juli 2007 bis November 2009 und 100 € für die Zeit von Dezember 2009 bis November 2011 zugesprochen. Der Klägerin sei ein fiktives Einkommen von 800 € zuzurechnen, weil sie mutwillig davon abgesehen habe, frühzeitig ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen und deshalb so zu behandeln sei, als habe sie ihre Arbeitsfähigkeit erfolgreich wieder hergestellt. Der Unterhalt von zunächst (1.251,67 € - 800 €) x 3/7 = (rund) 193 € sei gemäß § 1578 b BGB ab Dezember 2009 auf 100 € herabzusetzen und bis einschließlich November 2011 zu befristen, da ehebedingte Nachteile nicht ersichtlich seien und dies auch unter Berücksichtigung der Ehedauer der Billigkeit entspreche.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Klägerin gegen die Kürzung und Befristung ihres Unterhaltsanspruchs. Sie bestreitet, ihre Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt zu haben und bis mindestens 2004 noch in der Lage gewesen zu sein, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen; sie habe sich bereits während der Ehe mehreren Entgiftungsbehandlungen unterzogen, sei jedoch konflikt- und belastungsbedingt immer wieder in Alkoholexzesse geflüchtet.

Auch die vom Amtsgericht vorgenommene Befristung auf drei Jahre sei nicht gerechtfertigt, da sie - die Klägerin - durch die Kinderbetreuung ehebedingte Nachteile erlitten habe und in ihrem Beruf ohne ehebedingte Unterbrechung 1.300 € verdienen könnte.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Oberhausen vom 18.03.2008 - 57 F 882/07 - den Beklagten zu verurteilen, an sie für die Monate November 2006 bis Juni 2007 rückständigen Unterhalt in Höhe von 1.923,65 € und laufend ab Juli 2007 monatlich 251,67 €, abzüglich für Juli, August und September 2008 jeweils gezahlter 193 €, zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zu verwerfen.

Er behauptet, dass die Klägerin in den letzten Jahren des ehelichen Zusammenlebens keinen ernsthaften Versuch unternommen habe, sich einer Therapie zu unterziehen und bei rechtzeitiger Einleitung therapeutischer Maßnahmen spätestens zum Zeitpunkt der Trennung wieder arbeitsfähig gewesen wäre.

II.

Die Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin folgt aus § 1572 Nr. 1 BGB. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Scheidung und im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum krankheitsbedingt nicht in der Lage war, ihren Bedarf ganz oder teilweise selbst zu decken und dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit auch nicht zu rechnen ist.

1)

Bei der Unterhaltsbemessung kann der Klägerin kein fiktives Einkommen zugerechnet werden. Da die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum unstreitig nicht arbeitsfähig war und auf absehbare Zeit nicht arbeitsfähig ist, käme die Zurechnung eines fiktiven Einkommens nur in Betracht, wenn sie diese krankheitsbedingte Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hätte, § 1579 Nr. 4 BGB.

Die Herbeiführung der Arbeitsunfähigkeit durch Alkoholsucht kann den Tatbestand des § 1579 Br. 4 BGB erfüllen, wenn der Berechtigte bei noch bestehender Steuerungsfähigkeit unterhaltsbezogen mutwillig therapeutische Maßnahmen ausgeschlagen hat. Unterhaltsbezogene Mutwilligkeit setzt voraus, dass sich die Vorstellungen und Antriebe, die dem zu beurteilenden Verhalten zugrunde liegen, auch auf die Bedürftigkeit als Folge dieses Verhaltens erstrecken. Mutwilligkeit ist dabei nur zu bejahen, wenn sich der Bedürftige in Verantwortungs- und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Pflichtigen über die erkannte Möglichkeit nachteiliger finanzieller Folgen seines Handelns auf seinen Unterhaltsbedarf hinweggesetzt und dabei zumindest leichtfertig gehandelt hat (Wendl/Staudigl - Gerhard, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Auflage 2008, § 4 Rn. 679). Die den Begriff der Mutwilligkeit ausfüllenden Tatbestandsmerkmale sind vom Beklagten darzulegen und unter Beweis zu stellen.

Ein mutwilliges Verhalten der Klägerin kann nach den vorstehenden Voraussetzungen vorliegend nicht festgestellt werden. Der Beklagte behauptet, dass die Klägerin von ihm und dem gemeinsamen Sohn seit 1999 zur Durchführung therapeutischer Maßnahmen gedrängt worden sei. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Klägerin die Durchführung therapeutischer Maßnahmen in dem Bewusstsein unterlassen hat, dass dies zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit führen kann, zumal sie von April 1999 bis April 2004 mit kleinen Unterbrechungen noch als geringfügig Beschäftigte erwerbstätig war und - vom Beklagten nicht substantiiert bestritten - behauptet, bis 2004 auch noch erwerbsfähig gewesen zu sein. Zudem ist es mehrere Jahre vor der Trennung fern liegend, dass die Klägerin bereits die Auswirkungen ihres Verhaltens auf ihren Unterhaltsbedarf im Blick hatte. Als handlungsbestimmend muss vielmehr die Willensschwäche der Klägerin angesehen werden.

Ob und wieweit der Krankheitsverlauf bei der Klägerin durch die frühzeitige Inanspruchnahme von therapeutischen Maßnahmen hätte beeinflusst werden können, kann deshalb dahinstehen.

