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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 27.11.2006
Aktenzeichen: III-3 Ws 524/06
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 126a
StPO § 318 Satz 1
StPO § 331 Abs. 2
StGB § 63
Die unterbliebene Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kann vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden, wenn eine derartige Beschränkung nicht nach allgemeinen Grundsätzen wegen enger Verknüpfung einer möglichen Maßregelanordnung mit dem sonstigen Inhalt des angefochtenen Urteils ausgeschlossen ist (offen gelassen: BGH NStZ-RR 2003, 18).
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

III-3 Ws 524/06

In der Strafsache

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht F. und den Richter am Landgericht Sch. am 27. November 2006 auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Unterbringungsbefehl der 3. großen Strafkammer als 1. Jugendkammer des Landgerichts Wuppertal vom 9. Oktober 2006 - 23 Ns 39/06 - nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Unterbringungsbefehl wird aufgehoben.

Der Angeklagte ist auf die hiermit getroffene Anordnung des mitunterzeichnenden Vorsitzenden in dieser Sache aus der einstweiligen Unterbringung zu entlassen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Mettmann - Jugendschöffengericht - hat den Angeklagten am 22. Februar 2006 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte - zunächst unbeschränkt - Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 23. Mai 2006 hat der Angeklagte die Berufung durch folgende Erklärung beschränkt:

"Die von dem Amtsgericht nicht angeordnete Maßregel der Unterbringung in der Psychiatrie gemäß § 63 StGB ist von dem Berufungsangriff ausgenommen. Die Anordnung dieser Maßregel soll im weiteren Verfahren nicht mehr erfolgen."

Die Jugendkammer hat nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens die einstweilige Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der vorliegenden Beschwerde.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Der nach § 126a StPO erlassene Unterbringungsbefehl ist bereits deshalb aufzuheben, weil aufgrund der Beschränkung der Berufung des Angeklagten seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht angeordnet werden kann.

Denn der Angeklagte hat die Nichtanwendung der Maßregel gemäß § 63 StGB nach Aktenlage wirksam vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

Nach dem Rechtsmittelsystem der Strafprozessordnung hat der Angeklagte bei der Entscheidung, ob und inwieweit er ein gegen ihn ergangenes Urteil angreifen will, eine weitreichende Dispositionsbefugnis. Die Berufung kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden (§ 318 Satz 1 StPO). Eine Beschränkung der Berufung ist zulässig, wenn die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden können. Es muss gewährleistet sein, dass die Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (vgl. zur Revision: BGH NStZ 1993, 448, 449; NStZ 1995, 493).

Unter Beachtung dieser Grundsätze kann auch die unterbliebene Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden. Es ist nicht systemwidrig, wenn der Angeklagte dem Rechtsmittelgericht die Prüfung der Frage, ob die Maßregel der Unterbringung zu Recht nicht angeordnet wurde, entzieht (vgl. zu § 64 StGB: BGH NStZ 1993, 97). Ohne diese Beschränkungsmöglichkeit wäre zu besorgen, dass sich ein Angeklagter von der Einlegung eines Rechtsmittels abhalten lässt, weil er - da das Verbot der Schlechterstellung Unterbringungsmaßnahmen nach den §§ 63, 64 StGB nicht entgegensteht (§ 331 Abs. 2 StPO) - die Anordnung einer solchen Maßregel auf sein Rechtsmittel hin befürchten muss (vgl. BGH NStZ 1992, 539). Die Ausnahmeregelung des § 331 Abs. 2 StPO soll ihrem Zweck nach die Dispositionsbefugnis des Rechtsmittelgerichts erweitern, nicht dagegen die Anfechtungsmöglichkeiten beschränken.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die vorliegend bejahte Frage, ob die unterbliebene Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB überhaupt vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden kann, ausdrücklich offen gelassen (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 18). In jenem Fall war eine derartige Beschränkung wegen der engen Verknüpfung von Schuldspruch und möglicher Maßregelanordnung bereits nach allgemeinen Grundsätzen unwirksam, weil das Vorliegen verminderter Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet worden war und das Vorliegen von Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen war. Auch in der jüngsten Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs zum Ausklammern der Maßregel nach § 63 StGB vom Rechtsmittelangriff (nur zum Teil abgedruckt bei Becker: NStZ-RR 2006, 5) wurde eine solche Beschränkung lediglich einzelfallbezogen aus Gründen enger Verknüpfung - hier zwischen Maßregelanordnung und den (aufgehobenen) Feststellungen zum Strafausspruch - für unwirksam erachtet.

