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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 29.10.2007
Aktenzeichen: III-3 Ws 357/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 126 a Abs. 2
StPO § 126 a Abs. 2 Satz 2
StPO § 121 Abs. 1
StPO § 122 Abs. 1
In die Berechnung der Sechsmonatsfrist nach §§ 126 a Abs. 2 Satz 2, 121 Abs. 1 StPO ist die zuvor vollzogene Untersuchungshaft einzubeziehen. Die besonderen Haftvoraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO sind bei der Prüfung der einstweiligen Unterbringung über sechs Monate hinaus nicht zu berücksichtigen.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

III-3 Ws 357/07

In der Strafsache

gegen pp.,

wegen Totschlags

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht F. und den Richter am Oberlandesgericht R. am 29. Oktober 2007 auf Vorlage gemäß §§ 126a Abs. 2 S. 2, 122 Abs. 1 StPO nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Angeschuldigten

beschlossen:

Tenor:

1. Die einstweilige Unterbringung des Angeschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus aus dem Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 5. Juli 2007 (8 Gs 524/07) dauert fort.

2. Eine etwa erforderliche weitere Prüfung der einstweiligen Unterbringung durch das Oberlandesgericht erfolgt, wenn von dieser weitere drei Monate vollzogen sein werden.

3. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die weitere Prüfung der einstweiligen Unterbringung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

Der Angeschuldigte hatte sich nach seiner Festnahme zunächst für knapp vier Monate in Untersuchungshaft befunden. Seit dem 6. Juli 2007 ist er auf Grund entsprechenden Beschlusses des Amtsgerichts Wuppertal einstweilig nach § 126a StPO untergebracht. Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wuppertal vom 23. August 2007 wird ihm zur Last gelegt, einen an seiner Wohnung anschellenden Nachbarn im Zustand verminderter Schuldfähigkeit - die psychiatrische Sachverständige hat eine paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert - durch einen aus einem Kleinkalibergewehr abgefeuerten Brustschuss getötet zu haben. Die Sache ist nunmehr gemäß §§ 126a Abs. 2 S. 2, 122 Abs. 1 StPO dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Fortdauer der einstweiligen Unterbringung vorgelegt worden.

I.

Die zeitliche Voraussetzung für die oberlandesgerichtliche Unterbringungsprüfung nach den §§ 126a Abs. 2 S. 2, 121 Abs. 1, 122 Abs. 1 StPO ist gegeben, auch wenn der Angeschuldigte erst seit dem 6. Juli 2007 einstweilig untergebracht ist. Die Dauer der Untersuchungshaft ist in die Berechnung der Sechsmonatsfrist einzubeziehen. Zwar ist die Anrechenbarkeit einer zuvor erfolgten einstweiligen Unterbringung in der umgekehrten Situation der oberlandesgerichtlichen Haftprüfung nach den §§ 121 Abs. 1, 122 Abs. 1 StPO - entgegen der ganz herrschenden Meinung (vgl. nur OLG Düsseldorf NStZ 1987, 475 mit zahlreichen weiteren Nachweisen) - vereinzelt noch mit dem Argument verneint worden, dass § 126a Abs. 2 StPO nicht auf die §§ 121 ff. StPO verweise (vgl. OLG Nürnberg NStZ 1982, 297; OLG Schleswig NStZ 2002, 220; OLG München NStZ-RR 2003, 366). Nachdem der Gesetzgeber mit dem neuen § 126a Abs. 2 S. 2 StPO inzwischen aber genau diese Verweisungsnorm geschaffen hat, ist der dargestellten Mindermeinung auch der letzte Grund entzogen. Die neue Regelung soll nach den Gesetzesmaterialien gerade sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen von Untersuchungsgefangenen und vorläufig Untergebrachten vermeiden (vgl. BT- Drucksache 16/1110 S. 27). Eine solche sachlich nicht gebotene Ungleichbehandlung wäre aber in der Nichtanrechung von Untersuchungshaft bzw. einstweiliger Unterbringung im Rahmen der betreffenden Sechsmonatsprüfung zu sehen.

II.

Die Fortdauer der einstweiligen Unterbringung ist anzuordnen. Die in § 126a Abs. 1 StPO geregelten Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung liegen weiterhin vor, § 126a Abs. 2 S. 2 StPO.

1. Es sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass der Angeschuldigte eine rechtswidrige Tat im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden wird: Der geständige Angeschuldigte wurde unmittelbar nach den Schüssen mit seiner Waffe am Tatort angetroffen. Die psychiatrische Sachverständige hat vor dem Hintergrund der beim Angeschuldigten diagnostizierten paranoiden Psychose für die Tatzeit jedenfalls eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bejaht. Da sie zudem festgestellt hat, dass im Rahmen eines sich beim Angeschuldigten ausbreitenden Wahnsystems auch andere Personen akut bedroht seien, sind von diesem krankheitsbedingt weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, so dass der Angeschuldigte deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 63 StGB). Die öffentliche Sicherheit erfordert damit seine einstweilige Unterbringung.

2. Die einstweilige Unterbringung des Angeschuldigten ist nach wie vor auch verhältnismäßig. Ein deutliches Übergewicht der mit dem Freiheitsentzug verbundenen Nachteile des Angeschuldigten gegenüber dem Schutzbedürfnis der Allgemeinheit, das zum Ausschließungsgrund der Unverhältnismäßigkeit führen könnte, besteht nicht.

