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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 20.03.2003
Aktenzeichen: III-3 Ws 81/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 14
StPO § 453
StPO § 462 a Abs. 2 Satz 2
Die Abgabe der Bewährungsüberwachung an das Wohnsitzgericht ist auch dann bindend, wenn keine besonderen Gründe vorliegen, die die Abgabe als zweckmäßig erscheinen lassen (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 14. Mai 1992, OLGSt Nr. 13 zu § 462 a StPO).
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

III-3 Ws 81/03

In der Strafsache

wegen Dienstflucht

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., die Richterin am Oberlandesgericht Dr. R. und den Richter am Landgericht D. am

20. März 2003

auf die Vorlage des Amtsgerichts Mettmann vom 24. Februar 2003 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Mettmann ist für die nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen zuständig.

Gründe:

Zwischen den Amtsgerichten Langenfeld und Mettmann besteht Streit über die Zuständigkeit für die nachträglichen Entscheidungen, die im Hinblick auf die dem Verurteilten gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu treffen sind (§ 453 StPO). Keines der Gerichte hält sich für zuständig. Das Amtsgericht Mettmann hat die Sache deshalb gemäß § 14 StPO dem Oberlandesgericht Düsseldorf als gemeinschaftlichem oberen Gericht zur Entscheidung vorgelegt.

Dem Zuständigkeitsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Mit Urteil vom 4. November 2002 verhängte das Amtsgericht Langenfeld gegen den in Haan wohnhaften Verurteilten wegen Dienstflucht eine Freiheitsstrafe von vier Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt; außerdem wurde der Verurteilte der Aufsicht und Leitung eines noch nicht namentlich benannten Bewährungshelfers unterstellt. Ihm wurde die "Auflage" (richtig: Weisung) gemacht, dem Gericht jeden Wohnsitzwechsel anzuzeigen und unverzüglich Kontakt zu dem zuständigen Beamten des Bundesamtes für Zivildienst aufzunehmen. Mit Schreiben vom 15. November 2002 teilte die für die Amtsgerichtsbezirke Mettmann und Velbert zuständige Bewährungshelferin B. dem Amtsgericht Langenfeld mit, dass sie bereit sei, den Verurteilten zu betreuen. Daraufhin übertrug das Amtsgericht Langenfeld die Bewährungsaufsicht durch Beschluss vom 4. Dezember 2002 dem Amtsgericht Mettmann. Dieses lehnte die Übernahme durch Beschluss vom 20. Januar 2003 ab und sandte die Akte an das Landgericht Langenfeld zurück. Das Amtsgericht Langenfeld berief sich - nach Anhörung der Staatsanwaltschaft Düsseldorf - auf die Bindungswirkung des Abgabebeschlusses, woraufhin das Amtsgericht Mettmann die Sache mit Verfügung vom 24. Februar 2003 dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Entscheidung über die Zuständigkeit vorgelegt hat.

Gemäß § 14 StPO ist der Senat zur Entscheidung darüber berufen, welches der beiden Amtsgerichte für die nach § 453 StPO zu treffenden Nachtragsentscheidungen zuständig ist.

Das Amtsgericht Mettmann ist für zuständig zu erklären, da der Abgabebeschluss des Amtsgerichts Langenfeld vom 4. Dezember 2002 gemäß § 462 a Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz StPO bindend ist.

Ein Fall, in dem die Bindungswirkung ausnahmsweise entfällt, weil die Abgabeentscheidung willkürlich ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 462 a Rn. 23), liegt nicht vor. Eine gerichtliche Entscheidung ist willkürlich, wenn sie auf unsachlichen, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht, bei verständiger Würdigung unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint und deshalb offensichtlich unhaltbar ist (BVerfGE 29, 45 [49]; BGHSt 29, 216 [219]). Dies ist bei einer Abgabeentscheidung nach § 462 a Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz StPO nicht schon dann der Fall, wenn besondere Gründe fehlen, die die Abgabe an das Gericht, in dessen Bezirk der Verurteilte wohnt, als zweckmäßig erscheinen lassen (vgl. BGH NStZ 1992, 399; NStZ 1993, 200 [201]; OLG Hamm JMBl. NW 1996, 237; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 462 a Rn. 23; Fischer in KK-StPO, 4. Auflage, § 462 a Rn. 27; Wendisch in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 462 a Rn. 58). An seiner gegenteiligen Auffassung, die für eine wirksame Abgabe das Vorliegen besonderer Gründe voraussetzte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Mai 1992 = OLGSt Nr. 13 zu § 462 a StPO; vom 13. März 2002 - 3 Ws 68/02 -; vom 15. August 2002 - 3 Ws 287/02 - und vom 3. Januar 2003 - 3 Ws 454/02 -; siehe auch Paeffgen in SK-StPO, § 462 a Rn. 26), hält der Senat nicht mehr fest.

