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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 17.08.2007
Aktenzeichen: III-4 Ausl(A) 78/07-267/07 III
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 83 Nr. 3
Ein Auslieferungsersuchen, das die Vollstreckung eines in Abwesenheit des Verfolgten ergangenen polnischen Gesamtstrafenurteils sichern soll, unterliegt nicht den einschränkenden Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 83 Nr. 3 IRG, wenn diesem Urteil ausschließlich Strafurteile zugrunde liegen, die in Anwesenheit des Verfolgten ergangen sind.
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

III-4 Ausl(A) 78/07-267/07 III

In der Auslieferungssache

gegen pp.,

hat der 3. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht B., den Richter am Oberlandesgericht R. und den Richter am Landgericht J. am 17. August 2007 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

Die Auslieferung des Verfolgten an die polnische Regierung zum Zwecke der Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 16. Oktober 2003 (II K 9/01), durch Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 24. Juni 2003 (II K 841/01), durch Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 22. Mai 2002 (II K 235/02) sowie durch Gesamtstrafenurteil des Amtsgerichts Elblag vom 9. November 2004 (II K 868/04) erkannten Freiheitsstrafen ist zulässig.

Gründe:

Der Verfolgte wurde am 26. Juni 2007 am Grenzübergang E. festgenommen, nach richterlicher Festhalteanordnung vom 27. Juni 2007 in die Justizvollzugsanstalt K. eingeliefert und von dort am 28. Juni 2007 in die Justizvollzugsanstalt D. verlegt. Mit Beschluss vom 12. Juli 2007 hat der Senat gegen ihn die Auslieferungshaft zum Zwecke seiner Auslieferung an die polnische Regierung zur Strafvollstreckung wegen der dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Elblag vom 16. Januar 2007 (II Kop 6/07) zugrundeliegenden Urteile angeordnet.

A.

I. Diesem Europäischen Haftbefehl liegen drei Urteile des Amtsgerichts Elblag zugrunde.

1. Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 16. Oktober 2003 (II K9/01). Durch dieses Urteil wurde gegen den Verfolgten wegen Raubes, Betruges und versuchter räuberischer Erpressung auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten erkannt. Ihm werden darin folgende Tathandlungen zur Last gelegt:

a)

Im Mai 1999 in E. nahm der Verfolgten gemeinschaftlich mit anderen Personen handelnd dem J.W. essen goldene Kette im Wert von 250 PLN in Zueignungsabsicht weg, nachdem der Geschädigte an den Armen festgehalten und gewaltsam auf das Bett gedrückt worden war.

b)

Im April 1999 in E. täuschte der Verfolgte gemeinschaftlich mit anderen Personen handelnd den J.W. in Bereicherungsabsicht über die Möglichkeit, Kleidung einzukaufen, wodurch der Geschädigte zu seinem Nachteil zur Zahlung von 400 PLN veranlasst wurde.

c)

Am 11. Oktober 2000 in E. versuchte der Verfolgte gemeinschaftlich mit anderen Personen handelnd den P.C. mittels Gewalt zur Herausgabe von 500 PLN zu zwingen. Die Täter schlugen dem Geschädigten mit Fäusten ins Gesicht und drohten ihm weitere Misshandlung an. Gleichwohl verweigerte der Geschädigte die Herausgabe des verlangten Bargeldes. Er erlitt durch die Faustschläge Prellungen und Blutergüsse im Gesicht.

2. Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 24. Juni 2003 (II K 841/01)

Durch dieses Urteil wurde gegen den Verfolgten wegen Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung für die Dauer von fünf Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Durch Beschluss des Amtsgerichts Elblag vom 16. November 2004 wurde die Strafaussetzung widerrufen.

In diesem Urteil wird dem Verfolgten zur Last gelegt, von April bis Mai 2000 in E. in fünf Fällen Marihuana in einer Menge nicht geringer als 25 Gramm und im Wert nicht geringer als 850 PLN in den Verkehr eingeführt und dem M.P. für den Weiterverkauf übergeben zu haben.

3. Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 22. Mai 2002 (II K 235/02)

Hierdurch wurde der Verfolgte wegen Falschaussage zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Widerruf der Strafaussetzung erfolgte durch Beschluss des Amtsgerichts Elblag vom 16. November 2004.

In diesem Urteil wird dem Verfolgten zur Last gelegt, am 19. Juli 2001 als Zeuge vor dem Amtsgericht Elblag in der Strafsache II K 32/01 falsch ausgesagt zu haben, indem er wahrheitswidrig erklärte, dass er die Betäubungsmittel nicht von S.L., J.G., RS. und S.M. erworben habe.

II. Einem weiteren Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts Elblag - dieser vom 13. Februar 2007 (II Kop. 11/07) - liegt das Gesamtstrafenurteil des Amtsgerichts Elblag vom 9. November 2004 (II K 868/04) zugrunde, das in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist.

Durch dieses Gesamtstrafenurteil wurden die durch die Urteile des Amtsgerichts Elblag vom 16. August 2004 (II K 457/04) und vom 26. Juli 2004 (II K 496/04) erkannten Freiheitsstrafen von acht Monaten bzw. von einem Jahr und zwei Monaten auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten zurückgeführt. Hiervon hat der Verfolgte noch ein Jahr, drei Monate und 29 Tage zu verbüßen.

1. Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 16. August 2004 (II K 457/04)

Hierdurch wurde der Verfolgte aufgrund des folgenden Tatvorwurfs wegen Beihilfe zur Urkundenfälschung und zum Betrug zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt:

Im April 2003 übergab er in E. dem SP. den Kopfstempel der Firma A. sowie den Namensstempel des CS., wobei der Verfolgte wusste, dass SP. mittels dieser Stempel eine gefälschte Arbeitsbescheinigung herstellen wollte, um diese bei dem Mobilfunktreiber E. zwecks Abschluss eines Vertrages vorzulegen. Auf diese Weise gelang es dem SP., sich zum Nachteil der Firma P. Telekommunikationsleistungen im Wert von 1.816,71 PLN zu erschleichen.

2. Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 26. Juli 2004 (II K 496/04)

Hierdurch wurde der Verfolgte aufgrund der folgenden Tatvorwürfe wegen versuchten Einbruchdiebstahls und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt:

a)

Im Februar 2004 schlug der Verfolgte in E. eine Fensterscheibe des Wohnhauses von P.T. ein, um in Diebstahlsabsicht in das Haus einzusteigen. Zu einem Diebstahl kam es jedoch nicht, da der Hauseigentümer durch den Lärm aufmerksam geworden war.

b)

Anschließend packte der Verfolgte den P.T. am Hals und bedrohte ihn mit körperlicher Misshandlung, um diesen zu nötigen, eine Strafanzeige bei der Polizei zu unterlassen.

B.

Die Auslieferung des Verfolgten an die polnische Regierung zum Zwecke der Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 16. Oktober 2003, durch Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 24. Juni 2003, durch Urteil des Amtsgerichts Elblag vom 22. Mai 2002 sowie durch Gesamtstrafenurteil des Amtsgerichts Elblag vom 9. November 2004 erkannten Freiheitsstrafen ist zulässig.

1. Die vorgenannten Europäischen Haftbefehle genügen den formellen Voraussetzungen des § 83a Abs. 1 IRG.

2. Die materiellen Auslieferungsvoraussetzungen sind hinsichtlich des Zwecks der Strafvollstreckung erfüllt.

a) Der Verfolgte unterliegt gemäß den §§ 78, 2 Abs. 1 und 3 IRG in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG der Auslieferung. Er ist nicht Deutscher im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG, sondern nach den Angaben in dem Europäischen Haftbefehl und seinen Angaben bei der richterlichen Anhörung polnischer Staatsangehöriger.

b) Die Straftaten, hinsichtlich derer die Auslieferung erfolgen soll, sind allesamt gemäß den §§ 3 Abs. 1 u. 3, 81 Nr. 1, 2 u. 4 IRG auslieferungsfähig.