Auch die in diesem Rahmen zu prüfende Einhaltung des Beschleunigungsgrundsatzes stellt die Verhältnismäßigkeit der Anordnung nach § 126a StPO nicht in Frage. Die besondere Gefährlichkeit des Angeschuldigten, der wahnbedingt einen Menschen erschossen hat, macht das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit so groß, dass vermeidbare Verfahrensverzögerungen eine Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jedenfalls zum jetzigen Sechsmonatszeitpunkt ohnehin nicht rechtfertigen könnten (vgl. dazu auch OLG Celle StraFo 2007, 372, 374). Solche Verfahrensverzögerungen sind allerdings angesichts der umfangreichen polizeilichen Ermittlungen und der nach ihrem Abschluss zeitnah erfolgten Anklageerhebung auch nicht festzustellen.

3. Nicht zu prüfen hat der Senat im Rahmen des neuen § 126a Abs. 2 S. 2 StPO hingegen die besonderen Haftvoraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, also ob "die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen" (so auch OLG Celle a.a.O, S. 373; OLG Hamm, Beschluss vom 21. August 2007 - 3 OBL 86/07).

a) Eine solche Normauslegung gebietet schon der Wortlaut der neuen Vorschrift, nach der die §§ 121, 122 StPO entsprechend mit der Maßgabe gelten, dass das Oberlandesgericht prüft, ob die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung weiterhin vorliegen. Umstände, die wie die besonderen Haftvoraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO überhaupt erst sechs Monate nach Erlass der Anordnung gemäß § 126a StPO Bedeutung gewinnen könnten, sind von vornherein schon begrifflich nicht zu den "Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung" zu zählen. Diese Auslegung des Gesetzeswortlauts wird auch von den Gesetzesmaterialien gestützt. An die Sechsmonatsunterbringungsprüfung sei danach wegen des bei der einstweiligen Unterbringung im Vordergrund stehenden Schutzes der Allgemeinheit ein anderer Prüfungsmaßstab anzulegen als an die Sechsmonatshaftprüfung, die es wegen der bei der Untersuchungshaft im Vordergrund stehenden Verfahrenssicherung nicht zulasse, die Gefährlichkeit des Betroffenen als maßgebliches Kriterium für die Fortdauer der Untersuchungshaft zu berücksichtigen (BT-Drucks. 16/1110, S. 18). Wenn der Gesetzgeber im Umkehrschluss dazu die Gefährlichkeit des Betroffenen als das für die Fortdauer der einstweiligen Unterbringung maßgebliche Kriterium ansieht, kann der von ihm gewollte "modifizierte Prüfungsmaßstab" (BT-Drucks. 16/1110, S. 12) sinnvollerweise nur die Nichtberücksichtigung der besonderen Haftvoraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO bedeuten.

b) Der Senat bemerkt allerdings, dass der neue § 126a Abs. 2 S. 2 StPO - wie schon der Bundesrat kritisiert hat, der die Regelung im Gesetzgebungsverfahren "ersatzlos streichen" wollte - "unfruchtbaren Aktenumlauf und nicht gebotene Entscheidungen der Oberlandesgerichte" zur Folge hat (BT-Drucks. 16/1110, S. 24). Die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung sind nämlich - wie sich bereits aus § 126a Abs. 3 S. 1 StPO ergibt - von den nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gerichten ohnehin von Amts wegen und zu jeder Zeit im Auge zu halten. Wenn der Gesetzgeber sich von der zusätzlichen oberlandesgerichtlichen Nachprüfung der Voraussetzungen des § 126a StPO gleichwohl eine Eindämmung des "wachsenden Belegungsdrucks des Maßregelvollzugs" erhofft (BT-Drucks. 16/1110, S. 12), kann dies bei nüchterner Wertung nur als Ausdruck des Misstrauens gegenüber der Tätigkeit der Unterinstanzen verstanden werden, das als Grundlage gesetzgeberischen Handelns kaum geeignet erscheint. Ins Leere geht auch die gesetzgeberische Erwartung, die neue Vorschrift stelle zugleich eine beschleunigte Bearbeitung durch die Strafverfolgungsbehörden sicher, da diese "spätestens nach sechs Monaten über den Fortgang des Verfahrens Rechenschaft ablegen" müssten (BT-Drucks. 16/1110, S. 18). Der Verfahrensfortgang als solcher wird nämlich - wie die vorstehenden Ausführungen gezeigt haben - vom Oberlandesgericht gerade nicht nachgeprüft. Bei zusammenfassender Betrachtung ist mit § 121 Abs. 1 StPO damit zwar die zentrale Vorschrift der oberlandesgerichtlichen Sechsmonatshaftprüfung in das Verfahren nach § 126a StPO eingegliedert, deren eigentlicher materieller Inhalt jedoch sogleich wieder ausgeblendet. Die den Oberlandesgerichten verbleibende Prüfungsarbeit gerät in diesem Rahmen zur überflüssigen Wiederholung eines von den Untergerichten ohnehin schon geleisteten Kontrollvorgangs.

III.

Die weiter angeordneten Maßnahmen beruhen auf §§ 126a Abs. 2 S. 2, 122 Abs. 3 und 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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