Der Vorschrift des § 462 a Abs. 2 Satz 2, 1. Halbsatz StPO liegt die Überlegung zugrunde, dass die Bewährungsüberwachung ggf. effektiver durch dasjenige Gericht wahrgenommen werden kann, in dessen Bezirk der Verurteilte wohnt, da es diesem Gericht aufgrund seiner Ortsnähe leichter fällt, sich die für Entscheidungen nach den §§ 56 a bis 56 g StGB maßgeblichen Erkenntnisse zu verschaffen sowie schneller und flexibler hierauf zu reagieren (vgl. BGHSt 26, 204 [206]; Wendisch a.a.O. Rn. 55: "entscheidungsnäherer Richter"). Andererseits kann es aber auch Fälle geben, in denen sich die Wahrnehmung der Bewährungsüberwachung durch das erkennende Gericht anbietet, etwa weil sich dieses in der Hauptverhandlung besonders intensiv mit der Persönlichkeit des Verurteilten auseinandergesetzt hat oder weil Auflagen und/oder Weisungen in seinem Bezirk zu erfüllen sind. Ob nach dem jeweiligen Einzelfall eine Abgabe des Bewährungsüberwachung zweckmäßig erscheint, hat das erkennende Gericht im Rahmen des ihm eingeräumten und nur nach Maßgabe des Willkürverbots nachprüfbaren Ermessens zu entscheiden.

Dass bei Ausübung dieses Ermessens für eine willkürfreie und damit bindende Abgabeentscheidung besondere Gründe sprechen müssten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere kann daraus, dass nach dem Gesetz lediglich eine Abgabemöglichkeit und keine Abgabepflicht besteht, nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber habe der Bewährungsüberwachung durch das erkennende Gericht im Normalfall den Vorzug geben und eine Abgabe an das Wohnsitzgericht nur bei Vorliegen besonderer Gründe zulassen wollen (so aber OLG Düsseldorf - 1. Strafsenat - VRS Bd. 86 S. 187; NStZ 1992, 206 jeweils unter Berufung auf BGH NJW 1958, 560). Denn die Abgabemöglichkeit durch das erkennende Gericht bezweckt gerade eine flexible Ausgestaltung der Zuständigkeit, die im Interesse einer effektiven Bewährungsüberwachung den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragen soll. Hiermit ist die Annahme eines starren Regel-Ausnahme-Verhältnisses jedoch nicht zu vereinbaren, so dass es auch nicht den Vorwurf der Willkür begründen kann, wenn das erkennende Gericht die Bewährungsaufsicht an das Wohnsitzgericht überträgt, ohne dass hierfür neben dem Gesichtspunkt der Ortsnähe weitere besondere Gründe sprechen.

Im übrigen sind an die Annahme einer willkürlichen und damit nicht bindenden Abgabe schon deshalb besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil durch die in § 462 a Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz StPO angeordnete Bindungswirkung gerade der Sache nicht dienliche Zuständigkeitsstreitigkeiten vermieden werden sollen. Hiermit wäre es jedoch nicht vereinbar, wenn jede Abgabe durch das Wohnsitzgericht daraufhin zu überprüfen wäre, ob sie auch zweckmäßig ist.

Somit kann die Annahme einer willkürlichen und damit nicht bindenden Abgabe nicht schon daraus hergeleitet werden, für die Abgabe sprächen keine Gründe der Zweckmäßigkeit. Da sonstige Umstände, die der Bindungswirkung der Abgabeentscheidung des Amtsgerichts Langenfeld entgegenstehen könnten, nicht ersichtlich sind, war das Amtsgericht Mettmann gemäß § 14 StPO für zuständig zu erklären. Dessen Beschluss vom 20. Januar 2003 wird damit ohne weiteres gegenstandslos.

Ende der Entscheidung

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