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Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 04.04.2003
Aktenzeichen: III-3 Ws 117/03
Rechtsgebiete: JGG, StGB, StPO
Vorschriften:
JGG § 85 Abs. 6 | |
JGG § 88 Abs. 1 | |
StGB § 57 | |
StPO § 454 | |
StPO § 462 a |
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS
In der Strafsache
wegen räuberischer Erpressung u.a.
hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht v.B. und den Richter am Landgericht D. am
4. April 2003
auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal vom 21. Februar 2003 (1 StVK 48/03) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
beschlossen:
Tenor:
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Die Vollstreckung des noch nicht verbüßten Restes der Einheitsjugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Waldbröl vom 6. Oktober 1993 wird mit sofortiger Wirkung zur Bewährung ausgesetzt.
3. Die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre.
4. Der Verurteilte wird für die Dauer der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung eines hauptamtlichen Bewährungshelfers unterstellt, dessen Auswahl und namentliche Bestellung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal übertragen wird.
5. Dem Verurteilten wird für die Dauer der Bewährungszeit aufgegeben, nach seiner Entlassung seine Anschrift und jeden Wohnungswechsel der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal zu dem Aktenzeichen 1 StVK 48/03 mitzuteilen. Der Wechsel des Wohnsitzes ist auch dem Bewährungshelfer anzuzeigen.
6. Der Vorsitzende überträgt die Belehrung über die Bedeutung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung der Justizvollzugsanstalt.
7. Der Verurteilte ist in dieser Sache aus der Haft zu entlassen.
8. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe:
I.
Der Verurteilte verbüßt eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren, die durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Waldbröl vom 6. Oktober 1993 wegen räuberischer Erpressung, versuchter räuberischer Erpressung und unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln gegen ihn verhängt worden ist. Er hat nahezu zwei Drittel der Strafe verbüßt; das Strafende ist auf den 26. Dezember 2003 notiert.
Das Amtsgericht Waldbröl hat durch Beschluss vom 2. Mai 2002 die Vollstreckung der - im Erwachsenenvollzug vollzogenen - Jugendstrafe an die Staatsanwaltschaft Bonn abgegeben.
Durch den angefochtenen Beschluss hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Vollstreckung des noch nicht verbüßten Teils der Strafe zur Bewährung auszusetzen.
II.
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist begründet.
1.
Die Voraussetzungen für die Strafaussetzung richten sich ausschließlich nach § 88 Abs. 1 JGG, da gegen den Verurteilten Jugendstrafe verhängt worden ist. Die Vorschrift des § 57 StGB ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Insbesondere führt die gemäß § 85 Abs. 6 JGG erfolgte Übertragung der Vollstreckung auf die Staatsanwaltschaft Bonn nicht dazu, dass die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Aussetzung der Jugendstrafe nunmehr dem Erwachsenenstrafrecht zu entnehmen wären (vgl. OLG Hamm StV 1996, 277; NStZ-RR 2000, 92; OLG Dresden NStZ-RR 2000, 381; OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 1999, 91; Kühn NStZ 1992, 526 [527]; Rzepka StV 1998, 349; Eisenberg, JGG, 9. Auflage, § 85 Rn. 17 a; Ostendorf, JGG, 5. Auflage, § 88 Rn. 1). Die gegenteilige und soweit ersichtlich vereinzelt gebliebene Auffassung des 1. Strafsenats des OLG Düsseldorf (vgl. StV 1998, 348 = JMBl. NW 1995, 258 [259]) findet im Gesetzeswortlaut keine Stützte. § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG beschränkt sich eindeutig darauf, im Falle der Abgabe der Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft für das weitere Vollstreckungsverfahren die Anwendung der Vorschriften der StPO sowie des GVG anzuordnen; über die Anwendung materiellen Erwachsenenstrafrechts trifft die Vorschrift dagegen keine Regelung. Entgegen der Auffassung des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf kann die Geltung des § 57 StGB auch nicht daraus hergeleitet werden, dass § 88 JGG allein auf jugendliche und heranwachsende Täter zugeschnitten sei und die für eine erleichterte Aussetzungsmöglichkeit nach Jugendstrafrecht maßgeblichen "besonderen entwicklungsbedingten Aspekte der jungen Menschen" für ältere Verurteilte keine Bedeutung mehr habe. Denn der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung des materiellen Jugendstrafrechts, zu dem auch die Voraussetzungen für die Strafaussetzung gehören, ausschließlich auf den Tatzeitpunkt abgestellt. Er hat damit bewusst in Kauf genommen, dass auch gegen Erwachsene - etwa bei zum Zeitpunkt der Verurteilung oder dem Beginn bzw. der Fortsetzung der Vollstreckung lange zurückliegenden Taten - Jugendstrafrecht angewendet wird, obwohl die Wirksamkeit jugendstrafrechtlicher Sanktionen aufgrund ihrer auf den Entwicklungsstand des Täters abstellenden Ausgestaltung nicht in allen Fällen gewährleistet ist. Soweit danach gegen erwachsene Täter Jugendstrafe zu vollziehen ist, hat der Gesetzgeber eine flexible Handhabung im Strafvollzug dadurch ermöglicht, dass die Jugendstrafe gemäß § 92 Abs. 2 JGG nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogen werden kann bzw. vollzogen werden soll. Eine entsprechende Regelung hat er für den Bereich der Strafvollstreckung indes nicht getroffen.