2)

Der rechnerische Unterhaltsanspruch der Klägerin ist damit durch die Leistungsfähigkeit des Beklagten begrenzt und beträgt bei dessen (unstreitigem) bereinigten Einkommen von 1.251,67 € in der Zeit bis Juni 2007 - bei einem Selbstbehalt von 995 € - monatlich 256,67 € und sinkt ab Juli 2007 auf 251,67 €, da der Selbstbehalt mit Inkrafttreten der neuen Düsseldorfer Tabelle zum 1. Juli 2007 auf 1.000 € angehoben wurde.

Es errechnet sich ein rückständiger Unterhaltsanspruch für die Zeit vom 17.11.2006 (Rechtskraft der Scheidung) bis einschließlich September 2008 in Höhe von (13/30 + 7) x 256,67 € (Unterhalt von November 2006 bis Juni 2007)

- 89,41 € (Zahlung im November 2006)

+ 15 x 251,67 € (Unterhalt von Juli 2007 bis September 2008)

- 3 x 193,00 € (Zahlungen im Juli, August und September 2008)

= 5.014,55 €.

3)

Das Amtsgericht hat den Unterhalt im Ergebnis zutreffend für die Zeit bis November 2011 befristet. Nach § 1578 b Abs. 2 BGB kann seit Januar 2008 auch ein Anspruch auf Krankenunterhalt befristet werden, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Dabei ist maßgeblich zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, eingetreten sind (§ 1578 b Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB).

a)

Ehebedingte Nachteile sind vorliegend nicht ersichtlich.

Zwar haben die Parteien eine klassische Alleinverdienerehe geführt, in deren Verlauf die Klägerin über lange Jahre hinweg nicht erwerbstätig war. Ursache für die derzeitige Bedürftigkeit der Klägerin ist jedoch nicht die ehebedingte Erwerbsabstinenz, sondern die Erkrankung der Klägerin, die auch ohne zwischenzeitliche Berufspause zur Bedürftigkeit der Klägerin geführt hätte.

Dass die Erkrankung durch die Ehe herbeigeführt wurde, wird von der Klägerin nicht dargetan. Diese behauptet lediglich, dass während der Ehe erstmals depressive Verstimmungen bei ihr aufgetreten seien und sie während der Ehe eine Alkoholabhängigkeit entwickelt habe. Die Ehebedingtheit der Erkrankung ist auch nach Aktenlage nicht anzunehmen. Es mag zwar sein, dass der zuletzt unglückliche Verlauf der Ehe den Ausbruch und den Verlauf der Alkoholerkrankung begünstigt hat. Beides kann aber auch durch die biologisch bedingte Anfälligkeit und die Persönlichkeitsstruktur der Klägerin, also durch Umstände bedingt sein, die in deren Risikosphäre fallen. Durch das nacheheliche Unterhaltsrecht sollen aber nur die Risiken der mit der Scheidung fehlgeschlagenen Lebensplanung der Ehegatten angemessen ausgeglichen werden (BGH, Urteil vom 6.2.2008, Az. XII ZR 14/06). Das allgemeine Lebensrisiko der krankheitsbedingten Erwerbsunfähigkeit steht deshalb einer Unterhaltsbefristung nicht entgegen, wenn die Krankheit zwar während der Ehe ausgebrochen, durch die Ehe aber nicht herbeigeführt worden ist. Letzteres muss vom Anspruchsteller dargelegt und unter Beweis gestellt werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass sich die Versorgungslage der Klägerin im Krankheitsfall durch die Ehe verschlechtert hat. Die ehezeitlich erworbenen Anrechte für die Versorgung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit wurden durch den Versorgungsausgleich bereits hälftig aufgeteilt. Der Umstand, dass die Klägerin mangels hinreichender Vorversicherungszeiten derzeit keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung haben dürfte, ist nicht als ehebedingter Nachteil anzusehen, weil die Klägerin spätestens seit 1999 nicht mehr durch die Ehe an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert war. Die Klägerin, die nach ihrem Vortrag bis 2004 erwerbsfähig war, hatte somit vor dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit noch ausreichend Gelegenheit, die Voraussetzungen für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente herbeizuführen. Dass sie diese Möglichkeit nicht genutzt hat, fällt ebenfalls in ihre Risikosphäre und steht einer Befristung nicht entgegen.

b)

Bei der vorzunehmenden Billigkeitsabwägung ist zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass die Ehe von langer Dauer war und dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung der erhöhten nachehelichen Solidarität bedarf. Zu Gunsten des Beklagten fällt ins Gewicht, dass dieser in engen wirtschaftlichen Verhältnissen lebt und durch die Unterhaltslast erheblich in seinem Lebenszuschnitt eingeschränkt wird.

Die vom Amtsgericht veranschlagte Befristungsdauer erscheint nach umfassender Abwägung aller zu berücksichtigenden Umstände angemessen; die zusätzlich zum Dezember 2009 vorgenommene Absenkung des Unterhalts ist jedoch nicht angezeigt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Hinsichtlich der Entscheidung zur Befristung des ausgeurteilten Unterhaltsanspruchs wird die Revision zugelassen, weil die Entscheidung der zugrunde liegenden Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Ende der Entscheidung

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