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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.03.2008
Aktenzeichen: III-2 Ss 110/07 - 88/07 III
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 119 Abs. 1 Nr. 3

Entscheidung wurde am 28.05.2008 korrigiert: das Verkündungsdatum ist der 27.03.2008 und nicht der 13.05.2008
1. Unter Benachteiligung eines Mitglieds des Betriebsrats ist jede Schlechterstellung im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Arbeitnehmern zu verstehen, die nicht aus sachlichen Erwägungen, sondern wegen der Amtstätigkeit erfolgt.

2. Der subjektive Tatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erfordert, dass sich der Täter darüber bewusst ist oder zumindest billigend in Kauf nimmt, dass die für das Mitglied des Betriebsrats nachteiligen Maßnahmen sachlich nicht gerechtfertigt sind.


Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Solingen hat den Angeklagten wegen Störung der Tätigkeit des Betriebsrats zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt. Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass er der Benachteiligung von Mitgliedern des Betriebsrats schuldig ist. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

Das angefochtene Urteil ist rechtsfehlerhaft, da das Landgericht keine hinreichenden Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG getroffen hat.

Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wer ein Mitglied des Betriebsrats um seiner Tätigkeit willen benachteiligt oder begünstigt. Vorliegend kommt die erste Tatbestandsalternative in Betracht.

Das Landgericht hat den Schuldspruch auf folgende Feststellungen gestützt:

"Als Personalleiter der Firma ........, in deren Betrieb die IG Metall als Gewerkschaft vertreten ist, war der Angeklagte auch zuständig für die Zusammenarbeit mit dem dort bestehenden Betriebsrat, dem im Jahr 2005 unter anderem Frau ........... als Vorsitzende sowie Frau ...........und Herr ........... als weitere Mitglieder angehörten. Am 09.03.2005 beschloss der Betriebsrat, die vorgenannten Betriebsratmitglieder zur Teilnahme an der Seminarreihe Entgeltrahmenabkommen (ERA) des Deutschen Gewerkschaftsbundes am 12./13.04., 30./31.05. und 27./28.6.2006 zu entsenden. ERA sollte möglicherweise als Ergänzung der bestehenden Tarifverträge auch bei der Firma ...... eingeführt werden, wobei insoweit bis dahin keine konkreten Schritte für eine Einführung, etwa vorbereitende Gespräche zwischen der Firmenleitung und dem Betriebsrat, erfolgt waren. Die Meldung des Betriebsrats, in der darauf hingewiesen wurde, dass es sich um eine Schulungsveranstaltung handele, die für die Betriebsratarbeit erforderliche Kenntnisse vermittele, und der ein Seminarprogramm beigefügt war, ging am 10.03.2005 bei der Geschäftsleitung der Firma Hauptner ein und gelangte zur Kenntnis des Angeklagten.

Nachdem die Betriebsräte ............ und ............, ohne zuvor einen Abwesenheitsbeleg einzureichen, an der Veranstaltung am 12./13.04.2005 teilgenommen hatten, warf der Angeklagte für die Geschäftsleitung der Firma ........ beiden vor, die Schulung sei nicht abgestimmt gewesen und eine ordnungsgemäße Abmeldung sei nicht erfolgt; zuerst müssten sich die Geschäftsleitung und der Betriebsrat über die Einführung von ERA verständigen, erst danach kämen konkrete Umsetzungsschritte, wozu auch Schulungen gehören könnten, in Betracht; das gewählte Vorgehen sei verfehlt; ... es werde eine gütliche Einigung bevorzugt; auf eine sofortige Kündigung der Arbeitsverhältnisse sei verzichtet worden; wenn eine solche Lösung aber nicht zum Tragen komme, müssten beide auf Lohn verzichten und gegebenenfalls noch Schadensersatz leisten.

An der zweiten Schulungsveranstaltung am 30./31.05.2005 nahmen die Betriebsräte .........., ........... und ........... teil. Bei ihrer Rückkehr erhielten sie ein vom Angeklagten verfasstes und unterzeichnetes Schreiben der Geschäftsleitung vom 30.05.2005, wonach sie mit sofortiger Wirkung von der Arbeit suspendiert seien und ein Hausverbot erteilt werde; es wurde ferner mitgeteilt, dass man das Arbeitsverhältnis nicht mehr fortsetzen wolle, und der Hinweis erteilt, dass die Betroffenen sich beim Arbeitsamt als beschäftigungslos melden müssten, um Nachteile bei Ansprüchen gegen die Sozialversicherungen zu vermeiden. ...