In diesem Zusammenhang kann auch nicht unbeachtet bleiben, dass mit der Anwendbarkeit des § 57 StGB auf die Jugendstrafe eine qualitative Änderung des Rechtsfolgenausspruchs des zu vollstreckenden Erkenntnisses verbunden wäre. Diese käme einer nachträglichen und für den Verurteilten - insbesondere wegen der höheren Anforderungen für eine Strafaussetzung vor Verbüßung von zwei Dritteln - nachteiligen Auswechselung der Strafart gleich. Es kann schwerlich angenommen werden, dass der Gesetzgeber eine derartige Regelung beiläufig in der ausschließlich das Vollstreckungsverfahren regelnden Vorschrift des § 85 Abs. 6 JGG hat treffen wollen.
2.
Die Vollstreckung des noch nicht verbüßten Teils der Einheitsjugendstrafe war gemäß § 88 Abs. 1 JGG zur Bewährung auszusetzen, da ein Drittel verbüßt ist und eine Strafaussetzung im Hinblick auf die Entwicklung des Verurteilten - auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit - verantwortet werden kann.
Die Entwicklung des mittlerweile 30 Jahre alten Verurteilten ist seit seiner freiwilligen Rückkehr in die Bundesrepublik weiterhin positiv verlaufen. Er hat sich im Strafvollzug ordentlich geführt sowie im privaten und beruflichen Bereich Verantwortung übernommen. Die Entlassungssituation erscheint günstig; insbesondere verfügt der Verurteilte über eine Arbeitsstelle, eine Wohnung sowie eine hinreichende soziale Einbindung in seine - aus der Ehefrau und zwei gemeinsamen Kindern bestehende - Familie. Seine Lebensumstände haben daher - gegenüber der Situation zum Zeitpunkt der nahezu zehn Jahre zurückliegenden Taten sowie zum Zeitpunkt des Widerrufs der Strafaussetzung - maßgeblich an Stabilität gewonnen. Dies begründet die Aussicht, dass er die Lebensphase, innerhalb derer er eine besondere Anfälligkeit für die Begehung von Straftaten gezeigt hat, dauerhaft überwunden hat.
Der Strafaussetzung steht auch das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit nicht entgegen. Auch nach Änderung des § 88 Abs. 1 JGG durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) setzt die Aussetzung eines Strafrestes keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraus. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die Änderung zum Ausdruck bringen wollen, dass es auch von dem Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts abhängt, welcher Maßstab bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Bewährung nach Strafaussetzung anzulegen ist (vgl. zur entsprechenden Formulierung in § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB: BVerfG NStZ 2000, 109 [110]; OLG Hamm NStZ 1998, 376; OLG Frankfurt/Main NStZ-RR 1999, 346). Daher genügt für eine Strafaussetzung, dass nach Abwägung aller Umstände eine wirkliche Chance für das positive Ergebnis einer Bewährung in Freiheit besteht (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Januar 1988 - 3 Ws 693/87 - NStZ 1988, 272).
Dies ist hier aus den bereits oben genannten Gründen der Fall. Dass der Verurteilte kurze Zeit vor seiner in Erwartung der Strafverbüßung angetretenen Einreise in die Bundesrepublik erneut Haschisch konsumiert hat, steht einer positiven Legalprognose nicht entgegen. Dieser Vorfall lässt angesichts der gegenwärtigen Lebensverhältnisse des Verurteilten sowie des Umstandes, dass er im weiteren Vollzugsverlauf - auch unter erheblich gelockerten Vollzugsbedingungen - keine Drogen mehr konsumiert hat, nicht den tragfähigen Schluss zu, er werde im Falle einer bedingten Entlassung wiederum gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen oder - ggf. hieran anknüpfend - weitere Straftaten begehen.
3.
Der Senat hat den Verurteilten gemäß §§ 88 Abs. 6 Satz 1, 24 Abs. 1 Satz 1 JGG der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt, da dies angesichts seines Vorlebens angezeigt ist, um ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Die den Wohnsitz des Verurteilten betreffende Weisung beruht auf den §§ 88 Abs. 6 Satz 1, 23 Abs. 1, 10 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 JGG.
III.
Die nach den §§ 454 Abs. 4 Satz 1, 268 a Abs. 3 StPO, § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG erforderliche Belehrung über die Bedeutung der Strafaussetzung und die Folgen eventueller Weisungsverstöße wird gemäß § 454 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz StPO, § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG der Justizvollzugsanstalt übertragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.
Ende der Entscheidung
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