Räuberische Erpressung und Betrug - auch in Form der Beihilfe - unterfallen den in Art. 2 Abs. 2 RB-EUHb in Bezug genommenen Deliktsgruppen und sind nach polnischem Recht (Art. 282 § 1, 286 § 1 des polnischen StGB) im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren bedroht (§ 81 Nr. 4 IRG).

Ob das dem Verfolgten zur Last gelegte Inverkehrbringen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Art. 43 Abs. 1 des polnischen BtMG) der Deliktsgruppe des illegalen Handels mit Drogen zuzuordnen ist, kann dahinstehen, da diese Tat nach deutschem Recht jedenfalls als Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar ist (§ 29a StGB).

Die weiteren Straftaten sind sowohl nach deutschem Recht (§§ 153, 240, 244, 249, 267, 22, 23, 27 StGB) als auch nach dem Recht des ersuchenden Staates (Art. 191 § 1, 233 § 1, 270 § 1, 279 § 1, 280 § 1, 13 § 1, 18 § 3 des polnischen StGB) im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Monaten bedroht.

Die Dauer der zu vollstreckenden Freiheitsstrafen übersteigt zudem jeweils das nach § 81 Nr. 2 IRG erforderliche Mindestmaß von vier Monaten.

c) Sonstige Umstände, die der Auslieferung zum Zweck der Strafvollstreckung nach den §§ 83, 78, 6 Abs. 2, 9 oder § 73 Satz 2 IRG entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich.

Insbesondere ergeben sich solche im Hinblick auf das Gesamtstrafenurteil des Amtsgerichts Elblag vom 9. November 2004 nicht aus § 83 Nr. 3 IRG. Auch wenn dieses Urteil selbst in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist, ist der Schutzbereich dieser Vorschrift, die den Anspruch des Verfolgten auf rechtliches Gehör wahren soll, nicht berührt. Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang nämlich darauf abzustellen, dass die Schuld des Verfolgten in diesem Erkenntnis nicht erneut und die gegen ihn zu verhängende Rechtsfolge nicht erstmals gerichtlich geprüft wurde. Vielmehr fußte das Gesamtstrafenurteil auf zwei Strafurteilen des Amtsgerichts Elblag, die - wie der Europäische Haftbefehl ausdrücklich klarstellt - am 16. August 2004 und 26. Juli 2004 in Anwesenheit des Verfolgten und damit unter Wahrung des in § 83 Nr. 3 IRG geregelten Schutzgutes zustande gekommen waren.

Die Richtigkeit der Nichtanwendbarkeit des § 83 Nr. 3 IRG in dieser Konstellation ergibt sich zudem daraus, dass ansonsten die nur der Privilegierung des Verfolgten dienende Schaffung des Gesamtstrafenurteils vom 9. November 2004 möglicherweise die Unzulässigkeit der Auslieferung nach sich ziehen würde, obwohl die Auslieferung im Hinblick auf die beiden Einzelurteile vom 16. August 2004 und 26. Juli 2004 ganz unproblematisch zulässig wäre. Dass dieses Ergebnis mit den Intentionen des Gesetzgebers nicht vereinbar wäre, wird noch deutlicher, wenn zusätzlich berücksichtigt wird, dass die vom Amtsgericht Elblag verhängte Gesamtstrafe sogar noch zwei Monate unter der vom Verfolgten selbst in seinem Schreiben vom 7. September 2004 beantragten Gesamtstrafe von einem Jahr und sechs Monaten liegt.

3. Die Ermessensentscheidung der Generalstattsanwaltschaft, die Auslieferung des Verfolgten nicht nach 8b IRG abzulehnen, unterliegt keinen rechtlichen Bedenken. Anhaltspunkte für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der in dieser Bestimmung geregelten Bewilligungshindernisse bestehen von vornherein nicht.

Ende der Entscheidung

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