Am 03.06.2005 schlossen der Betriebsrat und die Firma ..........., vertreten durch den Angeklagten, in einem vom ersteren angestrengten Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor dem Arbeitsgericht einen Vergleich, nach dem den drei genannten Betriebsräten der Zugang zu den Betriebsräumen zur Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben gewährt werden sollte. In diesem Termin erklärte der Angeklagte dem Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats und der drei suspendierten Betriebsräte, die an letztere gerichteten Schreiben vom 30.05.2005 seien jeweils als Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Auf Veranlassung des Angeklagten wurden für die drei Betriebsräte am 09.06.2005 Meldebescheinigungen zur Sozialversicherung erstellt und nachfolgend an sie übersandt, die eine Abmeldung wegen des Endes einer Beschäftigung betrafen und als Ende der Beschäftigung jeweils den 27.05.2005 bezeichneten. Ab Ende Mai erfolgten auf Veranlassung des Angeklagten keine Gehaltszahlungen an die drei Betriebsräte für drei bis vier Monate. Später einigten sich die Firma .........., vertreten durch den Angeklagten, und die drei Betriebsräte auf eine Nachzahlung dieses Entgelts.

Die Suspendierung der Betriebsratmitglieder und die Einbehaltung deren Vergütung wurden vom Angeklagten veranlasst, weil dieser die drei Betriebsräte für die Teilnahme an der Schulungsveranstaltung vom 30./31.05.2005 abstrafen wollte. Dieses Verhalten war nicht gerechtfertigt, auch Entschuldigungsgründe lagen nicht vor."

Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Benachteiligung von Mitgliedern des Betriebsrats nicht.

1.

Da die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in einem wesentlichen Punkt lückenhaft und unklar sind, kann der Senat schon nicht beurteilen, ob die arbeitsrechtlichen Sanktionen, die der Angeklagte namens der Fa. ........... gegen die drei Betriebsräte verhängt hat, als objektive Benachteiligung um ihrer Tätigkeit willen zu werten sind.

Unter Benachteiligung eines Mitglieds des Betriebsrats ist jede Schlechterstellung im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Arbeitnehmern zu verstehen, die nicht aus sachlichen Erwägungen, sondern wegen der Amtstätigkeit erfolgt (vgl. BAG DB 1982, 2711; Kania in: Erfurter Kommentar, 7. Aufl., § 78 BetrVG Rdn. 7; Fitting, BetrVG, 21. Aufl., § 78 Rdn. 17; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 78 Rdn. 12). Die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen, die Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind (§ 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG), ist der Amtstätigkeit zuzuordnen. Fehlt es indes an der Erforderlichkeit der Schulungsmaßnahme, beruhen angemessene arbeitsrechtliche Sanktionen, die gegen ein ohne Anspruch auf Arbeitsbefreiung der Arbeit ferngebliebenes Mitglied des Betriebsrats verhängt werden, auf sachlichen Erwägungen und stellen objektiv keine Benachteiligung wegen der Amtstätigkeit dar.

Die Vermittlung von Kenntnissen ist im Sinne von § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG dann für die Betriebsratarbeit erforderlich, wenn diese Kenntnisse unter Berücksichtigung der konkreten Situation im Betrieb und Betriebsrat benötigt werden, damit die Betriebsratmitglieder ihre derzeitigen oder demnächst anfallenden gesetzlichen Aufgaben sach- und fachgerecht wahrnehmen können (vgl. BAG NZA 1994, 500, 501; NZA 2003, 1284, 1285). Dazu gehört auch die nähere Kenntnis der für den Betrieb geltenden Tarifverträge (vgl. BAG BB 1974, 88).

Die Schulungsveranstaltung betraf das Entgeltrahmenabkommen, das die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten aufhebt und ein neues Entlohnungssystem im Rahmen einer Neubewertung der Arbeitsaufgaben vorsieht. Für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen haben der Arbeitgeberverband Metall NRW und die IG Metall NRW das Entgeltrahmenabkommen am 18. Dezember 2003 beschlossen. In den tarifgebundenen Unternehmen (§ 3 Abs. 1 TVG) ist die Einführung in der Zeit von März 2005 bis spätestens Februar 2009 vorgesehen.

Die getroffenen Feststellungen lassen offen, ob es sich bei der Fa. Hauptner überhaupt um ein tarifgebundenes Unternehmen handelt, für das als Mitglied des Arbeitgeberverbandes Metall NRW das Entgeltrahmenabkommen unmittelbar und zwingend gilt. Den Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Regelungen des Entgeltrahmenabkommens zwischen der Fa. .......... und der IG Metall NRW einzelvertraglich in Form eines Firmentarifvertrages vereinbart worden sind. In den Feststellungen heißt es lediglich unbestimmt, dass das Entgeltrahmenabkommen "möglicherweise als Ergänzung der bestehenden Tarifverträge auch bei der Firma ............ eingeführt werden" sollte. Die Einführung setzt indes eine tarifvertragliche Grundlage voraus.

Bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Schulungsveranstaltung spielt auch das Zeitmoment im Sinne der Aktualität der Verwertbarkeit der Kenntnisse eine Rolle. Zwar kann eine Schulung unter Umständen bereits erforderlich sein, wenn die behandelten Themen in dem Betrieb noch nicht unmittelbar aktuell sind; sie müssen aber voraussichtlich demnächst zur Verhandlung anstehen (vgl. BAG BB 1974, 88; Fitting a.a.O. § 37 Rdn. 146). Vor diesem Hintergrund ist von wesentlicher Bedeutung, ob das Entgeltrahmenabkommen für die Fa. ........... - sei es wegen Tarifbindung des Unternehmens, sei es durch einzelvertragliche Bezugnahmeklausel - bereits betriebsbezogene Wirkungen entfaltet hat, als die drei Mitglieder des Betriebsrats an der Schulungsmaßnahme teilnahmen.

Die Vereinbarung der Geltung des Entgeltrahmenabkommens ist eine Angelegenheit der Tarifvertragsparteien und kann nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein (§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG). Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats kommen erst bei der Umsetzung des Entgeltrahmenabkommens, hier insbesondere bei der Bewertung der Arbeitsaufgaben und der Eingruppierung der Arbeitnehmer in das neue Entgeltsystem, zum Tragen. Die Vermittlung von Kenntnissen über Tarifrecht, dass in dem betreffenden Betrieb nicht gilt und dessen künftige Geltung ungewiss ist, kann schwerlich als für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich angesehen werden.

Feststellungen zu einer tarifvertraglichen Bindung der Fa. Hauptner an das Entgeltrahmenabkommen lässt das angefochtene Urteil vermissen. Es fehlen auch Darlegungen zu der Entwicklung, welche die Angelegenheit der für möglich erachteten Einführung des Entgeltrahmenabkommens in den nahezu zwei Jahren zwischen der Schulungsmaßnahme im 2. Quartal 2005 und der Berufungshauptverhandlung vom 7. März 2007 genommen hat. Auch in der Rückschau lassen sich Erkenntnisse zur Beurteilung der Erforderlichkeit der Schulungsmaßnahme gewinnen.

2.

Das angefochtene Urteil kann ferner deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht keine hinreichenden Feststellungen zum subjektiven Tatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG getroffen hat.

Für den subjektiven Tatbestand des § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist Vorsatz erforderlich. Es genügt also nicht, wenn zwar objektiv eine Benachteiligung vorliegt, der Täter dies aber nicht erkennt oder nicht mindestens billigend Kauf nimmt (vgl. Galperin/Löwisch a.a.O. § 119 Rdn. 20). Der Vorsatz muss sich gerade auf die Benachteiligung erstrecken (vgl. Fitting a.a.O. § 119 Rdn. 10).

Dass der Angeklagte die arbeitsrechtlichen Sanktionen vorsätzlich verhängt hat, versteht sich von selbst. Damit ist aber noch nicht der erforderliche Benachteiligungsvorsatz gegeben. Der Täter muss sich vielmehr bewusst sein oder zumindest billigend in Kauf nehmen, dass die für den Funktionsträger nachteiligen Maßnahmen sachlich nicht gerechtfertigt sind. Wer bei arbeitsrechtlichen Sanktionen gegen ein Mitglied des Betriebsrats von der Rechtmäßigkeit seines Handelns ausgeht, macht sich - auch im Falle einer fahrlässigen Fehlbeurteilung - mangels Benachteiligungsvorsatzes nicht nach § 119 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG strafbar.

Das Landgericht hat zwar ausgeführt, der Angeklagte habe die drei Mitglieder des Betriebsrats wegen der Teilnahme an der Schulungsveranstaltung "abstrafen" wollen, sein Verhalten sei nicht gerechtfertigt oder entschuldigt gewesen. Damit ist aber nicht festgestellt, dass der Angeklagte die verhängten arbeitsrechtlichen Sanktionen selbst für sachlich nicht gerechtfertigt gehalten hat.

Vielmehr ist der zur subjektiven Tatseite bedenklich knappen Wiedergabe seiner Einlassung zu entnehmen, dass die Schulungsmaßnahme zum Entgeltrahmenabkommen aus seiner Sicht für die Arbeit des Betriebsrats nicht erforderlich war. Hat der Angeklagte aber die Schulungsmaßnahme für arbeitsrechtlich unzulässig gehalten, liegt es nahe, dass er die arbeitsrechtlichen Sanktionen für rechtmäßig und sachlich gerechtfertigt gehalten hat. Eine Auseinandersetzung hiermit fehlt und aus den Feststellungen geht nicht hervor, dass der Angeklagte mit dem erforderlichen Benachteiligungsvorsatz gehandelt hat.

3.

Wegen der aufgezeigten sachlich-rechtlichen Fehler war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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