Im vorliegenden Fall besteht keine enge Verknüpfung zwischen der in erster Instanz unterbliebenen Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB und dem sonstigen Inhalt des angefochtenen Urteils. Das Jugendschöffengericht hat sich nämlich mit der Frage der Schuldfähigkeit überhaupt nicht befasst und hat dazu auch keine Feststellungen getroffen. Erst recht wurde eine Maßregel nach § 63 StGB nicht in Erwägung gezogen, zu der dem Jugendschöffengericht im übrigen die erforderliche Rechtsfolgenkompetenz gefehlt hätte (§ 24 Abs. 2 GVG). Wenn das Jugendschöffengericht bei vorläufiger Bewertung davon ausgegangen wäre, dass die Voraussetzungen des § 63 StGB mit Wahrscheinlichkeit erfüllt sind, hätte eine Verweisung an die Jugendkammer als Gericht des ersten Rechtszuges erfolgen müssen.

Im Gegensatz zu dem Sachverhalt in dem Fall BGH NStZ-RR 2003, 18 besteht hier nicht die Möglichkeit, dass der Angeklagte bei der Tat schuldunfähig war und deshalb der von ihm angefochtene Schuldspruch in einem engen Zusammenhang mit einer möglichen Maßregelanordnung zu sehen ist. Nach dem psychiatrischen Gutachten der Sachverständigen Dr. W. ist zwar davon auszugehen, dass der Angeklagte bei seinen exhibitionistischen Handlungen in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war und die Voraussetzungen des § 21 StGB wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit aus medizinischer Sicht gegeben sind. Dem Sachverständigengutachten sind indes keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die bei dem Angeklagten bestehende Störung der Sexualpräferenz im Sinne des Exhibitionismus (ICD-10: F 65.2) zur Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) geführt hätte. Nach den Ausführungen der Sachverständigen erlebt der verheiratete und in stabilen sozialen Verhältnissen lebende Angeklagte Sexualität auch ohne deviante Inhalte. Die exhibitionistischen Symptome und die eheliche Sexualität bestehen nebeneinander. Die devianten Reaktionen kehren bei dem Angeklagten als Konfliktlösungsmuster wieder, ohne die sexuelle Orientierung zu bestimmen. Auch wenn die Sachverständige in ihrem schriftlichen Gutachten nicht ausdrücklich festgestellt hat, dass Schuldunfähigkeit auszuschließen ist, ist diese - hier wohl in Anbetracht ihrer Selbstverständlichkeit unterbliebene - Negativfeststellung den differenzierten Ausführungen zum Schweregrad der Störung eindeutig zu entnehmen.

Der Schuldspruch hängt demnach im Berufungsverfahren allein davon ab, ob der die Tat bestreitende Angeklagte zur Überzeugung der Jugendkammer überführt werden kann. Im Falle eines Schuldspruchs und Zubilligung von verminderter Schuldfähigkeit kann nach dem inneren Zusammenhang des angefochtenen Urteils ein Widerspruch zu dem Umstand, dass dort eine - gemäß § 24 Abs. 2 GVG ohnehin ausgeschlossene - Maßregelanordnung nach § 63 StGB unterblieben ist, nicht entstehen, weil sich das Jugendschöffengericht mit den §§ 21, 63 StGB weder rechtlich noch tatsächlich befasst hat.

Da mithin der Angeklagte die unterbliebene Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB nach Aktenlage wirksam von seinem Berufungsangriff ausgenommen hat, kommt auch eine einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO nicht in Betracht.

Ende der Entscheidung

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