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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: III-1 Ws 437/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 25. Oktober 2006 aufgehoben.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Düsseldorf vom 18. November 2005 - 150 Gs 7677/05 - wird aufgehoben.

Der Angeklagte ist sofort aus der Untersuchungshaft in dieser Sache zu entlassen.

Gründe:

Der Angeklagte befindet sich seit dem 17. Januar 2006 in dieser Sache in Untersuchungshaft. Die unverändert zugelassene Anklage der Staatsanwaltschaft Düsseldorf vom 23. März 2006 hat ihm vorgeworfen, in der Nacht zum 6. April 2005 rund 1,5 kg Kokain (brutto) von Amsterdam nach Düsseldorf transportiert und sich dadurch - tateinheitlich - wegen unerlaubter Einfuhr von und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht zu haben. Die Hauptverhandlung hat am 4. Juli 2006 begonnen und dauert an. Eine erste Haftbeschwerde des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 1. September 2006 (III-1 Ws 300/06), auf den verwiesen wird, als unbegründet verworfen. Die erneute Haftbeschwerde des Angeklagten, jetzt gegen den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts vom 25. Oktober 2006, hat Erfolg. Der Haftbefehl ist aufzuheben, weil die Sache bei Gericht nicht mit dem Nachdruck betrieben wird, der in Haftsachen von Verfassungs wegen geboten ist.

1. Untersuchungshaft als stärkster Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) darf nur angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn und soweit der legitime Anspruch der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters nicht anders als durch die vorläufige Inhaftierung des Verdächtigen gesichert werden kann. Daraus folgt, dass Haftsachen stets vorrangig und mit besonderer Beschleunigung zu bearbeiten sind. In jeder Lage des Verfahrens müssen Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die Taten herbeizuführen, die einem Beschuldigten vorgeworfen werden (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, zuletzt 2 BvR 523/06 vom 4. April 2006, Rdnr. 21 <bundesverfassungsgericht.de>).

2. Das Verfahren beim Landgericht wird dem nicht gerecht. Der Senat hatte schon in seiner ersten Haftentscheidung - wie er glaubte, unmissverständlich - eine straffere und dichtere Beweisaufnahme angemahnt (Senatsbeschluss vom 1. September, unter 4.). Dem ist die Strafkammer aber nicht gefolgt. Zwar hatte die überfällige Vernehmung der Beamten, die den nicht erreichbaren Hauptbelastungszeugen Grembi im Ermittlungsverfahren vernommen hatten, am Tag vor der ersten Senatsentscheidung stattgefunden. Der Fortgang des Verfahrens und eine Gesamtschau des Ablaufs der Hauptverhandlung zwingen aber jetzt zu der Feststellung, dass die Sache nicht mit dem in Haftsachen gebotenen Nachdruck betrieben wird:

a) In einer Haftsache, die wegen ihres Umfangs oder wegen der schwierigen Beweislage nicht in wenigen Tagen erledigt werden kann, ist regelmäßig an zwei Tagen in der Woche zu verhandeln (BVerfG NJW 2006, 677, 679; BVerfG StV 2006, 318; BVerfG, 2 BvR 1190/06 vom 17. Juli 2006 <bverfg.de>). Verhinderungen durch Urlaube, Krankheit o. ä. sind durch vor- oder nachgeholte Sitzungstage auszugleichen. So genannte Schiebetermine zählen nicht als Sitzungstage, denn sie sind offensichtlich nicht geeignet, die Erledigung der Sache zu fördern.

b) Bis zur ersten Haftentscheidung des Senats hatten in neun Wochen (27.-35. KW) sieben Sitzungstage stattgefunden. Bis jetzt ist in 19 Wochen (27.-45. KW) an 14 Tagen (bis einschl. 8. November) verhandelt worden. Schon damit drängt sich auf, dass die Sache nicht mit dem gebotenen Nachdruck betrieben wird. Ob eine derartige Terminierung durch besonders aufwändige Verhandlungen ausgeglichen wird, kann dahinstehen, denn das war nicht der Fall. Die vorgelegten Protokolle der Sitzungen bis zum 31. Oktober ergeben eine Verhandlungsdauer von insgesamt 25 Stunden und 21 Minuten. Bei 13 Sitzungstagen (bis einschl. 31. Oktober) sind das im Schnitt weniger als zwei Stunden pro Tag.

c) Der schleppende Fortgang der Verhandlung ist nicht mit Besonderheiten der Beweislage zu erklären. Von Anfang an hatte sich aufgedrängt (Senatsbeschluss vom 1. September, aaO), dass ............ möglicherweise nicht kommen würde und an seiner Stelle .......... und .......... (laut Anklage Absender und Empfänger der Rauschgiftlieferung) als Zeugen vernommen werden mussten. Nach den Aufzeichnungen des Senats war durch eine E-Mail vom 13. Juli (Bl. 591 d. Akten, jetzt nicht vorgelegt; siehe aber Bl. 580 f = 584 f der vorgelegten "Mehrfachakte") bekannt, in welcher Haftanstalt in Frankreich die Zeugen einsaßen. Dass und warum das Rechtshilfeersuchen zur beabsichtigten audiovisuellen Vernehmung der Zeugen erst am 9. Oktober abgesandt worden ist (Bl. 661-667 der "Mehrfachakte"), ist nicht nachzuvollziehen. Mit mangelnder "Aufgeschlossenheit" des französischen Untersuchungsrichters (E-Mail Mayer vom 18. September, Bl. 49 Protokollband) ist das nicht zu erklären, denn der Untersuchungsrichter hatte sich mit Schreiben vom 10. August (Bl. 27, 29 Protokollband) "aufgeschlossen" gezeigt und nur ein offizielles Rechtshilfeersuchen erbeten.

d) Die erste audiovisuelle Vernehmung von Zeugen in Frankreich hat sieben Tage nach Absendung des Rechtshilfeersuchens stattgefunden (am 16. Oktober). Damit liegt die Verzögerung der Sache durch schleppende Bearbeitung auf der Hand. Dass jetzt noch neue Beweisanträge der Verteidigung "abzuarbeiten" sind (nach Angaben des Verteidigers stehen weitere Termine am 17., 22. und 28. November an), spielt keine Rolle, denn der Senat hat davon auszugehen, dass der Angeklagte diese Anträge früher gestellt hätte, wenn die Zeugen in Frankreich früher vernommen worden wären. Auf die weitere - offene - Frage, warum zur Vernehmung des Zeugen ............fünf Termine (9., 16. und 23. August, 31. Oktober, Ladung zum 8. November) nötig waren, braucht deshalb nicht mehr eingegangen zu werden.

Ende der Entscheidung

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